Von Thomas Engel
Junge Menschen wollen nach Hauptschulabschluss oder dem Erreichen der Fachoberschulreife vielleicht mit einer Ausbildung anfangen. Das mögliche Problem: die Ausbildungsplatzsuche bleibt leider erfolglos. Damit stehen sie unter Umständen „auf der Straße“: es gibt definitiv bessere Bedingungen für gute Sozialprognosen. – Umgekehrt suchen viele lokale Betriebe händeringend passende Azubis, häufig erfolglos. – Diese Disparität zu verringern, ist erklärtes Ziel eines vom Land NRW finanzierten Projektes: des „Ausbildungspakts“.
Die Ausgangslage: Ein fiktives Gespräch im Dortmunder Norden führt zu einer Idee
Frau Müller führt einen kleinen oder mittleren Betrieb irgendwo im Dortmunder Norden. Liebend gern möchte sie einige Azubis einstellen, um Fachkräfte für morgen zu haben. Aber leider finden sich immer weniger Jugendliche, die zu den Anforderungsprofilen der vakanten Ausbildungsplätze in ihrem Unternehmen einigermaßen passen. Deshalb ist sie in großer Sorge.
Eines Tages trifft sie zufällig den Leiter der Schule von nebenan, Herrn Meier. Der macht sich ebenfalls Sorgen. Denn nur wenige SchülerInnen seiner Schule haben in der Vergangenheit einen Ausbildungsplatz gefunden. Irgendetwas stimmt da nicht, ärgert sich der Schulleiter.
Die beiden kommen ins Gespräch und haben schließlich eine Idee: Warum sich nicht zusammentun, um sich gegenseitig zu helfen? Denn es könnte doch sein, dass zumindest einige von denen, die einen Ausbildungsplatz suchen, mit denen, die einen anbieten, deshalb nicht zusammenkommen, weil sie sich nicht rechtzeitig kennengelernt haben. Nur wer sich kennenlernt oder kennt, kann aufeinander einwirken und Vertrauen aufbauen – hat die Möglichkeit, vernünftige Entscheidungen für oder gegen eine gemeinsame Zukunft zu treffen.
Bei den Übergangsquoten von der Schule in einen Beruf gibt es noch Luft nach oben
Kommt dagegen keine Begegnung frühzeitig zustande, gehen die Beteiligten später vielleicht nur achtlos aneinander vorüber. Zum Beispiel, indem eine Bewerbung als Azubi erst gar nicht abgeschickt wird oder beim Ausbildungsbetrieb schnell im Papierkorb landet, weil sie dort auf den ersten Blick nicht überzeugend wirkt. Und der junge Mensch dahinter – mit seinen möglicherweise doch vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten – dem Unternehmen nicht bekannt ist.
Derlei Tragik muss, soll nicht sein. Zumal ohne viel Phantasie Konsequenzen drohen, wenn potentielle Azubis nach der Schule keinen Ausbildungsplatz finden. Ein junges Leben steht plötzlich ohne Ziel da, und vielleicht ohne Halt und Sinn. Und sich dann – während der pubertären Suche nach einem Platz in dieser Gesellschaft – unter Umständen einfangen lässt. Von jenen „Alternativangeboten“, die alles versprechen, aber sehr wenig bis rein gar nichts halten: Drogen, Dogmen, schneller Reichtum durch Kriminalität, usf.
Aber selbst ohne dieses Horrorszenario zu bemühen: Es stünden immer noch viele junge Menschen einigermaßen perspektivfrei „auf der Straße“, während es so manchem Ausbildungsbetrieb an Fachkräftenachwuchs mangelte. – Deshalb soll sich etwas ändern!, kommen Frau Müller und Herr Meier schnell überein. Und tüfteln an einem gemeinsamen Konzept, das alle interessierte lokale AkteurInnen miteinbezieht. Zum Vorteil aller.
Miteinander rechtzeitig in Kontakt treten, sich beschnuppern, Vertrauen aufbauen
Was dabei herausgekommen ist, nennen Frau Müller und Herr Meier den „Ausbildungspakt Starke Nordstadt“. Mit diesem Projekt soll vermieden werden, dass motivierte Jugendliche nach ihrem gar nicht mal so schlechten Schulabschluss und potentielle Ausbildungsbetriebe dort aneinander vorbei laufen, wo es auch anders gegangen wäre. Ihre einfache Grundidee lautet: Lernt Euch frühzeitig kennen, schafft Vertrauen und schaut miteinander, ob es zwischen Euch passt!
Das Wörtchen „Pakt“ hört sich natürlich an wie eine Mischung aus Vertrag und einer Übereinkunft aus Leidenschaft. Wie eine trockene, juristisch relevante Verbindlichkeit gesprenkelt mit Blut beim ehernen Schwur. – Beides ist nach vorliegender Projektkonzeption selbstverständlich nicht der Fall. Oder nur ein ganz wenig: soweit nämlich das Bekenntnis zur gegenseitigen Verlässlichkeit gemeint ist.
Vermutlich brauchen junge Menschen stärker so etwas wie Großes Kino – haben sich Frau Müller und Herr Meier wohl bei der Wortwahl für ihren Geniestreich gedacht. Es muss ja auch irgendwie „cool“ sein.
Förderung durch das Land NRW mit dem Ziel, soziale Ungleichheiten zu nivellieren
Das Projekt „Ausbildungspakt“ geht zurück auf und wird finanziert durch ein groß angelegtes Programm des Landes NRW, das da heißt: „NRW hält zusammen … für ein Leben ohne Armut und Ausgrenzung“.
Dessen bescheidener Zweck ist: die Kluft zwischen Arm und Reich zu verkleinern. Zielgruppe des „Ausbildungspakt“-Projektes in diesem Programm für Dortmund sind folglich Jugendliche (zwischen 14 und 17 Jahren) aus Stadtteilen mit einem verhältnismäßig hohen Anteil an sozial schwachen Familien.
In Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren soll Jugendlichen eine sicherere Anschlussperspektive nach der Schule in eine duale Ausbildung in ihrem Stadtteil geboten werden. Stichwort: Verbesserung ihrer sozialen Teilhabechancen. Projektstadtteile sind Westerfilde, Wickede und der Dortmunder Norden. In diesen Stadtteilen soll es jeweils eine Projektschule geben, die mit den Betrieben vor Ort, sozialen Einrichtungen und anderen Akteuren im Umkreis ein den besonderen lokalen Gegebenheiten angepasstes Netzwerk errichten.
Am Anfang des letzten Schuljahres 2016/17 startete als erstes Modellprojekt der „Ausbildungspakt Westerfilde“. Mit Beginn dieses Schuljahres gestaltet die Anne-Frank-Gesamtschule im Dortmunder Norden einen eigenen „Ausbildungspakt“, um bessere Übergangsquoten von SchulabgängerInnen in die duale Ausbildung zu erreichen.
Der Pakt für die Zeit nach der Schule: Was muss ich leisten – was bekomme ich dafür?
Wie sieht die über die Anne-Frank-Gesamtschule konkretisierte Konzeption aus? Dazu das nachfolgende Interview mit Isabelle Spieker. Sie leitet an der Gesamtschule die Jahrgänge 8-10.
Von wem ging die Initiative für das Projekt aus? Was waren die Gründe dafür, dass es die Anne-Frank-Gesamtschule „getroffen“ hat?
Isabelle Spieker: Das Projekt ist uns von der Stadt Dortmund angeboten worden und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem wir uns als Schule fragten, wie es uns gelingen könnte, mehr Schülerinnen und Schüler in Ausbildung zu vermitteln. Der Zuschlag für das Projekt kam zeitgleich mit dem Amtsantritt unseres neuen Schulleiters. Ich denke, dass die Stadt Dortmund uns als Schule unterstützen wollte.
Können alle SchülerInnen der 9. Klasse am Ausbildungspakt „Starke Nordstadt“ teilnehmen?
Das Projekt ist offen für alle Schülerinnen und Schüler, die nach Beendigung der Schullaufbahn an unserer Schule in eine duale Ausbildung eintreten wollen. Wichtig war uns, dass unsere eigene Oberstufe nicht durch das Projekt gefährdet wird. Also spricht das Projekt vorrangig Schülerinnen und Schüler mit der Prognose Hauptschulabschluss nach Jahrgang 10 sowie Schülerinnen und Schüler mit der Prognose FOR (Fachoberschulreife – d. Red.) an.
Die Jugendlichen unterschreiben eine Vereinbarung zu Beginn des Schuljahres. Was ist ihr Inhalt?
Die Schülerinnen und Schüler unterzeichnen die Vereinbarung und damit die Säulen des Ausbildungspaktes. Diese Punkte sind im Vorfeld durch mehrere Workshops mit Betrieben, Eltern und Schülerinnen und Schülern ermittelt worden: 1. Keine unentschuldigte Fehlstunden; 2. Soziales Engagement; 3. möglichst keine Minderleistungen auf dem Zeugnis.
Wozu verpflichten sich die teilnehmenden Betriebe konkret?
Die Betriebe verpflichten sich zunächst einmal, im Rahmen der Kooperation mit der Anne Frank Gesamtschule den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern eine vertiefte Berufswahlorientierung zu ermöglichen.
Was bedeutet das?
Hierzu gehören die Bereitstellung von Praktikumsstellen zur Betriebserkundung und ein mehrwöchiges Praktikum sowie die Beratung der Schülerinnen und Schüler. Des Weiteren – und das ist das Besondere – verpflichtet sich der Betrieb, Schülerinnen und Schüler entweder selber auszubilden – nach erfolgreichem Matching in den Vorjahren –, mindestens aber, sie bei der Ausbildungsplatzsuche zu unterstützen.
Die Jugendlichen gehen sehr konkrete Verpflichtungen ein und dürfen im Gegenzug lediglich hoffen. Stimmt das?
Wir gehen davon aus, dass die Säulen des Ausbildungspaktes in jedem Fall die Ausbildungsfähigkeit und damit die Eignung der Schülerinnen und Schüler für die Ausbildung deutlich steigern. Dies ist bereits ein Mehrgewinn.
Die Erfahrungen mit unseren gängigen Bildungspartnerschaften haben gezeigt, dass durch konsequente Vermittlung zwischen Betrieb und potentiellem AZUBI die positiven Skills unserer Schüler zu Tage gebracht werden und wir tendenziell mehr Schüler in eine Ausbildung vermitteln können.
Wir hoffen als Team der Anne-Frank-Gesamtschule darüber hinaus, dass unsere betrieblichen Kooperationspartner sich an ihre Vereinbarung halten und mit allen Möglichkeiten die Ausbildungsplatzsuche unterstützen und in hoher Zahl selbst auszubilden.
Wie funktioniert das Verfahren konkret? Wenn beispielsweise zehn Jugendliche in einen Betrieb wollen, der jährlich nur drei Azubis neu einstellt, aber niemand in einen Betrieb, der händeringend nach neuen Azubis sucht …?
Wir befinden uns noch sehr am Anfang. Zunächst einmal ging es schulisch darum, die Gruppe mit den Säulen des Ausbildungspakts vertraut zu machen. Nun werden wir anfangen, Betriebe und Schüler im Rahmen von Betriebserkundungen zusammen zu bringen. Freiwillige Kurz-Praktika werden folgen.
Sollten mehr Schülerinnen und Schüler Interesse haben, als Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, hätten wir in unserer Planung gravierende Fehler gemacht. Wir gehen davon aus, dass wir – nach Neigung und Interessen der Schülerinnen und Schüler – eine ausreichende Anzahl von ausbildungsfähigen und willigen Betrieben akquirieren können.
Mit welchen lokalen Akteuren kooperieren Sie?
Wir haben unseren Ausbildungspakt allen wichtigen Organisationen, Kammern etc. vorgestellt und sind auf viel Unterstützung gestoßen. Vertiefte Berufswahlorientierung hat an der Anne-Frank-Gesamtschule allerdings auch eine lange Tradition und unsere Kooperationen mit den obengenannten Partnern waren bereits vor dem Pakt eng. Innerhalb der Kooperation geht es vor allem um die Vermittlung und Vernetzung potentieller betrieblicher Kooperationspartner.
Was unterscheidet Ihre Ausgestaltung der Konzeption von der in Westerfilde?
Die Grundkonzeption ist identisch, Unterschiede liegen vor allem in der genauen Ausgestaltung der Säulen. Zum Beispiel, wie viel soziales Engagement erwartet und wie es gemessen wird. Oder auch welches Profil die Betriebe haben sollten, die angesprochen werden.
Was ist der Unterschied zwischen dem „Ausbildungspakt“ und der „Bildungspartnerschaft“ zum Beispiel mit dem Logistik-Unternehmen „Fiege“?
Im Falle dieses Kooperationspartners gibt es tatsächlich keine nennenswerten Unterschiede. Bereits vor dem Ausbildungspakt hat Fiege uns freie Ausbildungsplätze genannt und wir konnten geeignete Kandidaten vorschlagen. So sind bereits Ausbildungsverhältnisse entstanden, die von der Anne-Frank-Gesamtschule begleitet werden.
Aus dem Bildungspartner wurde ein Pakt-Partner. So würde ich behaupten, dass Fiege ein beispielhafter Kooperationspartner ist, für den wir sehr dankbar sind. Der Unterschied ist, generell, dass unsere Ausbildungspakt-Partner bei Erfüllung der Anforderungen durch unsere Schülerinnen und Schüler eine Unterstützung bei der Vermittlung in Ausbildung leisten wollen.
Was passiert, wenn Jugendliche die Vereinbarung nicht einhalten können? Gibt es ein Frühwarnsystem? Was passiert, wenn auf dem Zeugnis zweimal mit „mangelhaft“ benotet wurde?
Wir sind eine Schule des längeren, gemeinsamen Lernens und unsere Arbeit fußt auf der Grundannahme, dass Schülerinnen und Schüler offene Räume zur Entwicklung benötigen. So ist auch das Erlangen der Ausbildungsreife ein Prozess, der von uns als Team eng begleitet werden muss. In regelmäßigen Beratungssitzungen wird über den Fortlauf dieses Prozesses beraten, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern und Betriebe bekommen regelmäßig Rückmeldung.
Sollten alle Bemühungen jedoch nicht fruchten, ist es auch möglich, Schülerinnen und Schüler aus dem Ausbildungspakt zu entlassen. Dies erfolgt nach einem stufigen Model. Ein Halbjahreszeugnis mit Minderleistungen in der 9. Klasse wird jedoch nicht dazu führen, dass der Pakt abgebrochen wird – es ist jedoch ein Anlass intensivster Beratung.