Vortrag: „Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten“

Im Dortmunder Stadtbild sind nicht nur Kopftücher zu sehen.
Muslimas gehen beim Einkaufen an der Petri-Kirche vorbei – Alltag in Dortmund. Foto: Alex Völkel

Von Claus Stille

„Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten“ heißt das neue Buch von Daniel Bax. Der Redakteur der „Tageszeitung“ (taz) war zu diesem Thema jetzt auch Referent in der Vortragsreihe „Wir schaffen das?!“, die Professor Ahmet Toprak an der Fachhochschule Dortmund initiiert hat.

Anti-muslimische Ressentiments in allen Schichten und politischen Lagern

Anknüpfend an das Buch ging der Journalist in seinem Vortrag darauf ein, wie antimuslimische Ressentiments die Debatten um Einwanderung und Integration, Flucht und Asyl beeinflussen.

Bax hat via seine Recherchen ausgemacht, dass antimuslimische Ressentiments in allen Schichten und über alle politischen Lager hinweg verbreitet sind. In ganz Europa, so Daniel Bax, seien sie tief in der europäischen Geschichte verwurzelt.

Hierzulande machten sich rechtspopulistische Parteien wie die AfD und Bewegungen wie PEGIDA diese Abneigung gegenüber Muslimen und ihrer Religion zunutze und verwendete sie als Treibstoff für ihre Zwecke.

Bax gesteht zu, dass – verstärkt nach der Flüchtlingszuwanderung im Jahre 2015 – nach anfänglicher Euphorie sich auch hier und da Unbehagen betreffs einer Veränderung unserer Gesellschaft ausbreitete. Eine übersteigerte Angst vor Muslimen jedoch, davon zeigte er sich überzeugt, drohe die Grundlagen dessen zu zerstören, was Europa ausmachen sollte.

Islamophobie: Ein Gespenst gehrt um in Europa

Gleich anfangs seines Referates wies Bax daraufhin, dass – sicher auch befördert durch Politik und Medien (wie in der späteren Fragerunde deutlicher wurde) nach den Anschlägen von 9/11 ein Klima geschaffen wurde, das die Stimmung gegenüber Muslime verschlechtern half.

taz-redakteur Daniel Bax war in Dortmund zu Gast. Foto: Claus Stille
taz-redakteur Daniel Bax war in Dortmund zu Gast. Foto: Claus Stille

Bax erinnerte daran, dass bereits bevor die Flüchtlinge in großer Zahl nach Europa und in unser Land gekommen waren, von rechten Kräften nichts unversucht gelassen wurde, um Muslime ins Zwielicht zu rücken – so etwa seitens des  Blogs „Politically Incorrect“ (PI). Wo man  schon lange vor dem Auftreten von PEGIDA Angst vor einer angeblich – gar geplanten – Islamisierung Europa – schürte.

Und wie sich die Bat Ye’or (Tochter des Nil) nennende  britische Autorin Gisèle Littman das Schreckgespenst von einem drohenden Eurabien an die Wand gemalt habe.

Oder die bereits verstorbene Oriana Fallaci. Eine italienische Journalistin und Schriftstellerin, die den Muslimen eine „Politik des Bauches“ – anspielend auf den angeblichen Kinderreichtum der Muslime, die so Europa islamisieren würden – unterstellte.

Daniel Bax stellte klar, dass nicht nur hier, sondern auch in muslimischen Ländern (wie etwa der Türkei), je moderner  sie würden und finanziell besser die Menschen gestellt seien, die Geburtenzahlen pro Familie sänken. Ein Gespenst geht um in Europa …

Populisten bauen auf unterschwellig vorhandener Ablehnung auf

Eben auf die bereits unterschwellig vorhanden gewesene Ablehnung von Muslimen in der Gesellschaft hätten – und die „Flüchtlingskrise“ spielte dem zu – halt weit rechts stehende Kräfte schon seit Jahren aufgebaut. So wurde eine regelrechte Islamfeindlichkeit erzeugt.

