Von Susanne Schulte
Wenn Isolde Parussel von ihrer Arbeit erzählt, möchte man meinen, sie spricht von ihrem Hobby. Derart leidenschaftlich zeigt sie alle Gegenstände im Depot des Hoeschmuseums, deren Leiterin sie ist, und weiß dazu auch viele Geschichten zu erzählen. Über das größte Exponat, das Stahlhaus, und über kleine, wie Bierkrüge aus einer Gaststätte im Dortmunder Westen, die Nachkommen ehemaliger Zwangsarbeiter von Hoesch ihr mitgebracht haben, auf der Suche nach weiteren Details zum Leben der Vorfahren. „Ich sammle nicht nur Hoeschprodukte, sondern auch solche, die einen Hoesch-Zusammenhang haben“, sagt Parussel. Denn das Hoeschmuseum im Portiershaus der ehemaligen Westfalenhütte an der Eberhardstraße im Dortmunder Norden bewahre alles rund um „Hoesch, Stahl und den Stadtteil“.
Vom Lehrlingsvertrag bis zu Flugblätter – alles wird archiviert
Und da kommt vieles zusammen. Denn das ehemalige Unternehmen Hoesch hat eine lange Geschichte, verbunden mit vielen Firmen und Standorten wie O&K und Hohenlimburg, um nur zwei zu nennen. Und somit auch viele tausend ehemalige Mitarbeitende. Die hingen und hängen noch an dem einstigen Betrieb, der mit den Worten warb: „Hoesch – ein Name für Stahl“.
Häufig waren mehrere Generationen einer Familie dort beschäftigt. So bekommt Isolde Parussel ganze arbeitsbiographische Konvolute überreicht, angefangen mit dem Lehrlingsvertrag, dem Abschlusszeugnis, dem Arbeitsvertrag und Geschenken zum Dienstjubiläum.
„Diese Dokumente wollen die Ex-Hoeschianer nicht im ThyssenKrupp-Konzernarchiv aufgehoben haben“, erzählt sie. Die feindliche Übernahme durch Krupp, begonnen 1991 und beendet 1992, hat niemand vergessen.
So kommt es, dass das Hoeschmuseum nicht nur 35 Regalmeter Akten beheimatet, sondern auch viele Dokumentenkisten mit Papieren. Ganze Jahrgänge der DKP-Werkszeitung „Heiße Eisen“, Flugblätter der Hoesch-Friedensinitiative, der Hoesch-Fraueninitiative, Betriebsratsprotokolle und Fotos, Fotos, Fotos. Alles, was im Museum abgeliefert wird, wird unter mehreren Schlagwörtern archiviert und gut im Depot verstaut.
In acht Räumen lagern die Schätze der Werksgeschichte
In acht Räumen des denkmalgeschützten Hauses sowie einem Außenlager auf dem Gelände der ehemaligen Westfalenhütte, angemietet von ThyssenKrupp, lagern Möbel und Messinstrumente, Werkzeuge und Waagen, Gast- und Werbegeschenke, Besteck aus den Kantinen, Rechen- und Schreibmaschinen, Schichtglocken und Helme, geschenkte Kunst, die in Büros hing, und Kunst aus den Händen der Mitarbeitenden.
So wie die Fachwerkhäuser, die ein Werksfotograf der Westfalenhütte selbst gebastelt hat und die jetzt aus dem Dunkel eines Kartons ins Licht eines Depotraums geholt wurden.
Weil das Hoeschmuseum ein sozialgeschichtliches Museum ist, erhält Isolde Parussel viele Anfragen von Menschen jeden Alters, die für wissenschaftliche Arbeiten forschen oder in Familiensachen.
So wie die Holländer:innen wissen wollten, ob sie mehr über die Gaststätte im Dortmunder Westen weiß, aus der ihr Vorfahre, der Zwangsarbeiter auf Union, war, die Biergläser mitgenommen hatte.
Oder die eines Winzers aus der Pfalz mit Dortmunder Wurzeln, der auf Bodenankern für seine Rebstöcke den Namen Hoesch in der typischen Schreibweise fand. Parussel recherchierte und fand heraus: Tatsächlich hatten zwei Hoesch-Ingenieure Bodenanker entwickelt und darauf ein Patent bekommen. Eine kurze Zeit seien diese auch produziert worden.
Zum Gucken und Forschen – Gäste sind immer willkommen
Zeit während ihrer Arbeitszeit für derart aufwendige Recherchen hat Isolde Parussel nur wenig.
Sie leitet das Museum mit seiner ausschließlich ehrenamtlich arbeitenden Belegschaft, bereitet Sonderausstellungen vor, pflegt die Dauerausstellung, nimmt Anfragen entgegen und bearbeitet diese, hält Kontakt zum ThyssenKrupp-Archiv, zum Dortmunder Stadtarchiv, zum Wirtschaftsarchiv und dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte – um nur einige zu nennen -, kümmert sich um den Unterhalt des Gebäudes und auch um Besucher:innen-Gruppen.
