Dortmund: Streit um Wohnsitzauflage für Flüchtlinge – Wahlkampfgeplänkel oder ernstes humanitäres Problem?

In den beiden Traglufthallen auf der Stadtkrone-Ost sollten 600 Flüchtlinge untergebracht werden.
Ein Kraftakt war die Flüchtlings-Unterbringung. Doch die großen Notlösungen werden nicht mehr gebraucht.

9300 Flüchtlinge – mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus – gibt es aktuell in Dortmund. Die Aufregung und Anspannung der vergangenen drei Jahre scheint Geschichte: „Es ist sehr stark Ruhe eingekehrt“, zieht OB Ullrich Sierau ein Zwischenfazit. Die Menschen sind überwiegend dezentral in eigenen Wohnungen untergebracht. „Das war eine herausragende Leistung“, so Sierau. Vor allem Kitas und Schulen sieht er noch stark gefordert.

Kritik von Linken und Piraten am Dortmunder Umgang mit der Wohnsitzauflage

Train of Hope, Veranstaltung: Wir sind die Welt! Fatma Karacakurtoglu, 1. Vorsitzende Train of Hope Dortmund
Fatma Karacakurtoglu kritisiert den Dortmunder Umgang mit der Wohnsitzauflage für Flüchtlinge.

Doch ist alles Friede, Freude, Eierkuchen? Nicht für Linke und Piraten: Sie kritisieren die Umsetzung der sogenannten Wohnsitzauflage.

Sie ermöglicht es Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, anerkannte Flüchtlinge in die Städte und Bundesländer zurückzuschicken, in denen sie seit Januar 2016 erstmals registriert wurden. Doch die Stadt Dortmund hatte deutlich gemacht, im Sinne der Flüchtlinge zu entscheiden.

„Alleine mir persönlich sind über 50 Personen bekannt, denen ein Umzug nahegelegt wurde. Viele dieser Menschen hatten schon eine eigene Wohnung bezogen. Aber sie nehmen noch nicht an einem Integrationskurs teil, der sie momentan vor dieser Form der Abschiebung schützen könnte“, kritisiert die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion „Linke & Piraten“, Ratsfrau Fatma Karacakurtoglu.

Aber auf einen Platz in einem Integrationskurs müsse man ewig warten. „Und machen wir uns nichts vor: Welcher Flüchtling traut sich schon, gegen eine Behörde Einspruch einzulegen? Und wer kämpft, wenn er einfach keine finanziellen Leistungen mehr vom Dortmunder Jobcenter bekommt?“, betont die Linken-Politikerin.

Auch ihrer Fraktionskollegin Nadja Reigl sind solche Vorfälle bekannt: Auch sie hat erfahren, dass Flüchtlinge schriftlich von der Ausländerbehörde aufgefordert wurden, die Stadt zu verlassen. Nadja Reigl: „Das Jobcenter verkürzt ihre Bewilligungszeiträume für Leistungen und übt so Druck aus.“

Sierau und Jägers vermuten dahinter Wahlkampfgeplänkel und Unwissenheit

Diane Jägers informierte über die Entwicklungen.
Dezernentin Diane Jägers weist die Kritik zurück und wittert Wahlkampfgeplänkel.

Eine Kritik, die man im Dortmunder Verwaltungsvorstand überhaupt nicht versteht.

Für OB Ullrich Sierau ist das schon Wahlkampfgebimmel: „Es wäre manchmal gut, man würde sich mit den Sachen befassen. Die Kritik ist relativ durchsichtig, weil man sonst nichts zu meckern hat, hier etwas an den Haaren herbei zu ziehen. Ich kann Linken und Piraten nur raten, sich sachlicher damit auseinanderzusetzen.“

Die Rechts- und Ordnungsdezernentin Diane Jägers (CDU) weist diese Kritik ebenfalls zurück: „Für unsere Entscheidung nehmen wir das Gesetz als Grundlage – und das Gesetz heißt Integrationsgesetz“, so Jägers.

„Wer schon lange vor der Wohnsitzauflage Sprachkurse belegt hat, Kinder in Kita oder Schule hat oder ähnliche Integrationsschritte gegangen ist, bleibt hier. Das ist die Maßgabe für die Ausländerbehörde.“

Es habe eine Handvoll Einzelfälle gegeben, wo genauer hingeschaut wurde. Dazu habe es viel „Begleitmusik“ gegeben.

Stadt wendet die Wohnsitzauflage für Flüchtlinge erst nach dem 6. August strikt an

Insgesamt kamen hier rund 300.000 Flüchtlinge an. Allein 166.000 waren es im vergangenen Jahr.
Gehen oder bleiben? Für die Stadt ist entscheidend, wann die Flüchtlinge angekommen sind.

Sie machte aber ebenso klar, dass die Stadt als Stichtag die Entscheidung der Wohnsitzauflage ernst nehme: „Klar ist, dass die Flüchtlinge, die nach dem 6. August 2016 ohne Zuweisung nach Dortmund gekommen sind, dann zurückgeschickt werden.“

Dabei gehe es auch um den Kostendruck: „Als Kommune bleiben wir auf einem Großteil der Kosten sitzen. NRW erstattet nur anteilig – anders als andere Bundesländer“, so Jägers.

In diesem Zusammenhang verwies die Dezernentin darauf, dass NRW  – anders als andere Bundesländer – die Verantwortung sehr ernst nehme und im vergangenen Jahr deutlich mehr Flüchtlinge aufgenommen habe, als dies der Verteilungsschlüssel vorsehe.

Der Königsteiner Schlüssel sieht vor, dass NRW 23 Prozent der in Deutschland angekommenen Flüchtlinge aufnehme. Aufgenommen worden seien aber 30 Prozent.

Wer sich nach dem 6. August nicht an die Regelung halte, werde darauf hingewiesen: „Ich kann die Kritik nur als vorgezogenes Landtagswahlgeplänkel sehen. Sie sind uns ja die Einzelfälle schuldig geblieben. Solange ich die Fälle nicht kennenlernen darf, empfinde ich die Kritik als aus der Luft gegriffen.“, so Jägers.

Reader Comments

  1. Nadja Reigl

    „Wahlkampfgebimmel“?! So ein Schwachsinn…
    An allen Ecken hören wir von Menschen, die sich ehrenamtlich für und mit Geflüchteten engagieren, dass da auf Umwegen Druck auf die geflüchteten Menschen ausgeübt wird – z.B. halt durch die Verkürzung der Bewilligungszeiträume. Aber man hört ja auch, dass die Verwaltung wohl Probleme hat, einen Termin zu finden, um einfach mal mit den Helferinnen und Helfern zu sprechen…

    Ich persönlich finde es genauso erschreckend wie die vielen Ehrenamtlichen, dass aus der großartigen Willkommenskultur nun in vielen Bereichen eine regelrechte Abwehrhaltung geworden ist und die Integration erschwert, statt endlich erleichtert, wird.

  2. Cornelia Wimmer

    Ungläubig staunend lese ich, dass die Geflüchteten überwiegend dezentral in eigenen Wohnungen untergebracht seien. – Angesichts dieser Aussage ist z.B. die Flüchtlingsunterkunft in Mengede, zu der ich Kontakt habe, doch erstaunlich voll.
    Ich suche seit 10 Wochen erfolglos eine Wohnung für ein syrisches Paar, das im Februar ein Kind erwartet, mithin mit gewisser Dringlichkeit seine 1-Zimmer-Unterkunft im Flüchtlingsheim verlassen will. Nichts zu machen. Die Wohnungsbaugesellschaften sagen nein, weil die amtlich verbriefte Aufenthaltsdauer nicht ausreiche. Der private Wohnungsmarkt scheint bis zum letzten Quadratmeter leergefegt. – Eigene Wohnung? Die, die ich kenne, haben keine.

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