Die hätten halt in Europa weit rechts stehende  Parteien wie die Schweizer Volkspartei (SVP)  aufgegriffen. Bax blendete das bekannte Plakat der Blocher-Partei zum Referendum über Minarettbauten ein, das Minarette –  die einen Schatten auf die Schweiz fallen lassen – wie aus den Boden schießenden Raketen aussehen ließ. Damals gab es gerade einmal drei Moscheen in der Schweiz mit Minarett.

Aber auch die Dänische Volkspartei und die österreichische Freiheitliche Partei (FPÖ), der französische Front National führten seit langem diese antislamische Strategie. Oder die Lega Nord in Italien. Sowie dann auch der ungarische Rechtspopulist, Ministerpräsident Vikor Orban, der antiislamisches Unbehagen in der Bevölkerung für seine politischen Zwecke instrumentalisiert. Und auch in Polen sehe man nun solche Tendenzen.

Lange schon trügen auch Debatten über das Tragen von Kopftüchern dieser Anti-Islamstimmung Rechnung. In unseren Tagen heizte man diese über Verboten von Burkinis und Ganzkörperverschleierungen zusätzlich an.

Michel Houellebecq schürt mit „Unterwerfung“ eine Islamisierungs-Gefahr

Der Referent machte darauf aufmerksam, dass selbst der französische Schriftsteller Michel Houellebecq mit seinem Roman „Unterwerfung“ die Gefahr einer schleichenden Islamisierung das Wort rede.

Bax, der vom Inhalt einer Rede des Schriftstellers anlässlich der Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises an diesen sprach, welche Houellebecq in Berlin gehalten hat, ist der festen Meinung, dass der es durchaus ernst meine, wenn er über eine drohende Islamisierung seines Landes schreibe.

Auch kann er sich vorstellen, dass Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“), in der Tat vermeintliche Verlustängste, welche wohl kultureller Natur seien, umtrieben als er das Buch schrieb. Auch der Publizist und Buchautor Henryk M. Broder reite seit Jahren auf einer ähnlich provokativ wirkenden Welle.

„Die AfD erntet die am Baum der Islamophobie herangereiften Früchte“

Kritik gab es an als „Islamkritiker“ firmierende Muslime wie Necla Kelek oder Hamad Abdel-Samad. Foto: Claus Stille
Kritik gab es an als „Islamkritiker“ firmierende Muslime wie Necla Kelek oder Hamad Abdel-Samad. Foto: Stille

Ein weiteres Ansinnen sei, alles möge so bleiben wie es einmal war. Deshalb werde der Anspruch von Muslimen auf freie Ausübung ihrer Religion torpediert. Diesbezüglich scheue man sich nicht vor schlimmsten Populismus, der seit längeren en vogue sei.

Zum Kronzeugen der Schädlichkeit des Islams machten sich auch noch als „Islamkritiker“ firmierende Muslime wie Necla Kelek oder Hamad Abdel-Samad. Letzterer nahm übrigens gar Einladungen von der AfD an, um dort zu reden.

Der Islam werde von ihnen per se als politische – sogar faschistoide – Ideologie verunglimpft. Angstbilder entstehen. Und sie entfalteten Wirkung.

Letztlich, ist sich Daniel Bax sicher, „erntet nun die AfD nur die am Baum der jahrelang geschürten Islamophobie herangereiften Früchte“. Und prophezeit, das Deutschland die AfD so schnell nicht wieder loswerden würde.

Dass sie eine Mehrheit erreichen würde, hält Bax indes für ausgeschlossen. Er hegt die Hoffnung, dass die demokratische Gesellschaft solche Kräfte zu überwinden imstande sei.

Beispiel PEGIDA: Vorurteilen ist schwer beizukommen

Die von Antiislamkräften heraufbeschworenen Horrorzahlen von Millionen Muslimen, die über uns kämen und künftig gar die Bevölkerungsmehrheit stellen könnten, hält Daniel Bax für unrealistisch und bewusst übertrieben.

