Moritz Terwesten ist 28 Jahre alt und leitet seit fünf Jahren eine kleine Videoagentur in Dortmund. Sein großes Ziel ist es, bis zu seinem 30. Geburtstag drei Kinofilme zu produzieren. Der erste Schritt: Der Dokumentarfilm „Sterben ohne Gott“, der im März in die deutschen Kinos kommt. Der Film beschäftigt sich mit den Themen Angst vor dem Tod und der schwindenden Rolle der Religion in säkularen Gesellschaften. Für dieses Projekt sind Moritz und sein Team bis in die USA gereist.
Moritz, wie bist du zum Film gekommen?
Das war mehr oder weniger ein Unfall. Ich studiere Philosophie an der RUB und im ersten Semester wollte ich mich mit einem Thema nochmal tiefer beschäftigen. Da habe ich zusammen mit einem Freund einen Kurzfilm gedreht und festgestellt, das macht richtig Spaß. Ich hab dann aber früh gemerkt, Filme machen kostet Geld. Also hatte ich mich entschlossen, mich einfach selbstständig zu machen. Und jetzt mache ich das hauptberuflich.
„Sterben ohne Gott“ ist der erste große Film, den du produzierst?
Genau. Das wird unser Debüt, wie man in der Filmbranche sagt. Wir haben da jetzt dreieinhalb Jahre dran gearbeitet und das Projekt ist währenddessen total gewachsen. Ich wusste ja am Anfang gar nicht, wie man Filme macht. Ich habe angefangen, Dozenten und sterbenskranke Menschen zu interviewen. Das waren aber alles Leute, die ich halt so kannte, Menschen zu denen ich unmittelbaren Zugang zu hatte. Und für dieses anfängliche kleine Projekt, das ich im Bekanntenkreis realisieren wollte, sind wir dann später in die USA, Kanada und sonstwo gereist, um die renommiertesten Forscher zu interviewen.
Und dann hast du so mir nichts, dir nichts einfach mal einen 90-minütigen Film gedreht?
Ja, das ist eigentlich gar nicht so krass, wie man denkt. Du führst eigentlich nur, wie wir das gerade auch machen, Interviews – aber eben vor der Kamera. Die wahre Kunst ist dann viel mehr das Schneiden. Ich habe ja pro Interview zwei, drei Stunden gesprochen. Und wenn du dann mit zehn, zwölf Leuten sprichst, dann bist du schon bei 15 Stunden Material, die du auf 90 Minuten runterbrechen musst. ‚Kill your darling‘ sagt man immer im Film. Es ist unfassbar schwierig, wenn du das ganze Material geil findest und denkst, andere müssten DAS jetzt aber auch noch hören.
Aber du musst erbarmungslos cutten. Vor allem, wenn der Anspruch ist, dass du nicht in einem philosophischen Elfenbeinturm hockst, sondern das Thema leicht verdaulich rüberbringst. Deswegen haben wir versucht, Menschen mit reinzunehmen, die zwar sehr, sehr tief in ihrer Materie sind, aber gleichzeitig charismatisch genug, dass man ihnen leicht zuhören kann und will.
Ein Negativbeispiel für mich ist Peter Sloterdijk vom philosophischen Quartett vom ZDF. Ein begnadeter Philosoph, aber es ist unfassbar schwer, ihm zuzuhören. Das ist so eine Generation von, ich sag mal, Intellektuellen, die ich zwar auch sehr gerne lese und mich mit denen beschäftige, aber viele Sachverhalte unnötig verklausulieren – und die wären für diesen Dokumentarfilm fehl am Platz gewesen.
Das heißt, die Protagonistenauswahl war ein großer Aufwand?
Ja, teils schon. Zum Glück hatten Menschen wie Sheldon Salomon oder Lawrence Krauss durch ihre mediale Präsenz schon viel Kameraerfahrung. Das hat dann ganz gut funktioniert.
Warum „Sterben“? Warum dieses Thema?
