Verschwundene Ausweise, Siegel und Dokumente – die Vorkommnisse bei den Dortmunder Bürgerdiensten sorgten für Schlagzeilen, viel Arbeit für die RechnungsprüferInnen und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Am Mittwoch um 15 Uhr wird es eine öffentliche Sondersitzung des Rechnungsprüfungsausschusses (RPA) geben. Dann wird auch ein Zwischenbericht vorgestellt. Die CDU-Fraktion will mit einem umfangreichen Antragspaket aufwarten.
CDU fordert keine personellen, sondern organisatorische Konsequenzen
„Wenn Sie große Worte suchen oder Forderungen, wer rausgeworfen oder geköpft werden soll, werden Sie das nicht finden“, betont Fraktionsgeschäftsführer Manfred Jostes bei der Vorstellung der beiden Anträge. „Das überlassen wir anderen.“ Schließlich gebe es weder einen Abschlussbericht noch ein Ende der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.
Dennoch ist sich die CDU schon sicher, mit ihren Papieren wichtige Beiträge zur Problemlösung zu liefern. Dabei geht es um viel mehr als die Arbeit des Rechnungsprüfungsamtes. Die CDU spannt einen großen Bogen zu den Themen Organisation und Personal.
Reinhard Frank, CDU-Sprecher im RPA: Auf fast 80 Seiten würden erhebliche Mängel konstatiert, die „vergleichbar sind bei anderen Ämtern, wie zum Beispiel Jugendamt“. Der Bericht nenne viele Dinge, „die schiefgelaufen sind oder heute noch schief laufen“, so Frank.
90.000 Vorgänge überprüft – mehr als 200 Dokumente sind verschwunden
Der Verbleib von mehr als 200 Ausweisdokumenten ist ungeklärt. Belege für eine kriminelle Energie gibt es bisher nicht. Viel mehr ist davon auszugehen, dass diese Dokumente beispielsweise durch Fehldrucke oder verschütteten Kaffee unbrauchbar wurden.
Dafür spricht die These, dass nicht bei einer Stelle alle Papiere „verschwunden“ waren, sondern in allen Dienststellen Unregelmäßigkeiten bekannt wurden. Allerdings wurde die mutmaßliche Vernichtung – sollte sie erfolgt sein – nicht dokumentiert. Nur eines von vielen Problemen.
„Nicht nach Anweisung gearbeitet, fehlende Vier-Augen-Prinzipe, Probleme bei den Schnittstellen/Übertragungen, unregelmäßige Kontrollen, fehlende Protokolle, 240 Dokumente nicht mehr auffindbar“, nennt er einige der Knackpunkte. Dabei sind die Prüfungen noch nicht abgeschlossen.
Hinzu kommt, dass es aktuell immense Wartezeiten, eine erhöhte Fluktuation und hohe Krankenstände beim Personal der Bürgerdienste gibt.
Doch die Konsequenzen sind für die CDU schon klar: „Wir müssen Veränderungen bei den Bürgerdiensten haben. Durchgreifende Veränderungen – organisatorisch, personell und technisch. Und wir brauchen Prozessbegleitung als vierten Punkt“, so Reinhard Frank.
CDU will das Ende der Bürgerdienste einläuten – getrennte Verantwortlichkeiten
Die deutlichste Erkenntnis für die Christdemokraten: Die ausschließliche Ausrichtung der Bürgerdienste auf die Kundenfreundlichkeit sei ein Fehler gewesen, weil hier sicherheitsrelevante Fragestellungen vernachlässigt worden seien.
Sie plädieren für eine Neuorganisation – die eine Trennung der Ausstellung von Ausweisen, Führerscheinen und Fahrzeugpapieren in drei unterschiedliche Abteilungen mit jeweils eigenen Leitungen und Verantwortlichkeiten zur Folge hätte.
Das würde das Ende der bisherigen Bürgerdienste bedeuten. Einen Ausweis und einen Führerschein beim selben Schalter von ein und demselben Bediensteten zu bekommen, wäre dann nicht mehr möglich.
So wäre die Rückkehr in die Zeiten des alten zentralen Straßenverkehrsamtes denkbar – natürlich unter anderem organisatorischen Rahmen. Aber auch ein Verbleib der drei neu zu schaffenden Abteilungen unter einem Dach wäre möglich.
Zudem stellt sich die Frage, ob weiterhin in den Bezirksverwaltungsstellen allen Leistungen angeboten werden könnten. Bündelungen, wie beim jetzigen Team Europa – es gibt eine zentrale Anlaufstelle für alle Belange von EU-AusländerInnen – stünden zur Disposition.
Doch das würde die CDU mit Blick auf die bisher fehlende Sicherheit im System in Kauf nehmen. Auch weitere Wartezeiten müssten hingenommen werden, wenn es dadurch keine Unregelmäßigkeiten mehr gebe.
„Stellen Sie sich doch mal vor, wenn einer der Paris-Attentäter mit einem Ausweis aus Dortmund durch Europa gereist wäre“, versucht Jendrik Suck ein Problem- und Sicherheitsbewusstsein zu wecken.
Schließlich war der Skandal bei den Bürgerdiensten durch einen bei einer Autokontrolle gefundenen Blankoausweis ausgelöst worden.
Neue interne Kontrollsysteme – Rechnungsprüfer sollen vorab Abläufe prüfen
Die CDU will daher ein Umdenken erreichen und die Kontrollen stärken. Das soll auf zwei Ebenen passieren: Zum einen sollen die internen Kontrollsysteme gestärkt werden. Der Systemfehler besteht bisher darin, dass die interne Revision bei der jeweiligen Amtsleitung angedockt ist.
Werden Versäumnisse festgestellt, werden diese der Amtsleitung mitgeteilt. Es gibt aber keine übergeordnete Instanz, die die Berichte überprüft und handelt, verdeutlicht Reinhard Frank. Dort brauche es eine „zentrale Eingreifgruppe“.
Außerdem will Suck das Rechnungsprüfungsamt stärken und mit neuen Kompetenzen ausstatten. „Das RPA soll nicht nur rückwirkend Belege überprüfen, sondern auch vorab Verfahren prüfen“, erklärt Suck. „Diese Rolle wird bisher nicht ausgeübt. Wir möchten, dass das RPA diese Perspektive aufnimmt und sich neu aufstellt.“
Diese grundlegenden Änderungen sind allerdings nicht auf Schnellschüsse ausgelegt: „Uns ist klar, dass das eine Sache wird, wenn wir eine Mehrheit finden, die uns noch Jahre begleitet. Wir glauben aber, dass das bisherige System nicht mehr den heutigen Anforderungen genügt“, begründet Suck die Anträge.
Es kann gut sein, dass die Anträge auch erst bei der nächsten regulären Sitzung des Ausschusses Ende Juni thematisiert werden, da sich die anderen Fraktionen damit vorab kaum beschäftigten konnten, räumt Manfred Jostes ein.
Forderung nach personellen Konsequenzen – Sondersitzung mit Zwischenberichten
Am Mittwoch wird es daher vor allem um die Zwischenberichte zur Sonderprüfung gehen. Dann wird es um die kurzfristige Besetzung der vakanten Stellen und die schnelle Einführung von Kontrollinstanzen gehen.
Der Ruf nach personellen Konsequenzen wurde in den vergangenen Wochen von mehreren Parteien laut. Auch wenn die CDU diese nicht explizit fordert, macht sie aus der Erwartung, dass zumindest Amtsleiter Peter Spaenhoff (SPD) perspektivisch nicht mehr Teil der Überlegungen ist, keinen Hehl.
„Wir gehen davon aus, dass der neue Amtsleiter nicht mehr der alte ist. Er ist ja vom Ruhestand nicht mehr weit entfernt“, so Jostes. Allerdings setzt die CDU auf eine vorzeitige Lösung. Bis zu seinem planmäßigen Ruhestand im zweiten Halbjahr 2017 sei „es zu lange hin“, so Jostes.
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Grünen-Fraktion
GRÜNE fordern Prüfung disziplinar- und arbeitsrechtlicher Maßnahmen
Vor dem Hintergrund der 214 verschwundenen Dokumente bei den Bürgerdiensten fordert die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN die Prüfung disziplinar- und arbeitsrechtlicher Maßnahmen. Das sieht ein Antrag der Fraktion für die Sitzung des Rechnungsprüfungsausschusses am Mittwoch vor.
Barbara Brunsing, GRÜNES Mitglied des Rates:
„Wenn 214 vorläufige Personalausweise und Reisepässe sowie Kinderreisepässe nicht mehr auffindbar sind, dann kann das nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die CDU-Forderung nach einer Umorganisation der Bürgerdienste kann dabei ein Schritt sein. Aber es muss trotzdem auch die Frage nach Verantwortung gestellt werden.
Der Bericht des Rechnungsprüfungsamtes zeigt klar auf, dass viele Abläufe innerhalb der Bürgerdienste hochkomplex sind, gleichzeitig aber ein funktionierendes Kontrollsystem fehlt. So war die Datenbank zu keinem Zeitpunkt revisions- und rechtssicher, noch ist die Vernichtung von Dokumenten protokolliert worden. Das ist ein Grund, warum der Verbleib der Dokumente nicht mehr nachvollziehbar ist.
Dabei gab es anscheinend ausreichend Hinweise darauf, dass es Risiken in den Abläufen gibt, zuletzt in einem internen Bericht von Januar 2014. Die Empfehlungen verschiedener Überprüfungen zur Abstellung von Schwachstellen im Umgang mit Blanko-Dokumenten und Siegelplaketten sind aber nicht ausreichend beachtet worden. Die Verantwortung dafür haben laut Bericht maßgeblich die Führungskräfte, von denen die Empfehlungen nur teilweise oder nur mit zeitlicher Verzögerung umgesetzt worden sind. Auch wenn es bis jetzt keine nachgewiesenen kriminellen
Handlungen gibt – die Verwaltung hat mit ihrem Nichtstun Möglichkeiten dafür begünstigt bzw. hingenommen.“
In ihrem Antrag für den Rechnungsprüfungsausschuss wollen die GRÜNEN unter anderem wissen, wer die internen Prüfungen in den Bürgerdiensten durchgeführt hat, wer Kenntnis von den Ergebnissen hatte und verantwortlich für die Umsetzung war und wer die für die Umsetzung Verantwortlichen kontrolliert.
