Von Klaus Winter
Das Leben in Dortmund vor einhundert Jahren war für die Bevölkerung mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die Stadt wurde zu Beginn des Jahres 1923 von den Franzosen besetzt, die ihre aus dem Ersten Weltkrieg resultierenden Reparationsforderungen durchsetzen wollten. Gegen die Ruhrbesetzung rief die Reichsregierung zum passiven Widerstand auf, weshalb das Wirtschaftsleben erlahmte. Dazu erreichte die Inflation in dem Jahr ihren höchsten Ausschlag. Das Krisenjahr ist aber auch das Gründungsjahr der Firma Radsport Noll. Es ist nicht mehr bekannt, warum sich Carl Noll ausgerechnet 1923 selbständig machte.
Carl Noll kam vor dem 1. Weltkrieg nach Dortmund und verkaufte zunächst Nähmaschinen
Er stammte aus Schlitz (Kreis Lauterbach) in Oberhessen, wo er im Jahre 1882 geboren worden war. Um 1912 ließ er sich in Dortmund nieder. Er wohnte zunächst im Haus Missundestraße 29 und arbeitete als Schlosser. Diese Angaben über ihn finden sich auch noch in den ersten Adressbüchern nach dem Ersten Weltkrieg.
Im März 1923 gab Noll eine Kleinanzeige in der Dortmunder Zeitung auf, weil er eine gebrauchte Nähmaschine zu verkaufen hatte. Was zunächst wie ein Verkauf von Privat wirkte, entpuppte sich als die erste von vielen Geschäftsanzeigen. Wenige Wochen später war von Nähmaschinen und im Juni 1923 von gebrauchten Nähmaschinen mit Garantie die Rede.
Aus dem Sommer 1923 stammen auch die ersten Hinweise auf Nolls Reparatur-Werkstatt. Die reparaturbedürftigen Nähmaschinen holte Carl Noll mit einer Handkarre ab und brachte sie so auch wieder zurück.
Ab 1924 waren auch Fahrräder im Angebot
Erstmals im März 1924 trat Carl Noll als Händler für Damen- und Herrenfahrräder in Erscheinung. Er wohnte nun im Haus Münsterstraße 15a. Nähmaschinen vertrieb und reparierte er aber nach wie vor. In seiner Werkstatt baute er auch Fahrräder von Hand zusammen.
Im Juni 1924 drangen Diebe in seinen Lagerraum ein und stahlen zwei Fahrräder sowie mehrere Schläuche. Die beiden Täter wurden jedoch schnell ermittelt und dem Gerichtsgefängnis übergeben.
Radrennsport wurde schnell ein Thema
Nur wenige Jahre nach der Firmengründung, nämlich ab Sommer 1927 hatte Carl Noll neben Damen- und Herrenrädern auch Diamant-Rennmaschinen im Angebot. Es gab also bereits früh eine Verbindung der Firma Noll zum Radrennsport. Sie besteht noch heute.
Im Jahre 1928 wurden Fahrräder der Marken Diamant, Göricke, Bismarck und Opel verkauft. Inzwischen hatte Carl Noll sein Geschäft in das Haus Kapellenstraße 9 verlegt. Hier wurde ihm im August 1928 eine Scheibe eingeworfen, jedoch nichts gestohlen. Diesmal blieben die Täter unerkannt.
Die Firma bezog 1929 ihr heutiges Geschäftshaus
Im Jahre 1929 wurde das Haus Münsterstraße 72 der Geschäftssitz des Carl Noll. Das Haus hatte Lina Noll, Ehefrau des Carl Noll gekauft.
Noll wurde im Mai 1931 vereidigter Sachverständiger bei der Handwerkskammer Dortmund. Die Vereidigung fand im großen Festsaal des Handwerkerhauses an der Reinoldistraße statt. Die dabei überreichte Urkunde ist noch heute im Familienbesitz.
Der Firmengründer starb nach einem Verkehrsunfall
Anfang Oktober 1934 erlitt Carl Noll einen Verkehrsunfall und starb an den Folgen. Sein Tod hatte weitreichende Folgen. Denn der Sohn Fred, der das Geschäft später fortführte, war zu dem Zeitpunkt erst sechs Jahre alt.
Die Witwe Lina Noll heiratete ein zweites Mal. Ihr Ehemann wurde Bernhard Böckmann. Mit diesem führte sie das Geschäft unter der Firma Bödo B. & L. Böckmann oHG weiter. Nachdem die Eheleute sich 1940 getrennt hatten, setzte sie den Geschäftsbetrieb als Bödo Lina Böckmann und ab 1941 als Fahrradgeschäft Lina Noll fort.
Das Geschäft wurde in den 1940er Jahren vorübergehend eingestellt
Im Jahre 1943 vermietete Lina Noll das Ladenlokal an die Firma Daum. Der Inhaber, Hans Daum junior handelte ebenfalls mit Fahrrädern.
Er benötigte neue Geschäftsräume, weil seine bisherigen an der Rheinischen Straße kriegszerstört waren. Auch auf das Haus Münsterstraße 72 fiel eine Bombe. Das war im April 1944.
Lina Noll versuchte ab 1946, ihr Geschäft neu zu eröffnen. Die Firma Daum räumte aber erst nach einem längeren Gerichtsverfahren die gemieteten Räume im Haus Münsterstraße 72. So kam es erst 1950 zu der Wiedereröffnung.
Im Angebot waren ab den 1950er Jahren Fahrräder, Spielzeug und Mopeds
Bis zu ihrem Tode im Jahre 1966 Lina Noll war im Geschäft tätig. Sie wurde unterstützt von ihrem Sohn Fred. Ab 1959 trug das gemeinsame Unternehmen den Namen Noll oHG.
Neben Fahrrädern wurden Spielzeug und motorisierte Zweiräder angeboten. Mit diesem Angebot folgte man den Wünschen der Kundschaft.
Nach dem Tode seiner Mutter führte Fred Noll seine Handlung allein, 1977 stieg dann sein Sohn Ralf als Mitglied der dritten Generation mit ein. Fred Noll war bis zu seinem Todesjahr 2017 im Geschäft tätig, insgesamt also 67 Jahre.
In der Münsterstraße 52 wurde ein Showroom eröffnet
Ralf Noll konzentrierte sich ab Mitte der 1990er-Jahre auf den Handel mit Fahrrädern. 2001 eröffnete er eine Filiale, die wie das Hauptgeschäft an der Münsterstraße liegt.
Das Ladenlokal im Haus Münsterstraße 52 in der Nordstadt wurde in einen Showroom für eine Premiummarke Fahrradmarke umgestaltet.
Von 2009 bis 2019 hatte Ralf Noll auch das Amt des stellvertretenden Obermeisters in der Zweiradmechaniker-Innung für Dortmund und Lünen inne.
Zum Familienunternehmen der Nolls gehört auch ein Radrennfahrer
Seit 1986 arbeitet Jochen Noll, Bruder des Geschäftsinhabers, im Familienunternehmen, das seit 1993 mit Radsport Noll KG firmierte.
Jochen Noll ist dem Radrennsport eng verbunden. Über 40 Jahre fuhr er Straßen- und Bahnrennen. Auf der Bahn konnte er Titel bei Bezirks- und Landesmeisterschaften einfahren.
Beim Dortmunder 6-Tage-Rennen fuhr er im Zukunftsrennen auf den dritten Rang. Seit 2003 ist er Vorsitzender des RSV Dortmund-Nord 79 e.V.
Vierte Generation hat nun das Heft in der Hand
Inzwischen hat die vierte Generation Noll das Familienunternehmen übernommen. Geschäftsführer ist seit 2019 Sebastian Noll.
Er bereitet das Familienunternehmen Radsport Noll e. K. auf das nächste Jahrhundert vor. Sebastian Noll passt sich dem Wandel in seiner Branche an und setzt auf E-Bikes und Fahrradleasing.
Nebenbei bemerkt: Für die vom WDR produzierte Tatort-Folge „Mein Revier“ wurden im Eingangsbereich und vor dem Schaufenster der Firma Radsport Noll Szenen gedreht.
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