Die Wirtschaftsförderung entschuldigt sich für die „Überrumpelung“

Streit um die Brechtener Niederung überlagert die Diskussion zur Wirtschaftsflächenstrategie

Auch vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Beschäftigung im Rathaus gab es Proteste.
Auch vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Beschäftigung im Rathaus gab es Proteste. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Die Proteste sind zahlreich und heftig. Die Menschen im Stadtbezirk Eving – und nicht nur dort – wehren sich gegen ein neues Gewerbegebiet in der Brechtener Niederung. Woche für Woche gingen sie auf die Straße. Die Wirtschaftsförderung hatte viele Menschen mit dem Vorschlag überrascht, der als Bestandteil der Wirtschaftsflächenstrategie vorgesehen ist. Dieser droht nun die ganze Strategiefrage zu überschatten. Wirtschaftsförderin Heike Marzen entschuldigte sich im Ausschuss für Wirtschaft und Beschäftigung dafür, wie der Vorschlag ankam. „Das hatte nichts mit Taktieren oder Überrumpelung zu tun. Wenn es so ankam, tut es mir leid, dann entschuldige ich mich. Es ist nur eine Alternative, die noch nicht mitgeprüft worden war.“

Um was geht es bei der Wirtschaftsflächenstrategie?

In der letzten Dekade konnte Dortmund eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung verzeichnen. Dortmund war die einzige Stadt in der Metropole Ruhr, die zwischen 2010 und 2021 sowohl beim Bruttoinlandsprodukt als auch bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung die bundesweiten Zuwachsraten erreicht oder übertroffen hat.

Phoenix-West war eine der großen Konversionsflächen. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger

Dabei lagen insbesondere die Zuwachsraten bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung deutlich über dem Landesdurchschnitt von Nordrhein-Westfalen.

Wesentliche Ursache für diese positive wirtschaftliche Entwicklung ist die erfolgreiche Vermarktung von Gewerbe- und Industrieflächen. Allein zwischen 2012 und 2018 hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in diesen Gebieten um rund 32.000 erhöht. Das entspricht rund 30 Prozent des Zuwachses in der gesamten Metropole Ruhr.

Die Gewerbe- und Industriegebiete haben daher für die Stadt Dortmund eine erhebliche Bedeutung. Derzeit sind zwar rund 148 Hektar planerisch gesichert, aber bei 115 Hektar davon ist völlig unklar, ob und wann diese Flächen dem Markt zugeführt werden können, da es gravierende Nutzungshindernisse gibt. Lediglich 33 Hektar an vorwiegend kleinteiligen Flächen sind vollständig und ohne Restriktionen verfügbar, diese sind aber bereits weitgehend verkauft oder reserviert. ___STEADY_PAYWALL___

Bedarf an gewerblich-industriellen Flächen von 13,14 Hektar Nettobaulandfläche pro Jahr

Angesichts dieser Herausforderungen ist nach Ansicht der Wirtschaftsförderung sinnvoll, „die laufenden Überlegungen zur langfristigen Sicherung eines quantitativ wie qualitativ ausreichenden Flächenangebotes über qualifizierte Bedarfsprognosen abzusichern“. Dazu wurden im Rahmen dieser Untersuchung eine Trendabschätzung und eine Gewerblich-Industrielle Flächenprognose durchgeführt sowie deren Ergebnisse zusätzlich mit der aktuellen Siedlungsflächenbedarfsberechnung des RVR abgeglichen.

Phoenix-Ost war eine große Industriebrache  jetzt ist Wohnen hier tonangebend. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Sie ergeben einen Bedarf an gewerblich-industriellen Flächen von 13,14 Hektar Nettobaulandfläche pro Jahr. Es wird darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um die Nettofläche handelt. Das bedeutet, dass Erschließungsflächen, Grünflächen etc. nicht eingerechnet wurden und der Bruttoflächenbedarf wesentlich höher ist.

„Angesichts der erheblichen Nutzbarkeitseinschränkungen und der bereits getätigten Verkäufe bei den Potenzialflächen ist absehbar, dass der Bedarf von rund 13 Hektar verfügbarer Fläche pro Jahr nur noch innerhalb der nächsten zwei Jahre gedeckt werden kann. Um die erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung der letzten Dekade nicht zu bremsen, ist es mittel- und langfristig notwendig, systematisch neue gewerbliche Bauflächen zu entwickeln“, betont die Wirtschaftsförderung.

Von 1990 bis 2007 wurden durchschnittlich 42 Hektar pro Jahr vermarktet

Von 1990 bis 2020 fand in Dortmund auf insgesamt 1.418 Hektar eine Entwicklung statt. Davon sind 1.209 Hektar (85 Prozent) als Brachflächen/Altindustrieflächen und 209 Hektar (15 Prozent) als Freiflächen zu verzeichnen. In dieser Zeit wurden 877 Hektar Fläche gewerblich neu genutzt, was dazu führte, dass 2020 im Dortmunder Stadtgebiet insgesamt ca. 2.000 Hektar gewerblich genutzt wurden.

Auf Phoenix-West entstand auch der neue Firmensitz der Materna-Gruppe.

Von 1990 bis 2007 wurden durchschnittlich 42 Hektar pro Jahr vermarktet, dagegen waren es von 2007 bis 2022 nur noch durchschnittlich 18 Hektar jährlich. Dieser deutliche Rückgang der Flächeninanspruchnahmen ist nach Ansicht der Stadt auf ein geringeres Gewerbeflächenangebot zurückzuführen.

Die Menge der Gewerbeflächen hat sich in den letzten 30 Jahren von insgesamt 2.814 Hektar (Stand 1990) auf 2.545 Hektar (Stand 2020) verringert. Die Flächengröße hat sich um 269 Hektar reduziert, davon wurden 255 Hektar in Grün- und Waldflächen umgewandelt. Es wurden mehr Gewerbeflächen zu Grünflächen entwickelt als in diesem Zeitraum Flächen im Freiraum in Anspruch genommen wurden.

„Die Wirtschaftsflächen auf dem Dortmunder Stadtgebiet sind weitgehend erschöpft. Bereits heute kann den Flächenanfragen der hiesigen expandierenden Unternehmen nicht mehr nachgekommen werden. Auch eine Ansiedlung auswärtiger Unternehmen im Sinne einer konsequenten Weiterentwicklung des Strukturwandels ist zurzeit nicht möglich“, warnt die Wirtschaftsförderung.

Aktive Bodenpolitik und Bodenvorratspolitik gefordert

Innerhalb der drei Wirtschaftsflächenkonferenzen (9. Juni 2022, 25. November 2022 und 8. Februar 2023) wurden exemplarisch kritische Themen bezüglich der Weiterentwicklung der Wirtschaftsflächen aufgegriffen und diskutiert. Die Ratsmitglieder, Umweltverbände, Verwaltung sowie Fachexpert:innen erörterten die übergeordnete Frage, wie der Umgang mit dem knappen Gut Fläche und die daraus folgenden Konsequenzen mit einer zukunftsweisenden Stadtentwicklung vereinbart werden können.

Auf dem HSP-Gelände läuft der Rückbau der Anlagen auf Hochtouren. Foto: Alex Völkel
Auf dem HSP-Gelände gäbe es noch größere Entwicklungspotenziale für Gewerbe und Industrie. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Vorträge aus Wirtschaft, Umwelt und Verwaltung eröffneten die Konferenzen. Im Anschluss berichteten und diskutierten die Teilnehmenden innerhalb von Podiumsdiskussionen die Inhalte. Darüber hinaus konnte sich das Konferenzpublikum in Kurzvorträgen und Workshops vertiefend informieren.

Die wichtigsten Themen waren dabei die aktive kommunale Bodenpolitik und Bodenvorratspolitik, die nachhaltige Weiterentwicklung von Bestandsgebieten, ein städtisches Ansiedlungskonzept und der Umgang mit Flächen für Dortmunder Bestandsunternehmen.

Dortmund profitierte von über 1.000 Hektar Konversionsflächen

Woher kamen die Flächen in den letzten Jahrzehnten? Durch den Weggang der Bier-, Kohle- und Stahlindustrie entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts 1.000 Hektar sogenannte Konversionsfläche.

Die Westfalenhütte ist wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Archivbild: Alex Völkel
Das Areal der Westfalenhütte war wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt – sie war die größte Konversionsfläche in Dortmund. Archivbild: Alex Völkel

Um den Arbeitsmarkt wieder zu stabilisieren und das Standortprofil zu verbessern wurde zu Beginn der 2000er-Jahre das dortmund-project initiiert. Es wurden Wachstumsstrategien erarbeitet, mit welchen der Dortmunder Wirtschaft ein neues Gesicht gegeben werden konnte. Durch die konsequente Umsetzung in Form von Umnutzungen der altindustriellen Flächen hin zu technologie- und wissensorientierten Branchen ist die erfolgreiche Umsetzung des Strukturwandels gelungen.

Heute steht die Wirtschaftsflächenentwicklung in Dortmund vor der zentralen Herausforderung, den Bedarf nach Wirtschaftsflächen kurz-, mittel- und langfristig in adäquatem Umfang bedienen zu können. Die Konversionsflächen aus den Zeiten des dortmund-projects sind aufgebraucht.

Eine strategische Ansiedlung von Unternehmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Dortmund ist aufgrund der fehlenden Flächenressourcen kurz- und mittelfristig nicht möglich. Das Gutachten „Ergebnisse der Eignungsuntersuchung zur Identifizierung neuer Wirtschaftsflächen im Freiraum“ verdeutlicht, dass bei einer weiteren Flächeninanspruchnahme im Freiraum ein Interessenkonflikt zum Schutz wesentlicher Freiraumfunktionen entsteht.

Ganzheitliche Wirtschaftsflächen-Strategie als Ziel

Dortmund hat damit einen Punkt erreicht, an dem eine strategische Richtungsentscheidung erforderlich ist, um ökonomische und ökologische Bedürfnisse in Einklang zu bringen. Zu einer langfristigen Sicherung eines qualitativ und quantitativ ausreichenden Flächenangebots werden pro Jahr 13,14 Hektar an Nettobaulandfläche benötigt.

In diesem Areal sollen laut Plänen der Wirtschaftsförderung sowie der Stadtspitze neue Gewerbeflächen entstehen.
In diesem Areal könnten laut Plänen der Wirtschaftsförderung sowie der Stadtspitze neue Gewerbeflächen entstehen. Karte: Stadt Dortmund

Die Wirtschaftsförderung schlägt die folgende strategische Herangehensweise vor, um den Strukturwandel konsequent weiterzuverfolgen. Diese ganzheitliche Wirtschaftsflächen-Strategie soll methodisch die umzusetzenden Maßnahmen aufgreifen und ordnet diese in die Zeithorizonte kurzfristig (drei bis fünf Jahre), mittelfristig (fünf bis zehn Jahre) und langfristig (länger als zehn Jahre) ein.

Das Konzept zur Qualifizierung von Bestandsgebieten umfasst die Erstellung eines Kriterienkataloges, die Einrichtung einer Intrakommunalen Agentur und den Ankauf von Flächen über dem Bodenrichtwert. Besonderes Augenmerk soll auf ökologische Nachhaltigkeit gelegt werden.

In Bezug auf die Umwelt wird ein Schwerpunkt darauf gelegt, die Umweltauswirkungen von Wirtschaftsflächen zu reduzieren. Hierzu gehören die Förderung von Energieeffizienz, der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien und die Schaffung grüner, naturnaher Räume. Ein besonderer Fokus liegt auf der Nachverdichtung, um Flächen effizienter zu nutzen und den Flächenverbrauch zu reduzieren.

Buddenacker, Osterschleppweg und Groppenbruch schwierig zu entwickeln

Die regional gesicherten Flächen (Buddenacker, Osterschleppweg und Groppenbruch) konnten in der Vergangenheit nicht erfolgreich entwickelt werden. Die Entwicklung des Buddenacker wird bereits seit nunmehr ca. 30 Jahren geprüft und diskutiert. Daher bringt die Wirtschaftsförderung die Entwicklung der Fläche „2_EV1“ in Brechten (Brechtener Niederung) in die Eignungsuntersuchung zur Identifizierung neuer Wirtschaftsflächen im Freiraum in die Diskussion ein.

Der Erhalt der Brechtener Niederung steht im Mittelpunkt der Protest gegen die Ausweisung eines Gewerbegebietes.
Der Erhalt der Brechtener Niederung steht im Mittelpunkt der Proteste gegen die Ausweisung eines Gewerbegebietes. Foto: Natürlich Brechten

Für die Wirtschaftsförderung stellt die Brechtener Fläche ein potenzielles Entwicklungsgebiet dar. Sie ist eines der größten zusammenhängenden Flächenpotentiale für eine gewerblich-industrielle Entwicklung im gesamten Stadtraum.

„Die Kombination aus Lage, Topografie und der Größe von 85 Hektar der Fläche 2_EV1 trägt maßgeblich zur Wirtschaftlichkeit einer potenziellen Entwicklung bei“, heißt es in der Vorlage. „Die Größe der Fläche rechtfertigt den notwendigen Aufwand für die Erschließung, der in der ,Eignungsuntersuchung zur Identifizierung neuer Wirtschaftsflächen im Freiraum‘ als hoch eingestuft wurde.”

Die Fläche befindet sich im Stadtbezirk Eving, Ortsteil Brechten, westlich der B 236 und südöstlich der Evinger Straße. Die Nähe zum Stadtgebiet Lünens eröffnet die Perspektive für eine interkommunale Entwicklung.

Auch vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Beschäftigung im Rathaus gab es Proteste. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

„Der Wirtschaftsförderung ist bewusst, dass auch diese Fläche, wie alle anderen Entwicklungsflächen auf Dortmunder Stadtgebiet, mit Restriktionen behaftet ist“, heißt es weiter.

Bei einer positiven Entwicklung sollen die beiden Flächen Buddenacker sowie der Osterschleppweg im Rahmen eines Flächentausches zurückgenommen und als Allgemeiner Freiraum und Agrarbereich festgelegt werden. Diese Bereiche werden derzeit landwirtschaftlich genutzt.

Soweit Brechten nicht entwickelt werden kann, soll für die bereits im Regionalplan gesicherten Flächen (Buddenacker, Osterschleppweg und Groppenbruch) Planrecht geschaffen werden. Der Unterschied: Die Fläche in Brechten bildet eine zusammenhängende Entwicklungsfläche mit einer Größe von 82,7 Hektar. Demgegenüber stehen lediglich ca. 64,5 Hektar an planrechtlich gesicherter Fläche – verteilt auf drei Standorte.

Aus Eving gab es massiven Gegenwind für die Planungen

Das Stimmungsbild in Eving ist eindeutig und die Ablehnung groß. Dies wurde in den vergangenen Wochen bei sehr stark besuchten Demonstrationen deutlich. Aber auch die Bürgerversammlung in der vergangenen Woche, wo unter anderem Oberbürgermeister Thomas Westphal Rede und Antwort stand.

Der Erhalt der Brechtener Niederung steht im Mittelpunkt der Proteste gegen die Ausweisung eines Gewerbegebietes.
Der Erhalt der Brechtener Niederung steht im Mittelpunkt der Proteste gegen die Ausweisung eines Gewerbegebietes. Foto: Natürlich Brechten

Er musste – zumindest im ersten Teil – zahlreiche Buh-Rufe über sich ergehen lassen. Aber auch aus anderen Stadtbezirken kommt Ablehnung. Einhellige Meinung: Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen, heißt es dazu aus Brackel und Mengede, wo die alternativen Flächen liegen.

Auch vor der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Beschäftigung im Rathaus protestierten Menschen gegen die Pläne, das Gewerbegebiet in Brechten zu erschließen. „Natürlich Brechten“, ein überparteilicher und unabhängiger Zusammenschluss von Bürgern und Bürgerinnen aus Brechten, mobilisiert die Menschen gegen die Planungen in der Brechtener Niederung. Auch Bezirksbürgermeister Oliver Stens bezog klar Position dagegen und trug die Ablehnung der Bezirksvertretung Eving im Ausschuss vor. Mit Ausnahme des AfD-Vetreters hatten alle Parteien in der BV gegen die Verwaltungspläne votiert.

Wirtschaftsausschuss verwehrt sich gegen Unterstellunge

Der Auschuss-Vorsitzende Franz-Josef Rüther (SPD) machte den zahlreichen Besucher:innen auf der Tribüne im Ratssaal deutlich, dass der Ausschuss keineswegs durch eine Vorverlegung der Sitzung der Kritik aus Eving auszuweichen versuche. „Das Gerücht, dass wir die Sitzung vorgezogen hätten, um ihre Teilnahme zu erschweren, hat mich betroffen gemacht. Wir machen das hier ehrenamtlich und haben nicht vor, die Öffentlichkeit auszuschließen.”

Der Auschuss-Vorsitzende Franz-Josef Rüther (SPD) mit Heike Marzen, Chefin der Wirtschaftsförderung.
Der Auschuss-Vorsitzende Franz-Josef Rüther (SPD) mit Heike Marzen, Chefin der Wirtschaftsförderung. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Bereits im vergangenen Jahr habe man den Sitzungsbeginn auf 12 Uhr verlegt, da der Mai viele Feiertage habe und es dann zu Problemen komme, alle Ausschüsse zu terminieren. Da am Sitzungstag aber noch ein weiterer Ausschuss im Anschluss tagen sollte und sie bei der vorherigen Sitzung mit der maximalen Dauer der Sitzung nicht hingekommen seien, habe man sie jetzt auf 11 Uhr vorgezogen. „Damit wir unsere Diskussionen nicht abwürgen müssen, haben wir den Beginn eine Stunde vorgezogen. Wir legen aber Wert darauf, dass die Öffentlichkeit teilnimmt“, so Rüther.

Außerdem räume man dem Bezirksbürgermeister das Recht ein, angehört zu werden. Doch ob man überhaupt über das Antragspaket sprechen solle, daran meldet die CDU Zweifel an. Udo Reppin (CDU) wollte das Thema nicht nur auf die nächste Sitzung, sondern gleich auf die erste Sitzung nach den Sommerferien vertagen, weil es um eine Vielzahl von Themen und offene Fragen gehe.

Üblicherweise folgen die anderen Fraktionen einem solchen Ansinnen, wenn eine Fraktion Beratungsbedarf anmeldet. Die AfD sah sich schon jetzt entscheidungsfähig. SPD und Grüne haben zwar auch viele offene Fragen, wollten aber zumindest Stens sprechen lassen und auch darüber diskutieren – sie sähen das sonst als Affront gegenüber den vielen Menschen an, die wegen des Tagesordnungspunktes ins Rathaus gekommen waren. Auch in anderen Ausschüssen gab es noch Beratungs- und Aufklärungsbedarf. Die Bezirksvertretungen in Mengede und Brackel hatten die Vorlage bereits abgelehnt.

Bezirksvertretungen wollen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen

Oliver Stens begründete die Kritik aus dem Stadtbezirk Eving an dem Vorhaben in Brechten. Denn es gehe ja nicht nur um die rund 84 Hektar für das eigentliche Gebiet, sondern auch um weitere Flächen für die Zuwegung. Das seien locker 15 bis 20 weitere Hektar, die versiegelt würden.

Bezirksbürgermeister Oliver Stens unterstützt die Proteste.
Bezirksbürgermeister Oliver Stens unterstützt die Proteste. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

„Das funktioniert so nicht. Die Lkw-Belastung für Brechten und den Stadtbezirk ist jetzt schon sehr hoch und wird dann noch viel höher”, so Stens. Die 84 Hektar in der Brechtener Niederung seien eine riesige Fläche – sie entspräche 120 Fußballfeldern. „Der Westfalenpark hat nur 70 Hektar“, so der Evinger Bezirksbürgermeister.

Er kritisierte scharf, dass mit keiner der drei betroffenen Bezirksvertretungen im Vorfeld der Einbringung über die Vorschläge und das Vorgehen gesprochen worden sei. „Mengede und Brackel stehen gemeinsam mit Eving. Wir lassen uns auch nicht gegenseitig ausspielen. Wir wollen keine Betroffenheitspolitik, sondern vernünftig beraten. Wir wollen, dass alle Flächen gleichbehandelt werden. Wenn sie nicht entwickelbar sind, dann wollen wir da einen Deckel drauf machen. Wir brauchen keine neuen Gutachten. Wir haben alles da“, so der SPD-Politiker.

Grüne fordern Nachverdichtungen statt Freiflächennutzung

„Wir als Grüne sind da sowieso an ihrer Seite“, sagte Martina Stackelbeck in Richtung Bezirksbürgermeister. Sie gehe davon aus, dass Brechten nicht realisiert werden könne, auch wenn der lange Fragenkatalog ihrer Fraktion noch nicht beantwortet sei.

Martina Stackelbeck (Grüne) Foto: Mareen Meyer/ Grüne Dortmund

„Wir gehen davon aus, dass für die Wirtschaftsförderung notwendig ist, einen Strategiewechsel zu vollziehen. Dazu gehört, dass man nachverdichtet und bei den Unternehmen, die Optionsgrundstücke haben, nachfragt, ob sie diese noch benötigen“, so Stackelbeck.

„Wir sind der Meinung, dass auch große Parkplatzflächen umgewandelt werden können, in dem man Parkhäuser baut und anders nutzbare Flächen ausweist.“ Zudem solle die HSP-Fläche weiter für Gewerbe und Industrie genutzt werden, weil sie über Jahrzehnte Industriegebiet war. Diese Flächen sollten auch nicht für Logistik, sondern für moderne zukunftsweisende Gewerbe- und Industrienutzungen verwendet werden, so die Grünen-Politikerin.

SPD fordert strategische Entscheidung zum Umgang mit Flächen

Auch Silvya Ixkes-Henkemeier war wichtig, nicht zu vertagen, sondern die Sicht der Bezirksvertretungen zu hören. „Es ist wichtig, wie sich die Menschen einbringen.” Auch die SPD wollte aber prinzipiell die Entscheidung vertagen. „Es geht dabei aber nicht um Brechten oder Groppenbruch, sondern um eine strategische Entscheidung zum Umgang mit Flächen, unabhängig vom Standort. Dort gibt es interfraktionellen Entscheidungsbedarf”, so Ixkes-Henkemeier.

Silvya Ixkes-Henkemeier (SPD) Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Es brauche jetzt einen ordentlichen Weg zu strategischen Entscheidungen, wie sich Dortmund künftig aufstellen könne. Dabei wollte sie an der früheren Strategie der Stadtplaner, dass man nicht weitere Freiflächen dafür nutzen soll, festhalten. „Da war Brechten noch kein Thema. Das hat uns auch überrascht“, kritisierte die SPD-Politikerin. „Setzen wir doch die Personalressourcen und Mittel für Untersuchungen von Flächen nicht da ein, wo schon untersucht wurde, sondern dort, wo wir noch Ressourcen sehen.“

Außerdem wollte Silvya Ixkes-Henkemeier vermeiden, dass die Frage zur Gesamtstrategie wegen der Diskussion um Brechten nicht untergehe: „Viele andere Punkte sind durchaus gut und gewollt von uns. Die interdisziplinäre Arbeitseinheit ist leider seinerzeit nicht beschlossen worden, die könnten wir schon haben.”

Die Argumentation, man könne nicht an Besitzer versiegelter Flächen herantreten, weil diese keine städtische Flächen seien, erteilte sie eine Absage: Schließlich gehörten die landwirtschaftlichen Flächen in der Brechtener Niederung ja auch nicht der Stadt. Sie wolle nicht dem Ruf nach Enteignung das Wort reden. Doch das gelte für sie dann für alle Flächen – weder für versiegelte Flächen noch für landwirtschaftliche.

Zudem müsse sich die Stadt mehr Arbeit machen. Denn auch Büroimmobilien seien heute anders nutzbar und umzufunktionieren. Das sei jedoch aufwändiger und arbeitsintensiver als Eingriffe in den Freiraum. Aber es müsse ein Umdenken her: „Wir haben ein Verkehrswendebüro. Das ist genauso interdisziplinär aufgestellt. Wir bauen da auch die Autostadt um und konzentrieren uns auf neue Vorhaben und Denkweisen. Wir müssen uns jetzt auch bei Wirtschaftsflächen viel moderner und zukunftsweisender aufstellen.”

Wohnen und Arbeiten: Die CDU fordert Gesamtbetrachtung für alle Flächen

Udo Reppin (CDU) verteidigte den Wunsch zur Vertagung und sah sich durch die Diskussionen bestätigt. „Es gibt noch ganz viel zu besprechen und zu beraten. Denn die Vorlage beschäftigt sich nicht nur mit Brechten – das ist nur ein Konzept. Es geht um viel mehr, auch um kurz- oder mittelfristige Nutzung, Verdichtung etc.. Das wird alles durch die Diskussion um die Brechtener Niederung erschlagen.”

Udo Reppin ist finanzpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.
Udo Reppin (CDU) Archivfoto: Leopold Achilles für Nordstadtblogger.de

„Es geht nicht nur darum, welche Gewerbeflächen wir in Zukunft brauchen, sondern wie sich diese Stadt weiter entwickelt”, so Reppin. In den vergangenen Jahrzehnten habe Dortmund eine Schrumpfung und deutliches Wachstum erlebt. OB Westphal rechne mit einer Prognose, nach der Dortmund bis 2025 von 612.000 auf bis zu 650.000 Menschen anwachsen solle.

Doch diese sei im Rat nicht diskutiert worden. Ebenso wenig, wo diese Menschen – solle der Fall wirklich eintreten – wohnen sollten. „Das wären rund 17.000 Wohnungen. Im Bestand ist das nicht zu entwickeln. Oder es geht um einen neuen Stadtteil. Und wo soll der wachsen? Natürlich auf der Grünen Wiese”, verwies Reppin auf viele offene Fragen auch abseits der Strategie für Wirtschaftsflächen. Darüber müsse sich der Rat jetzt Gedanken machen und die Herausforderungen nicht folgenden Räten überlassen.

„Ja. Wir haben ja auch noch andere Flächen, die nicht TKS heißen. Es kann sein, dass wir auch neue Konversionsflächen bekommen, können uns aber nicht darauf verlassen. Daher müssen wir uns in diesem Sommer bzw. in diesem Jahr Gedanken machen, wie es weitergehen soll”, so der CDU-Politiker. „Die Brechtener Niederung halte ich nicht für gut geeignet. Aber auch am Standort der Uni hatte man sich damals auch nicht vorstellen können, dass dort nicht mehr der Bauer den Pflug in den Acker treibt – aber es ist doch dazu gekommen.“

„Die Wirtschaftsflächen-Konferenz war für alle ernüchternd. Es gibt keine restriktionsfreien Flächen mehr. Wenn ich was will, muss ich an irgendeiner Stelle irgendwem wehtun. Da sollten wir uns die Karten legen”, so Reppin.„Lassen sie uns den Sommer nutzen und das vernünftig entwickeln und in die Vorlage im Detail reingucken. Wir finden da einiges, was sehr zu begrüßen ist. Bei der Frage der Langfristigkeit müssen wir uns Gedanken machen.“

Statt reflexhafter Ablehnung grundsätzliche Prüfungen

Mit der Vertagung konnte sich Dr. Oliver Klug (Fraktion FDP/Bürgerliste) anfreunden, „Wir hätten die Vorlage auch nicht empfohlen, weil Nachverdichtung wichtiger ist als Flächenverbrauch. Aber ich hätte da ganz viele Aber nachgeschoben.”

Auch vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Beschäftigung im Rathaus gab es Proteste. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

„Daher sollte man sich jetzt die Zeit nehmen und jetzt nicht reflexartig sagen, was nicht geht, sondern eine Strategie entwickeln. Fatal wäre, wenn das Signal lautet, dass Dortmund keine Erweiterungsflächen und keinen Platz für Erweiterungen hat und es uns auch egal ist“, so Klug.

Eine Position, die auch Heiner Garbe (AfD) teilte. Doch statt zum Thema zu reden hielt Garbe wieder einen allgemeinpolitischen Rundumschlag mit Ampel-Bashing, Kritik an „grünen Luftschlössern“ und einem Verweis darauf, dass die CDU gemeinsam mit den Grünen „eine unsägliche Politik betreibt, einen Kampf gegen Auto führt und letztlich auch Arbeitsplätze ruiniert”.

Linke: „Wenn Dortmunds Flächen zu Ende sind, sind sie zu Ende“

„Ich war zunächst erstaunt, dass wir viel Konsens haben”, sagte Christiane Tenbensel (Die Linke+) mit Blick auf Nachverdichtung und den grünen Fragenkatalog.

Christiane Tenbensel ist Fachberaterin bei „Faire Integration".
Christiane Tenbensel (Die Linke+) Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Dennoch machte sie deutlich, dass sie nicht dafür sei, alles reflexartig abzulehnen. Man müsse sehr genau hinschauen und könne auch viele ökologische Maßnahmen an versiegelten und bebauten Flächen erreichen, sagte sie beispielsweise mit Blick auf Singapur.

„Wir haben haben Flächen, wo es grün und schön ist. Aber es geht nicht nur um Brechten, aber darum, dass wir nicht alles zuballern können. Wenn Dortmunds Flächen zu Ende sind, sind sie zu Ende. Was machen wir dann? Das ist schwierig, das sehe ich ein. Aber wir können trotzdem nicht alles zubetonieren.“

Wulf-Christian Ehrich (IHK) Foto: IHK Dortmund

Wulf-Christian Ehrich (IHK) wollte auch den Blick weiten: „Es geht nicht nur um die Brechtener Niederung, sondern um einen umfangreichen Prozess, wo wir alle mit dabei waren. An vielen Punkten waren wir uns einig”, sagte er mit Blick auf die Wirtschaftsflächen-Konferenz.

„Aber wo haben wir Kapazitäten oder Flächen in 10 bis 15 Jahren? Diese Diskussion müssen wir versachlichen und Kriterien prüfen. Wir können nicht nur mit Hemmnissen arbeiten. Ich kann den Unmut verstehen, aber man muss es sachlich zu Ende führen und über mögliche Freiflächen reden”, so der IHK-Vertreter.

Die Wirtschaftsförderung entschuldigt sich für das Vorgehen

„Mich verwundert, dass hier niemand Stellung nimmt von denen, die die Vorlage eingebracht werden. es wäre gut, wenn sie reagieren würden”, forderte Manfred Sträter (Die Linke+) Heike Marzen heraus und auf. Sie dürfe auch ruhig sagen, „dass es nicht richtig war, die Leute zu überraschen“. Zunächst müsse man über Kriterien nachdenke und diese festlegen und dann auch die Menschen in den Stadtbezirken beteiligen, um Dortmund zu entwickeln.

Heike Marzen, Geschäftsführerin Wirtschaftsförderung Dortmund
Heike Marzen, Geschäftsführerin Wirtschaftsförderung Dortmund Foto: Thorsten Hübner - Stadt Hamm

Heike Marzen ergriff anschließend das Wort und erinnerte an die Flächenkonferenzen: „Wir haben sehr früh und unabhängig von Flächen und Restriktionen gesprochen und auch die Umweltverbände eingeladen. Ich muss jede Fläche im Einzelfall prüfen, weil auch eine alte Industriefläche, die über Jahre renaturiert ist, ökologisch wertvoller sein kann als eine Ackerfläche, wo nur konventionelle Landwirtschaft betrieben wurde.”

„Ich verstehe den Überraschungsmoment mit Brechten – das sorgte auch teils für Misstrauen. Den Schuh ziehe ich mir bzw. wir uns an”, so die Geschäftsführerin der städtischen Wirtschaftsförderung. Die Brechtener Niederung sei in die Betrachtung gekommen, weil man in der Konferenz erfolglos über andere Flächen gesprochen habe.

Daher hätten die Wirtschaftsförderung und die Stadtplanung noch mal in die Weißflächen-Analyse geschaut, um neue Flächen ins Gespräch zu bringen. „Das war Brechten. Wenn wir darüber sprechen, dann sprechen wir nicht automatisch über 80 Hektar”, so Marzen. „Ob es dann ein Teil davon wird oder eben nichts, darüber brauchen wir Konsens und den Auftrag, um uns damit zu beschäftigen.”

Deshalb sei die Brechtener Niederung in der Vorlag nachgeschoben worden. „Das h atte nichts mit Taktieren oder Überrumpelung zu tun. Wenn es so ankam, tut es mir leid, dafür entschuldige ich mich. Es war nur eine Alternative, die noch nicht mitgeprüft worden war.


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