Das 2023 in Kraft getretene Bürgergeldgesetz wird aktuell von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in Teilen zur Disposition gestellt. Sein Ministerium hat dem Finanzminister Vorschläge zur Konsolidierung des Bundeshaushalts vorgelegt, die u.a. verschärfte Sanktionen bei „nachhaltiger Leistungsverweigerung“ von Bürgergeld-Empfänger:innen vorsehen. Allein von dieser Verschärfung verspricht sich die Behörde Minderausgaben von 170 Millionen Euro pro Jahr. Die Vorschläge sind mittlerweile in den Entwurf des Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetzes 2024 eingegangen und bereits Gegenstand der Beratungen im Bundestag.
Gesetzesänderung soll vorläufig auf zwei Jahre befristet sein
Nach zahlreichen Protesten durch Sozial- und Wohlfahrtsverbände als auch heftigen Diskussionen innerhalb der Regierungskoalition selbst, berichtet der Tagesspiegel mit Verweis auf die Deutsche Presseagentur, dass die Regelung zur Sanktionsverschärfung beim Bürgergeld nun in veränderter Form verabschiedet werden soll. Die Änderung sieht vor, den Entzug des Regelbedarfs bei Arbeitsverweigerung auf zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zu befristen.
Ob die Möglichkeit der Komplett-Sanktionen nach zwei Jahren dauerhaft bleiben soll, solle dann auf Basis einer Überprüfung entschieden werden. Das Bundesarbeitsministerium solle dafür mit der Bundesagentur für Arbeit und ihrem Forschungsinstitut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung abstimmen, wie diese in die ohnehin laufende Evaluation des Bürgergeldes einbezogen werden kann.
Dennoch stößt die Regelung vielerorts auf Gegenwind, so auch beim Sozialforum Dortmund. Hier fordert man, die Verschärfung der Sanktionen als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung ersatzlos zu streichen. Auf welchen Erfahrungswerten die Verschärfung der Sanktionsregeln beruhe, bleibe wohl das Geheimnis des Arbeitsministers, heißt es in einer Stellungnahme des Sozialforums.
Ein populistischer Rückfall in die Denke von Hartz IV
Übersetzt würde eine Einsparung von 170 Millionen Euro rund 210.000 Vollsanktionen pro Jahr bedeuten (für jeweils zwei Monate).
Ein Blick in die Sanktionsstatistiken der Bundesagentur für Arbeit aus früheren Jahren zeige, dass Sanktionen bei Verweigerung von Beschäftigungsaufnahmen nie auch nur annähernd eine solches Ausmaß erreicht hätten. Sprich: Das angenommene Einsparvorlumen von 170 Millionen dürfte nie und nimmer zusammenkommen.
Was aber im Ergebnis von populistischen Gesten solcher Art hängen bleibe, sei, dass sämtliche Bürgergeldbezieher:innen unter Generalverdacht geraten (als seien sie alle potentielle Drückeberger:innen). Das sei ein Rückfall in die Denke von Hartz IV, ein System, das sich als nicht geeignet erwiesen habe, arbeitswillige Erwerbslose in existenzsichernde Beschäftigung zu bringen und von daher mit Recht abgeschafft worden sei.
Ersatzlose Streichung der Verschärfungen gefordert
Die Ampelregierung war mit dem Anspruch gestartet, Schwächen des alten Systems zu überwinden und mehr Menschen in eine existenzsichernde Beschäftigung zu bringen. Von diesem Ziel habe sich die Bundesregierung wohl mittlerweile verabschiedet. „Oder ist es schlicht Opportunismus, nach dem Motto: Wir nehmen’s bei denen, die sich vermutlich am wenigsten wehren (können)?“, fragt das Sozialforum.
Für das Problem, dass sich die Vorstellungen von Politik und Bürokratie (Jobcenter) häufig nicht mit den Anforderungen der freien Wirtschaft decken würden, dafür könnten Arbeitslose nicht verantwortlich gemacht werden. Eine bessere Idee wäre beispielsweise, die Gesetze so anzupassen, dass Arbeitswillige die Möglichkeiten erhielten, flexibel mit Firmen über Weiterbildung zu verhandeln. „Wir fordern daher, die Verschärfung der Sanktionen als Beitrag zur Haushaltskonsolidierung ersatzlos zu streichen.“
Weitere Informationen: Sozialforum Dortmund
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Nordstadtblogger-Redaktion
Während der Haushaltsberatungen hatte die Koalition die Einführung von 100-Prozent-Sanktionen für vermeintliche „Totalverweigerer“ beschlossen – als eine der „Sparmaßnahmen“, mit deren Hilfe die durch das Urteil des BverfG vom 15.11. entstandene Deckungslücke geschlossen werden soll. Das kam für viele Beobachter überraschend, denn es fehlt bis dato jeglicher empirischer Nachweis, dass höhere Sanktionen tatsächlich Arbeitsanreize schaffen könnten.
Es war vermutlich der – wie sich jetzt herausstellt – untaugliche Versuch, den viel weiterreichenden Forderungen von CDU, AfD und Teilen der FDP den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Vollsanktion für die „Totalverweigerer“ war noch gar nicht ganz in trockenen Tüchern, da preschte die CDU letzte Woche mit neuen Forderungen vor. Das Bürgergeld müsse grundlegend überarbeitet, der Begriff Bürgergeld gleich ganz getilgt werden. Auch der Finanzminister hatte ein paar Tage zuvor schon mal ein 3-jähriges „Moratorium“ bei den Sozialausgaben ins Gespräch gebracht.
Das hatten wir alles schon einmal. Damals, zu Zeiten von Schröder und Fischer, ging’s um die Liberalisierung des Arbeitsmarkts, heute eher um die Aufbringung von Haushaltsmitteln fürs Militär. Der Sozialstaat steht den Herrn Lindner, Merz und Linnemann dabei im Weg.
Mit ihren Vorschlägen und dem Gerede von einem „Moratorium bei den Sozialausgaben“ soll den Lesern bzw. Wählern suggeriert werden, die Lösung aller Haushaltsprobleme liege bei den Sozialleistungen. Wären die nicht so hoch, könnten wir UNS (wurden wir je dazu gefragt?) die Aufrüstung und die Ukraine-Hilfen locker leisten. Auch zusätzliche Maßnahmen zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes wären dann noch drin… Boulevard-Presse und Wirtschaft klatschen Beifall: Der Staat müsse sich auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren und „wehrhaft gegen Missbrauch sein“, so Arbeitgeberpräsident Dulger.
Das alles ist brandgefährliche Demagogie und wird auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen.
SPD und Grüne haben mit Empörung auf die Vorstöße reagiert. Die Union spiele arbeitende Menschen gegen diejenigen aus, „denen es gerade nicht so gut geht“, so z.B. der SPD-Vorsitzende Klingbeil. Doch wir sollten uns nichts vormachen. Mehr Rüstung, mehr Unterstützung für die Ukraine sowie Entlastungen für die Wirtschaft liegen auch der SPD und den Grünen am Herzen, letzteren sogar ganz besonders. Insofern steckt hinter den zur Schau getragenen Differenzen nicht viel. Man muss eher vermuten, dass der Ampelregierung der Vorstoß der CDU mit Blick auf die kommenden Wahlen ganz zupass kommt. Eine Gelegenheit, sich als Gutmenschen aufzuführen.
Das alles sollten wir uns nicht gefallen lassen. Alle Mittel, die für Krieg und Rüstung verschleudert werden, brauchen wir dringend für Bildung, Kultur, den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und ein menschenwürdiges Leben. Und auch ein Moratorium bei den Sozialausgaben darf es nicht geben!
Am kommenden Dienstag (26. März) wird es in der Stadt eine Protestkundgebung gegen die neuen Totalsanktionen beim Bürgergeld geben, veranstaltet vom Dortmunder Bündnis ‚Genug ist Genug‘.
Wir rufen dazu, sich daran zu beteiligen. Kommt zahlreich!
Dienstag 17.30 Uhr Ecke Katharinenstr./Kampstrasse