In der Dortmunder Nordstadt startet das partizipative Kunstprojekt Public Residence: Die Chance. Ein Jahr lang werden vier Künstlerlinnen und Künstler am Borsigplatz leben und mit der Bevölkerung gemeinsame Kunstprojekte verwirklichen. Das Gemeinschaftsprojekt der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft und des Vereins Nachbarschaft Borsig11 möchte mit den Mitteln der Kunst vor Ort Impulse geben, gesellschaftliche Teilhabe anregen und Kreativität freisetzen.
Künstlerquartett kommt mit vielen Ideen nach Dortmund
Das Künstlerquartett — das sind Susanne Bosch, Frank Bölter, Angela Ljiljanic und Henrik Mayer — kommt mit vielen verschiedenen Ideen nach Dortmund. So soll eine Borsig-Guerilla entstehen, Straßen- und Ortsnamen sollen umgetauft werden. In Gemeinschaftsaktionen sollen Autos und ganze Schulen aus Papier gefaltet werden. Im Mittelpunkt steht hier aber nicht das fertige Kunstwerk. Entscheidend sind die Prozesse, die dieses entstehen lassen: das gegenseitige Kennenlernen, das Austauschen von Ideen, das gemeinsame Arbeiten.
„Public Residence: Die Chance ist ein künstlerisches Experiment“, gibt Ruth Gilberger‚ Vorständin der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft, zu bedenken: „Erprobt werden Möglichkeiten der Veränderung kleinräumiger urbaner Strukturen mit künstlerischen Mitteln. Möglichst viele Anwohnerinnen und Anwohner sollen am kreativen Prozess teilnehmen und sich als Autoren der gemeinsamen Arbeit verstehen.“
Beteiligung als Voraussetzung und Ziel der Arbeit
Dabei ist die Beteiligung der Menschen vom Borsigplatz gleichzeitig Voraussetzung und Ziel der Arbeit. Mit einer Kunstwährung, den „Chancen“, die im Quartier verteilt werden, können alle Interessierten des Quartiers die Kunstprojekte ihrer Wahl fördern. „Die Künstlerinnen und Künstler werben um Chancen, können diese zur Umsetzung der Projekte in Material tauschen oder für Zeitstunden der Bevölkerung ausgeben, die so im Kreislauf weiter zirkulieren“, erklären Volker Pohlüke und Guido Meincke von Borsig11: „Mitjeder investierten Zeitstunde, d.h. neu ergriffenen Chance erhöht sich der Mehrwert für die Öffentlichkeit.“
Die Künstlerinnen und Künstler
Frank Bölter
Der Wahlkölner Frank Bölter verbindet Teilhabe mit Hingabe. Partizipation und Eigenverantwortung schafft er mit dem langfristigen Arbeiten an einzelnen Ideen.
Dabei konzentriert er sich auf lokale Umgebungen und die Menschen, die unmittelbar davon berührt werden. In einem kleinen ostwestfälischen Dorf zum Beispiel baute er mit seinen Nachbarinnen und Nachbarn ein lebensgroßes Papierhaus.
Eingebettet in einen Kommunikationsprozess lässt er Soldaten und Flüchtlinge aus Kriegsgebieten je einen Panzer aus Papier falten und sieht, wieder eine im Müll und der andere im Museum landet.
Angela Ljiljanic
Was verbindet deutsche Frauen und Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien?
Angela Ljiljanic findet eine Antwort auf diese Frage in den Schnittmusterbögen von Burdamoden, die historische, kulturelle und persönliche Lebensentwürfe skizzieren. Im fertigen Kleidungsstück kommen diese Gemeinsamkeiten zum Ausdruck, Kleiderschränke werden Archive gelebter Geschichten.
Angela Ljiljanic interessieren soziokulturelle Räume, die zwischen der Möglichkeit zu scheitern und der Hervorbringung überraschender Handlungsorientierungen lavieren. An solchen Orten helfen keine sozialromantischen Utopien, sondern nur die Annäherung an die konkrete Wirklichkeit.
Henrik Mayer
Mobiles Fitnessstudio, Migration Learning Center, Global Dinner: Was nicht nach Kunst klingt, da steckt ganz viel Kunst drin.
Henrik Mayer ist mit seinem Partner Martin Keil als REINIGUNGSGESELLSCHAFT in den Städten dieser Welt unten/vegs. Wie die Gebrüder Grimm sammelt er die Geschichten von Anwohnern, um sie im öffentlichen Raum wieder zu erzählen.
So zeigt Mayer etwa mit öffentlich zugänglichen Spinning Bikes, die Strom produzieren, spielerische Lösungsansätze für gesellschaftliche Problematiken wie Gesundheit, Demographie und erneuerbare Energien auf.
Nach Dortmund reist er allein. Ein Grund mehr, mit den Anwohnern in Kontakt zu treten.
Susanne Bosch
Die Künstlerin und Kunstforschende Susanne Bosch reist direkt von Malaysia ins Ruhrgebiet.
Sie bringt langjährige Erfahrung aus internationalen partizipatorischen Kunstprojekten wie zum Beispiel aus Palästina, Spanien, der Türkei und Irland mit, wo sie sich mit bekannten Künstlerkollegen und den Anwohnern vor Ort mit dem Demokratiebegriff auseinandersetzt.
Dabei spielen das Überleben, Geld und Arbeit, Migration, gesellschaftliche Visionen und Beteiligungsmodelle eine entscheidende Rolle.
Fragen und Antworten
Was ist „Public Residence“?
Public Residence heißt übersetzt: öffentlicher Wohnsitz. Von Juni 2014 bis Mai 2015 wohnen vier Künstlerinnen und Künstler in Public Residence am Borsigplatz, um gemeinsam mit der Bevölkerung partizipative Kunstprojekte zu verwirklichen. Ihre Aufgabe ist es, neue Öffentlichkeiten herzustellen, in denen echte Teilhabe möglich ist und die Bevölkerung sich aktiv an der Gestaltung ihres Quartiers beteiligt.
Was will das Projekt erreichen?
Public Residence: Die Chance ist ein künstlerisches Experiment. Erprobt werden Möglichkeiten der Veränderung kleinräumiger urbaner Strukturen mit künstlerischen Mitteln. insbesondere geht es um die Beförderung sozialer Kreativität in einem Quartier mit besonders hoher kultureller Diversität. Möglichst viele Anwohnerinnen und Anwohner sollen am kreativen Prozess teilnehmen und sich als Autoren der gemeinsamen Arbeit verstehen. Ihre Beteiligung ist Voraussetzung und Ziel des Projekts.
Was sind „Chancen“?
Chancen sind eine Kunstwährung für den öffentlichen Raum, die eigens für die Realisierung der partizipativen Kunstprojekte eingeführt wird. Chancen sind nicht für den privaten Konsum einsetzbar, sondern im sozialen Leben wirksam. Sie können ausschließlich für die Umsetzung der gemeinnützigen Projekte im Rahmen von Public Residence: Die Chance eingesetzt werden, die die Künstlerinnen und Künstler in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung des Quartiers entwickeln.
Wie funktionieren „Chancen“?
Die Kunstwährung ist mit Geldmitteln hinterlegt. 1 Chance entspricht 1 Euro. Bis zu 1.000 Bewohnerinnen und Bewohner des Borsigplatz-Quartiers können je 100 Chancen erhalten, die sie investieren können (s.o.). So kann die Bevölkerung direkt mitentscheiden, in welche Projekte „ihr“ Fördergeld investiert wird. Im Idealfall packen sie selbst mit an. Ihr Engagement wird mit neuen Chancen honoriert. So entsteht ein Kreislauf, der Beteiligung begünstigt und den Stadtteil belebt.
Wie ist das Projekt organisiert?
Die Projektleitung von Public Residence: Die Chance übernimmt Machbarschaft Borsig11. Der Verein gibt die Chancen heraus, ist Ansprechpartner für alle Belange vor Ort, organisiert den Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten, unterstützt die Künstlerinnen und Künstler bei der Kontaktaufnahme zur Bevölkerung und koordiniert die lokale Öffentlichkeitsarbeit. Die Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft stattet das Projekt finanziell aus und übernimmt die kuratorische Begleitung bei den Einzelprojekten der Kunstschaffenden. Sie unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit, bringt überregionale Kontakte ein und hilft bei Dialog und Verzahnung mit möglichen weiteren Partnern.
Weitere Beiträge zur Machbarschaft Borsig11 und den YOUNGSTERS-Reportern:
- Machbarschaft Borsig11: Ein multikulturelles Mitmach- und Entfaltungsprojekt für Bewohnerinnen und Bewohner
- „Chancen“ für den Borsigplatz: Mit 200.000 Euro dotierter Förderpreis für Kunstprojekt geht in die Nordstadt
- Verein Borsig11 sucht Kreative für partizipatorische Projekte – für vier Künstler winken Wohnung und Grundgehalt