Gastbeitrag von Marina Markgraf
Mit der Ausbreitung der Corona-Pandemie konnten Dortmunder Organisationen, die sich für wohnungs- und obdachlose Menschen einsetzen, nicht so weiter machen wie zuvor. Viele Einrichtungen wurden vorübergehend geschlossen. Um die bedürftigen Menschen in Dortmund weiter zu unterstützen, haben drei junge Dortmunder*innen die Gruppe „Menschwürde to Go“ gegründet. Die Mitglieder verteilen auf eigene Faust Essen und warme Getränke an Menschen, die auf der Straße leben – und viel wichtiger: Sie kommen mit ihnen ins Gespräch und stellen mittlerweile wichtige Sozialkontakte in der Krisenzeit dar.
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie treffen viele Obdachlose hart
Die Suppenküchen wurden geschlossen, der Verkauf des Straßenmagazins bodo musste eingestellt werden. Die Geschäfte durften nicht mehr öffnen und damit leerten sich die Straßen. Dort blieben vor allem die Menschen, die kein Zuhause haben. Dadurch erschwerte sich ihre Situation drastisch: ___STEADY_PAYWALL___
Der persönliche Kontakt war dadurch eingebrochen, die Möglichkeit in Restaurants und Cafés auf die Toilette zu gehen und sich die Hände zu waschen war nicht mehr gegeben. Aufgrund der Ansteckungsgefahr blieben außerdem die meisten Kleingeldspenden aus.
Viele Dortmunder Bürger*innen haben versucht, auf verschiedenen Wegen diese Lücke zu schließen und die Menschen auf der Straße nicht im Stich zu lassen. So entstanden in der Innenstadt und am Dortmunder U die Gabenzäune, an denen private Spender*innen Pakete mit Kleidung und Nahrungsmitteln aufgehängt haben.
Neugegründete Gruppe „Menschenwürde to Go“ verteilt Lebensmittelpakete persönlich
Diese anonyme Form der Spende war der Dortmunder Studentin Imke D. allerdings nicht genug – vielmehr suchte sie den persönlichen Kontakt, erklärt die ehrenamtliche Krisenhelferin. Dabei stellte sie im direkten Gespräch mit Menschen auf der Straße fest, dass viele den anonym überreichten Päckchen am Zaun skeptisch gegenüber stünden – schließlich wisse man nicht genau wer mit welchem Hintergedanken dort etwas hinhänge.
So entschied sich Imke zusammen mit ihrer Wohngemeinschaft aus der Nordstadt, neben ihr bestehend aus Hauke R. und Deborah M., die restlichen Pakete, die sie für den Gabenzaun gepackt hatten, persönlich auszuhändigen. Dabei kamen sie ins Gespräch, erfuhren viel über die Bedürfnisse der Menschen und stellten die Freude der Menschen über den persönlichen Kontakt fest.
Wenige Tage später bereits gründeten die drei Ehrenamtlichen die Gruppe „Menschenwürde to Go“, die mittlerweile über 20 Aktive zählt. Je nach Wunsch und Bedarf werden die Aufgaben untereinander verteilt. Es ist den Teilnehmenden wichtig, dass in der Gruppe keine Hierarchien entstehen und jede*r willkommen ist, die/der sich engagieren möchte.
„Unser Ziel ist es, sich solidarisch zu zeigen und den Menschen eine Freude zu bereiten“
Die Gruppe will die Menschen auf der Straße nicht allein lassen. „Sie gehen ins Feld“, wie sie es selbst sagen – und das kommt gut an. Immer zu zweit, mit einem Bollerwagen voll mit Lunchpaketen und Getränken, ziehen sie an Wochenendtagen vom Nordmarkt in die Innenstadt. Fast immer ist ihr Hund dabei, denn so kommt man schnell ins Gespräch, berichten Imke und Hauke.
„Unser Ziel ist es, sich solidarisch zu zeigen und den Menschen eine Freude zu bereiten“, erzählt Deborah. „Wir wollen den Mitmenschen näher sein, Barrieren abbauen und voneinander lernen. Auch für uns ist es wichtig, mehr von den Menschen zu lernen, die von Behörden entwürdigend behandelt werden“, erklärt Hauke seine Motivation für sein Engagement.
„Menschen ohne deutschen Pass werden oft vom System sogar ausgeschlossen“, berichtet der Dortmunder Student weiter: „Wir können Menschen keine Würde geben – die haben sie bereits – sondern versuchen vielmehr zu einem menschenwürdigen Verhältnis beizutragen.“
Kaffee als Gesprächsöffner: Was brauchen die Menschen auf der Straße wirklich?
Bei einem Kaffee -beliebt mit Milch und viel Zucker- begegnen die Aktiven von „Menschenwürde to Go“ den Menschen auf Augenhöhe. So erfahren sie viel über deren Sorgen und Nöte: Lange Zeit gab es keine Dusch- und Waschmöglichkeiten. Erst seit dieser Woche können Menschen in der Leuthardstraße 5-7 wieder duschen.
Da dies jedoch lediglich an drei Tagen in der Woche möglich ist, fehle an anderen Tagen weiterhin die Möglichkeit eine Toilette zu benutzen und sich anschließend die Hände waschen zu können, berichteten viele auf der Straße lebende Menschen. Die Angst vor allem in Unterkünften beklaut zu werden sei groß, so bleiben viele lieber allein oder zu zweit über Nacht auf der Straße. Außerdem fehle häufig das nötige Kleingeld, um die Unterkunft zu bezahlen, beklagten viele.
Mit der Zeit wurde der Kaffee so lediglich zum Gesprächsöffner. Die jungen Menschen der Gruppe „Menschenwürde to Go“ informieren mittlerweile vielmehr darüber, wann und wo man derzeit eine warme Mahlzeit zu sich nehmen, ein Lunchpaket abholen oder sich waschen und anschließend neue Kleidung erhalten kann. So entstanden über die letzten vier Wochen zahlreiche Kontakte und gegenseitiges Vertrauen.
Freiwillige und Spenden werden weiterhin gebraucht
Auch andere Dortmunder*innen unterstützen die Gruppe bereits sehr engagiert. Viele haben sich der Gruppe angeschlossen und versorgen die Menschen vor Ort mit Getränken, Snacks und Informationen, andere haben sich finanziell oder mit einer Sachspende beteiligt. Das momentane Interesse ist groß.
Die Gruppe „Menschenwürde to Go“ erhofft sich nach der Pandemie, auch weiterhin für die Menschen da sein zu können, sich mit anderen Aktiven in der Stadt zu vernetzen, um auch politisch die Situation der wohnungs- und obdachlosen Menschen zu verbessern.
Bei Interesse an Mitarbeit oder dem Wunsch für die bedürftigen Menschen zu spenden erreicht man die Gruppe unter der E-Mail-Adresse: menschenwuerdetogo@riseup.net
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