Wer im Haus an der Eberhardstraße forschen möchte, darf das gerne tun, aber nichts mit nach Hause nehmen. Ja, in die Hand nehmen darf man die Exponate schon, aber mit Vorsicht: „Krüge dürfen nicht am Henkel angefasst werden und Aktentaschen nicht am Griff. Das sind die Sollbruchstellen. Denn da wurden sie früher immer angefasst.“ Für reguläre Besucher:innen sind die Depoträume nicht zugänglich.
Isolde Parussel hat die Unterlagen für ihre nächste Recherche griffbereit im Regal liegen: Es handelt sich um die Seidenraupenzucht des Werks Union. „Ich wusste, dass mit dieser kriegswichtigen Produktion für die Fallschirmseide vielfach Volksschulen beauftragt waren, aber aus diesen Papieren geht hervor, dass es auf Union die Beschäftigten der Invalidenwerkstatt waren, die sich um Seidenraupenzucht zu kümmern hatten.“
Sie will nun herausfinden, wo genau die Grundstücke waren, auf denen die Maulbeerbäume standen. Einige Hinweise dazu gibt es. Bis 1952 soll die Zucht in Dortmund betrieben worden sein. Auch eine Berufsbezeichnung hatten die dafür zuständigen Männer: Man nannte sie Seidenbauer.
Auch die Seidenraupenzucht war eine Abteilung von Hoesch
Wie schon gesagt, arbeitet die Museumsleiterin mit einem Team von Ehrenamtlichen, die gut Unterstützung gebrauchen können – sowohl hinter den Kulissen beim Archivieren und Reparieren, wie auch im Besucher:innen-Service. Das Museum ist geöffnet am Dienstag und Mittwoch von 13 bis 17 Uhr, am Donnerstag von 9 bis 17 Uhr und am Sonntag von 10 bis 17 Uhr.
Der Donnerstag ist der Tag, an dem sich immer das komplette Team trifft. Während der Zeit um den Jahreswechsel ist das Museum vom 22. Dezember 2023 bis einschließlich 1. Januar 2024 geschlossen. Und wer etwas zur Seidenraupenzucht auf Werk Union zu sagen hat, rufe Isolde Parussel an: 0231/8625917. Aber auch erst im neuen Jahr.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Hat es Spaß gemacht oder war es Arbeit? Oder beides? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
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Im Erzählcafé geht‘ s dieses Mal ums Hoeschmuseum (PM)
Im kommenden Erzählcafé des Seniorenbeirats Innenstadt-Nord im Dietrich-Keuning-Haus ist Isolde Parussel, die Leiterin des Hoeschmuseums zu Gast. Sie berichtet von ihrer Arbeit im Museum und von geplanten Ausstellungen, von besonderen Exponaten und von den Möglichkeiten, dort ehrenamtlich tätig zu sein. Das Erzählcafé beginnt am Donnerstag, 16. Mai, um 14 Uhr im Dietrich-Keuning-Haus, Leopoldstraße 50-58, Raum 204. Bei Kaffee und Keksen ist nach dem Vortrag noch genügend Zeit zum Austausch und Klönen. Die Teilnahme ist wie immer für die Gäste kostenlos. Wer ein besonderes Anliegen hat, kann mit Seniorenbeirätin Susanne Schulte anschließend darüber reden.
Stahlkunst: Vom japanischen Holzschnitt zur Stahlskulptur – das Hoesch-Museum zeigt Film über den Stahlkünstler Eduardo Chillida (PM)
Das Hoesch-Museum zeigt Stahlgeschichte – und das kann auch Kunst aus Stahl sein: Zum 100. Geburtstag des baskischen Stahlkünstlers Eduardo Chillida wird am Donnerstag, 29. August, ab 18 Uhr ein Film über den Künstler gezeigt.
Der Film „From Chillida to Hokusai: Birth of a work of Art“, zu sehen im Original mit englischem Untertitel, zeigt die Entwicklung des Stahlkünstlers und seine Inspirationen. Katsushika Hokusai war ein japanischer Maler des 18. Jahrhunderts. Eduardo Chillida schuf 1981 eine Skulptur, die vom Holzschnitt „Die große Welle vor Kanagawa“ Hokusais inspiriert war. Er nannte es „Hokusais Haus“.
Vom Holzschnitt zur Stahlskulptur
Jahre später erhielt er einen Auftrag aus Japan, dieses Werk großformatig anzufertigen. Es sollte auf dem Berg Hakone vor Fuji aufgestellt werden. Chillida entwickelte daraus ein komplett neues Projekt, das ebenfalls von Hokusai, seinen Ansichten über den Berg Fuji und den Umarmungen mächtiger Sumo-Ringer inspiriert war.
Bei diesem Dokumentarfilm (35 Minuten) von 1993 führte Chillidas Tochter Susanne Regie. Er erzählt vom Prozess der Ideenfindung und der Umsetzung der Skulptur „Umarmung“ im Stahlwerk. Der Film wird im Hoesch-Museum ergänzt durch eine Einführung von Ulrich Riese.