Lebenslange Träume werden am Ziel zum Schreckgespenst: statt endlich Zeit zu haben – und dafür zu finden, was einem immer vorschwebte, erfolgt nach dem Berufsleben in der Realität des Ruhestandes häufig der Fall in ein ganz tiefes Loch. Und Einsamkeit. – Dieser Entwicklung die „Schicksalshaftigkeit“ streitig zu machen – deswegen wurde Anfang der 80er Jahre ZWAR („Zwischen Arbeit und Ruhestand“) gegründet. Selbstwertgefühl und Eigenverantwortung älterer Menschen sollen durch basisdemokratische Organisationsstrukturen gestärkt werden. Die CDU/FDP-NRW-Landesregierung will die Förderung einstellen. Der Dortmunder Stadtrat ist mehrheitlich dagegen und hat dies auf seiner letzten Sitzung per Resolution dokumentiert.
Netzwerk „Zwischen Arbeit und Ruhestand“: Selbstorganisation älterer Menschen in NRW gefördert
Mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, Grünen und Linke&Piraten zeigt der Dortmunder Stadtrat der Landesregierung mal wieder die rote Karte.
In der verabschiedeten Resolution wird gefordert, „die von Sozialminister Laumann und den Fraktionen von CDU und FDP im Landtag NRW vorgenommene Streichung der Mittel für die ZWAR-Zentralstelle in Dortmund (Netzwerk „Zwischen Arbeit und Ruhestand“) ab dem Jahr 2020 rückgängig zu machen“.
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Es geht um knapp 600.000 Euro pro Jahr. Mit denen hatte das Land NRW die ZWAR-Zentralstelle NRW in Dortmund-Marten seit 2008 gefördert. Dort sind neun MitarbeiterInnen beschäftigt, deren zentrale Aufgabe es ist, das bestehende Netzwerk aus landesweit gegenwärtig etwa 240 ZWAR-Gruppen mit über 10.000 festen Teilnehmenden auszubauen und zu unterstützen.
Das zentrale Paradigma des Vereins ZWAR e.V. lautet: Hilfe zur Selbsthilfe. Die Martener Zentralstelle unterstützt die Selbstorganisation älterer Menschen beim Übergang in den Ruhestand und im Ruhestand. Was damit schlussendlich beabsichtigt wird: die gesellschaftliche Teilhabe von SeniorInnen mit deren Präsenz wie Erfahrung in der Öffentlichkeit. Ausdruck dessen: die im Netzwerk Aktiven engagieren sich nach Angaben der ZWAR-Zentrale in mehr als 3.500 Interessen- und Projektgruppen.
NRW-Landesregierung will ZWAR-Zentralstelle in Dortmund ab 2020 die Fördermittel vollständig streichen
Dem Willen der NRW-Landesregierung folgend, soll damit ab 2020 Schluss sein. Zumindest, was die finanzielle Unterstützung betrifft. Was dem Projekt in seiner jetzigen Gestaltung den Todesstoß versetzte.
„Die verfügbaren Mittel des Landesförderplans Alter und Pflege sollen … für andere Aufgaben verwendet werden“, heißt es dazu aus dem zuständigen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS). Die hierfür angeführten Gründe hält das Netzwerk für vorgeschoben (zur Debatte: s. die Links am Ende dieses Beitrags).
Wie dem auch sei: jedenfalls landete das Thema am vergangenen Donnerstag auf der Tagesordnung des Dortmunder Stadtrats. Auf Antrag jener Fraktionen, die ihn schließlich mehrheitlich durchsetzten und hierdurch ein Zeichen gegen die NRW-Pläne setzten. Die kurze Diskussion vor der Abstimmung zeigte, wie sich Gesellschaft teilen kann.
Hier in jene, die sie durch Solidarität zusammenhalten wollen – und ihnen gegenüber die AdvokatInnen des Gedankens, dass nicht nur alle ihr eigenes Glück schmieden, sondern es in der Konsequenz eine nahezu undurchlässige Pyramide von Privilegien gibt: von Stark nach Schwach.
Ermöglichung von Teilhabe und Mitgestaltung in einer immer älter werdenden Gesellschaft
Die so manches beinhaltet, was den Intentionen von AnhängerInnen einer konkreten Solidargemeinschaft zuwiderläuft: unter anderem öffentliche Prädominanz durch Ausschluss jener, denen es nicht gelingt oder nie gelingen konnte, eine Stimme haben.
Ergo genau das, was auch ein Netzwerk wie ZWAR zu verhindern sucht – hier durch’s Engagement für soziale Teilhabe von älteren Menschen, indem deren Selbstermächtigung gestärkt wird, wo sie durch Austritt aus dem Berufsleben dem öffentlichen Leben entzogen werden.
Das MAGS-NRW hatte die Einstellung der Förderungen unter anderem damit rhetorisch gerechtfertigt, ob hier „nicht Leistungen finanziell unterstützt werden, die eigentlich kommunale Aufgabe sind und zum Bereich der Daseinsvorsorge gehören“. Wie für das Netzwerk ist Renate Weyer, stv. Fraktionsvorsitzende der SPD im Stadtrat, klar: „Die Begründung der Landesregierung, dass es sich um eine kommunale Aufgabe handelt, ist vorgeschoben.“
Denn ein Großteil der Arbeit der ZWAR-Zentrale ist durch die Unterstützung zur Gründung und Vernetzung von selbstorganisierten SeniorInnen-Gruppen (ein Alleinstellungsmerkmal in NRW) landesweit ausgerichtet. Wo auch immer dieses Konzept umgesetzt werden kann: es ermögliche die Teilhabe und Mitgestaltung älterer Menschen, fördere bürgerschaftliches Engagement und sei ein wichtiges Instrument „für die Gestaltung des Lebens in einer immer älter werdenden Gesellschaft“, so Weyer.
Von Scheidungsraten im Ruhestand und Beratungsstrukturen für jene, die auf der Strecke bleiben
Unterstützung kommt von den beiden anderen Urheber-Fraktionen der Resolution. Für Die Linke & Piraten betont Utz Kowalewski: als Dachdecker ginge es eben nicht – anders als ein Bundestagsabgeordneter – bis 90 unterwegs zu sein. „Irgendwann kommt man tatsächlich an einen Punkt, wo das Arbeitsleben beendet ist“.
Dann fiele es sehr schwer, den Übergang in den Ruhestand zu schaffen, schließlich beschäftigungsfrei zu sein – ein Blick auf die Scheidungsraten genüge. Daher: Fehlentscheidung der Landeregierung.
Für Ulrich Langhorst, Fraktionsvorsitz Bündnis 90/Die Grünen, ist es „zu kurz gegriffen“, zu sagen, es gäbe hier einen Arbeitsmarkt oder eine zukünftige wirtschaftliche Situation, die klar mache, dass alle Menschen gebraucht würden. – Wirtschaftliche Erfordernisse sind eins, Menschen, die unter dem Qualifizierungsdruck auf der Strecke bleiben – sind Menschen.
Da bräuchte es eine Beratungsstruktur, so Langhorst. (Zu den Angeboten des Netzwerks, s.u.) Weswegen es richtig sei, die Landesregierung aufzufordern, von dieser Entscheidung zurückzutreten.
„Die 55-Jährigen, die noch beschäftigt werden müssen, die gibt es nicht mehr, die sollen bis 67 arbeiten“
Der Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen hatte sich ausdrücklich gegen den Kern der Begründung von Sascha Mader für die CDU-Ratsfraktion gewandt, weshalb dessen Partei die Resolution nicht unterstützen werde: „Wir sind der festen Überzeugung, die 55-Jährigen, die noch beschäftigt werden müssen, die gibt es nicht mehr, die sollen bis 67 arbeiten, wenn es noch irgendwie geht.“
„Die Leute müssen nicht beschäftigt werden; wir brauchen sie als Facharbeiter“, insofern habe sich ZWAR überlebt, so der stv. Fraktionsvorsitzende. „ZWAR ist ja schon fast Vergangenheitsbewältigung, mal entstanden daraus, zu gucken, wie wir die Frührentner aus der Montanindustrie beschäftigt bekommen“, kann er dem Projekt keine sinnvollen Gegenwartsbezüge mehr abgewinnen.
Noch deutlicher wird Heinrich Garbe für die AfD. Für ihn wird die „Zeit zwischen Arbeit und Ruhestand sinnlos gefüllt“. Es könne natürlich sein, dass der ein oder andere Probleme mit sich sich hätte. „Aber, mein Gott, man soll doch mal Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen“, so Garbe. Statt zu sagen: „Wer hilft mir denn jetzt, wer betüddelt mich denn jetzt?“ Das empfände er als höchst seltsame Auffassung, die da für ihn lautet: „Es sind ja arme Opfer, dann müssen wir ihnen helfen, ob es was bringt oder nicht.“
Soziales Verhalten von GegnerInnen der Resolution im Stadtrat als „Trauerspiel“ qualifiziert
Der letzte Redebeitrag vor der Abstimmung kam von einer Befürworterin der Resolution: „Es ist ein Jammerspiel, was sich hier abspielt. ZWAR hilft ganz vielen Menschen aus der Isolation“, so Nursen Konak von der Fraktion Linke&Piraten. Wie sich einige Menschen hier verhielten, dass sei absolut nicht sozial, sondern ein Trauerspiel.
Und dann war da noch Heinz Neumann (CDU), ehemaliger schulpolitischer Sprecher seiner Fraktion: „Eigentlich müsste ich mich bei den Fraktionen, die diesen Antrag stellen, bedanken“, gibt er zu Protokoll.
Er erklärt: Menschen aus dem Dortmunder Westen, Mitglieder seiner Partei oder seine Wähler, die segelten gern und wären nicht sehr erbaut, müssten sie das in Zukunft selbst bezahlen.
Weitere Informationen:
- Homepage ZWAR; hier:
- Centrum für Alternsstudien Universität zu Köln (Hrsg.). Meyer-Wolters, H. & Löhr, A. & Klöckner, J. (2016) (NRW-weite Studie zur Wirksamkeit des ZWAR-Netzwerkkonzepts); hier:
- Bericht des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales zur „Absicht der Landesregierung die Landesförderung für das Netzwerk ZWAR zu streichen“; hier:
- ZWAR, Stellungnahme: Zur Einstellung der Förderung der ZWAR Zentralstelle NRW durch das MAGS; hier:
- ZWAR: Gegendarstellung zum schriftlichen Bericht des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW Karl Josef Laumann „Absicht der Landesregierung, die Landesförderung für das Netzwerk ZWAR zu streichen“ für den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 25.10.2018; hier:
- ZWAR: Die Einstellung der Förderung der ZWAR Zentralstelle NRW würde einen nicht wieder gut zu machenden Verlust für Nordrhein-Westfalen bedeuten!; hier:
- Qualifizierungsangebote ZWAR; hier:
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