„Wenn die Guten nicht kämpfen, gewinnen die Schlechten“ – Graf Stauffenberg zum Widerstand gestern und heute

Der Enkel des Hitler-Attentäter, Claus Schenk von Stauffenberg, war zu gast in Dortmund. Fotos: Alex Völkel
Der Enkel des Hitler-Attentäter, Karl Schenk von Stauffenberg, war zu Gast in Dortmund. Fotos: Alex Völkel

Wie Rechtsextremismus und menschenfeindlicher Hetze am Besten zu begegnen sei und was diesbezüglich von Claus Schenk von Stauffenberg zu lernen wäre, darüber wurde jetzt in der Auslandsgesellschaft gesprochen. Zu Gast war der Enkel des Hitler-Attentäters Karl Schenk von Stauffenberg.

Menschenfeindliche Hetze ist alltäglich und auf erschreckende Weise salonfähig geworden

Einig war man sich, dass sich der Einzelne mehr in die Demokratie einbringen und die Stadtgesellschaft positive Zeichen setzen müsse. – In den letzten Jahren hat sich die politische Kultur nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa sehr verändert. Durch die Anonymität sozialer Medien ist menschenfeindliche Hetze alltäglich und auf erschreckende Weise sozusagen salonfähig geworden.

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Der rechtsterroristische Anschlag in Halle am 9. Oktober verdeutlicht, welche Konsequenzen dieses veränderte Klima haben kann und unterstreicht die Notwendigkeit von zivilem Widerstand in der heutigen Zeit. – „Stauffenberg zu heißen ist kein Privileg, sondern eine Verpflichtung“ – das war Thema bei einer Veranstaltung vom Multikulturellen Forum e.V. in der Auslandsgesellschaft in Dortmund.

Um Widerstand gestern und heute ging es dort bei einem Vortrag von Karl Schenk Graf von Stauffenberg, dem Enkel von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, dessen Bombenattentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 scheiterte. Dem Vortrag, welchem sich eine Podiumsdiskussion anschloss, war der Titel „Stauffenberg zu heißen ist kein Privileg, sondern eine Verpflichtung“ gegeben worden.

Karl Schenk von Stauffenberg zeichnete ein Bild von seinem Großvater und der Zeit, in der er aufwuchs und lebte

Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907-1944).
Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907-1944).

Dem Gast aus Franken war freilich klar, dass ZuhörerInnen auch gekommen waren, um etwas über seinen Großvater erfahren, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 75. Mal jährte.

Dabei ging es ihm, wie er sagte, auch darum, mit der einen oder anderen Legende aufzuräumen bzw. Sachverhalte aus Sicht der Familie darzustellen. Zu diesem Behufe zeichnete Karl Schenk von Stauffenberg zunächst einmal ein Bild der Menschen, die mit dem Attentat auf Hitler im Zusammenhang standen.

In letzter Zeit sei sozusagen eine „dunkle Wolke über die Offiziere des 20. Juli, die Offiziere des Widerstandes“ heraufbeschworen worden.

Es habe geheißen, diese Offiziere hätten nicht aus Gewissensgründen gehandelt, sondern deshalb, „weil Adolf Hitler ein schlechter Feldherr gewesen und der Krieg augenscheinlich schon verloren sei“ und sie mit diesem Attentat „schlimmeres von deutschen Volk“ hätten abwenden wollen. Selbst wenn es wirklich so gewesen wäre, so von Stauffenberg, wäre das ja auch nachvollziehbar.

Notwendig wäre, so der Gast, erst einmal zu schauen, was diese Reichswehr- und später Wehrmachtsoffiziere anfangs des 20. Jahrhunderts für Menschen gewesen sind. In erster Linie seien sie eben Offiziere und mit den meisten anderen Menschen nicht zu vergleichen gewesen wären.

Kündigung des Versailler Vertrags durch Hitler wird von Stauffenberg und anderen begrüßt

Führerhauptquartier "Wolfsschanze".- vlnr: Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Karl-Jesko von Puttkamer, unbekannt, Adolf Hitler, Wilhelm Keitel am 15.7.1944. Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1984-079-02 / CC-BY-SA 3.0
Am Führerhauptquartier „Wolfsschanze“.- vlnr: Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Karl-Jesko von Puttkamer, unbekannt, Adolf Hitler und Wilhelm Keitel am 15.7.1944. Foto: Bundesarchiv

Als Berufssoldaten hatten sie apolitisch zu sein und deshalb während der Weimarer Republik noch nicht einmal über ein Wahlrecht verfügt.