Daniel Bax hatte Beispiele zum Thema PEGIDA im Gepäck. Foto: Claus Stille
Daniel Bax hatte Beispiele zum Thema PEGIDA im Gepäck. Foto: Claus Stille

Momentan sind in Deutschland etwa fünf Prozent der Bevölkerung Muslime. Die meisten von ihnen seien nicht einmal besonders religiös. Vom Jahr 2010 bis 2030 dürfte die Zahl der Muslime in den europäischen Staaten von 4,5 auf allenfalls 7,5 Prozent steigen.

Doch gegen Vorurteile sei eben schwer anzukommen. Bax verwies auf Albert Einstein, der einmal sagte, gegen sie anzukommen sei in etwa so, als wolle man einen Pudding an die Wand nageln.

Erst recht, wenn aus ihnen ein geschlossenes Weltbild geworden sei. Gerade rund um das Auftreten von PEGIDA in Dresden – wo kaum Muslime leben – man aber das Abendland vor ihnen glaube retten zu wollen. Ein im Grunde völlig hohles Bild. Zumal der Begriff Abendland aus der Bibel kommen und Sachsen äußerst wenig Menschen etwas mit Religion am Hut habe.

Stigmatisierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe

Eine andere Form von Rassismus sei es, so meint Daniel Bax, kulturelle Unterschiede, den Islam betreffend, zu instrumentalisieren, um zu sagen, das passe nicht zu uns.

Auf sich dem Vortrag anschließende Fragen des Publikums im gut besetzten Hörsaal meinte Daniel Bax, die Stigmatisierung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zur Gefahr für den Rest der Gesellschaft sei nicht neu – wie man in Bezug auf die Juden im Dritten Reich wisse.

Auch da hätte damals es sogar das Phänomen gegeben, dass assimilierte Juden in Deutschland den Zuzug von sogenannten Ostjuden selbst als Bedrohung empfanden und diesen ablehnten. Antisemitismus sei rechts wie links und bei Arbeitern wie auch bei Akademikern verbreitet gewesen.

Muslime als willkommene und gesuchte Sündenböcke

Heute verhalte es sich mit der Islamophobie ganz ähnlich. Auch jetzt lebten wir wieder Zeiten der Verunsicherung. Wo Sündenböcke gesucht und auch gefunden würden. Da empfänden inzwischen selbst bereits sogar hier lebende muslimische Migranten die Zuwanderung zuweilen als Bedrohung.

Derweil seien Ursachen für auftretende Probleme in Wirklichkeit nicht nur der zugenommen habenden Globalisierung geschuldet, sondern auch in der wachsenden Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich zu suchen.

Ein Zuhörer machte auch „die kriegerischen – ja sogar völkerrechtswidrigen – Kriege des Westen für die zunehmende Zahl der Flüchtlinge aus den betroffenen arabischen Ländern“ verantwortlich.

taz-Journalist Daniel Bax setzt auf die Selbstheilungskräfte der Demokratie

Die Stadt Dortmund und die großen Religionsgemeinschaften haben gemeinsam die Kampagne „Wir ALLE sind Dortmund“ gestartet.
Die Stadt Dortmund und die großen Religionsgemeinschaften haben gemeinsam die Kampagne „Wir ALLE sind Dortmund“ gestartet. Foto: Alex Völkel

In der Tat sieht auch Daniel Bax da Berührungspunkte und eine Spirale der Gewalt, die sich aufbaue, wenn sich hierzulande Muslime zu radikalisieren begännen, um vermeintlich ihren muslimischen Schwestern und Brüdern beizustehen, jedoch dann beim IS landeten, der eine Terrororganisation sei, welche den Islam für ihre Zwecke benutze.

Ein Herr, welcher sich gegen Ende des Abends zu Wort meldete, wollte nicht ganz so optimistisch sein.  Er thematisierte die seiner Meinung nach „eigentlich skandalöse Situation hier“ in NRW.  Wo „wenigstens 25 Prozent von Kindern in Armut“ lebten. Infolge neoliberaler Politik. Die ja auch von der AfD vertreten werde.

Wer „eine miese Situation im Lande schaffe“, brauche Sündenböcke. Und jetzt zur Zeit sei das eben der Islam. Schizophrener Weise spräche die AfD die Armen und Hoffnungslosen an, gegen die sich auch deren Politik richte.

