„Das passiert, wenn man durch ständiges Klagen und sich mit aller Macht Wehren – seit über 10 Jahren – erst Rewe und dann Edeka verprellt. Nun muss man mit dem leben, was übrig bleibt, thats life“, hieß es kürzlich in einem Kommentar zu unserem Bericht in jener Angelegenheit, die in Dortmund-Dorstfeld seit gefühlten Ewigkeiten debattiert wird. Bereits im März befasste sich die Bezirksvertretung (BV) Innenstadt-West erneut mit der Bebauung der Frerich-Wiese in Unterdorstfeld. Auch in dieser Woche stand das Thema auf der Tagesordnung. Denn die CDU-Fraktion lehnt mittlerweile das dort anvisierte Discounter-Projekt ab. Und wollte dies durch einen öffentlichkeitswirksamen Beschlussantrag dokumentiert wissen. Lediglich eine gemeinsame politische Erklärung sollte es werden – denn in der Sache selbst hat die BV nichts mehr zu melden.
Baumfällung: Auf der Frerich-Wiese wurden im Februar weitere Fakten geschaffen
„Der Bebauungsplan steht, die Baugenehmigung ist erteilt“, konstatiert Astrid Cramer von Bündnis 90/Die Grünen während der BV-Sitzung. Es kann jederzeit zum ersten Spatenstich kommen. Insofern: das Ding ist durch, das wissen alle. Bei ihrer Fraktion, aber auch den Linken drückt der Schuh eher woanders. ___STEADY_PAYWALL___
Für die Fraktionssprecherin der Grünen geht es „um das Verhalten der Verwaltung gegenüber einem Gremium wie der Bezirksvertretung.“ Zumal eben viele hier mit dem städtischen Handlungsresultat, dem Dorstfelder Bauvorhaben, so wie es jetzt auf der Frerich-Wiese realisiert werden soll, alles andere als glücklich sind.
Dass in der Angelegenheit selbst aber die Würfel gefallen sind, war erst kürzlich zu beobachten, als auf dem Grundstück Fakten geschaffen wurden: Mitte Februar kam es dort ankündigungslos zur Fällung von ökologisch wichtigem Baumbestand. Dies soll nach der im Dezember letzten Jahres erteilten Baugenehmigung zwar möglich gewesen sein, doch von Umweltschützer*innen (BUND) hagelte es Kritik; auch kamen rechtliche Zweifel auf.
Antrag als eine rein politische Erklärung: Nein zu dem Planvorhaben „Netto-Discounter“!
Dennoch, unbestritten ist: die Angelegenheit entzieht sich (mittlerweile) den Kompetenzen der Bezirksvertretung Innenstadt-West. Das weiß natürlich auch der christdemokratische Fraktionssprecher, Jörg Tigges, als er den von seiner Partei eingebrachten Resolutionsentwurf begründet.
Es geht um ein Zeichen. Er stellt klar: „Der Antrag ist eine reine politische Erklärung. Es geht reinweg um die Frage, welche Haltung wir zu der Bebauung der Frerich-Wiese mit dem Netto Plus einnehmen.“ Und nicht etwa darum, „ob wir noch in irgendeiner Form Einfluss nehmen können oder die Baugenehmigung rechtmäßig, rechtswidrig ist.“
Ob es politisch gewollt sei, was die Verwaltung in Person von Planungsdezernent Ludger Wilde der BV Anfang März vorgestellt habe, das sei der Punkt bei ihrem Beschlussantrag, so der CDU-Sprecher. BV-Bürgermeister Friedrich Fuß korrigiert: Seinerzeit sei es eine Informationsveranstaltung gewesen, vor der BV-Sitzung, ohne einen Beschluss, sondern maximal mit einem Meinungsbild.
Nach CDU-Besinnung: Wer den Antrag ablehnt, ist für die Bebauung der Wiese
Das offenbar eine Mehrheit für den Discounter ergab, aber dergestalt seitens der Verwaltung auf dem Info-Treff auch ziemlich stark hervorgekitzelt sein muss – freundlich ausgedrückt. So zumindest lässt es sich aus mehreren Statements von Beteiligten heraushören.
