Von Susanne Schulte
Dreimal wurde die Lutherkirche an der Hirtenstraße gebaut: Am 5. Mai 1907 war die Einweihung der ersten Kirche, am 7. Juli 1963 feierte die Gemeinde den Wiederaufbau des im Krieg zerstörten Gotteshauses und 2003 entstanden in der alten Hülle der neuen Kirche mehrere Räume auf zwei Ebenen – oben war und ist immer noch der Kirchenraum, unten die Gemeinderäume. Während all der Jahrzehnte hielt ein Teil der Kirche die Stellung, auch wenn er zwischendurch mal wankte: der Turm. Jetzt bröckelt er. Die Sanierung kostet 450.000 Euro, so das Gutachten einer Fachfirma. Und er bröckelt zur falschen Zeit.
Der Turm ist noch nicht so marode, dass man ihn nicht besteigen darf
Die Lydia-Kirchengemeinde gibt zum 1. Mai dieses Jahres die Kirche an den Kirchenkreis ab und beim Kirchenkreis weiß man noch nicht, was passieren soll. Mit dem Thema wird man sich erst nach der Übergabe beschäftigen, so Diana Westermann von der Pressestelle. Die Glocken stehen schon seit Monaten still. Schwingungen des Gemäuers müssen vermieden werden. ___STEADY_PAYWALL___
Aber der Turm ist noch nicht so marode, dass man ihn nicht besteigen darf. Küster Manfred Wolf ging Treppen und Leitern voran, zeigte Nordstadtblogger den Weg bis hinauf zu den Glocken. Die haben einen schönen Klang, auf den die Nachbarschaft jetzt verzichten muss.
Drei Stück sind es, damals, wir reden vom Jahr 1907, gegossen beim Bochumer Verein, spendiert von der Hoesch AG, mit einem Wert von 5000 Mark. Auf allen Glocken sind die ersten Worte von Luther-Liedern zu lesen. Auf der großen Glocke steht „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“, auf der mittleren „Eine feste Burg ist unser Gott“ und auf der kleinen „Nun freut Euch lieben Christengemein“.
Die Läutemaschinenschaltung zieht um in die Pauluskirche
Was die Glocken 1907 zum Klingen brachte, das Turmuhrenwerk, steht einige Etagen tiefer und stammt aus der Firma J. F. Weule aus Bockenem im Harz. Unter dem eisernen Kunstwerk liegen die alten Zeiger der Kirchenuhr, die schon lange nicht mehr die Zeit anzeigt.
Ebenfalls noch vorhanden ist die Läutemaschinenschaltung, die etwa 50 Jahre jünger ist als das Turmuhrwerk und von der Firma Herforder Elektricitätswerke Bokelmann und Kuhlo gebaut wurde. „Diese Schaltung kommt in die Pauluskirche“, erzählte Küster Manfred Wolf. „Heute gibt es dazu auch eine Fernbedienung.“
Wohin dagegen das Glaskreuz kommt, das einst über dem Altar der neuen Kirche von 1963 hing, ist ungewiss. Gestaltet vom Darmstädter Künstler Helmut Lander, der sowohl Kirchen wie öffentliche Gebäude in ganz Deutschland mit seinen Fenstern, Mosaiken und Skulpturen ausstattete, steht es nun seit 2003 im Eingangsbereich des Turms, da es in der umgebauten Kirche keinen Platz mehr fand.
„Die Idee war damals, es draußen an die Fassade zu hängen oder frei stehend auf der Wiese zu installieren“, so Pfarrerin Carola Theilig, die etwa 30 Jahre lang in der Lutherkirche arbeitete und nun pensioniert ist.
„Aber dafür hätte es komplett überarbeitet werden müssen wegen der Witterungseinflüsse. Und so etwas kostet tausende von Euro.“ Nun steht es zwar im Kalten, aber im Trockenen.
Für den Turm gab es einst viele Pläne: Café und Kunstraum
Der Turm, der vom ursprünglichen Kirchengebäude erhalten geblieben ist, ist prägend für das Quartier um Flur-, Hirten- und Lutherstraße. Es habe mal die Idee gegeben, es als Café zu nutzen mit Durchbruch zur Bunkerfläche, erinnert sich Theilig. Auch die Künstlergruppe Duktus interessierte sich eine Zeitlang für den Turm. Aber Gemeinde und Duktus kamen sich in ihren Vorstellungen nicht nahe genug.
Wie es in der Festschrift aus dem Jahr 1988 zum 25jährigen Bestehen der neuen Kirche heißt, habe in einem Zeitungsartikel von 1907 über den Kirchturm geheißen: „Inmitten der in der Industrie arbeitenden Bevölkerung und benachbart von Hochöfen und Schornsteinen des Eisen- und Stahlwerks Hoesch Westfalenhütte erhebt er sich als ragendes Zeichen des Evangeliums.
Und in den Lärm der Maschinen und in das Dröhnen der Hämmer und in die Sorgen der Menschen rufen seine Glocken die freundliche Einladung Gottes, zu ihm zu kommen und die Arbeit des Alltags durchdringen zu lassen von seinen Gedanken.“
Hoesch ist nicht nur Nachbar der Gemeinde, sondern auch stets für sie im Einsatz. Das Unternehmen stiftete nicht nur die Glocken, sondern half auch dem Turm wieder zu einem festen Stand, als dieser nach dem Krieg durch Bergsenkung in Schieflage geriet.
Die schwere Metalltafel – „Da muss ich mal gucken, wie ich die da runter bekommen“, so Küster Wolf -, die an die Grundsteinlegung und an die Einweihung der ersten Kirche erinnert, wird sicher einen Platz in der ab Mai für die Jugendarbeit genutzten Lutherkirche finden.
Auch für die Glocken wie auch für das Glaskreuz gibt es bestimmt Interessent:innen, sollte der Turm abgerissen werden. Aber noch ist ja keine Entscheidung gefallen. Denn auch ein Abriss kostet eine Menge Geld.