Der Referent hofft, dass „wir uns alle wieder beruhigen“ und setzt auf die Selbstheilungskräfte unserer Demokratie. Daniel Bax hegt des weiteren die Hoffnung, man möge sich wieder den wirklich wichtigen Problemen unserer Zeit widmen.

Des Weiteren meinte der Journalist, die Integration in Deutschland sei gar nicht so schlecht gelaufen. Wenn man das mit Frankreich oder Großbritannien vergleiche, wo es vor einiger Zeit gewalttätigen Krawalle gegeben habe.

Gegen Vorurteile helfen nur persönliche Begegnungen mit Geflüchteten und Muslimen

Gruppenbild der Organisatoren und Referenten. Foto: Claus Stille
Ein Gruppenbild der OrganisatorInnen und Referenten des Abends. Foto: Claus Stille

Aber, gab er zu bedenken: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, das Deutschland sich ändert.“ Das mag auch Angst machen. Doch wollte Bax insgesamt keine furchtbar negative Entwicklung konstatieren.

Gegen Vorurteile würden vor allem persönlichen Begegnungen helfen. Mit diesem Ratschlag schloss Daniel Bax den einmal mehr interessanten Abend, der dem vorangegangenen mit dem Vortrag von Klaus J. Bade weitere wichtige Aspekt hinzufügte und sicher noch Anlass für weitere anschließende Diskussionen gegeben hat.

Die Eröffnung der Veranstaltung lag in Händen von Studiendekanin Prof.  Dr. Katja Nowacki. Grußworte, fußend auf eignen Erfahrung in Sachen Integration, sprache Ali Sirin vom Planerladen Dortmund.

Veranstaltung mit Prof. Dr. Zick muss kranknheitsbedingt ausfallen

Am 08.11. sollte Professor Dr. Zick der nächste Gast bei der Reihe „Wir schaffen das“ sein. Aber aufgrund einer Erkrankung in der Familie des Referenten wird die Veranstaltung abgesagt. Zick wird aber im Sommersemester seinen Vortrag nachholen.

Mehr zum Thema auf nordstadtblogger.de:

Neue Vortragsreihe in Dortmund: „Wir schaffen das!? – Bestandsaufnahme zur Geflüchtetenpolitik“

Reaktionen

  1. Cornelia Wimmer

    Welch theoretisches Gebräu!- Gibt es hier wirklich an jeder Ecke Islamophobie? Es gibt Moscheen, viele sogar. In den Schulen und Kindertageseinrichtungen gibt es einen hohen Prozentsatz muslimischer Kinder. Selbstverständlich gibt es ihren Glaubensvorschriften entsprechendes Essen. Das Kopftuch ist kein Thema. Es gibt unter bestimmten Voraussetzungen islamischen Religionsunterricht. Im Ramadan nimmt die Klassengemeinschaft auf fastende Kinder Rücksicht. Seit wir viele Geflüchtete unter uns haben, kümmern sich eine hohe Zahl von Ehrenamtlichen freiwillig um diese, die ja fast immer Muslime sind.
    Wer liest hierzulande Oriana Fallaci und Michel Houellebeq? Gehen sie wirklich in den Blick ein, mit dem die Durchschnittsbevölkerung auf diese Welt und diese Gesellschaft schaut?
    Man sollte Ebenen gesellschaftlicher Verständigung getrennt betrachten und Proportionen waren. – Fallaci und Houellebeq gehören nicht zur idelogischen Selbstverständigung breiter Kreise. Etliche islamunfreundliche Intellektuelle machen noch keine islamophobe Gesellschaft. Es genügt, hinzuschauen.
    Erst gestern war bei Anne Will eine schweizer Konvertitin zu vernehmen, die auch behauptete, Muslime würden hierzulande benachteiligt. Sie sah deshalb im IS-.kontrollierten Syrien einen legitimen Zufluchtsort.
    Die undifferenzierte Behauptung einer dominierenden Islamophobie ist eine Argumentation, die die Selbstabgrenzung muslimischer Kreise von der Umgebungsgesellschaft begründet und befördert. – Und das ist nun wirklich eine islamfeindliche Praxis. Wir brauchen sie nicht.

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