Auch wegen ihrer Haltung zu diesem Zeitpunkt stößt der CDU-Resolutionsantrag in der BV-Sitzung nun allerdings auf Unverständnis. Die CDU, sie habe bei der Veranstaltung am 3. März noch gesagt: „Mit Bauchschmerzen stimmen wir zu“, bemerkt Benjamin Hartmann, stellv. Fraktionsvorsitzender der Grünen. Jetzt mache die Partei eine 180-Grad Kehrwende, setzte sich an die andere Seite des Tisches und wolle nun, dass Grüne und Linke sich rechtfertigten.
Denn CDU-Chef Jörg Tigges konnte sich zuvor nicht verkneifen: Wer ihren Antrag ablehne, wolle eben die entsprechende Bebauung auf der Wiese. Und in der Tat: Während sich FDP und Die Partei bei der Abstimmung enthalten, lehnen Grüne wie Linke, dazu die SPD den Vorstoß der Christdemokraten ab – und verhindern eine Annahme der vorgesehenen Erklärung: „Die Bezirksvertretung Innenstadt-West lehnt die Bebauung der Frerichwiese in Dortmund Dorstfeld mit einem Netto Discounter, sog. Netto Plus ab.“ Njet, hieß es dazu mehrheitlich in dem Gremium.
Kleinster gemeinsamer Nenner: ein Vollversorger soll in den Stadtteil kommen
Was veranlasste die Christdemokrat*innen zu ihrem Sinneswandel? Sich also jetzt dezidiert gegen das Planvorhaben in Unterdorstfeld auszusprechen? Da mag es einige Narrative geben. Selbstverständlich an die erste Stelle gehört das der politischen Urheber selbst. Allein: In nicht unbeträchtlichen Teilen dürften sich die zur Sache abgelieferten CDU-Einschätzungen mit denen anderer Fraktionen decken.
Sie hätten sacken lassen, „was uns da eigentlich zugemutet wurde“, sagt Jörg Tigges zu den Geschehnissen auf der Info-Veranstaltung mit der Stadtverwaltung im März. Und erklärt: Ja, das Planungsverfahren der Bebauung sei vielfach, auch kontrovers diskutiert worden. Jedoch: „Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den wir uns in der BV verständigt haben, war, dass wir die Bebauung der Frerich-Wiese nur dann wollten, wenn dort tatsächlich ein Vollversorger gebaut wird.“
Dahinter stand von Anfang an ein Eiertanz – eigentlich wie immer in solchen Fällen, solange Vernunft, mindestens aber der Verstand eine Rolle spielt: Es sei immer ein Abwägen zwischen Erhalten und Opfern – auch des dortigen Baumbestandes – gewesen, sagt der CDU-Politiker. Wobei für die Union irgendwann – beim für ihre Verhältnisse etwas ungewöhnlichen „Sackenlassen“ – die Waage gekippt zu sein scheint, nachdem sie mit den anderen Fraktionen im März von der Stadtverwaltung über deren Pläne als Fait accompli in Kenntnis gesetzt worden waren.
„Das war schlichtweg eine Zumutung und eine Überrumplung der anwesenden Lokalpolitiker“
Der CDU-Fraktionsführer beschreibt die Entwicklung, wie alles kam: Was da am Anfang auf der Frerich-Wiese geplant worden sei, wäre optisch ansprechend gewesen, ja. Hätte ein Anziehungspunkt in Dorstfeld werden/sein können. „Dafür kann man dieses ökologisch wichtige Stück Land opfern“, so ihr Resümee zu jener Zeit. Doch dann sei aus einem Rewe ein Edeka geworden. Und nun stünde am Ende ein Discounter. Zudem habe sich die Art der Bebauung geändert. Plötzlich sollte da ein „plumper Bauklotz“ hingestellt werden.
