Große Empörung über die Freisprüche im Fall Mouhamed Dramé

„Justice4Mouhamed“: 1500 Teilnehmende kamen zur Demonstration des Solidaritätskreises

Ursprünglich waren für die Demonstration 300 Teilnehmer:innen angemeldet. Am Ende waren es um die 1500. Foto: Leopold Achilles

Die aufgeheizte Stimmung unter den Teilnehmenden war in den Nachmittagsstunden des Samstags (14. Dezember 2024) in der Dortmunder Innenstadt nicht zu überhören. Nach dem Polizeieinsatz im August 2022, bei dem Mouhamed Lamine Dramé vor einem Suizid bewahrt werden sollte, der für den Jugendlichen jedoch tödlich endete, warteten die Menschen gebannt auf die Urteilsverkündung. Seit Donnerstag (12. Dezember 2024) steht nun fest: Alle fünf angeklagten Polizeikräfte wurden freigesprochen. Unter dem Motto „Nach dem Urteil / Justice4Mouhamed“ rief der gleichnamige Solidaritätskreis zu einer Demonstration auf, die das Urteil scharf kritisierte.

Spürbare Enttäuschung und Wut bei den Protestierenden

„No Justice, no peace!“ hallte es bereits vor dem Platz der Deutschen Einheit – noch bevor die Kundgebung offiziell begonnen hatte. Angedacht war die Demonstration ab 13:15 Uhr, doch der Frust der Teilnehmer:innen machte sich schon vorher bemerkbar. „Ich war völlig entsetzt vom Urteil. Wie dreist und unverschämt der Richter das vorgetragen hat! Der hat das alles so weggerotzt, nach dem Motto: ‚Interessiert mich alles nicht.‘ Also, das war brutal eklig!“, berichtet ein Protestierender. Er war bei der Urteilsverkündung am vergangenen Donnerstag anwesend.

William Dountio zeigt sich erschüttert über das Urteil. Foto: Leopold Achilles

„Ich habe das alles so runtergeschluckt, und an dem Abend bin ich wirklich emotional zusammengeklappt. Ich finde, der Richter ist eindeutig befangen“, fügte er sichtlich erschüttert hinzu. Mit dabei bei der Demonstration waren auch Sidy und Lasanna Dramé, die Brüder von Mouhamed Dramé. Sichtlich bedrückt standen sie neben William Dountio vom Solidaritätskreis „Justice4Mouhamed“.

„Mein Herz hat schon tausend Male geblutet, und all diese Wunden wurden am Donnerstag, den 14. Dezember 2024, auf eine der brutalsten Arten und Weisen wieder aufgerissen – mitten in diesem Gerichtssaal“, gab Dountio seinen Unmut dem Publikum preis. Sidy und Lasanna Dramé hielten den Blick dabei gesenkt.

No Justice, No Peace – Das riefen zahlreiche Menschen auf der Kundgebung. Foto: Leopold Achilles

„Es ist, als wären wir noch einmal erschossen worden, als stünden wir wieder im Innenhof der Jugendeinrichtung mit Mouhamed. Wie lange sollen wir das noch ertragen und schweigen?“, entgegnete Dountio verzweifelt.

Die Protestierenden hörten gespannt zu, ehe sie daraufhin mit Rufen wie  „Mörder und Faschisten, deutsche Polizisten!“ ansetzten und den Platz der deutschen Einheit belebten.

Protestzug kommt kurzzeitig zum Erliegen durch die Polizei

Nach verschiedenen Redebeiträgen begann der Demonstrationsmarsch vor dem Deutschen Fußballmuseum. Im vordersten Block marschierten auf Aufforderung der Veranstalter:innen BiPoCs, also Black People, Indigenous People and People of Colour (Schwarze Menschen, Indigene Menschen und People of Colour). Die Route führte zunächst über den Königswall zur Hansastraße, dann durch die Brückstraße. Schließlich mündete die Strecke erneut am Wallring und führte direkt zum Freiherr-von-Stein-Platz.

Die Stimmung spitze sich etwas zu, als die Demonstrant:innen an der Polizeiwache Nord vorbei ziehten. Foto: Leopold Achilles

Ursprünglich hatten sich rund 300 Teilnehmer:innen für die Demonstration angemeldet. Die Polizei Dortmund verzeichnete jedoch zum Ende der Veranstaltung etwa 1.500, die Veranstalter:innen sprachen von 2.000.

Doch auch wenn laut Angaben der Polizei der Protestzug überwiegend friedlich ablief, kam er kurzzeitig an der Kreuzung Burgwall/Königswall und Burgtor ins Stocken. Eine Kollision mit einer weiteren Kundgebung sollte zunächst vermieden werden.