Ja, das ist kein „feel good“-Thema. Aber mich persönlich hat das Thema immer beschäftigt und ich hatte schon früh Berührungspunkte zum Tod. Mein Bruder hatte früh einen Hirntumor, bei dem die Chancen zu Überleben gegen ihn standen. Meine Familie und ich wurden therapeutisch schon auf den Fall vorbereitet, er könne nicht überleben. Und mit 18 ist ein guter Freund von mir tödlich verunglückt.
Zu Beginn meines Philosophie Studiums hatte ich den Eindruck, dass viele Naturalisten den Tod bagatellisieren. Ich denke auch aus Angst, würden sie ihn ernster nehmen, könnten sie in die Fänge der Religion oder Esoterik geraten, die den Tod oft für sich instrumentalisieren.
Ich selbst bin da zwiegespalten. Auf der einen Seite finde ich natürlich naturalistische Positionen kognitiv sehr befriedigend. Nach allen Plausibilitätsbedingungen, die man so in Logik-Seminaren durchnimmt, finde ich mich da total wieder. Aber emotional ist es natürlich nicht so befriedigend, was auch nicht der Anspruch der Naturalisten ist. Religiöse, spirituelle Sinnstiftungen hingegen sind emotional befriedigender, aber die ergeben kognitiv keinen Sinn. In dieser Kreuzstellung fand ich mich – ebenso wie einige Interviewpartner – als ein trauriger Naturalist wieder. Und dann wollte ich herausfinden, wie nicht nur ich als Moritz Terwesten, sondern wir als Gesellschaft, in der Religion eine zunehmend schwindende Rolle spielt, mit dem Thema Tod umgehen.
Und wie kam es zu dem Titel „Sterben ohne Gott“?
Ich glaube, dass in individualisierten Gesellschaften das Individuum maßlos überfordert ist mit dem Tod und dem Sterben. Grundsätzlich sehen wir natürlich, dass das Thema mehr in aller Munde ist. Aber am Ende des Tages schieben die Leute es trotzdem vor sich her oder handeln es ab wie einen Akt der Bürokratie: Klären, wie sie bestattet werden möchten, wer welches Erbe bekommt. Als würde man eine Steuererklärung abgeben. Das hat auch damit zu tun, dass wir uns in einem Prozess der Säkularisierung befinden.
Anfang letzten Jahres waren 42 Prozent der Menschen in Deutschland konfessionsfrei, dieses Jahr werden es wahrscheinlich über 50 Prozent sein. In den 70ern waren noch über 90 Prozent der Deutschen christlich. In religiösen Gesellschaften war es eben so, dass die Kirche, die Gemeinde, beim Sterben eine ganz große Rolle gespielt hat. Das Phänomen wurde kollektiv ritualisiert, das hat den Menschen zumindest in Teilen abgenommen, sich selbst intensiv damit auseinanderzusetzen. So hat man dem Unerträglichen eine Maske aufgesetzt, um es erträglich zu machen.
Somit war die Kirche, wenn man so will, Marktführerin, die eine klaffende Marktlücke hinterlässt. Das sehen wir auch heute: In Berlin gibt es mittlerweile schon mehr als dreitausend Trauerbegleiter. Die bieten sogar All-inclusive-Pakete an. Betreuung von Sterbenden, von Angehörigen, Trauerredner. Das hat früher alles die Kirche übernommen.
Warum ist der Film in schwarz-weiß?
Auf der einen Seite finde ich, dass der Schwarz-Weiß-Look zeitlos ist und zu dem Thema passt. Auf der anderen Seite hatte die Entscheidung ganz praktische Gründe. Wir haben mit vielen unterschiedlichen Kameras gedreht und so war es einfacher, die Farbtöne der unterschiedlichen Bilder auszugleichen.
Mit wem hast du für den Film zu dem Thema gesprochen?
Ursprünglich erstmal viel mit Kognitionswissenschaftlern und Biologen, weil es mir im ersten Schritt darum ging, mich dem Thema deskriptiv zu nähern. Zu schauen, was passiert eigentlich, wenn Menschen sterben, was sind die biologischen Vorgänge.
Dann habe ich mit Sozialpsychologen gesprochen, die untersuchen, wie Menschen damit umgehen. Wie wir den Tod verdrängen, welche Mechanismen da einsetzen. Beispielsweise haben Menschen, wenn du sie mit dem Thema konfrontierst, oft das Gefühl, dass sie irgendwas hinterlassen wollen. Da gibt es wirklich interessante Untersuchungen, die auch zeigen, wie Kinder als eine Art Unsterblichkeitsprojekt fungieren. Am Anfang haben wir uns zahlreiche solcher Studien angeschaut.
Aber ich habe natürlich auch mit Menschen gesprochen, die dem Thema nahe stehen. Beispielsweise mit Bestattern, Medizinern, aber auch mit den Menschen, die selber betroffen sind, die sterbenskrank sind. Irgendwann wollte ich dann von dem Deskriptiven hin zum Normativen switchen: Wie dürfen wir mit Sterben und sterbenden Personen umgehen? Dazu habe ich mit Ethikern und Philosophen geredet.
Und in den USA habe ich teilweise auch mit Rockstar-Atheisten gesprochen, die gegen den Kreationismus argumentieren, meiner Meinung nach aber eben diese bagatellisierende Einstellung dem Tod gegenüber mitbringen, die mich ursprünglich ja überhaupt dazu bewegt hat, den Film zu produzieren.
War der Produktionsprozess nervenaufreibend?
Also ich habe das weniger als belastend und dafür als umso absurder empfunden. Meine Produktionsfirma ist auch eine Video-Agentur – ich sagte ja bereits, Filme sind sehr aufwendig und teuer und das Geld muss ja irgendwo herkommen – und dann habe ich morgens einem Versicherungsunternehmen gerade ein Werbevideo verkauft, mittags mit Ethikern telefonisch Vorgespräche geführt und mich nachts tiefer in das Thema Tod und Sterben eingelesen. Das plötzliche Umswitchen zwischen Alltag und einem einem existenziellen Thema wie dem Tod war einfach absurd.
Habt ihr auch Menschen beim Sterben begleitet?
Nein, das haben wir schlussendlich nicht. Ich hatte es im Sinn, aber dann habe ich entschieden, dass man inhaltlich keine neue Erkenntnis gewinnen würde. Ja, das wäre sicherlich berührend gewesen, aber ich wollte den Tod eines einzelnen Menschen nicht für das Projekt ausschlachten.
Und hast du jetzt deine Antwort gefunden?
Für mich war besonders wichtig zu erfahren, „Wie dürfen wir mit dem Tod umgehen?“. Und da ist es jetzt der etwas überraschende Aspekt der Wahrheit, den ich für mich nochmal ein bisschen neu definiert habe. Ich habe gelernt, dass, wenn die Wahrheit unerträglich ist, es auch okay ist, von der Wahrheit Urlaub zu nehmen.
Weil es ist ja fast anmaßend, zu glauben, dass wir uns mit dem Tod in irgendeiner Form versöhnen können. Auch wenn das Bedürfnis danach ganz natürlich ist. Todesangst, oder die Angst vor dem Tod, ist biologisch betrachtet schlichtweg das Streben nach Selbsterhaltung. Darauf sind wir Menschen ja gewissermaßen programmiert.
Ich habe für mich mit Fertigstellen des Films deshalb auch keine Balance gefunden. Am Ende läuft dann sowieso alles auf Improvisation hinaus. Und das ist mehr oder weniger auch der Ansatz, dass man einfach sagt: Okay, höher als die Wahrheit steht die Frage, ob und wie es sich mit ihr leben lässt. Und wenn sie eben unerträglich ist, dann ist es auch okay, dass man sie einfach verdrängt wie der Ethiker Franz Josef Wetz sagen würde.
Weitere Informationen:
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- Die Premiere des Films ist am 15. März im Uferpalast in Düsseldorf, danach läuft er bundesweit in 15 Großstädten.
- In welchem Kino der Film in Dortmund zu sehen sein wird, steht derzeit noch nicht fest.
Reader Comments
Alex
Dortmund hat ja doch interessante Menschen zu bieten!