Dies alles bedenkend, sei über seinen Großvater zu sagen: ein Demokrat war er nicht. „Aber“, gab Stauffenberg zu bedenken, „nicht jeder Nichtdemokrat ist gleichzeitig ein Nazi gewesen“. Ein Held sei Großvater nicht gewesen.

Dann sei er unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs mit 18 Jahren Soldat geworden. Der Großvater habe erlebt, dass mit der Weimarer Republik der erste deutsche Demokratieversuch gescheitert war. Dann kam 1933 und Hitler an die Macht.

Das erste, was Hitler tat, war den Versailler Vertrag von 1918 zu kündigen. Das sei bei den Deutschen auf große Zustimmung gestoßen. Denn dieser Vertrag hatte dazu geführt, so Stauffenberg, „dass Deutschland seiner Schätze beraubt wurde“. Das Ruhrgebiet etwa war von den Franzosen besetzt und die hier abgebaute Kohle ging nach Frankreich. Das Saarland war von Frankreich annektiert.

Claus Schenk von Stauffenberg habe die Kündigung des Versailler Vertrags wohl begrüßt, sei aber dennoch „kein Freund des Nationalsozialismus, so wie wir ihn heute kennen“, sondern „ein königstreuer Mensch“, ein sehr gläubiger Christ und musisch begabter Cellist gewesen, der eigentlich Architekt oder Musiker hätte werden wollen. Auch habe er sehr unter dem Eindruck des damals sehr bekannten Dichters Stefan George gestanden.

Stauffenberg fragt sich, warum es wieder extreme Parteien in unsere Parlamente schaffen

Das müsse über seinen Großvater gewusst werden, merkte Karl Schenk Graf von Stauffenberg an. Und im jugendlichen Alter von 25 Jahren sei dieser gewiss noch kein Gegner von Hitler von Anfang an gewesen.

Karl Schenk Graf von Stauffenberg
Karl Schenk Graf von Stauffenberg

Allerdings gebe es in Reaktion auf den Überfall der Wehrmacht auf Polen „ein verbrieftes Zitat“ von seinem Großvater: „Jetzt macht der Narr Krieg.“ Als Soldat war er aber Befehlsempfänger und habe seine Arbeit machen müssen.

Schließlich ging Stauffenberg auf den derzeitigen gesellschaftlichen Zustand ein. Er fragte, wie wir eigentlich dazu kämen, dass „nach der Geschichte, die wir haben bzw. unsere Vorfahren hatten“ – es heute weit an den politischen Rändern wieder extreme Parteien in unsere Parlamente schaffen. Er sprach von zwei „Unrechtsstaaten“, die wir hinter uns hätten. Und meinte damit auch die DDR und kritisierte, dass eine Ministerpräsidentin und ein Ministerpräsident hierzulande diese nicht als „Unrechtsstaat“ sehen wollten.

Wir alle, bemerkte der Gast, hätten in den vergangenen sieben Jahrzehnten kriegerische Auseinandersetzungen auf deutschem Boden nicht mehr erlebt. Das Grundgesetz garantiere uns Freiheit. Diese Freiheit habe aber auch eine Kehrseite: die Verantwortung des Einzelnen. Die Freiheit nähmen wir als eine Selbstverständlichkeit hin – sozusagen als „Naturgesetz“.

Stauffenberg verteidigt Sanktionen des Jobcenters gegenüber Hartz IV-BezieherInnen

Karl Schenk Graf von Stauffenberg malte ein (im Vergleich zu anderen Ländern auf der Welt) äußerst positives Bild vom gegenwärtigen Deutschland. Und fragte sich, „wie man so unzufrieden sein kann mit dem, was wir hier erreicht haben, dass man wiederum anfängt, Parteien zu wählen, die am liebsten um Deutschland herum eine Mauer bauen möchten“.

Der Gast aus Bayern fordert, dass Sanktionen gegen Hartz IV-BezieherInnen möglich sein müssten.