Zwischenzeitlich kam die Demonstration zum stillstand. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Schließlich baute sich jedoch die BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) auf, um den Demonstrationszug kurzzeitig zu stoppen, woraufhin die Menschenmasse Rufe wie „Ganz Dortmund hasst die Polizei“ skandierte.

Genauere Informationen zur kurzzeitigen Unterbrechung wurden von der Polizei vor Ort nicht preisgegeben. „Wir haben keine Waffen, unsere Stimme ist unsere Waffe. Wir haben keine MP5!“, ruft Dountio entgeistert – eine Referenz zur Tatwaffe, mit der Dramé erschossen wurde – ehe der Zugang zur weiteren Route wieder gewährt wurde.

Appell für Gerechtigkeit: Mamadou Saliou Diallo spricht zu den Demonstrierenden

Mit der Ankunft am Endpunkt der Demonstration, dem Freiherr-von-Stein-Platz, trat eine bestimmte Person vor die Menschenmenge: Mamadou Saliou Diallo, der Bruder von Oury Jalloh. Vor knapp 20 Jahren sei dieser in einer Gefängniszelle in Dessau verbrannt worden. Indizien sprechen für einen Gewaltakt seitens der Polizei, dennoch konnte der Fall bis heute nicht geklärt werden.

Mamadou Saliou Diallo neben Lasanna Dramé (li.) und Sidy Dramé (re.). Darya Moalim | Nordstadtblogger

Ehe Diallo das Mikrofon in die Hand nahm, rief er Sidy und Lasanna Dramé zu sich nach vorne. Er wollte, dass sie neben ihm stehen, wenn er redet. Da Diallo sich auf Französisch an die Zuschauerschaft richtete, übersetzte Dountio zwischendurch das gesprochene Wort.

„In diesem Land wird über Menschenrechte und Gleichberechtigung für alle gesprochen. Die Polizei in Dessau und die deutsche Justiz haben uns jedoch das Gegenteil gezeigt. Dieses Schicksal war ein Trauma für unsere Familie. Bis heute können wir mit dem Mord an Oury Jalloh nicht abschließen. Unsere Familie wurden 5000 Euro angeboten, damit wir auf eine Klage verzichten. Was ist das für eine Logik?“, stellt Diallo erschüttert die rhetorische Frage. „Wie kann man ein Leben kaufen?“ fragt Diallo erneut rhetorisch.

„Aber man kann zumindest die Gerechtigkeit für das Leben fordern. Und das ist das Einzige, was wir wollen: Gerechtigkeit. Gerechtigkeit für Oury Jalloh und Mouhamed Lamine Dramé“, fordert Diallo bestimmt und erntet dabei Jubel aus dem Publikum.

Kritik an der Präsenz der MLPD bei der Protestaktion

Auch wenn die Plakate und Schilder, die die Protestierenden in die Höhe hielten, sehr durchmischt waren, fielen besonders die roten Fahnen in der Menschenmenge auf. Der „Freundeskreis Mouhamed“ war ebenfalls bei der Protestaktion anwesend. In der Vergangenheit geriet der Zusammenschluss aufgrund seiner Nähe zur MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands), mit der er weitere Gedenkveranstaltungen möglicherweise vereinnahmte, in die Kritik. Neben der MLPD selbst war auch ihre Jugendgruppe, Rebell, anwesend.

Der Freundeskreis Mouhamed war bei der Demonstration anwesend – dicht gefolgt von der MLPD und Jugendgruppe Rebell. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Ein Vorgehen, das die Veranstalter:innen als unangemessen empfanden, weshalb sie bereits zu Beginn der Kundgebung die MLPD aufforderten, die Demonstration zu verlassen – dieser Aufforderung kam die MLPD jedoch nicht nach.

Auch während des Protestzuges wiesen die Veranstalter:innen wiederholt darauf hin, dass die MLPD der  Anti-Ableistische Aktion Ruhr den Weg blockierte und sprachen erfolglose Verweise aus. Das Kollektiv der  Anti-Ableistische Aktion Ruhr organisierte kürzlich eine Kundgebung in Bochum, nachdem im Oktober eine psychisch belastete Person von der Polizei erschossen worden war.


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Reader Comments

  1. Bert Chen

    Es war die Anti-Ableistische Aktion Ruhr https://www.instagram.com/antiableistischeaktion_ruhr, durch die MLPD von der Demo weg gedrängt und an der Teilnahme behindert worden. Also Menschen mit Rollator oder Rollstuhl, die sich ans Ende der Demo setzen wollten, um in ihrem eigenen Tempo und mit Abstand von dem Lautsprecherwagen sich an der Veranstaltung zu beteiligen! Ich war selbst betroffen von diesem vollkommen inakzeptablen dreisten und unsozialen Verhalten der Herren Genossen von der MLPD.

  2. Urteil im Fall Mouhamed Dramé – Dortmunder GRÜNE setzen sich weiterhin für strukturelle Reformen ein (PM)

    Der Tod von Mouhamed Dramé bleibt auch nach dem Urteil vom 12.12.2024 ein mahnendes Beispiel für die Notwendigkeit, polizeiliche Strukturen und Einsätze grundlegend zu überarbeiten. Unser Mitgefühl gilt weiterhin der Familie und den Freund*innen von Mouhamed, die mit dem Verlust eines geliebten Menschen leben müssen.

    Hannah Rosenbaum, Sprecherin der Dortmunder GRÜNEN und Bezirksbürgermeisterin der Nordstadt, erklärt:
    „Der Tod von Mouhamed Dramé zeigt auf, wie dringend Veränderungen im Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen nötig sind. Immer wieder sterben Menschen durch Polizeieinsätze, die eigentlich Hilfe benötigt hätten. Besonders oft betroffen sind Menschen, die zusätzlich Diskriminierung durch Rassismus oder Armut erfahren. Dieser Kreislauf muss durch strukturelle Reformen durchbrochen werden, die auf Prävention und Hilfe statt Eskalation setzen.“

    Marek Paul Kirschniok, Sprecher der Dortmunder GRÜNEN, betont:
    „Die Enttäuschung der Familie Dramé über das Urteil, bei dem alle Polizist*innen freigesprochen wurden, ist mehr als verständlich. Dass niemand strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, obwohl ein Mensch sein Leben verloren hat, ist immer schwer zu ertragen. Wir bekräftigen, dass sich so ein Todesfall niemals wiederholen darf. Menschen in psychischen Ausnahmesituationen benötigen spezialisierte Hilfe und geschulte Teams, keine Einsätze, die Potenzial zur Eskalation haben. Es bedarf zwingend den Aufbau von spezialisierten Kriseninterventionsteams, die auf Menschen in psychischen Ausnahmesituationen vorbereitet sind und mehr Fortbildungen für Polizeibeamt*innen in den Bereichen Deeskalation und Antidiskriminierung.”

    Hannah Rosenbaum ergänzt:
    „Als Dortmunder GRÜNE betonen wir: Die Unterstützung von Menschen in Not muss oberste Priorität haben. Wir fordern die Polizei auf, den Weg der gesellschaftlichen Nähe und des Dialogs zu gehen. Es ist an der Zeit, aus Fällen wie diesem endlich die richtigen Lehren zu ziehen.“

    Die Dortmunder GRÜNEN sprechen allen Initiativen und Einzelpersonen ihren Dank aus, die sich für das Gedenken an Mouhamed Dramé und für eine offene gesellschaftliche Auseinandersetzung einsetzen. Der Solidaritätskreis Mouhamed spielt hierbei eine herausragende Rolle und treibt die notwendige Debatte entschlossen voran.

  3. Ulrich Sander, Jahrgang 1941

    Bert Brecht schrieb: „Sorgt doch, daß ihr die Welt verlassend / Nicht nur gut wart, sondern verlaßt / Eine gute Welt!“ Die Chancen, dass wir einmal eine gute Welt verlassen, sinken ständig. Kriege, Klimawandel, Nazi-AfD, Rüstungswahn sind schuld. In was für einem Land leben wir?! Da hat ein Polizei-Einsatzleiter befohlen: „Vorrücken und einpfeffern, das volle Programm.“ In diesem Land werden solche Befehle erteilt und sie werden befolgt! Weil man eine Notsituation und Bedrohung sieht. Die Genossen meiner Eltern, die ich als aus dem KZ Zurückgekehrte kennenlernte, waren meine Vorbilder. Sie wurden schon bald wieder als Bedrohung des Staates dargestellt und erneut verfolgt. Verfolgt von einer Justiz und Polizei, die so funktioniert, wie wir sie gerade wieder sahen. Die Befehlsgeber und -empfänger von Dortmund bleiben im Amt. Sie sind eine Gefahr für Leib und Leben der Menschen und dürfen weitermachen. Es wird ihnen nicht die Waffe aus der Hand genommen. Sie dürfen sich bald wieder in Not sehen und abdrücken.

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