400 Menschen starben in der vergangenen Woche, 700 an diesem Sonntag. Tausende Flüchtlinge sterben im Mittelmeer. Auf der Flucht vor Krieg, Massakern und Verfolgung. Sie kommen nach einer Odyssee auch in Dortmund an. Doch nicht eine „Flut“ von Flüchtlingen. Denn der große Teil der Flüchtlinge erreicht Europa nicht.
Arme Nachbarländer tragen die Hauptlast von Flucht und Vertreibung
„Im Libanon gibt es vier Millionen Einwohner und 1,3 Millionen Flüchtlinge“, machte Dortmunds Sozialdezernentin Birgit Zoerner am Samstag auf dem SPD-Unterbezirksparteitag deutlich. Das wäre so, als wenn in Deutschland 30 Millionen Flüchtlinge untergekommen wären.
Oder – auf Dortmund heruntergebrochen – 240.000. Doch davon ist man in der Westfalen-Metropole sehr sehr weit entfernt. Rund 3000 Menschen sind bisher in Dortmund untergekommen.
Ja, es werden mehr: Kamen im ganzen Jahr 2012 insgesamt 200 Flüchtlinge, sind es derzeit 50 pro Woche. Damit habe das alte System nicht mehr funktioniert, nur mit einer zentralen kommunalen Unterkunft in Lütgendortmund die Menschen aufzunehmen und in Wohnungen zu verteilen. Daher seien sie in zusätzlichen Zwischenunterkünften untergebracht, bis sie in Wohnungen verteilt werden können, so Zoerner.
Großes Engagement von Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe
Vor Ort haben sich ehrenamtliche Unterstützerkreise gebildet. „Es ist eine großartige Entwicklung, dass so viele Menschen sich ehrenamtlich engagieren“, lobte Dortmunds Sozialdezernentin.
Eine von ihnen ist Christina Lüdeke. Sie engagiert sich in der ehemaligen Hauptschule am Ostpark, die seit Februar 2015 als Gemeinschafts-Unterkunft für Flüchtlinge genutzt wird.
„Aktuell sind es 108 Menschen aus 14 Nationen, die in ehemaligen Klassenräumen – zu zehnt in einem Raum – untergebracht sind“, erläuterte Lüdeke. „Wie viel Privatsphäre es da gibt, können sie sich vorstellen.“
Unterstützungsstrukturen durch Ehrenamtliche entwickelt
Um den Flüchtlingen zu helfen, haben die Ehrenamtlichen Strukturen geschaffen. Acht Arbeitsgruppen gibt es: „Kinderbetreuung, Deutschkurse, Freizeit für Erwachsene, Hauswirtschaftliche Hilfe (Essensausgabe), Dolmetscherdienste, Begleitung zu Behörden und Ärzten, Sachspendenorganisation und Auszugsbegleitung in eigenen Wohnraum“, berichtete Lüdeke.
Jede Gruppe hat einen eigenen Koordinator. „Wir haben 50 Ehrenamtliche vor Ort und 300 Unterstützer bei Facebook. Die Helfer kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten“, machte sie deutlich. Linke Studierende, christliche Helfer mittleren Alters, eine Konvertitin, eine Oma im Hartz IV-Bezug. „Unterschiedlichste Hilfen und Fähigkeiten sind gefragt. Das klappt.“
Nachbarschaft hat sich durch das Heim positiv verändert – viel Engagement
Die Nachbarn hatten Sorge, dass sich die Nachbarschaft durch das Flüchtlingsheim verändern würde. Und dies sei auch passiert: „Ja, die Einrichtung hat den Charakter des Viertels verändert. Aber hin zum Positiven“, machte Lüdeke den SPD-Mitgliedern deutlich.
„Wir haben nicht nur neue nette Nachbarn aus unterschiedlichen Ländern bekommen. Man lernt auch seine bisherigen Nachbarn ganz anders kennen und schätzen. Diese Dynamik ist nicht zu unterschätzen“, warb sie für die Unterstützung.
„Im Viertel ist die Unterkunft eine echte Bereicherung und die Arbeit macht wirklich Spaß. Die Zeit ist toll investiert. Mit wenigen Stunden Engagement ist sehr viel zu erreichen.“
Christina Lüdeke forderte Unterstützung für ehrenamtliche Helfer
Allerdings sei nicht alles heile Welt: Denn es gibt auch Bereiche, wo die Ehrenamtlichen an Grenzen stoßen: „Vor allem bei Auszügen in eigene Wohnungen. Bei vielen Menschen gehen dann die Probleme richtig los“, verdeutlichte Lüdeke.
„Dann ist niemand da, der so richtig zuständig ist.“ Es fehle dann an der Betreuung der Flüchtlinge. Sie würden konfrontiert mit dem deutschen Alltagsleben und vor allem der Bürokratie.
„Wir versuchen, Paten zu organisieren. Es gibt aber viele Fragen, die nicht jeder Ehrenamtliche beantworten kann. Wo es kompliziert ist und ans Eingemachte geht, brauchen wir Ansprechpartner“, unterstrich die Koordinatorin an der Hauptschule am Ostpark.
„Das ist heute meine Bitte an sie. Tragen sie dazu bei, dass es qualifizierte Hilfe gibt. Wir Ehrenamtlichen wollen helfen. Lassen Sie uns dabei – aber vor allem die Flüchtlinge – nicht allein“, schloss sie unter dem Applaus der Parteitagsdelegierten.
Birgit Zoerner sagte hier Unterstützung zu: „Es ist vollkommen klar, dass das nicht Aufgabe der Ehrenamtlichen sein kann. Das wäre eine Überforderung“, so Zoerner. „Wir müssen eine Schnittstelle schaffen zwischen Einrichtungen und Paten. Da ist eine Lücke entstanden, die wir aber wohl relativ einfach schließen können.“
Bollermann und Zoerner übten scharfe Kritik an Bund und Land
Lob für das Engagement der Ehrenamtlichen und der Stadt gab es auch von Regierungspräsident Gerd Bollermann. „Ein klares Dankeschön an Stadt und Bürger für die Willkommenskultur und das Stemmen der riesigen Aufgabe auch bei der Erstaufnahme.“
Doch auch massive Kritik äußerte Bollermann: „Wenn sich der Bund weiterhin einen so schlanken Fuß macht, ist das ungehörig. Wenn über 200.000 Anträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht bearbeitet wurden, ist das ungehörig. Das darf nicht sein. Da müssen wir den Finger in die Wunde zu legen. Das ist unsere Pflicht“, so Bollermann.
Damit rennt er offene Türen bei Birgit Zoerner ein. Sie kritisierte zudem auch das Land: Den Kommunen fehlt Geld für die Flüchtlinge. Denn das Asylbewerberleistungsgesetz ist Ländersache und die Refinanzierung für die Kommunen von Land zu Land sehr unterschiedlich. In Bayern und Mecklenburg-Vorpommern werden die Kosten der Kommunen zu über 90 Prozent vom Land refinanziert, in NRW aber gerade mal zu 30 Prozent.
Die Kommunen müssen in NRW einen großen Anteil selber leisten: „Wir sind sehr erfreut, wenn das Land immer mal wieder die Kassen öffnet. Aber substanziell hat sich nichts geändert“, so Zoerner. „Es kann nicht sein, dass wir als Kommune zum Bittsteller degradiert werden.“
Doch auch der Bund sei gefragt. Es könne nicht sein, dass der Bund seine schwarze Null schützen will und die Kommunen im Regen stehen.
Abschaffung von Frontex und des Asylbewerberleistungsgesetzes gefordert
Auch die Jusos sprachen Klartext: In einem Antrag forderte Indra Paas, die Grenzschutzagentur „Frontex“ abzuschaffen und deren Vergehen strafrechtlich zu verfolgen.
Auch die Regelung der „sicheren Drittstaaten“ und das Asylbewerberleistungsgesetz gehörten abgeschafft: „Flüchtlinge müssen in Bulgarien Angst vor Folter und Gewalt haben“, so Paas. „Wir müssen Solidarität leben.“
Dieser Antrag wurde ebenso unterstützt wie der von Barbara Heinz, die eine psychosoziale Betreuung für Mädchen und Frauen sowie die Einrichtung eines psychosozialen Zentrums forderte.
Auch der SPD-Europaabgeordnete Dietmar Köster sprach Klartext: „Als Europaabgeordneter sehe ich die Katastrophe. Es ist ein Versagen der europäischen Politiker. Die EU muss endlich dem Massensterben im Mittelmeer ein Ende setzen.“ Daher habe seine Fraktion die Unterstützung der Rettungsmission „Mare Nostrum“ gefordert.
Mehr zum Thema auf nordstadtblogger.de: