Vortrag „Demokratie wagen: Europa nach dem Ersten Weltkrieg“ von Tim B. Müller in der Steinwache

Verdun - Sinnbild für das sinnlose Gemetzel im Ersten Weltkrieg. Foto: Alex Völkel
Die Gräber von Verdun – Sinnbild für das sinnlose Gemetzel im Ersten Weltkrieg. Foto: Alex Völkel

In der Dortmunder Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in der Nordstadt findet am Donnerstag, 22. Januar, 19 Uhr, ein Vortrag von Tim B. Müller: Demokratie wagen. Europa nach dem Ersten Weltkrieg, statt.

 Wagnis der Demokratie nach dem Großen Krieg

Auf den Großen Krieg, der hundert Jahre nach seinem Beginn in all seinen Facetten ausgeleuchtet wird, folgte das große Drama der Demokratie. Nicht nur in Deutschland bildete sich nach dem Ersten Weltkrieg in öffentlichen Auseinandersetzungen um das, was „das legitime Ganze“ sein sollte, eine neue Form des Politischen heraus – die moderne, liberale und wohlfahrtsstaatliche Massendemokratie mit gleichem Wahlrecht für alle Bürger, Männer und Frauen.

Aber weil dieses Wagnis der Demokratie historisch so ungünstig situiert war, weil gewaltige Krisen seit Anfang der dreißiger Jahre die demokratische Ordnung erschütterten und in Deutschland zum Einsturz brachten, hat die Forschung diese Erwartung der Zeitgenossen lange kaum ernst genommen.

Vernachlässigung der Geschichte der Demokratie nach 1918

In Europa schien sich die Demokratie überall auszubreiten, allerdings nur kurz und ohne tiefe Wurzeln zu schlagen. Verbreitet ist immer noch die Vorstellung einer ambivalenten, wenn nicht pathologischen Demokratisierung nach 1918 – vom Triumph zum Absterben in weniger als zwanzig Jahren.

Ob es Gründe der politischen Pädagogik waren oder die rückblickende methodische Unterstellung, wonach es so kommen musste, wie es später kam – diese Vernachlässigung der Geschichte der Demokratie nach 1918 kann heute nicht mehr überzeugen.

Um den Demokraten dieses Neuanfangs ihre Würde zurückzugeben, ist eine konsequente Historisierung gefragt, die darauf verzichtet, Demokratiebegriffe der Gegenwart oder des Kalten Krieges auf die Welt nach dem Ersten Weltkrieg zu übertragen und daran die Handelnden der damaligen Zeit zu messen.

Demokratie war der von immer mehr Menschen als die neue Normalität betrachtete politische Horizont

Einen Vorschlag dazu unterbreitet dieser Vortrag, der den deutschen Fall in den Mittelpunkt stellt. Die Demokratie wird in ihrer Fragilität begriffen, die Stabilität konnte stets in Instabilität umschlagen.

Dennoch müssen die zeitgenössischen Erwartungen, der grenzüberschreitende europäische Optimismus in der historischen Darstellung jener Jahre zu erkennen sein. Demokratie war der von immer mehr Menschen als die neue Normalität betrachtete politische Horizont. Sie musste mit immer neuen Herausforderungen zurechtkommen und erwies sich dabei als erstaunlich kreativ.

Ungünstige Startbedingungen nach dem Ersten Weltkrieg

Politische Kultur und politische Ökonomie, Verfahren und Verfassungsinstitutionen gehörten für zeitgenössische Demokraten in diesem Gründungsprozess untrennbar zusammen, die Demokratie wurde als ein mehrdimensionales Projekt begriffen und betrieben.

Die Startbedingungen nach dem Ersten Weltkrieg – das internationale System und die ökonomische Situation – waren extrem ungünstig. Und doch hielt die Demokratie durch, wenn auch nicht in Deutschland. Sie behauptete sich gegen alle Gegner, links wie rechts, die selbst die Massenpartizipation der modernen Demokratie simulierten, und erfand sich dabei immer wieder neu. Dieses große Drama der Demokratie gilt es wiederzuentdecken.

Kurzbiographie:
Dr. Tim B. Müller, geb. 1978, Historiker am Hamburger Institut für Sozialforschung, Redakteur der „Zeitschrift für Ideengeschichte“, Autor von „Nach dem Ersten Weltkrieg. Lebensversuche moderner Demokratien“ (Hamburger Edition 2014) und „Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg“ (HE 2010), Mitherausgeber von „Erbe des Kalten Krieges“ (HE 2013) und „Macht und Geist im Kalten Krieg“ (HE 2011).

Der Eintritt ist frei.

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