Das „unendliche Blau des Himmels“ – wird zwar irgendwann schwarz und entpuppt sich insofern als Chimäre. Aber mit dieser allegorischen Form uneigentlichen Sprechens zeigen wir auf etwas anderes: meinen die Unendlichkeit des Alls ebenso wie die vorgestellte Raum- und Zeitlosigkeit eines göttlichen Wesens, im Nirgendwo und in Ewigkeit, bezeichnen beides als „Himmel“. – Hinzu kommt ein Vers von Alfred Andersch mit der Aufforderung zur Empörung. Und eine andere vom kunstbetrieb, gerichtet an eine Gruppe vorwiegend Dortmunder KünstlerInnen, hier bildnerisch frei zu deuten. Die Ergebnisse des Projektes sind aktuell an Ort und Stelle in der Nordstadt ausgestellt.
derkunstbetrieb: Themen mit Tragweite – Medium für KünstlerInnen, deren Ausdrucksformen
Nach bislang sechs solcher Ausstellungen: hier würde wieder ein damit verbundenes Kunstprojekt ins Leben gerufen. Für den kunstbetrieb sei dies immer spannend gewesen, erklärt Kuratorin Sabine Spieckermann, „von einem Thema auszugehen, zu dem wir KünstlerInnen einladen, ihre eigenen Haltungen und Position zu finden.“ Themen mit Interpretationsweite, die, ihren Worten zufolge, auch Gegenstand der Auseinandersetzung bei den AkteurInnen vor Ort in dem Kunst- und Kulturhaus sind.
Da stand zuvor etwa die „Präsenz von Frauen“ im Mittelpunkt, ein anderes Mal ging es um das Verhältnis „Analog vs. Digital“ oder um die Aufforderung zur Darstellung des individuell neu Entdeckten, aufgehängt an einem Satz Brechts: „sah ich, als ich sehn anfing“ (aus Brecht, Als ich nachher von Dir ging).
Seit Samstag heißt es jetzt in den Räumlichkeiten des kunstbetriebs in der Gneisenaustraße: „der himmel ist blau!“, so Titel wie Sujet der neuen Ausstellung, die noch bis zum 6. Oktober dort zu sehen sein wird: entlehnt aus dem Gedicht von Alfred Andersch, „Andererseits“, gleichnamig dem im Jahr 1977 publizierten Gedichtband.
Der Vers von Andersch als „blauer Himmel“ – Empörung gehört nicht zwingend dazu
Wer Andersch, den kunstbetrieb kennt, wird freilich kaum auf den Gedanken kommen, beim hier Prädizierten, dem schlichten Blau des Himmels, handele es sich lediglich um eine Trivialität, die bestenfalls für den Wetterbericht reicht. Das Stutzen setzt dagegen spätestens bei Lektüre des gesamten Verses bei Andersch ein: „empört euch der himmel ist blau“, heißt es dort.
In dem Gedicht geht es im versteckten Ringen mit Sartre, der Kunst soziale Verantwortung zuweist, um mehr: um ästhetische Momente, um präzisierte Begriffe der Kunst, deren Rezeption.
Weder der zum Protest aufrufende Imperativ, noch die dadurch im deutschen, vermutlich auch im gesamten europäischem Sprachgebrauch hervorgerufene, vordergründige Assoziation mit einer widersinnigen Aussage (hier: blauer Himmel generiert Entrüstung) sollten jenen 22 KünstlerInnen allerdings Interpretationsrichtungen weisen, bei denen derkunstbetrieb für das Projekt anfragte.
Vielmehr lassen die beiden KuratorInnen, neben Sabine Spieckermann: Anke Droste, den schließlich 21 zusagenden ProjektakteurInnen quasi freie Hand: „der himmel ist blau!“ wird zum hermetisch isolierten, semantischen Gewölbe, unter dem gestalterisch geformt werden soll, was denn jede/r KünstlerIn darunter wohl verstehen mag.
Verortung zwischen Nur-Himmelblau als säkularer und der göttlichen Welt im Jenseits
So kann beispielsweise ein Regenschirm zu einem Sonnenschirm und der Andersche Vers – transzendiert der Interpretationshorizont eine Europaperspektive – auf die Nöte afrikanischer Bauern hin gedacht werden, die, statt sie zu besänftigen, sich gegenüber irgendeiner Regengottheit empören, weil die ersehnten Wolken ausbleiben.
Es gäbe sogar einen Doppelbezug analog zur Äquivokation des Wortes „Himmel“ in dem Vers, das sowohl für den Begriff eines raum-/zeitlosen Gottesreichs, als auch für den des wahrnehmbaren planetären Himmels steht.
Nach der Ausstellungskonzeption konnte hier die je individuelle Phantasie der beteiligten KünstlerInnen frei wirken: sie sollten sich lediglich qua eigener Positionen zwischen dem Nur-Blau des sichtbaren Himmels und einer möglichen Auseinandersetzung mit seiner religiös-theistischen Variante als Ort des Heils verorten. Einzige formale Vorgabe: 50 x 50 (x 50) cm müssen es auf einer Fläche werden (bzw. im Raum für eine Plastik).
Von zerbrochenen Flügeln über seltsame Begegnungen am Strand hin zur Zerstörung
Dann ein kurzer Rundgang durch die Ausstellung, die kurz vor der Vernissage steht, letzte Arbeiten sind noch zu tun. Entstanden sind Werke der Malerei, Photographie, Graphik, des Films. Anders als bei vorangegangenen Projekten, wurden ante festum nur bildende KünstlerInnen angesprochen – um dem Aufbau mehr Platz zu geben, so Sabine Spieckermann erläuternd.
