Zum Weltflüchtlingstag erzählen vier Frauen ihre Geschichte

Trotz Arbeitskräftemangel haben Geflüchtete noch Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt

Olena Mashkina (l.) und Viktoriia Chernova (r.) sind zwei Frauen, die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind und nun in der Orthopädie-Schuhtechnik von Michael Vogler angestellt sind.
Olena Mashkina (l.) und Viktoriia Chernova (r.) sind zwei Frauen, die aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind und nun in der Orthopädie-Schuhtechnik von Michael Vogler angestellt sind. Foto: Chimène Goudjinou

Am Weltflüchtlingstag (20. Juni 2024) reichte ein Blick in die großen Schaufenster der Orthopädie-Schuhtechnik von Michael Vogler, um eine große Gruppe von „Anzugträger:innen“ in dem Familienbetrieb in Dortmund-Lanstrop zu sehen. Entgegen aller Vermutungen waren sie nicht dort, um um sich Schuhe anfertigen zu lassen, sondern sich die Geschichten vier geflüchteter Frauen anzuhören und in den Austausch zu gehen. Vor Ort berichtete eine der Frauen von Schwierigkeiten bei der Jobsuche, aber auch Vorurteilen gegenüber syrischen Geflüchteten.

Einstieg in die Beschäftigung trotzt schlechtem Deutsch

Anlässlich des Weltflüchtlingstages kamen vier Frauen, die aus Syrien und der Ukraine nach Deutschland geflohen sind, mit Mitgliedern des Bundestages, des Landtags, dem Geschäftsführer des Jobcenters Dortmund sowie der Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Dortmund zu einem Gespräch zusammen.

Anlässlich des Weltflüchtlingstags organisierte das Jobcenter einen Austausch zwischen geflüchteten Frauen und Akteur:innen der Politik.
Anlässlich des Weltflüchtlingstags organisierte das Jobcenter einen Austausch zwischen geflüchteten Frauen und Akteur:innen der Politik. Foto: Chimène Goudjinou

Bei den vier Frauen handelt es sich um Razan Rkbey, die im Jahr 2016 alleine aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist, Viktoriia Chernova, Hanna Tarasova und Olena Mashkina, die aus der Ukraine geflohen sind.

Für Chernova und Mashkina ist die Orthopädie-Schuhtechnik von Michael Vogler kein unbekannter Ort, denn sie gehören mittlerweile zum Team des Familienbetriebs. Vogler suchte für seinen Betrieb Schuh- und Lederwarenstepper:innen und hat sich dementsprechend mit seinem Unternehmen am „Job-Turbo“ beteiligt.

Michael Vogler (r.) beteiligte sich mit seinem Unternehmen am „Job-Turbo“ und stelle zwei Ukrainische Frauen bei sich ein.
Michael Vogler (r.) beteiligte sich mit seinem Unternehmen am „Job-Turbo“ und stelle zwei Ukrainische Frauen bei sich ein. Foto: Chimène Goudjinou

„Ich habe zwei Damen aus der Ukraine bekommen. Mit denen versuchen wir jetzt, unsere orthopädischen Maßgeschäfte hinzubekommen“, sagt Vogler.

Vogler hat Chernova im März 2024 als Schuh- und Lederwarenstepperin eingestellt und zwei Monate darauf Mashkina. Diese ist wie Chernova im Jahr 2022 nach Deutschland gekommen, jedoch spricht sie nicht so gut Deutsch wie ihre Kollegin.

Genau darauf zielt „Job-Turbo“ ab. Trotz schlechter Sprachkenntnisse sollen Arbeitgeber:innen Geflüchteten eine Chance geben und ihnen den Spracherwerb am Arbeitsplatz ermöglichen. Im Fall von Mashkina sollen sie und ihre Arbeitskollegin Chernova ein Sprach-Tandem bilden, damit sie die deutsche Sprache erlernt.

„Job-Turbo“: Eine Möglichkeit für Geflüchtete schneller in die Beschäftigung zu kommen

Was ist der „Job-Turbo“ überhaupt? Mit dem „Job-Turbo“ möchte die Bundesregierung Geflüchtete schneller in den Arbeitsmarkt integrieren. „Der Job-Turbo ist eine Intensivierung unseres normalen Geschäfts. Es ist kein Sonderprogramm.

Marcus Weichert, Geschäftsführer des Jobcenters Dortmund beschreibt den „Job-Turbo“ als eine „Intensivierung des normalen Geschäfts“.
Marcus Weichert, Geschäftsführer des Jobcenters Dortmund beschreibt den „Job-Turbo“ als eine „Intensivierung des normalen Geschäfts“. Foto: Chimène Goudjinou

Es geht darum. dass wir verstärkt gucken wie man diesen Menschen in ihrer individuellen besonderen Lebenslage noch besser helfen kann“, sagt Marcus Weichert, Geschäftsführer des Jobcenters Dortmund. Es kommt vor, dass bei der Flucht Papiere zu erworbenen Qualifikationen verloren gehen und auch wenn Geflüchtete alle Papiere haben, nicht alles anerkannt wird.

Auch für die aus Syrien geflüchtete Razan Rkbey ist das nichts Neues: „Ich habe in Syrien Finance und Banking studiert und dachte, dass das als Bankkauffrau anerkannt wird. Das war aber nicht der Fall. Meine Qualifikationen hätten nur zur kaufmännischen Assistentin gereicht. Doch war das nicht mein Ziel“. Ihr Ziel war es sich in Zukunft auch selbstständig machen zu können.

„Ich habe mehr als 150 Bewerbungen verschickt. Wenn bekam ich keine Antwort oder mir wurde abgesagt“, berichtet Razan Rkbey (l.), die im Jahr 2016 alleine aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist.
„Ich habe mehr als 150 Bewerbungen verschickt. Wenn bekam ich keine Antwort oder mir wurde abgesagt“, berichtet Razan Rkbey (l.), die im Jahr 2016 alleine aus Syrien nach Deutschland geflüchtet ist. Foto: Chimène Goudjinou

Demnach entschied sich Rkbey für eine Umschulung als Steuerfachangestellte und bestand auf Anhieb. Daraufhin kam dann aber die nächste Hürde: die Anstellung in einen Betrieb. „Ich habe mehr als 150 Bewerbungen verschickt. Wenn bekam ich keine Antwort oder mir wurde abgesagt“, berichtet die alleinerziehende Mutter.

Jens Peick, Abgeordneter der SPD im deutschen Bundestag kann das angesichts des Arbeitskräftemangels nicht verstehen. Seiner Meinung nach muss bei den Unternehmen ein Umdenken stattfinden. Dazu gehöre wie man andere Arbeitszeitmodelle schafft, aber auch die Aufnahme von Menschen mit anderem Betreuungsbedarf.

Obwohl die Arbeitslosigkeit steigt konnte die Agentur für Arbeit in den letzten vier Jahren einen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen in Dortmund aber auch bundesweit vermerken. Laut Heike Bettermann, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Dortmund, speiste sich das Beschäftigungswachstum der letzten vier Jahre stärker aus Personen mit ausländischem Pass (+9.862/+32,4 %) und schwächer aus „inländischen“ Personen (+7.734/3,6 %).

Anonymisierte Bewerbungen als Folge eines nicht diskriminierungsfreien Arbeitsmarkts

Die Zahlen der Agentur für Arbeit hinterlassen den Eindruck eines aufgeschlossenen Arbeitsmarkts. Weit gefehlt, denn nach Volkan Baran, SPD-Landtagsabgeordneter, sehe die Realität ganz anders aus: „Obwohl wir jetzt aktuell einen ganz starken Arbeitnehmermarkt haben, mit ganz vielen offenen Stellen, ist dieser Arbeitsmarkt aber noch nicht ganz Diskriminierungsfrei“.

V.l.n.r.: Razan Rkbey, Hanna Tarasova, Jens Peick (MdB), Heike Bettermann (Agentur für Arbeit), Volkan Baran (MdL), Nadja Lüders (MdL), Marcus Weichert (Jobcenter), Victoriia Chernova, Markus Kurth (MdB), Michael Vogler (Orthopädie-Schuhtechnik Vogler), Olena Mashkina
V.l.n.r.: Razan Rkbey, Hanna Tarasova, Jens Peick (MdB), Heike Bettermann (Agentur für Arbeit), Volkan Baran (MdL), Nadja Lüders (MdL), Marcus Weichert (Jobcenter), Victoriia Chernova, Markus Kurth (MdB), Michael Vogler (Orthopädie-Schuhtechnik Vogler), Olena Mashkina. Foto: Chimène Goudjinou

Und so hat Rkbey irgendwann nur noch anonymisierte Bewerbungen rausgeschickt, um als geflüchtete alleinerziehende Frau eine größere Chance auf ein Vorstellungsgespräch zu haben. „Viele stellen sich vor das wir Sprachdefizite haben, weil wir aus einem außereuropäischen Land kommen“, erzählt Rkbey, die in der Vergangenheit mit vielen Vorurteilen gegenüber Syrer:innen konfrontiert wurde.

Irgendwann hat es geklappt und sie wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Nun ist sie seit März 2024 in Teilzeit als Steuerfachangestellte tätig. Geschichten wie die von Rkbey zeigen, dass noch viel getan werden muss, damit geflüchtete Menschen noch besser unterstützt werden können. So betonten Weichert und Bettermann die Bedeutung solcher gemeinsamer Austauschformate mit allen Beteiligten, um die Integration geflüchteter Menschen weiter voranzutreiben.


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Reaktionen

  1. w. knöfel

    Den Artikel fand ich sehr wichtig, und wollte dafür danken.

    Selbst arbeite ich als Integrationskurslehrer. Da kann man die Situation Geflüchteter und ihre Schwierigkeiten, Arbeit zu finden, hautnah verfolgen. Selbst Zahnärzten aus Syrien wird ihre Qualifikation nicht anerkannt, bzw. dürfen sie erst arbeiten, wenn sie Deutsch auf C1 Niveau sprechen.

    Man erlebt leider oft, wie sich die Bürokratie selbst auf dem Fuß steht.

  2. Norbert

    Gibt es den Arbeitsagenturen und Politiker als Arbeitgeber mit gutem Beispiel voran? Oder ist da die Integrationsquote noch geringer als im Durchschntt?

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