Es geht also – muss denn schon ökologische Qualität im Stadtteil schmerzhaft leiden – um die Sicherung zugänglicher Angebotsbreiten eines „Vollsortimenters“ wie Rewe und angemessener baulicher Umgebungseinpassungen, schließlich um eine nachhaltige Standortattraktivierung, die ihre Bezeichnung verdient. Statt für einen zusätzlichen wie schlicht-billigen Lebensmitteleinzelhandel vor den eigenen Haustüren rare Grün- und Erholungsflächen platt zu machen.
Da seien auch Begrifflichkeiten im Laufe des Verfahrens ausgetauscht, mit anderen Inhalten gefüllt worden, so Jörg Tigges weiter. Hier geht es vor allem um den Begriff „Vollversorger“ – und was denn darunter konkret zu verstehen sei.
Erbost fasst der CDU-Fraktionsführer mit Bezugnahme auf besagte Info-Veranstaltung zusammen: „Das, was jetzt vorgestellt wurde, das war schlichtweg eine Zumutung und eine Überrumplung der anwesenden Lokalpolitiker. Denn das hatte nichts mehr in irgendeiner Form mit dem zu tun, was wir seinerzeit gewollt haben.“ Sie fühlten sich von der Verwaltung vorgeführt, „auch ein Stück weit hintergangen“.
Kritik an der Stadtverwaltung aus der Bezirksvertretung Innenstadt-West
Auch die Fraktionen von Grünen und Linken sehen hier näheren Klärungsbedarf. Hinsichtlich des Zeitpunkts und der Weise, wie ihnen die Pläne nach der Edeka-Absage aus dem Dezernat der Dortmunder Stadtplaner*innen konkret vermittelt wurden. Immerhin handelt es sich bei der Bezirksvertretung um ein demokratisch gewähltes Organ für die konkrete Gestaltung des Stadtbezirks – und nicht um eine Ansammlung von Zuschauer*innen.
Da wären einige verständlicherweise gern eher informiert gewesen, statt vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Astrid Cramers Kritik: Dass die BV erst drei Monate darauf, im März diesen Jahres informiert worden sei, das sei das Problem, so die Grünen-Sprecherin. „Das ist, glaube ich, bei allen nicht so gut angekommen, die hier sitzen.“ Sie würden diesbezüglich im zuständigen Ausschuss beim Stadtrat (AKUSW) noch eine Anfrage an die Verwaltung stellen, sagt sie. Warnt aber zugleich: „Ich finde, man muss aufpassen, dass das Ganze nicht zur Posse wird.“
Denn die Verwaltung habe beim letzten Mal deutlich gemacht, „dass wir eigentlich gar keine Chance mehr haben“, so Cramer. „Wenn der Drops gelutscht ist“, dann sei es das eigentlich gewesen. Konsequenz: Keine Unterstützung für den CDU-Antrag; mindestens solle er zurückgestellt werden, bis die Antworten aus dem Ausschuss da seien. Anne-Renate Eberle pflichtet für Die Linke bei: Sie könne einen solchen Antrag wie von der CDU nicht beschließen, „weil das ja längst beschlossen worden ist von der Verwaltung“.
SPD spricht sich keineswegs gegen Netto-Discounter auf der Dorstfelder Frerich-Wiese aus
Aus der Ablehnungsfront des CDU-Ansinnens ist seitens der Dortmunder Alt-Genoss*innen hingegen wenig Kritik am Verwaltungshandeln zu hören. SPD-Fraktionsführer Olaf Meyer umkurvt den Konfliktpunkt und gibt zu Protokoll: Was da passiert wäre, damit sei er zwar nicht glücklich. Und meint damit nicht nur das aktuelle wie zweifelhafte Resultat der Ansiedlungsbemühungen.
Weil die weitergehende Frage für ihn lautet: Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Dass der Prozess über Jahre lief? Auch da gäbe es vermutlich eine Reihe nicht immer kongruenter Geschichten aus dem Stadtbezirk zu erzählen. Olaf Meyer jedenfalls ist fest davon überzeugt: Verwaltung, Politik und Investor hätten damals einen Rewe gewollt. Weil sich das Verfahren aber so sehr in die Länge gezogen habe, sei der letzte Vollversorger abgesprungen – Edeka eben.