Wir müssten doch alle etwas für unsere Gesellschaft tun. Doch diesbezüglich habe gewissermaßen unsere Politik ein bisschen Schuld. Die Parteien sagten: „Seid ihr mal frei und wir kümmern uns um den Rest“. Das könne gar nicht funktionieren.

Dann präsentierte Stauffenberg das – wie er selbst zugab – „populistische Beispiel“ eines jungen Menschen, der „lieber vor seiner Spielkonsole sitzt, als in die Schule zu gehen“. Letztlich lande der ohne Schulabschluss und Lehrstelle in Hartz IV.

Dort habe er sich gut eingerichtet. Dann käme irgendwann die Gesellschaft und die sage ihm, er habe die letzten Jahre auf Kosten der Gesellschaft gelebt und nun verlange man von ihm, dass er dieses Geld in Form von eigener Leistung zurückzugeben solle.

Man sei nicht unsozial und gebe ihm einige Umschulungsmaßnahmen und später Vorstellungsgespräche. Der junge Mann habe aber letztlich keine Lust. Dann käme die Gesellschaft, in dem Fall die Agentur für Arbeit, daher und kürze diesem jungen Mann seinen Hartz IV-Satz. Stauffenberg: „Ist das gerecht? Ist das menschenunwürdig, wie bestimmte Politiker sagen? Ich behaupte, es ist gerecht.“

Er sei sehr wohl dafür, Menschen im sozialen Netz aufzufangen. Aber es könne nicht zugelassen werden, Menschen zu finanzieren, die nichts für ihren Lebensunterhalt tun wollen, obwohl sie dies könnten. Das findet Stauffenberg „zutiefst ungerecht“.

Stauffenberg mit Rekurs auf Platon: „Wenn die Guten nicht kämpfen, gewinnen die Schlechten.“

Ebenso wenig könne er verstehen, dass Leute nicht mehr wählen gingen. Wir müssten doch verstehen, dass wir selber für unser Land Verantwortung trügen! Warum, skandalisierte der Gast, gingen nicht zehntausende Menschen für unseren Rechtsstaat auf die Straße?

Stattdessen müsse man Pegida erleben, die gegen Ausländer demonstrierten. Wann gehe denn „die große Mitte“ – die Menschen, die mit dem Leben hier sehr zufrieden sind auf die Straße und sagten: „Wir lassen uns die öffentliche Wahrnehmung nicht von Extremisten wegnehmen!“

Überall in der Gesellschaft müssten wir extremistischen Meinungen vehement entgegentreten, forderte von Stauffenberg. Wir müssten uns klarmachen und hätten ein Verantwortung zu übernehmen: „Der Staat sind wir alle!“ Mit Platon war Stauffenberg auch einer Meinung: „Wenn die Guten nicht kämpfen, gewinnen die Schlechten.“

Stauffenberg kann Forderungen nach Verstaatlichung und Enteignung nicht verstehen und erntete Widerspruch

Der Hannibal in Dorstfeld - jüngstes Beispiel für das fehlende Verantwortungsbewusstsein von Kapitalgesellschaften und Hedgefonds.
Der Hannibal in Dorstfeld – Beispiel für das fehlende Verantwortungsbewusstsein von Kapitalgesellschaften und Hedgefonds.

Stauffenberg prangerte Menschen an, die grundgesetzwidrig laut darüber nachdenken dürften, ob man Unternehmen wie BMW verstaatlichen und kollektivieren sollte. Auch gebe es „Leute vom linken Rand“, die laut darüber nachdächten, Wohnungsbaugesellschaften in Berlin zu enteignen.

Er habe da den „großen kollektiven Aufschrei unserer Gesellschaft“ vermisst: „Wir glauben, es ist ungerecht, wenn Mieten in Berlin höher werden.“

Ein Herr aus dem Publikum fand diese Sicht „sehr vereinfacht und oberflächlich“ und, dass Stauffenberg die Auswirkungen des „Neoliberalismus völlig außer Acht gelassen“ habe. Überdies sei in Deutschland „die Schere zwischen arm und reich extrem auseinandergegangen“.

Und auf das Beispiel mit dem Jungen mit der Spielkonsole anspielend, sagte der Herr: „Wir haben inzwischen sechzig Prozent prekär verdienende Menschen“.

Auch habe der Staat Kontrolle und Grenzen aufgegeben, wie sie früher gegenüber Auswüchsen des Kapitalismus hätten Wirkung entfalten können. Das sei schwierig geworden, so Stauffenberg, verwies auf die Globalisierung und meinte, das stünde auf einem anderen Blatt Papier.

Ob der Stauffenbergschen Einschätzung der Thüringen-Wahl bekam eine Dame Bauchschmerzen

Zur Thüringen-Wahl meinte Stauffenberg, „beide Ränder zusammennehmend“, hätten über fünfzig Prozent der WählerInnen dort Parteien gewählt, die in ihren Parteien Funktionsträger duldeten, die das System Deutschland verändern wollten, die „Nichtdemokraten, Nazis oder Kommunisten in ihren eigenen Reihen dulden“.

Der Enkel des Hitler-Attentäter, Claus Schenk von Stauffenberg, war zu gast in Dortmund.

Eine Dame aus dem Publikum bekannte, gegenüber dieser Aussage Bauchschmerzen bekommen zu haben. In Wirklichkeit habe man Bodo Ramelow in Thüringen ganz viel zu verdanken. Die AfD hätte ohne seine Person womöglich 30 oder sogar mehr Prozent bekommen.

„Die Partei DIE LINKE aber mit der AfD in irgendeiner Weise in Zusammenhang zu bringen, dass ist nicht richtig“, wendete die Dame ein. Gerade in Richtung Chancengleichheit und Bildung habe sich die Partei in Thüringen stark gemacht.

Stauffenberg ruderte darauf leicht zurück: Er habe die Linke mit der AfD nicht in einen Topf schmeißen wollen. Aber eine Partei sei für ihn nicht wählbar, die in ihren Reihen Funktionäre oder Mandatsträger habe und dulde, die das System unserer Demokratie hier ablehnten. Einen Beweis dafür blieb Stauffenberg allerdings schuldig.

Podiumsdiskussion mit Micha Neumann (Quartiersdemokraten) und Alexander Völkel (Nordstadtblogger)

Ungleiche Zwillinge: Links das beliebte Hochhaus der Dogewo21 mit der Leuchtreklame „Im Norden geht die Sonne auf“ - rechts das baugleiche Gebäude, welches als „Horrorhaus“ bundesweit Schlagzeilen gemacht hat.
Ungleiche Zwillinge: Links das beliebte Hochhaus der Dogewo21 – rechts das baugleiche Gebäude, welches nach verfehlter Privatisierung als „Horrorhaus“ endete.

Im der sich anschließenden Podiumsdiskussion wurde gemeinsam mit Micha Neumann (Projekt „Quartiersdemokraten“) und Alexander Völkel (Leitender Redakteur der Nordstadtblogger) über aktuelle Formen des Widerstandes unter besonderer Berücksichtigung der Aktivitäten in Dortmund gegen Rassismus und Antisemitismus diskutiert.

Alexander Völkel stellte bezüglich der Empörung von Karl Schenk von Stauffenberg über Forderungen nach der Enteignung von Wohnungsgesellschaften in Berlin zunächst einmal klar: Dass dort „massenhaft kommunale Sozialwohnungen privatisiert und Spekulanten und Hedge-Fonds überlassen wurden. Viele Menschen wurden und werden nun aus ihren Quartieren verdrängt“, so Völkel. Darunter auch viele Menschen, die trotz Vollzeitbeschäftigung nun ihre Mieten nicht mehr zahlen können. Das gehöre auch zur Wirklichkeit.

Aus Völkels Sicht sind das Auswirkungen einer verfehlten Politik „Privat vor Staat“, die sehr viele Probleme verursacht und wenig gelöst habe. Auf die Entgegnung von Stauffenberg, einem privatwirtschaftlichen Unternehmen könne man schwer vorwerfen, wenn es günstig Wohnungen kaufen darf, sie dann auch zu kaufen, „warf Völkel ein: „Die sind für’n Appel und Ei verramscht worden, obwohl sie eigentlich Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge sein müssten.“

Brücke zur Gegenwart schlagen, Antisemitismus und Rassismus von heute thematisieren

Rabbiner Baruch Babaev - hier beim Holocaust-Gedenken in Dorstfeld, verurteilt den als Israel-Kritik getarnten Antisemitismus.
Rabbiner Baruch Babaev – hier beim Holocaust-Gedenken in Dorstfeld, verurteilt den als Israel-Kritik getarnten Antisemitismus.

