Rückkehr von „G8“ zu „G9“ verhindert Wiederholung der „Zehnten“

Wegen der Abkehr vom „Turbo-Abi“ droht Sitzenbleiber:innen nun der Schulwechsel

Durch den System-Wechsel kann man die „Zehnte“ nicht einfach wiederholen - man würde von der Oberstufe in die Mittelstufe wechseln. Dies kennt das Schulgesetz aber nicht.
Durch den System-Wechsel kann man die „Zehnte“ nicht einfach wiederholen – man würde von der Oberstufe in die Mittelstufe wechseln. Dies kennt das Schulgesetz aber nicht. Visualisierung: Helene-Lange-Gymnasium

Viele Jahre wurde über das Abitur gestritten. Die Einführung des Abiturs nach 12 statt nach 13 Jahren Schule – davon nur nach acht Jahren auf dem Gymnasium (kurz „G8“) wurde sehr kontrovers und emotional diskutiert. Die Rückkehr vom „Turbo“-Abi“ zu neun Jahren Gymnasium (kurz „G9“) wurde ähnlich intensiv diskutiert. Doch eine Folge des Systemwechsels ist offenbar dabei unter den Tisch gefallen – und erreicht nun die Betroffenen. Denn wer jetzt den Wechsel in der Jahrgangsstufe 10 nicht schafft, bleibt nicht nur sitzen, sondern muss sehr wahrscheinlich sogar die Schule verlassen.

Eine rechtliche Hürde macht betroffene Schüler:innen zu Verlierer:innen

Der Hintergrund ist, dass die Klasse 10 beim G8-Modell zur Oberstufe gehört, während bei G9 die Klasse 10 der Mittelstufe zugeordnet wird. Das Problem: Wer in diesem Jahr den Wechsel nicht schafft, kann die zehnte Klasse nicht einfach wiederholen. Denn er würde dann quasi von der Oberstufe in die Mittelstufe wechseln.

Mit diesem Bild wirbt die Initiative für das Abitur nach neun Jahren. Foto: g9-jetzt-nrw.de
Mit diesem Bild hat die Initiative für das Abitur nach neun Jahren im Jahr 2017 geworben. Foto: g9-jetzt-nrw.de

Doch das Schulrecht kennt diesen Umstand nicht – es ist nicht möglich auf der gleichen Schule von der Oberstufe in die Mittelstufe zu wechseln. Auch nicht in Form von einem wiederholten Schuljahr. Denn formal gesehen haben die G8-Schüler:innen mit dem Beenden der neunten Klasse schon die „mittlere Reife“ erreicht. Einen Weg zurück gibt es daher nicht. 

Die Folge: Den betroffenen Schüler:innen droht ein Schulwechsel. „Wenn man von G8 zurück zu G9 wechselt, gibt es eine rechtliche Hürde, die Jugendliche zu echten Verlierern macht“, kritisiert Sebastian Otten von den Dortmunder Stadteltern. Für sie wird derzeit an einer Auffanglösung gearbeitet. Betroffen sind Schüler:innen von 17 Gymnasien, die von G8 auf G9 zurückkehren. Gesamtschulen sind davon nicht betroffen – hier erreicht man das Abitur ohnehin „erst“ nach 13 Jahren.

Wechsel auf Gesamtschulen, Kollegs oder zwei Extra-Jahrgangsstufen

Bei der Stadt möchte man das dieses Problem nicht überdramatisieren: „Für diese Schüler:innen muss eine Möglichkeit geschaffen werden, die es ihnen ermöglicht, eine Wiederholung entsprechend ihrem Bildungsgang für sich zu realisieren. Dies ist dem Wechsel von G8 zu G9 geschuldet, der ja de facto dazu führt, dass die passende Jahrgangsstufe zur Wiederholung für diese Schüler:innen entfällt“, erklärt Stadtsprecherin Anke Widow. 

Das Schulsystem in NRW kennt viele Wege zur Oberstufe. „G8“ war bisher eine Abkürzung.
Das Schulsystem in NRW kennt viele Wege zur Oberstufe. „G8“ war bisher eine Abkürzung. Visualisierung: Helene-Lange-Gymnasium

Das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (MSB) habe sich darum mit den kommunalen Spitzenverbänden zur „Sicherstellung der Beschulung für Wiederholer:innen des letzten G8-Jahrgangs und für Seiteneinsteiger:innen anderer Schulformen“ verständigt, dass hier Wechseloptionen im Rahmen vorhandener Aufnahmekapazitäten an Gesamtschulen oder Berufskollegs genutzt werden sollen. 

„Darüber hinaus ist je kreisfreier Stadt eine zusätzliche Jahrgangsstufe an einem Gymnasium einzurichten. Die Stadt Dortmund hat lediglich die Rolle, die Umsetzung der Verfügung zu gestalten“, so Widow. 

Die  Stadt Dortmund als Schulträger erhielt wie oben beschrieben den Auftrag, im Einvernehmen mit der Schulaufsicht des Landes und mit Beteiligung der infrage kommenden Gymnasien eine Schule auszuwählen, an der eine zusätzliche Jahrgangsstufe eingerichtet werden kann. 

„Nach interner Ausschreibung konnten hierfür das Stadt-Gymnasium und das Goethe-Gymnasium gewonnen werden. Diese richten die zusätzlichen Jahrgangsstufen ein. Die Bezirksregierung Arnsberg hat diesem Auswahlvorschlag zugestimmt“, so Widow auf Nachfrage von Nordstadtblogger. 

„Wir dezimieren Chancengleichheit und verlieren das Auge für maßvolle Entscheidung“

Sebastian Otten ist Vorsitzender der Stadteltern Dortmund.
Sebastian Otten, Vorsitzender der Stadteltern

Die Stadteltern sehen das nicht so gelassen: „Diese Antwort ist weder zufriedenstellend, noch akzeptabel. Vergleichen wir die Situation der Schülerinnen und Schüler mit anderen Situationen in der Gesellschaft und Wirtschaft, rufen wir, als Stadteltern den Bestandsschutz für eben jene Jugendliche aus“, so Sebastian Otten.

„Die betroffene Personengruppe hat, ungeachtet jedweder vom Sinn befreiter Rechtslage, auf der Schule zu verweilen, auf der sie zum aktuellen Zeitpunkt unterrichtet wird. Den Bestandsschutz bei rechtlichen Regelungen kennt man dazu zur Genüge, in der Regel aus der Bauwirtschaft ist er hinlänglich bekannt“, so der Sprecher der Stadteltern.

„Wir, die Stadteltern, fordern, die Informationen einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, da viele Eltern im Unklaren sind. Ein Bürgerdialog ist notwendig. Die vorgeschlagenen Standorte stellen eine Verschlechterung des Schulwegs für dutzende Schüler:innen da“, so Otten. „Wir brauchen Toleranz statt Bürokratie.“

„Denn wir dezimieren Chancengleichheit und verlieren das Auge für maßvolle Entscheidung. Wir belasten Eltern, Schülerinnen und Schüler enorm, oder anders gesagt: Wir schieben Jugendliche aus Rechtsgründen ab“, so Otten weiter. „Wir  selektieren einen ganzen Jahrgang nach dem Leistungsprinzip und machen diese zu Verlierern. Dies ist weder gerecht, noch ist es pädagogisch sinnvoll.“

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