Ihr Lebensmittelpunkt liegt bei allen bis auf zwei (Köln/Berlin) in Dortmund, anwesend sind neun. Wegen der Vielfalt von Darstellungsformen haben die Organisatorinnen eine Hängung mit senkrechter Ausrichtung gewählt, jeweils von Augenhöhe abwärts, so dass die verschiedenen bildnerischen Bereiche in der Horizontalen nebeneinander erscheinen. Ein kursorischer Durchlauf durch die Welt in „Blau“ mit Abbruch auf halbem Wege, Andeutungen:
Da sind zerbrochene Flügel in einer Stadt, die von Brutalität zeugen; im Sand irgendwo am Mittelmeer ein gestrandeter Flüchtling, unweit von drei TouristInnen inmitten des Urlaubsvergnügens; schließlich ein zerstörtes Haus in Jerusalem. Neben dem Blau wirkt das Rosa wenig vergnüglich, kein „Mädchenmikado“, sondern mit ihm zerrissen, verstörend. – Motive von Ute Brüggemann.
Von blauen Stunden und dem Leben mit den Eltern im Monolog, die heute Flüchtlinge wären
Hendrik Müller arbeitet mit graphischen Vorlagen, farbigen Projektionen auf Flächen, die von Körpern gebildet werden; dahinter verstecken sich Männer. In seiner Generation sei Blau auch die Farbe Homosexueller gewesen, die blaue Stunde, die blaue Bar, der blaue Mittwoch usf. Hier, in seinen Bildern, sei sein eigener blauer Himmel das Unerreichbare, „was blau leuchtet und doch nicht da ist.“ Vorbei?
Dann sind da Eltern, die schreiben 1944 unter dem Himmel Bielefelds Briefe, hier vom 10. Oktober. Die Tochter liest sie, kann Vater und Mutter nicht mehr fragen, spricht mit sich selbst, führt einen inneren Monolog: vom Leben unter den Bomben, mit den wenigen Kerzen in der Nacht, der Angst, der Liebe.
Und es gereicht schnell zur tagespolitischen Aktualität, in den Bildern mit den biographischem Spuren von Susanne Grytzka: hier der alte Brief, den seinerzeit die Mutter schrieb, und symbolisch auf das Jahr 2018 zeigt; dort ist ein zartes Papierschiffchen auf dem Meer zu sehen: es sprengt den vorgegebenen Rahmen der Ausstellung, 50 x 50, treibt verzweifelt über die Grenzen hinaus, einem ungewissen Ziel entgegen.
Die Welt schlecht sehen – oder vielleicht zur Abwechselung mit Hoffnung ihre Vermögen entdecken?
Bewusst weggelassen in einer der Arbeiten von Anke Droste wurde der Imperativ des Empört-Euch, leitend sei vielmehr das Vermögen des Einzelnen gewesen, so die Mitkuratorin. Natürlich gäbe es da Dinge, die sie schlicht sch… fände – aber: jetzt sollte der Himmel einfach mal blau, schön, zum Genießen sein. Herausgekommen ist ein Video aus der Perspektive einer/s Reisenden, die Welt, die während der Fahrt vorüberzieht. Weiter-Reisen, dranbleiben, weitermachen, im Jetzt, hier. Hoffnung scheint vor.
Noch nicht gehängt, weil dafür am Abend zuvor in dem Ausstellungsraum noch hätte gebohrt werden müssen – aber nach oben gehört das Gesamt von Suse Solbach sicher. Als vom Himmel inspiriert, erklärt sie ihr basales Motiv im Umgang mit dem Ursprungsmaterial: Kisten aus Industriebrachen auf 50 x 50 zersägt, nach eher freien Zeichnungen; dann abgegossen mit blauem Kerzenwachs, die Entwürfe schließlich separat eingewachst.
Und so geht es weiter, von KünstlerIn zur/m nächsten, Stationen eines Abenteuers, den Wänden entlang, kryptisch, aufklärend, ambivalent, in der Begegnung mit dem Himmel, seiner Faszination, in Blau.
Weitere Informationen:
- Titel der Ausstellung: „der himmel ist blau.“
- KünstlerInnen: Almut Rybarsch-Tarry, Ana Maria Aviles Toro, Angela Jansen, Anke Droste, Annelie Sonntag, Artur Aleksander Wojtczak, Brigitte Siebrecht, Egon Huneke, Hendrik Müller, Horst Herz, Kirian, Klaus Pfeiffer, Mathes Schweinberger, Mohammad Taghi Ghorbanali, Paola Manzur, Susanne Grytzka, Suse Solbach, Udo Unkel, Ute Brüggemann, Vanessa von Wendt, Wolfgang Kienast
- Ort und Veranstalter: derkunstbetrieb, Dauer der Ausstellung: 1. September bis 6. Oktober 2018
- Adresse: Gneisenaustr. 30, 44147 Dortmund, Tel.: 0231 53 48 205, info@derkunstbetrieb.de
- Öffnungszeiten: Mo – Fr: 11.00 – 13.00 und 15.00 – 18.00 Uhr; Sa: 11.00 – 13.00 Uhr, sowie nach Vereinbarung
- Ein Katalog erscheint im Rahmen der Ausstellung
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