Dann schwenkte die Runde auf das eigentliche Thema Widerstand ein. Karl Schenk von Stauffenberg sah es als unsere Aufgabe an, eingedenk der Tat seines Großvaters, Verantwortung zu übernehmen. Und zwar da, wo sie zwingend geboten ist, wie im Dritten Reich.

Ein Despot, der der ganzen Welt Schaden zufügt, müsse bekämpft werden. Seinen Großvater beschrieb er als ambivalente Person – wie wir alle welche seien – , die keine jungfräuliche Person gewesen sei, die ohne Sünde war.

Was wegen des bevorstehenden Gedenkens am 9. November für eine angemessene Erinnerungsarbeit Dorstfeld zu leisten sei, darüber stand Micha Neumann vom Projekt Quartiersdemokraten Rede und Antwort.

Am Freitag steht ja die Erinnerung an die Pogromnacht an. Am Mahnmal der ehemaligen Synagoge in Dorstfeld, wo sich einst ein Zentrum des Judentums befunden habe, werde am Freitag abermals eine Gedenkveranstaltung abgehalten.

Neumann erinnerte daran, dass diese in den letzten Jahren von den im Stadtbezirk wohnenden Neonazis massiv angegriffen worden war. Es komme neben dem auf die Vergangenheit bezogenem Gedenken auch darauf an, eine Brücke zur Gegenwart zu schlagen und den Antisemitismus und Rassismus von heute zu thematisieren. In Schulklassen werde in diesem Sinne eine hervorragende Arbeit geleistet.

Die Stadtgesellschaft muss „positive Zeichen“ setzen, meint Alexander Völkel

Alexander Völkel meinte, es sei sehr wichtig, zu hinterfragen, was all das heute mit uns zu tun habe. Dortmund habe ja eine sehr bunte Stadtgesellschaft. Auf die Nordstadt bezogen müsse gesagt werden, dass die erwähnte Geschichte im Zweifelsfall für sechzig bis siebzig Prozent der Bevölkerung im Stadtbezirk nicht die ihre ist, dennoch aber etwas mit ihnen zu tun habe.

Neonazis versuchen seit Jahren, den Volkstrauertag als „Heldengedenktag“ zu instrumentalisieren.
Neonazis versuchen seit Jahren, den Volkstrauertag als „Heldengedenktag“ zu instrumentalisieren.

Bestimmte Ausgrenzungs- und Verfolgungsmechanismen seien nämlich dieselben – damals wie heute. Als Problem benannte Völkel Ritualisierungen und als Beispiel das städtische Gedenken am Volkstrauertag.

In den letzten Jahren träten dort auch um die sechzig Neonazis in Erscheinung, die nach dem offiziellen Teil ihr „Heldengedenken“ abhielten. Auch der Tag der Arbeit am 1. Mai ( „Arbeitsfrei seit 1933“) und der Antikriegstag am 1. September („Nie wieder Krieg – nach unserem Sieg“)  von Neonazis instrumentalisiert und missbraucht.

Da müsse die Stadtgesellschaft „positive Zeichen“ setzen. In dem Sinne, so Völkel, könnten auch positive Beispiele in Dortmund genannt werden, wie das mittlerweile gut etablierte Gedenken in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache und im Rombergpark das Karfreitagsgedenken für die in den letzten Kriegstagen von den Nazis ermordeten Kriegsgefangenen und politisch anders denkenden Menschen.

Es existiere also eine gute Gedenkkultur in Dortmund, bei der junge Menschen als „BotschafterInnen der Erinnerung“ eine hervorragende Rolle spielten. So werde der Wert der Demokratie deutlich gemacht.

Karl Schenk Graf von Stauffenberg ist vom Dortmunder Engagement gegen Rechts begeistert

Die größte Gedenkfeier findet jedes Jahr an Karfreitag in der Bittermark statt.
Die größte Gedenkfeier findet jedes Jahr an Karfreitag in der Bittermark statt.

Karl Schenk Graf von Stauffenberg engagiert sich im Verein „Mittendrin statt EXTREM daneben“, die eine Gemeinschaft von Menschen sein will, die mit demokratischen Mitteln gegen jegliche Form des Extremismus und Radikalität kämpfen.

Von dem Engagement gegen Rechts in Dortmund zeigte er sich begeistert. Dortmund sei wohl „so eine Art ideelle Insel im deutschen Großstadtdschungel, was er sehr bewundernswert finde. Das fände sich etwa in München in dieser Form nicht. Das sei etwas, dass er auch gerne mitnehme als Anregung von Dortmund.

Micha Neumann erklärte, dass habe ja auch mit einer sehr vitalen Neonaziszene hier in Dortmund zu tun, die in anderen westdeutschen Städten so nicht existiere. Aber ja, Dortmund habe mittlerweile ein Vorreiterrolle. Seit etwa zehn Jahren werde im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus in der Stadt auch einiges an Geld investiert. Hier sei auch die erste Beratungsstelle für Opfer von rassistischer Gewalt eingerichtet worden. Auch gebe es andere Träger, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

Neumann erinnerte daran, dass in Dortmund in der Vergangenheit bereits fünf Menschen – drei davon waren Polizisten – von Neonazis ermordet wurden. Er zeigte sich empört darüber, dass in Deutschland Gelder für wichtige Präventionsarbeit befristet oder gar gestrichen werden.

Alexander Völkel: „Wir haben seit 1990 zweihundert politische Morde von Rechts!“

Fünf Menschen wurden im Raum Dortmund durch Neonazis ermordet – drei von ihnen waren Polizisten.

Alexander Völkel erwähnte die Aussage eines CDU/CSU-Innenexperten im Bundestag, der nach dem als Mord mit rechtsextremen Hintergrund am CDU-Politiker Lübcke gesagt habe: Wenn sich der rechtsextreme Hintergrund bestätige, dann wäre das der erste politisch motivierte Mord seit 1945. Völkel habe da gedacht: „Guter Mann, wo hast du denn gelebt in den letzten Jahren?“

Stauffenberg sprach diesbezüglich von einem „politischen Wachkoma der Union“. Völkel weiter: „Wir haben seit 1990 zweihundert politisch motivierte Morde von Rechts!“ Auf der linken Seite sei seit der RAF „nicht wirklich was präsent“.

Der Journalist wollte nicht falsch verstanden werden: Gewalt sei für ihn überhaupt keine Lösung und abzulehnen. „Nur das Reflexartige, wenn wir etwas gegen Rechts machen, müssen wir auch etwas gegen Linksextremismus machen“, kritisiere er. Dabei gebe es laut Polizei in Dortmund explizit kein Problem mit Linksextremismus.

Wegbereiter eines solchen Tuns seien auch bestimmte AfD-Politiker mittels verbaler Ausfälle

Was also kann man von Claus Schenk von Stauffenberg lernen und in Dortmund besser machen? – Alexander Völkel meinte dazu in der Schlussrunde, man müsse sich gegenüber bestimmten Strukturen nicht gefangen geben. Gesellschaftspolitisch gebe es viele Möglichkeiten, sich demokratisch einzubringen.

Er habe allmählich die Sorge, dass der Kabarettist Volker Pispers recht habe, der einmal gesagt habe, es sei offenbar das Problem in dieser Demokratie, dass man nicht in der Lage ist, eine Politik zu machen, von der 80 Prozent der Menschen etwas haben.

Völkel fürchtet, im Moment gehe durch entsprechenden Lobbyismus und die immer stärker werdende Ungleichheit gerade in Deutschland die Reise wohl leider eher in die andere Richtung. Doch, wenn mehr Menschen bereit seien, das nicht mehr zu akzeptieren und sich entsprechend artikulieren, könne man vielleicht doch wieder ein lebenswerteres Deutschland gestalten.

Karl Schenk Graf von Stauffenbergs Fazit an diesem Abend: Gegenüber dem Eindruck, den er über die letzten fünf Jahre gewonnen hatte, habe ihn Dortmund eines Besseren belehrt, weil die öffentliche Anstrengung, dem Rechtsextremismus zu begegnen, hier wirklich greifbar sei.

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