Der Historiker und Publizist Stefan Klemp, Experte für die Geschichte der Polizei in der NS-Zeit, hat zum 70. Jahrestag des Ghettoaufstands, im letzten Jahr die erste systematische Untersuchung der Polizeieinsätze am und im Warschauer Ghetto vorgelegt.
Die Untersuchung belegt die Schuld deutscher Polizisten an den Morden an Juden und der Niederschlagung des Aufstandes. Ein Dortmunder Polizeibataillon war ebenfalls in Warschau im Einsatz. Am Donnerstag, 20. März 2014, hält er einen Vortrag zum Buch in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in der Dortmunder Nordstadt, Steinstraße 50. Beginn ist um 19 Uhr.
Dr. Stefan Klemp im Interview mit nordstablogger.de
nordstadtblogger.de: Herr Dr. Klemp, ihr Vortrag in der Steinwache am Donnerstag lautet: „Vernichtung. Die deutsche Ordnungspolizei und der Judenmord in Warschau 1940–1943“. Beim Mord an den Juden denkt man eigentlich, das Angehörige der SS oder der Wehrmacht diesen ausgeführt haben. Was hat die Ordnungspolizei damit zu tun? War das eine besondere Polizeitruppe oder waren das ganz normale Polizisten?
Stefan Klemp: Sowohl als auch. Das war insofern eine besondere Polizeitruppe, weil es sich um militärisch organisierte Verbände der Polizei handelte, an deren Spitze überzeugte Nationalsozialisten standen. Ob die „ganz normal“ waren, ist eine Frage. Die andere Frage ist, was der Begriff bedeutet. Unter den Polizisten waren einige, die man als „ganz normale Polizisten“ bezeichnen könnte, weil sie aus der Mitte der damaligen Gesellschaft kamen. Obwohl man sich dann fragen muss, wie sie zur Polizei gekommen sind und warum sie sich dahin gemeldet haben. Oft passierte das freiwillig in den Jahren 1938-1939.
nordstadtblogger.de: Welche Rolle spielte die Ordnungspolizei in der Zeit von 1940 – 1943 in Warschau? Wurde sie nur dort eingesetzt?
Stefan Klemp: Nein. Die Ordnungspolizei war in ganz Europa eingesetzt, in Osteuropa vor allem zur Umsetzung der Vernichtungspolitik. Dort bewachten Polizisten Deportationstransporte, Ghettos, Konzentrationslager, und sie führten Einzel- und Massenerschießungen durch. Bei der Vernichtung des Ghettos im Frühjahr 1943 war Major Ewald Sternagel vom Polizeibataillon 41 Stabschef von Jürgen Stroop. Also die fachliche Leitung der Aktion lag in Händen eines Offiziers der Ordnungspolizei.
nordstadtblogger.de: Wurden die Polizisten zum Dienst in Warschau verpflichtet oder hat man sich freiwillig gemeldet? Mussten die Männer an der Vernichtung der Juden aktiv teilnehmen oder konnten sie das verweigern?
Stefan Klemp: Die Verpflichtung zur Polizei lief sehr unterschiedlich ab. Es gab Freiwilligenmeldungen und Rekrutierungen von Reservisten. Auch die Verhaltensweisen waren unterschiedlich. Manche Polizisten verweigerten die Teilnahme an Massenerschießungen, andere haben beim Wachdienst am Ghetto nicht auf Juden geschossen. Es gab aber auch Polizisten, die freiwillig und ohne Befehl Juden erschossen haben, weil sie es gern getan haben. Aber es gab auch Selbstmorde innerhalb der Polizei. Also, Polizisten konnten verbrecherische Befehle verweigern, aber nicht alle hatten die Kraft oder den Mut dazu. In jedem Bataillon finden sich Fälle von Befehlsverweigerung. An der Spitze der Bataillone aber standen Überzeugungstäter – und um die geht es mir. Ihnen folgte ein Teil der Mannschaftsdienstgrade.
nordstadtblogger.de: Wieviel Polizisten waren an den Morden in Warschau beteiligt. Was geschah mit ihnen nach Ende des Krieges?
Stefan Klemp: Nehmen wir nur die deutschen Polizeibataillone, die das Ghetto bewacht haben. Das waren acht, mal 500 macht 4000 Polizisten. Hinzu kommen ausländische Hilfskräfte, Schutzmannschaftsbataillone und einheimische Polizei.
Zur Nachkriegszeit: Was deutsche Polizisten betrifft, so ist in der Bundesrepublik kein Täter aus einem Polizeibataillon verurteilt worden. In der DDR sah es anderes aus.
nordstadtblogger.de: Was verbindet ihr Thema mit dem Ort Steinwache?
Stefan Klemp: Die Steinwache war ein Polizeigefängnis. Hier machten Ordnungspolizisten Dienst. Die Gestapo war für die Einweisung von politischen Gefangenen zuständig. In der Ausstellung wird auch die Geschichte des Dortmunder Polizeibataillons 61 dargestellt. Dieses Bataillon war 1942 zehn Monate in Warschau zur Ghettobewachung eingesetzt.
Literaturhinweis:
Stefan Klemp: „Vernichtung. Die deutsche Ordnungspolizei und der Judenmord im Warschauer Ghetto 1940 bis 1943“ (Prospero, Münster. 288 S., 19 Euro)