Drei Architekt:innen kuratieren die Schau im Baukunstarchiv

„Wandel und Aufbruch“: Ein Ausstellung gibt interessante Einblicke in die 1950er Jahre

Inga Soll und Thomas Schmidt im nachgebauten Wohnzimmer der 1950er.
Inga Soll und Thomas Schmidt im nachgebauten Wohnzimmer der 1950er im Baukunstarchiv NRW. Foto: sim

Was treibt drei Architekt:innen an, geboren in den 1960ern und 1970ern, eine Ausstellung ausgerechnet über die 1950er Jahre zu kreieren? Nostalgie? Sentimentalität? Trend? Nichts dergleichen. Es ist eher der Wille nach Veränderung im Umgang mit unserer gebauten Umwelt, das Aufweckenwollen, das Sichtbarmachen, das Hervorheben von architektonischer Qualität, die entweder schon verschwunden ist oder aber zu verschwinden droht, wenn wir nicht aufpassen. So formuliert es Thomas Schmidt (ssp), der zusammen mit Inga Soll und Heiko Sasse (soll sasse architekten) die aktuelle Ausstellung „Wandel & Aufbruch“ im Baukunstarchiv NRW kuratiert hat.

In den 1950er entstanden viele für Dortmund wichtige Gebäude

Foto: sim

„Denn in der modernen Gesellschaft, in die wir hineinwachsen wollen, muß sich die Achtung vor dem Menschen darin ausdrücken, daß wir uns nicht der Strukturen unseres Gemeinwesens zu schämen haben. Unsere Stadt ist ein solches Gemeinwesen, und so, wie wir Menschen der Vergangenheit beurteilen, wird man uns einmal beurteilen.“

Das schrieb Will Schwarz, Architekt in Dortmund, der bedeutende Bauten in der westfälischen Metropole schuf, in einem Artikel 1947 im Westdeutschen Volks-Echo. Und mit diesem Zitat wird der Besucher auch gleich vor den Kopf gestoßen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn er läuft erst einmal vor eine rosa Wand mit eben diesen Worten. Umdenken Umnutzen Umbauen – die Architekturwochen NRW fordern zum Nachdenken auf.

Hinter der rosa Wand (alles selbst gebaut!) öffnet sich der Raum, und wir treten ein in eine frühere (sicher nicht heilere) Welt. Inga Soll, Heiko Sasse und Thomas Schmidt beamen uns in die 1950er, setzen uns ans Mini-Getränke-Schränkchen, in kleine Cocktailsessel, kredenzen ein Likörchen in Kristall auf Spiegeltablett oder lenken unseren Blick auf die erbarmungswürdige Sanseverie, die in keiner Wohnung fehlen durfte und regelmäßig mit abgestaubt  werden musste.

Alle Exponate stammen von Sammler Kevin Nikodem aus Datteln

Foto: sim

Alle Möbel, jedes Teil – vom goldenen Cognac-Schwenker bis zur dreiteiligen Tütenlampe in Gelb, Rosa und Hellblau – sind geliehen und stammen übrigens von Kevin Nikodem aus Datteln. Der Sammler betreibt hier ein kleines privates 1950er-Jahre-Museum.

An den Wänden der kleinen Wohnung hängen wunderbare Fotos aus dem Stadtarchiv Dortmund – vorbildliche Beispiele und teilweise Architektur-Ikonen aus den 1950er Jahren. Für neue Zuversicht und den Glauben an Fortschritt standen seinerzeit der Florianturm mit seinem „Drehrestaurant“ (1957-59) von Will Schwarz sowie sein Parkcafé (heute ParkAkademie).

Nordstadtblogger-Redaktion | Nordstadtblogger

Das Restaurant Buschmühle (1958-59) von Groth, Lehmann und Schlote steht für Klarheit und Transparenz, leider aber schon seit Jahren leer. Es ist eines von den Dortmunder Denkmal-„Sorgenkindern“. Wer kennt den Architekten Walter Höltje? Sein wichtigsten Werk – die Westfalenhalle – kennt jeder. Natürlich ist es in der Ausstellung dabei.

Das Café Orchidee mit seinem eleganten Neon-Schriftzeug ist gottseidank heute noch eine gastliche Adresse im Rombergpark, wiewohl die alte Hotelfachschule aus den 1950er Jahren abgerissen wurde. Ebenso wie Höltjes zweites prominentes Bauwerk, die Bibliotheken am Hansaplatz in Dortmund. Trotz heftiger Proteste wurde der Bau 1996 gesprengt.

Fotograf Detlef Podehl aktuelle Fotos für die 1950-Jahre-Schau

Wir betrachten die Dortmunder Oper von Heinrich Rosskotten, das Gesundheitshaus von Will Schwarz, das bald als neues Hotel eröffnet wird, oder auch drei Kirchen und private Wohnhäuser u.a. von Fido Spröde. Insgesamt 20 Gebäude haben sich die Ausstellungsmacher*innen ausgesucht, näher betrachtet und neu in Szene gesetzt.

Fotograf Detlef Podehl
Fotograf Detlef Podehl Foto: sim

Fotograf Detlef Podehl, der immer dachte, er kenne in Dortmund jeden Winkel, musste nach seiner Rundreise anschließend zugeben, dass es auf seiner Liste „doch noch weiße Löcher“ gab.

Er lieferte die großformatigen aktuellen Fotos für die 1950-Jahre-Schau – immer eine Kombination von Hauptansichten und Details, die mitunter auch „Ureinwohner“ und Kenner verblüffen. Es lohnt sich also der zweite Blick auf die bekannten Gebäude, denn so Vieles gilt es noch zu entdecken und näher zu betrachten.

Wie zum Beispiel das hellgrüne Fassadenmuster des alten Film Casinos. Das 1950er-Jahre-Kino ist verwaist. Schon seit 18 Jahren. In Brügge, Gent oder Antwerpen wäre es schon längst zu Hörsälen umgebaut, sagt Thomas Schmidt. Er kennt viele dieser Umbau-Beispiele und wirbt unermüdlich für kluge und Ressource schonende Transformationen.

Mehr Informationen:

  • Die Ausstellung „Wandel & Aufbruch“ ist noch bis zum 4. November 2022 im Baukunstarchiv NRW, Ostwall 7, 44135 Dortmund, zu sehen.
  • Die Finissage ist am Freitag, 04. November, um 18 Uhr.
  • Öffnungszeiten:  Dienstags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr.
  • Der Eintritt ist frei.
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