Barbara Brunsing:
„Die Verwaltung beklagt in ihrer Antwort auf den Bericht des Rechnungsprüfungsamtes einen „sorglosen Umgang“ mit den Dokumenten. Der Bericht macht deutlich, dass sich diese Sorglosigkeit insbesondere auch auf die Führungsebene bezieht. Vor diesem Hintergrund fordern wir die Prüfung disziplinar- und arbeitsrechtlicher Maßnahmen.“
Linke & Piraten
Bürgerdienste-Skandal: Linke & Piraten fordern Entlassung des Amtsleiters
Jetzt reicht es dem Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses. Carsten Klink und seine Fraktion DIE LINKE & PIRATEN wollen die eklatanten Missstände in den städtischen Bürgerdiensten nicht länger hinnehmen.
Die Fraktion wird in der Sondersitzung des Rechnungsprüfungsausschusses am Mittwoch, 4. Mai, den Antrag auf personelle Konsequenzen stellen. Die zuständige Dezernentin, Frau Jägers, wird von den Linken & Piraten aufgefordert, endlich aktiv zu werden. So soll der Amtsleiter der Bürgerdienste sofort von seinen Aufgaben entbunden werden.
„Verschwundene Ausweispapiere, und das nicht zu knapp, fehlende Amtssiegel, Sicherheitsmängel im Führerscheinwesen, offenbar nicht bezahlte Gebühren. Die Liste der Mängel bei den Bürgerdiensten lässt sich ja offenbar unendlich fortführen. Und fast täglich gibt es eine neue Überraschung“, sagt Carsten Klink wütend. „Da herrschen nicht nur katastrophale Organisationszustände. Dort herrscht auf Chef-Ebene offenbar auch völlige Unfähigkeit, endlich für ordentliche Verhältnisse zu sorgen.“
Und das seien ja noch nicht mal neue Entwicklungen. „Schon der Skandal um die Bezirksverwaltungsstelle in Hombruch, bei der die Stadt Dortmund einen erheblichen Schaden erlitt, fällt in die Verantwortung des Amtsleiters Peter Spaenhoff.“ Damit nicht genug: Vor drei Jahren wurden zudem diverse Mängel bei der Führerscheinausgabe festgestellt. „Herr Spaenhoff, seit 2006 Chef der Bürgerdienste, nahm dies drei Jahre lang tatenlos zur Kenntnis und unternahm nichts zur Abhilfe“, kritisiert Carsten Klink.
Offenbar gebe es in den Bürgerdiensten überhaupt kein Problembewusstsein, klagt Klink. „Bei einer anlasslosen Bestandsprüfung, die durch die Bürgerdienste selbst vorgenommen wurde, sind keine zwei Monate (!) vor dem aktuellen Skandal hinsichtlich der verschwundenen Rohlinge für vorläufige Personalausweise angeblich gar keine Mängel gefunden worden.“
Fraktionsvorsitzender Utz Kowalewski: „Die Problemfelder bei den Bürgerdiensten erstrecken sich nicht auf einen einzelnen Bereich, sondern umfassen unter anderem den Dokumentenbestand Einwohnerwesen, den Dokumentenbestand Kraftfahrzeugwesen sowie die Einziehung von Gebühren. Deutlicher kann eine Überforderung des Amtsleiters mit seinem Aufgabenbereich nicht dokumentieren.“ Die geforderten personellen Konsequenzen seien da nur eine logische Konsequenz, so die Linken & Piraten.
Damit sich die Wogen in den Bürgerdiensten aber zumindest in der Zukunft glätten, fordert die Fraktion DIE LINKE & PIRATEN ein internes Monitoring zur kontinuierlichen Überprüfung der Arbeitsabläufe in den Bürgerdiensten. Zudem sollen die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung konkrete Aussagen zu der Höhe und der Hintergründe der fehlenden Gebühreneinnahmen machen. Und ohnehin erwartet der gesamte Ausschuss konkrete Aussagen des Rechnungsprüfungsamtes, das seit Wochen die vielen Ungereimtheiten in den Bürgerdiensten untersucht.
„Und dass wir eine Aufstockung des Personals in den völlig unterbesetzten Bürgerdiensten erwarten, ist ja längst kein Geheimnis mehr“, ergänzt Utz Kowalewski. Leider habe aber gerade Herr Spaenhoff als zuständiger Amtsleiter sich nie für eine solch dringende personelle Hilfe für seine völlig überforderten Beschäftigten eingesetzt.