Lesung mit der Autorin in der Auslandsgesellschaft am 19. November 2024

„Wie meine Familie das Sprechen lernte“: Leyla Bektaș und ihre alevitische Familiengeschichte

Am 19. November ist Leyla Bektaș zu Gast inDortmund und liest aus ihrem Roman „Wie meine Familie das Sprechen lernte“. Fotocollage: Nordstadtblogger-Redaktion

Die deutsch-türkische Schriftstellerin Leyla Bektaș besucht Dortmund und stellt ihr Buch „Wie meine Familie das Sprechen lernte“ vor. In dem Roman befasst sich Bektaș mit dem Leben einer der alevitischen Minderheit in der Türkei angehörigen Familie. Sie selbst ist Tochter einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters, der Alevit ist. Am Dienstag, den 19. November 2024, ist Bektaș zu Gast in der Auslandsgesellschaft. Die Lesung beginnt um 19 Uhr und der Eintritt ist frei. Es wird darum gebeten, sich bei Interesse vorab per Mail oder telefonisch  anzumelden. Weitere Infos hierzu am Ende des Artikels.

Autorin nähert sich mit dem Roman der eigenen Familiengeschichte

Foto: Nagel und Kimche Buchverlag

Zum Buch: „Behalte für dich, was du gesehen hast, und sprich nicht über Dinge, die du nicht gesehen hast“, besagt ein alevitisches Sprichwort. Als der 29-jährigen Alev klar wird, dass auch ihre Familie, Angehörige der unterdrückten religiösen Minderheit der Aleviten in der Türkei, lange nach diesem Sprichwort gelebt hat, möchte sie das Schweigen brechen – und beginnt zu fragen.

Warum migrierte ihr Vater als linksaktivistischer Student in den siebziger Jahren nach Köln? Was zerschlug das erfolgreiche Textilunternehmen ihres Onkels Cem in Istanbul? Alev, die in Köln wohnt, und bisher jeden Sommer beim türkischen Teil ihrer Familie verbracht hat, fragt und sammelt die O-Töne ihrer Verwandten, während sich zeitgleich die politische Lage in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 zuspitzt.

Leyla Bektaș wurde 1988 geboren und wuchs in Bremen auf. Sie studierte Romanistik und später am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Heute schreibt sie Prosa und Essayistisches, Kurzgeschichten erschienen in Zeitschriften (u.a. Tippgemeinschaft und poetin) und in der Anthologie „Flexen. Flaneusen schreiben Städte“ (2019 im Verbrecher Verlag).


Interview mit Leyla Bektaş

Können wir uns ein bisschen kennenlernen?

Bektaş: Mein Name ist Leyla Bektaş, ich bin 1988 in der Nähe von Bremen geboren, als Tochter einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters. Für mein Studium (Romanistik und Literarisches Schreiben) bin ich erst nach Köln und später nach Leipzig gegangen. Mittlerweile lebe ich mit meiner Familie wieder in Bremen. Neben dem Schreiben unterrichte ich regelmäßig und gebe Workshops für Kreatives Schreiben.

Was hat Sie motiviert, einen Roman über eine alevitische Familie zu schreiben?

Autorin Leyla Bektaş lebt in Bremen. Foto: Rike Oehlerking

Bektaş: Mein Vater ist Alevit. Ich habe aber sehr spät davon erfahren. Wenn mein Vater früher gefragt wurde, sagte er meistens: ich bin Atheist. Irgendwann wollten meine Schwester und ich mehr erfahren, und wir haben begonnen, ihn zu befragen. Wir haben eine Reise in unser Heimatdorf Hacıbektaş gemacht und auf dieser Reise haben wir sehr viel erfahren.

Trotz der Reise war das Alevitentum für mich aber weiterhin mit sehr vielen Rätseln belegt. Mich hat beides fasziniert, einmal die Religion selbst, aber auch, dass sie so schwer zu greifen ist. Als ich später angefangen habe, einen Familienroman zu schreiben, wurde ich von meiner Mentorin ermutigt, mich auf den alevitischen Teil der Familie zu fokussieren.

Sind Sie der Meinung, wir bräuchten mehr Romane, die alevitisches Leben aufgreifen und erzählen sollten?

Bektaş: Ohja. Als ich angefangen habe zu schreiben, dachte ich: ich suche mal nach anderen Büchern (auf deutsch), in denen es um die alevitische Geschichte geht…. Aber ich habe nur sehr wenige gefunden. Wissenschaftliche-theologische Bücher schon, aber Romane? Fast keine.

Seit mein Buch erschienen ist, erreichen mich viele schöne Nachrichten von Menschen, die selbst Aleviten sind, und die sich bisher in der deutschen Literatur nicht repräsentiert gefühlt haben. Es ehrt mich, dass mein Buch diese Leerstelle etwas füllen darf, aber ich würde mir wünschen, dass noch mehr Bücher, Romane, Gedichte, Texte jeglicher Art dazukommen.

Die Romanfigur Alev ist sich ihrer Identität nicht sicher, bzw. anscheinend orientierungslos. Erst gegen Ende des Romanes ändert sich dies. Sie findet ihren inneren Frieden, weil sie mehr über ihre Familiengeschichten erfährt.

Die Lesung findet in der Auslandsgesellschaft auf der Nordseite des Hauptbahnhofs statt. Archivfoto: Joris Duffner

Bektaş: Ja, Alev ist eine Figur mit vielen Fragen und Zweifeln in sich. Sie weiß nicht, wo sie hingehört. Sie hat einen Freund, der Deutscher ist, von dem sie sich in manchen Dingen nicht verstanden fühlt, zumal im Jahr 2017, einem Jahr sehr angespannter deutsch-türkischer Beziehungen.

Alev fühlt sich ihrer türkischen Familie nah, aber kann sich mit ihr nicht verständigen, weil sie so schlecht türkisch spricht. Sie taucht dann ab in die Geschichten, die ihr erzählt werden, die Geschichten ihrer Vorfahren und Verwandten, und findet darin Halt und eine Bestimmung.

Cem spielt auch eine wichtige Rolle in Ihrem Roman. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass er erstens mit seinem unternehmerischen Erfolg die Familie von ihrer Geschichte befreite und zweitens mit der Rückbesinnung zur alevitischen Identität sowie der Erzählung der Familiengeschichten allen einen Halt in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels gibt. Ist die Familie in ihrem Buch exemplarisch für viele alevitische Familien, die aufgrund traumatischer Erfahrungen nicht wirklich miteinander sprechen?

Bektaş: Ich weiß es nicht. Gibt es denn exemplarische Familien? Jede Familie ist doch einzigartig. Aber dass man sich aufgrund des Schweigegelübdes eher bedeckt oder defensiv verhält, ist sicherlich in vielen alevitisch sozialisierten Familien der Fall.

Selbst wenn nach dem Brandanschlag von Sivas das Schweigegelübde offiziell gebrochen wurde. Mein Eindruck ist, dass es noch viele offene Wunden oder schlecht verheilte Narben gibt, auch weil es in der Türkei ja keine Aufarbeitung gab.

Aber das Schweigen gibt es natürlich nicht nur in alevitischen Familien. Schweigen ist auch eine Form des Behütens. Man möchte seine Kinder von den negativen Erfahrungen, die man gemacht hat, fernhalten.

Zum Schluss, müssten in den Alevitischen Gemeinden Schreibworkshops angeboten werden? Wenn ja, warum?

Grafik: Auslandsgesellschaft.de

Bektaş: Ich denke, das wäre sehr wichtig. Zum einen, damit die deutsche Literaturwelt reicher wird an alevitischen Perspektiven und Erzählungen. Zum anderen kann das kreative oder biographische Schreiben für jeden Einzelnen gewinnbringend sein.

Viele Menschen, denen ich momentan begegne, sagen mir, dass sie sich gerne mehr mit ihrer Herkunft und Familie beschäftigen möchten. Durch das Schreiben kann man einen Kontakt zu sich selbst aufbauen, sich der eigenen Geschichte nähern.


Mehr Informationen:

  • Für die Lesung in der Auslandsgesellschaft am 19. November bitte vorab entweder per Mail an veranstaltungen@auslandsgesellschaft.de oder telefonisch unter 0231 838 00 19 anmelden.
  • Die Veranstaltung in der Auslandsgesellschaft ist eine Kooperation von Kermit e.V., Auslandsgesellschaft.de, Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW, Alevitische Gemeinde Dortmund und Migrantinnenverein Dortmund e.V. mit freundlicher Unterstützung von MIA-DO Kommunales Integrationszentrum Dortmund.
  • Informationen zum Buch: Leyla Bektaş: Wie meine Familie das Sprechen lernte / Nagel und Kimche, Hamburg 2024 / 320 Seiten / 24 Euro

Unterstütze uns auf Steady

Write a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert