Das „Horrorhaus“ in der Kielstraße 26 – die größte Schrottimmobilie in Dortmund – macht seit rund 20 Jahren Schlagzeilen. Es ist auch das größte Mahnmal einer fragwürdigen und verfehlten Privatisierungs- und Spekulationspolitik. Jetzt macht das 16-stöckige Gebäude in der Nordstadt erneut Schlagzeilen – und erstmals positive: Denn nach zehn Jahren ist es der Stadt endlich gelungen, die 102 Wohneinheiten von insgesamt 44 Einzeleigentümern, Eigentümergemeinschaften bzw. Gläubigern zu kaufen. Die Stadt ist damit dem Ziel – einem Abriss der Schrottimmobilie – einen entscheidenden Schritt näher gekommen.
OB Sierau: „Ich bin froh, dass uns über diese lange Zeit nicht die Puste ausgegangen ist.“
Bis in die Ukraine musste die Stadt Dortmund ihre Fühler ausstrecken, um ins Eigentum der letzten verbleibenden Wohnung zu kommen. Nun kann endlich der erste Teilerfolg verkündet werden. „Ich bin froh, dass uns über diese lange Zeit nicht die Puste ausgegangen ist und wir beharrlich geblieben sind“, zeigt sich Oberbürgermeister Ullrich Sierau erleichtert.
44 Eigentümer und viele weitere Beteiligte wie Banken, Behörden oder Erben waren einzubeziehen, damit die Wohnungen gekauft werden konnten. 2012 wurde eine „Regiestelle“ eingerichtet. Diese hatte zur Aufgabe, Licht ins Dunkel der Eigentümer, Schuldner und Gläubiger zu bringen.
Zu Beginn des Jahres 2016 gingen dann die ersten Wohnungen ins Eigentum der Stadt über. Nun konnte man sich endlich mit dem letzten Besitzer einigen. Sebastian Kröger, Abteilungsleiter für Stadterneuerung und Quartierentwicklung, kann damit eine schier unendliche Geschichte zum Abschluss bringen.
Die unterschiedlichen Schicksale der Türme lassen sich schon 1992 erahnen
Wie konnte es überhaupt zu der Schrottimmobilie kommen? Beide Wohntürme wurden 1969 von der „Westfälischen Wohnstätten AG“ (später „Veba“) fertiggestellt. Im Zuge der Privatisierungswelle, die Dortmund 1992 erfasste, gerieten auch die Zwillingstürme unter den Hammer.
Das Haus in der Heiligegartenstraße 27 hatte die Stadt-Tochter „Dogewo21“ übernommen und zeitnah mit den fälligen Sanierungsarbeiten und Modernisierungen begonnen. Auch in den Folgejahren wurde investiert und das Erdgeschoss zum Empfangsbereich umgestaltet sowie die Aufzüge nachgerüstet.
Der Turm gegenüber, in der Kielstraße 26, geriet zum Spekulationsobjekt. Eine Gesellschaft aus Heilbronn, die „Burbaum, Bieg & Nikoloff GbR“, verkaufte die Wohnungen einzeln weiter. An insgesamt 44 EigentümerInnen, die die Wohneinheiten meist auf Kredit kaufen und als Geldanlage nutzen wollten.
Doch die erhoffte und versprochene „gute Geldanlage“ mit hohen Mieteinnahmen gab es nicht. Die Käufer – überwiegend türkischstämmige MitbürgerInnen aus Süddeutschland – wurden über den Zustand getäuscht. Statt mit üppigen Mieteinnahmen ihre auf Kredit gekauften Eigentumswohnungen refinanzieren zu können, wurden sie mit Sanierungsbedarf konfrontiert.
Als Strom und Wasser abgestellt werden, müssen die MieterInnen ausziehen
Doch dafür fehlte den meisten auswärtigen EigentümerInnen das Geld – weitere Kredite bekamen sie zumeist nicht. Denn die Investitionen hätten nicht über eine Mieterhöhung eingeholt werden können. Viele Wohnungen waren noch in der Sozialbindung und die Mieten somit gedeckelt.
Es kam, wie es kommen musste: Die Finanzierungen brachen zusammen, weil Eigentümer ihre Kredite nicht bedienen konnten. Als Strom und Wasser nicht mehr bezahlt wurden, drehte die DEW21 im April 2002 den Hahn zu. Die MieterInnen waren die Leidtragenden. Sie stellten wegen der Zustände im Haus die Mietzahlungen vollständig ein und zogen nach und nach aus. Die Spekulationsblase platzte. Das bedeutete für viele der getäuschten Käufer die Privatinsolvenz.
Stattdessen bevölkerten zunehmend Obdachlose und Drogenabhängige die freigewordenen Wohnungen im Hochhaus. Mangels Strom, Heizung und Wasser wurde u.a. offenes Feuer gemacht. Mehrfach musste die Feuerwehr anrücken. Die Stadt zog daher die Reißleine und ordnete die Schließung des Hauses an. Die letzten legalen MieterInnen mussten raus – ebenso wie die „ungebetenen Gäste“. Anschließend wurden die Eingänge und unteren Etagen zugemauert. Von da an hatte es seinen Ruf als „Geisterhaus“ und „Horrorhaus“ weg.
Bezirksbürgermeister Jörder: Schrottimmobilie war über Jahre „ein Stachel in der Nordstadt“
„Das Beispiel Kielstraße 26 zeigt, dass vernachlässigte Immobilien im Besitz von Wohnungseigentümergemeinschaften eine besondere Herausforderung für das Eingreifen der öffentlichen Hand darstellen“, meint der Dezernent für Planen, Bauen und Umwelt Ludger Wilde, auch im Hinblick auf weitere problematische Immobilien in der Nordstadt.
„Aber der langwierige Prozess hat auch seine guten Seiten. Das Wissen und die Erfahrungen, die wir hier sammeln konnten, helfen uns im Umgang mit den übrigen Problemimmobilien im Stadtgebiet“, so Wilde.
„Die Adresse Kielstraße 26 sagt vielen Leuten in der Nordstadt etwas. Dass es jetzt gelöst wird, ist eine besonders erfreuliche Angelegenheit“, betont Bezirksbürgermeister Dr. Ludwig Jörder. Denn das Gebäude sei „ein Stachel in der Nordstadt“. Dass das Problem nun städtebaulich gelöst werde, sei eine gute Nachricht.
„Das Gebäude war ein großer Imageschaden für die Nordstadt – über Jahre hinweg. Ich bin froh, dass es die Ämter jetzt endgültig gelöst haben“, so Jörder. „Bis zum Abriss dauert es noch etwas, aber die entscheidenden Schritte sind gemacht. Es ist ein wunderschöner Tag“, ist der Bezirksbürgermeister ungewohnt überschwänglich.
Die Kosten einer verfehlten Privatisierung von Sozialwohnungen zahlt der Steuerzahler
Die Kosten für die fragwürdige privatwirtschaftliche Spekulation mit den ehemaligen Sozialwohnungen kommen den Steuerzahler teuer zu stehen: Insgesamt kostete der Ankauf inklusive Nebenkosten und Beratung durch die Regiestelle etwa 650.000 Euro. Für die zwischenzeitliche Räumung im Auftrag der Stadt Dortmund waren weitere 160.000 Euro fällig. Mehr als 80 Tonnen Sperrmüll und Unrat wurden dabei beseitigt.
Die Kosten werden vom Land Nordrhein-Westfalen mit 80 Prozent über das Stadterneuerungsprogramm Stadtumbau-West bezuschusst. Insgesamt stehen der Stadt über dieses Programm für Ankauf und Abriss rund 2,3 Millionen Euro zur Verfügung.
Die Stadt bereitet nun den Abbruch des Gebäudes vor, indem weitere Gutachten eingeholt und der Kostenrahmen ermittelt werden. „Ich gehe davon aus, dass der Rat im Jahr 2020 den Beschluss für den Abbruch fasst.
2021 könnte dann der Abbruch erfolgen und eine positive Entwicklung des Areals Kielstraße 26 initiiert werden“, wagt Susanne Linnebach, Amtsleiterin der Stadterneuerung, einen Blick in die Zukunft.
Wegen Abrisszusage an einstige Eigentümer kommt In-Wert-Setzung nicht in Frage
Linnebach weist nochmals kategorisch die Forderung zurück, das Gebäude doch wieder in Wert zu setzen. Mehrere Investoren hatten in den vergangenen Jahren bei der Stadt angeklopft und Interesse am Kauf bekundet.
Denn das Gebäude als solches ist nicht uninteressant – es wäre zu sanieren, die Wohnungen sind gut geschnitten und die Aussicht grandios. Der bauliche Zwilling gegenüber – er wurde nicht privatisiert, sondern ist in Besitz der Stadt-Tochter Dogewo21 – erfreut sich bei MieterInnen großer Beliebtheit.
Dennoch kommt eine In-Wert-Setzung nicht in Frage: Dann wäre die Stadt wortbrüchig geworden: Sie war im Verhältnis kostengünstig in den Besitz der 102 Wohnungen gekommen, weil sie den Abriss als einzig verbliebene Option deutlich gemacht hatte.
Durch eine Sanierung hätten enorme Forderungen auf die Stadt zukommen können. Man stehe jedoch bei Eigentümern, Banken und Nachbarn im Wort, machten sie deutlich.
Nun hoffen auch die Nachbarn – sie sind mit ihren Immobilien bisher mit dem Horrorhaus durch das gemeinsame Grundstück sowie die gemeinsam genutzte Tiefgarage auf Gedeih und Verderb verbunden.
Die Stadt Dortmund will die Verflechtungen mit den Nachbargebäuden auflösen
Auch während des Ortstermins klagten sie vehement über die Zustände um das bekannteste Problemhaus der Stadt. Doch auch in den nächsten Jahren werden sie es nicht leicht haben.
Der Abriss zwischen der engen Nachbarbebauung sowie auf einer in Funktion befindlichen Tiefgarage ist technisch eine Herausforderung. „Jetzt schlägt die Stunde der Techniker“, macht Reiner Limberg, Fachbereichsleiter Immobilienwirtschaft, deutlich. Bis der Abriss realisiert und das Gelände neu bebaut wird, werden noch Jahre ins Land gehen.
Doch Klaus Höveler – selbst Nachbar des Horrorhauses und seit 15 Jahren „Kümmerer“ in der Problemimmobilie – blickt zuversichtlich in die Zukunft. Die Zeiten, wo sie regelmäßig kontrollieren, Eindringlinge und Kupferdiebe vertreiben mussten, liegen schon lange zurück. Seit das Gebäude hermetisch abgeriegelt ist, nahmen die Einbrüche und nächtlichen Besuche deutlich ab.
Für Höveler und seine Nachbarn wird es zudem zukünftig Klarheit geben, wer sich beispielsweise um Vermüllung und Pflege des Grundstücks kümmern wird. Denn ein Ziel ist es, die Liegenschaft des Punkthochhauses mit den niedrigeren Seitengebäuden zu entflechten. Anders als von den Nachbarn kritisiert, ist die ungepflegte „Parkanlage“ bisher noch Gemeinschaftseigentum von Horrorhaus und Nachbarimmobilien.
Dieser Knoten soll künftig durchschlagen werden: Die Schrottimmobilie und der davor liegende Gartenbereich sollen perspektivisch allein im Besitz der Stadt liegen. Dann würde die Kritik an Unkraut und Vermüllung bei der neu eingesetzten Hausverwaltung landen – und die Stadt müsste sich kümmern. Das wird dringlich ersehnt: „Hier sieht es ja seit Jahren aus wie bei den Asozialen“, beschweren sich die Anlieger lautstark.
HINTERGUND:
Chronik: Wie aus dem Wohnkomplex eine „Schrottimmobilie“ wurde
- 1969 Erstbezug nach etwa zweijähriger Bauzeit.
- Anfang der 90er Jahre wurde das Hochhaus von der vormaligen Eigentümerin verkauft und anschließend vollständig in Eigentumswohnungen aufgeteilt zunächst Eigentum „in einer Hand“.
- 1993 wurden die 102 Wohneinheiten an insgesamt 44 Einzeleigentümer, bzw. kleine Eigentümergemeinschaften aus dem süddeutschen Raum als Kapitalanlagen verkauft.
- Die Verkaufspreise standen in keinem ausgewogenen Verhältnis zu der in Teilbereichen modernisierungsbedürftigen Immobilie.
- Gesetzlich festgelegte Mietpreis- und Belegungsbindungen zum Schutz der Mieter haben dazu geführt, dass die teils sehr niedrigen Mieten über einen Zeitraum von 10 Jahren nicht angehoben werden konnten.
- Erforderliche Modernisierungs-, Reparatur- und Wartungsaufträge an der Immobilie konnten von der Wohnungseigentümergemeinschaft aufgrund von teils erheblichen Zahlungsausständen nicht ausgeführt werden.
- Im November 2001 legte die Hausverwaltung ihr Mandat nieder.
- Im April 2002 wurde die Heizungs- und Warmwasserversorgung eingestellt. Der drastische Qualitätsverlust und die angekündigte Unterbrechung der Stromversorgung führten zu einem sukzessiven Leerzug der gesamten Immobilie.
- Am 21.11.2002 wurde das Hochhaus von der Stadt Dortmund im Rahmen einer bauordnungsbehördlichen Sicherungsmaßnahme geschlossen.
Bisherige Projektmeilensteine
- Dezember 2007: Abschluss der Machbarkeitsstudie
- März 2009: Ratsbeschluss für die Vorbereitung des Eigentumserwerbes
- 2009 – 2011: Vorbereitung des Ankaufs
- Mai 2012: Ausschreibung und Beauftragung der Koordinations- und Regiestelle
- Dezember 2012: Ratsbeschluss über die Festlegung eines Stadtumbaugebietes
- Januar 2013: Tätigkeitsaufnahme der Koordinations- und Regiestelle
- Oktober 2015: Ratsbeschluss zum Erwerb der Eigentumswohnungen
- Dezember 2015: Vertragsabschluss für die ersten Wohneinheiten
- 2016 – 2017: Ankauf von 98 Wohneinheiten
- Ende Mai 2019: Ankauf der letzten Wohnung
Ausblick: Wie es weiter gehen kann
- Erste Jahreshälfte 2020 Abbruchbeschluss geplant
- Zweite Jahreshälfte 2020 Ausschreibung Bauleistungen (Abbruch)
- Frühjahr 2021 Beginn der Abbrucharbeiten
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