Tage demokratischen Zorns: Bürgerforum „Nord trifft Süd“ zum Thema „Kampf gegen Rechts in den Stadtteilen“

Bei der Reinigungsaktion hatten die Aktiven vor allem die Nazipropaganda im Blick.
Vor allem in Dorstfeld findet sich an vielen Ecken Nazipropaganda. Foto: Alex Völkel

Von Clemens Schröer

Das 13. Bürgerforum „Nord trifft Süd – Dortmund queerbeet“ des Planerladens und der Auslandsgesellschaft widmete sich dem Thema „Kampf gegen Rechts in den Stadtteilen“.  VertreterInnen der antinazistischen Runden Tische und Bündnisse aus Dorstfeld, Lütgendortmund und Huckarde, des Bezent e.V. aus der Nordstadt sowie der Städtischen Koordinierungsstelle diskutierten mit dem Publikum und Moderator Kay Bandermann (WDR).

Ist Dorstfeld ein Nazikiez? Vielfältige Aktivitäten der DemokratInnen

Bürgerforum „Nord trifft Süd: „Im Stadtteil gegen Rechts aktiv“. Reinhold Klüh, 1. Vorsitzender DJK Eintracht Dorstfeld
Reinhold Klüh ist der 1. Vorsitzende des DJK Eintracht Dorstfeld. Foto: Klaus Hartmann

Zunächst war Dorstfeld an der Reihe, mit Reinhold Klüh vom Sportverein DJK Eintracht Dorstfeld und Hartmut Anders-Hoepgen von der „Städtischen Koordinierungsstelle für Vielfalt und Toleranz“, die beide beim „Runden Tisch für Toleranz und Verständigung in Dorstfeld“ mitarbeiten.

Den demokratischen Zorn der Dorstfelder Sportler weckten die Nazis vor neun Jahren, als sie spätabends ein Sportfest des Vereins übernehmen wollten, indem sie die Anwesenden gezielt einschüchterten.

In der Folge positionierte sich der Verein klar antinazistisch. Ein Fußballtrainer, der ein Naziaktivist war, wurde aus dem Verein ausgeschlossen, denn er sollte die Kinder und Jugendlichen nicht manipulieren können.

Die Jugendarbeit wurde verstärkt, Highlight war das Video „Integration bewegt uns“, bei dem 40 bis 50 Sportler mitmachten sowie Reinhard Rauball und Ilkay Gündogan vom BVB Pate standen.

Dieses Motto ziert auch das Vereinstrikot und es soll auch wie ein Bannzauber wirken: Rechte zögen sowas nicht an.

Wirtschaftlichen Strukturwandel: Auf Links folgte Rechts in Dorstfeld

Gegen angebliche Polizeigewalt hatten die Neonazis Anfang Januar demonstriert.
Gegen angebliche Polizeigewalt hatten die Neonazis Anfang Januar demonstriert. Foto: Völkel

Kay Bandermann wollte nun aber wissen, inwiefern Dorstfeld zum vorgeblichen „Nazikiez“ werden konnte.

Im Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels der 1970er/80er-Jahre, so Klüh und Anders-Hoepgen, gab es Wohnungsleerstände, immer mehr vernachlässigte Häuser, aber mit billigen Wohnungen.

Die linksalternative Szene, die sich zuerst dort breitgemacht hatte, sei dann, so ein Zeitzeuge aus dem Publikum, durch städtische Politik rausgeekelt worden. Nazis rückten nach, zogen zusammen, bildeten schließlich rund um den Wilhelmplatz, Emscher- und Thusneldastraße ein regelrechtes Nest.

Die Vermieter, auch die städtische DOGEWO und andere große Wohnungsgesellschaften, schauten viel zu lange weg. Als ob Brandstifter Biedermänner würden, wenn sie nur die Miete pünktlich zahlen und die Treppe ordentlich putzen.

Austrocknung der Dorstfelder Naziszene durch stärkere Sensibilisierung der Vermieter

In Dorstfeld machten Mitglieder des Runden Tischs gegen Rechts eine Reinigungsaktion am Wilhelmplatz.
In Dorstfeld machten Mitglieder des Runden Tischs gegen Rechts eine Reinigungsaktion. Foto: Völkel

Eine stärkere Sensibilisierung der VermieterInnen im Stadtteil will der Runde Tisch in Dorstfeld demnächst in Angriff nehmen.

Nicht nur die Dorstfelder BürgerInnen dürften es ihm danken, gehen doch von hier die wesentlichen Naziaktivitäten der Splitterpartei „Die Rechte“ in den anderen Dortmunder Stadtteilen und darüber hinaus aus.

Moderator Kay Bandermann erinnerte dann an die vielleicht dunkelste Stunde der Dorstfelder Zeit mit dem Neonazismus: Als es die Dorstfelder Zivilgesellschaft 2011 nicht vermochte, einer von Nazis brutal gemobbten Familie genügend Unterstützung zu geben, sodass die Familie schließlich aus dem Stadtteil flüchtete.

Verschärfter Raumkampf der Nazis – aber auch effektivere zivilgesellschaftliche Gegenwehr 

Die Neonazis reklamieren Dorstfeld und speziell das Viertel um den Wilhelmplatz für sich.
Die Neonazis reklamieren Dorstfeld und speziell das Viertel um den Wilhelmplatz für sich. Foto: Völkel

Seither sei aber einiges passiert, so Anders-Hoepgen: Die Polizei zeige stets Präsenz, nehme auch am Runden Tisch teil.

Kirchengemeinden führten Schulungen durch, wie man sich gegenüber Einschüchterungsversuchen der Nazis wehren könne.

Drei Dorstfelder Schulen zeigten Flagge als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Rekrutierungen Dorstfelder Jugendlicher seien den Nazis nicht gelungen, Szenezuwachs komme nur von außerhalb.  Außerdem biete der Verein „Back up“ Nazi-Opfern vielfältige Hilfe und Schutz.

Weil ihnen ähnliche Erfolge in anderen Dortmunder Stadtteilen nicht gelangen, konzentrieren sich die Naziaktivisten in ihrem „Raumkampf“ nun wieder verstärkt auf Dorstfeld. Wovon etwa die Invasion von Naziaufklebern und -Grafitis oder das nachmittägliche „Hofhalten“ auf dem Wilhelmplatz zeugten. Sankt Florian ist ein launischer Schutzpatron.

Jüngst belästigten Neonazis die Helfer der Reinigungsaktion auf dem Wilhelmplatz, an Silvester lieferten sie sich ein Scharmützel mit der Polizei, weswegen es demnächst wieder einmal vor Gericht geht.

Die Ostermarsch-Peinlichkeit 2016 – Polizei lässt Neonazis an Friedensdemo teilnehmen

Willi Hoffmeister gehört seit Jahrzehnten zu den Organisatoren des Ostermarschs.
Willi Hoffmeister gehört seit Jahrzehnten zu den Organisatoren des Ostermarschs. Foto: Völkel

Ehe es dann thematisch mit der Nordstadt weiter ging, ergriff der Antifaschist und Ostermarsch-Organisator Willi Hoffmeister das Wort.

Er erinnerte daran, dass vor gut 20 Jahren die Belegschaft der Westfalenhütte mit einer rustikalen Demonstration den Plänen der neonazistischen FAP um Siegfried Borchardt den Garaus machte, in der Nordstadt ihr Parteibüro aufzumachen.

Überhaupt kein Verständnis hatte der Friedensveteran, dass die Dortmunder Polizei es den Neonazis jüngst gestattete, sich in Dorstfeld beim Ostermarsch als angebliche TeilnehmerInnen unter die Demonstrierenden zu mischen.

Bezent e.V. kämpft in der Nordstadt gegen rechte Fremdenfeindlichkeit 

Ekincan Genc berichtete dann von den zahlreichen Aktivitäten seines Vereins Bezent e.V. gegen Fremdenfeindlichkeit in der Nordstadt.

4. Tag der Solidarität gedenkt dem NSU-Mordopfer Mehmet Kubasik
Der 4. Tag der Solidarität gedachte dem NSU-Mordopfer Mehmet Kubasik. Foto: Klaus Hartmann

Ursprünglich eine linke Arbeiterorganisation der DDIF mit heute ca. 140 Mitgliedern, kämpft Bezent weiterhin gegen Tendenzen der Ausbeutung und Spaltung der Gesellschaft und schließt sich im Rahmen seiner gewerkschaftlichen Arbeit etwa der Mai-Demonstration des DGB an.

Es gibt vielfältige politische, kulturelle und soziale Bildungsangebote. Seit vier Jahren erinnert Bezent mit einem immer größeren Programm an den Mord des neonazistischen NSU an Mehmet Kubasik am 4. April 2006, mit Diskussionen, Filmen, Vorträgen.

Zum zehnten Todestag Mehmet Kubasiks in diesem Jahr nahmen ca. 500 Menschen und über 30 Vereine und Organisationen an einem Trauermarsch von seinem Todesort in der Mallinckrodtstraße bis zur Gedenkveranstaltung am NSU-Mahnmal vor der Auslandsgesellschaft teil.

Streitfrage: „Kampf“ oder „Engagement“ gegen Rechtsextremismus?

Bürgerforum „Nord trifft Süd: „Im Stadtteil gegen Rechts aktiv“. Moderation Kay Bandermann
Bürgerforum „Nord trifft Süd: „Im Stadtteil gegen Rechts aktiv“ – Moderator Kay Bandermann. Foto: Hartmann

Moderator Bandermann problematisierte dann Gencs Lieblingsvokabel „Kampf“ und fragte, ob nicht auch „Engagement“ oder „Einsatz“ genügten. Damit spielte er auf Differenzen unter den Dortmunder Nazi-Gegnern an.

Es gibt sie hinsichtlich der Ziele: Genügt die Verteidigung der deutschen Demokratie und ihrer menschenrechtlichen Grundwerte oder muss man weitergehen in Richtung einer sozialistisch-anarchistischen Umgestaltung?

Uneinigkeit herrscht auch hinsichtlich der Methoden: Liegt die äußerste Grenze in zivilgesellschaftlichem, friedlichem Ungehorsam oder aber könnten im Extremfall auch militante, gewaltsame Mittel erlaubt sein?

Ekincan Genc meinte dazu, die Gefahr, die von den Nazis ausgehe, sei weiterhin so groß, dass man dagegen kämpfen müsse. Er erinnerte an die Nazi-Demonstration Ende Dezember 2014 in der Nordstadt, als die Nazis sich mit den NSU-„Kameraden“ gemein machten und lauthals höhnten: „Mehmet hat´s erwischt.“ Blockaden seien erlaubt, Steinewerfen etc. aber nicht.

Wie lässt sich das gesellschaftliche und politische Engagement der Migrationsgesellschaft stärken?

Migranten machten den Neonazis lautstark deutlich, dass sie in der Nordstadt nicht willkommen sind.
Migranten machten den Neonazis lautstark deutlich, dass sie nicht willkommen sind. Foto: Völkel

Bandermann legte anschließend den Finger in eine andere offene Wunde: Wie könne man das gesellschaftliche und politische Engagement der Nordstädter mit Migrationshintergrund stärken, derer mit deutschem Pass und derer noch ohne?

Er verwies auf die extrem geringe Wahlbeteiligung in der Nordstadt. Was könne Bezent hier leisten? Genc hielt zuerst einmal fest, dass sich leider viele migrantische Nordstädter wirtschaftlich und sozial abgehängt fühlten und auch nicht sähen, dass sich Politik und Mehrheitsgesellschaft genügend um sie kümmerten.

Auch der Mord an Mehmet Kubasik und der anschließende beschämende Umgang der Sicherheitsbehörden mit der Familie des Opfers wirkten nach. Aber Bezent sei klar, dass der Verein verstärkt zu den Jugendlichen in Schule und Betrieb gehen müsse, um sie zu aktivieren.

Huckarde und Lütgendortmund – erfolgreicher Kampf gegen Parteibüro der „Rechten“

Die Partei "Die Rechte" wollte ihr Parteibüro in Huckarde eröffnen.
Die Partei „Die Rechte“ wollte ihr Parteibüro in Huckarde eröffnen – bisher vergeblich. Foto: Alex Völkel

Ulla Hawinghorst, grüne Ratsfrau aus Huckarde, stellte dann die Aktivitäten des „Bündnis gegen Rechts“ in ihrem Stadtteil vor.

Als „Die Rechte“, Dortmunder Nachfolgeorganisation des 2012 verbotenen „Nationalen Widerstands Dortmund“ (NWDO), in Huckarde ein Haus kaufte, um dort ihre Geschäftsstelle einzurichten, regte sich breiter zivilgesellschaftlicher Widerstand, zunächst wöchentlich wurde demonstriert.

Dies, und baurechtliche Einsprüche haben das Projekt derzeit auf Eis gelegt. Ein weiterer Erfolg: Als die Nazis eine Aktion gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Bövinghausen durchführten, gelang es, auch den örtlichen Einzelhandel zu mobilisieren.

Rechtspopulistische Mobilisierung gegen geplante Flüchtlingserstaufnahme

Die BürgerInnen machten ihre Meinung zur Neonazis-Mahnwache deutlich. Foto: Alex Völkel
Die BürgerInnen machten ihre Meinung zur Neonazis-Mahnwache deutlich. Foto: Alex Völkel

Die beiden christlichen Kirchen schlugen mit einem cleveren Schachzug im Rahmen des Demonstrationsrechts zurück: Zeitgleich gab es ein Friedensgebet, und genau 15 Minuten, nachdem die Nazikundgebung gestartet war, übertönte ohrenbetäubendes Kirchengeläut die fremdenfeindlichen Hetzparolen.

Von Pfarrern, die im vollen christlichen Ornat Protestdemonstrationen gegen Nazi-Kundgebungen anführten, wusste auch Bodo Weihrauch, der Vertreter des „Runden Tisches gegen politischen Extremismus“ aus Lütgendortmund, zu berichten.

Als 2011 die Zentrale Kommunale Unterbringungseinrichtung im Grevendicksfeld aufgemacht wurde, sahen die Neonazis ihre Stunde gekommen.

Die Lütgendortmunder hätten zunächst auf ein Willkommensfest verzichtet, weil sie fürchteten, das könne die Nazis anlocken. Das aber sei falsch gewesen, weil so der Eindruck entstand, die Nazis hätten die Lufthoheit im Bezirk übernommen.

Vielfältige Kontakte mit Geflüchteten gegen Fremdenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft

Bürgerforum „Nord trifft Süd: „Im Stadtteil gegen Rechts aktiv“
Bürgerforum „Nord trifft Süd zum Thema „Im Stadtteil gegen Rechts aktiv“. Foto: Klaus Hartmann

Um Ängste in der Bevölkerung abzubauen, müssten die Einheimischen mit den Geflüchteten frühzeitig und vielfältig in Kontakt kommen und dies sollten auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen aktiv herbeiführen, waren sich beide Diskutanten einig.

Aktuell die vielleicht größte Gefahr drohe von Rechtspopulismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft, wie sie sich derzeit durch den Anstieg der Geflüchtetenzahlen und die beginnenden Integrationsanstrengungen zunehmend Bahn brechen.

Diese Überlegungen flossen dann in die Schlussbetrachtungen ein: Es sei wirkliches Durchhaltevermögen erforderlich, denn oftmals dann, wenn man glaubt, die Nazis und rechte Menschenfeindlichkeit „besiegt“ zu haben, können sich die Rahmenbedingungen wieder so verändern, dass sie Morgenluft schnuppern – und der Kampf geht weiter.

Um ihn zu bestehen, sollten die einzelnen Organisationen sich besser vernetzen und auch ihre „best practice“-Erfahrungen, von denen hier nur ein paar Beispiele wiedergegeben werden konnten, weitergeben.

Aufruf zum „Tag des demokratischen Zorns“ am 4. Juni 2016

Am Samstag, den 4. Juni aber, so Hartmut Anders-Hoepgen, gehe es einmal nicht um die Mühen der Ebenen, sondern darum, einem bundesweit beworbenen Nazi-Auftrieb in unserer Stadt mit einem gewaltigen „Tag des demokratischen Zorns“ zu begegnen.

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