Klärungsbedarf bei den Grünen an dieser Stelle: Weshalb Edeka eigentlich so kurzfristig abgesprungen sei, möchte Astrid Cramer wissen. Bezirksbürgermeister und Parteikollege Friedrich Fuß weiß zu helfen: Da habe es eine vertragliche Deadline gegeben, erklärt er. Die wäre wegen Corona von Edeka noch einmal um Monate verlängert worden. Als dann nichts geschah, stieg der Vollsortimenter endgültig aus. „Edeka ist auf der korrekten Seite“, stellt Fuß fest.
Obwohl Scheitern vorprogrammiert: CDU insistiert auf Abstimmung über ihren Resolutionsantrag
Für die Sozialdemokrat*innen, so wird deutlich, ist ein Discounter an dem Standort jedenfalls besser als nichts. Olaf Meyer betont: Es gäbe in Dorstfeld Für- und Wider-Stimmen in der Angelegenheit. „Das kann man nun sehen, wie man will. Ich bin nicht glücklich damit, kann aber durchaus damit leben, weil ich glaube, dass wir dort einen Versorger brauchen.“ Zudem sei auf Synergieeffekte an Ort und Stelle zu hoffen.
Grüne und Linke beziehen zu der Angelegenheit selbst – zu einem weiteren Lebensmitteldiscounter – in der BV-Sitzung keine klar erkennbare Position. Weil für sie der Zug eben schlicht abgefahren, eine Umsetzung des Planvorhabens nicht mehr aufzuhalten ist. Der Rest wäre wohl vergebliche Liebesmüh, ein Streit um des Kaisers Bart.
Ihre Ablehnung des CDU-Beschlussantrages ist aber offenbar auch politisch motiviert. Geschieht aus dem Verdacht heraus, sich andernfalls vor die Karre der CDU spannen zu lassen. Denn die wollte, obwohl klar war, dass ihr Antrag scheitern wird, auf alle Fälle abstimmen lassen. Die Menschen draußen hätten das Recht, zu wissen, wie sich politische Parteien zu dieser Bebauung der Wiese stellen, begründet Fraktionschef Tigges die insistierende Haltung seiner Partei.
Randnotiz wie Hinweis auf die Unstimmigkeiten zwischen BV und Stadtplanung: Es solle an diesem Punkt nicht wie üblich ein Ergebnis-, sondern ein Wortprotokoll angefertigt werden, fordert Grünen-Politikerin Cramer. Denn in der Verwaltung ginge man offenbar von der Annahme aus, es hätte Einstimmigkeit in der BV zur Sache gegeben. Hatte sie aus ihrer Ratsfraktion läuten gehört. Was mitnichten der Fall ist, wie deutlich wurde. BV-Bürgermeister Friedrich Fuß konstatiert fast salomonisch: „Wir sind alle unzufrieden.“ Jeder hätte da recht.
Zwei Abschiede aus der Geschäftsführung der Bezirksvertretung Innenstadt-West
Am Ende der BV-Sitzung dann noch warme Worte, aber auch ein Bedauern vom Bezirksbürgermeister wegen eines zweifachen Personalwechsels: „Der König geht, die Königin kommt.“ Es sei leider so.
In einer schnelllebigen Gesellschaft geschieht das fast Unvermeidliche. Konkret hat Oliver Krauß einen weiteren Schritt gemacht. Nach acht Jahren in der Geschäftsführung der BV-Innenstadt-West ist ihr vormaliger Leiter seit März nun Bezirksverwaltungsleiter in Dortmund-Hombruch.
Die Geschäftsführung der BV übernimmt für ihn jetzt Birgit Buchholz; die ehemalige Mitarbeiterin des Jugendamtes wurde auf der Sitzung zur neuen Schriftführerin bestellt.
Auch Janina Alzer verabschiedet sich aus der BV-Geschäftsführung: Sie hat – an der Dortmunder Musikschule – endlich gefunden, was ihr dort leider nicht geboten werden konnte: eine volle Stelle.
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