Von Klaus Winter
Die heutige Grundschule Kleine Kielstraße in der Nordstadt wurde 1907 als evangelische Volksschule in Dienst genommen. Benannt war sie damals nach Paul Gerhardt, einem Theologe und Dichter von Kirchenliedern. Gerhardts Geburtstag jährte sich im Jahr der Fertigungstellung der Schule zum 300. Mal.
Streik der Installateure führte zur verspäteten Schulweihe
Im Juli 1907 wurden an der Baustelle an der Kielstraße die Baugerüste entfernt. So wurde der Blick frei auf das damals größte Volksschulgebäude der Stadt. Dabei offenbarte sich, dass das prächtige neue Schulhaus nur an einer engen Straße und zwischen Häusern versteckt stand, so dass es nicht richtig zur Geltung kam. Man bedauerte nun, dass als Standort nicht eine große Straße oder ein Platz gewählt worden war.
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Die Eröffnung der Schule war zunächst für Anfang Juli geplant gewesen. Doch wegen eines Streiks der Installateure kamen die Bauarbeiten in Verzug, und der Termin musste verschoben werden. So stand die neue Schule erst im Oktober für ihren Zweck zur Verfügung.
Rektoren und Eltern waren bei der Einweihung der Schule ausgeschlossen
Die Eröffnung fand im kleinen Kreis, quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. „Man klagt so viel, daß das Elternhaus so wenig Interesse an der Arbeit der Schule nehme. Warum läßt man denn nicht einmal die Eltern teilnehmen an solcher einer Feier, wie sie die Einweihung einer so bedeutenden Schule ist?“, fragte die „Dortmunder Zeitung“ in ihrer Morgen-Ausgabe vom 19. Oktober. Die Eltern hätten dann Gelegenheit gehabt, das Umfeld kennenzulernen, in dem ihre Kinder unterrichtet würden, und auch die Lehrer hätten sie kennenlernen können.
Der für das städtische Volksschulwesen zuständige Dezernent, Rath, äußerte sich noch am selben Tag zu den Vorwürfen der „Dortmunder Zeitung“. Die Eltern hätten nicht zur Eröffnungsfeier der Schule geladen werden können, weil für so viele Menschen in der Schule kein Raum vorhanden war. Auch seien die Presseeinladungen nur aufgrund eines Versehens nicht verschickt worden. Magistrat und Stadtverordnete wären jedoch geladen gewesen und ein Pastor hatte zu Beginn der Feier ein Gebet gesprochen.
Die „Dortmunder Zeitung“ bezweifelte den öffentlichen Charakter der Einweihungsfeierlichkeit, da dazu nur Lokalpolitiker erschienen waren. Sogar die Rektoren der Schule waren ausgeschlossen gewesen. Die Eltern der Schulkinder hätten eingeladen werden können, wenn man den Festakt vor dem Hauptportal oder auf dem Schulhof veranstaltet hätte. Anschließend hätte man den Eltern die Besichtigung des Gebäudes ermöglichen können. „Wir möchten wirklich allen Ernstes wünschen, daß man bei zukünftigen Schulweihen den berechtigten Wünschen auch der Eltern mehr Beachtung schenkt“, forderte die Zeitung.
Dortmund richtete 1908 die Deutsche Lehrerversammlung aus
Pfingsten 1908 war Dortmund Veranstaltungsort der „Deutschen Lehrerversammlung“. Die Deutsche Lehrerversammlung wurde alle zwei Jahre organisiert und zwar in immer anderen Städten des Reichs. Dortmund war vom 7. bis zum 11. Juni 1908 Gastgeber dieses bedeutenden Ereignisses. Wie sehr man sich in der Stadt Mühe gab, einen guten Eindruck als Gastgeber zu hinterlassen, zeigt sich schon an dem zu diesem Anlass für die Teilnehmer gedruckten Stadtführer, der mehr als 170 Seiten stark war.
Die Auftaktveranstaltung der Lehrerversammlung fand in der Paul-Gerhardt-Schule statt. Bei diesem einzigen Tagesordnungspunkt des Eröffnungstages beeindruckte die neue Schule an der Kielstraße offensichtlich auch wichtige Teilnehmer. Herr Vollers, Leiter der ständigen Lehrmittelausstellung in Hamburg, veröffentlichte später gar einen längeren Beitrag über die Schule in der Fachzeitschrift „Pädagogische Reformen“.
Jahrzehnte später machte sie erneut Schlagzeilen und wurde vom Bundespräsidenten als beste Schule Deutschlands ausgezeichnet.
Paul-Gerhardt-Schule übertraf Hamburger Schulstandard
Vollers lobte vor 110 Jahren die Paul-Gerhardt-Schule in höchsten Tönen: „Das ganze Schulhaus macht den Eindruck, daß man in Dortmund mit Einsicht und großem Interesse an der Sache selbst […] sowohl in hygienischer, als auch in unterrichtlicher Beziehung den von Lehrern und Hygienikern aufgestellten Forderungen gerecht zu werden sucht.“ Er bedauerte, dass die neue Dortmunder Schule über Einrichtungen verfüge, die man an Hamburger Schulen nicht finden konnte, „obgleich sie unseren Herren Baubeamten nur etwas mehr Nachdenken und guten Willen“ gekostet hätte.
Zunächst beeindruckten die Klassenzimmer, die – ausgelegt für 62 Schüler! – bedeutend größer als die in Hamburger Schulen und mit zweisitzigen Bänken ausgestattet waren. Die Klassenschränke hatte man als Wandschränke eingebaut und das Lehrerpult fest installiert. Die großen Wandklapptafeln waren an den Wänden angebracht, die Türen wurden zum Flur hin aufgeschlagen. Überall gab es elektrische Beleuchtung und in der Klasse für Physikunterricht hatte man eine Starkstromanlage installiert.
Zeichensäle und Turnhalle befanden sich im Dachgeschoss
Im Dachgeschoss befanden sich die Zeichensäle und die Turnhalle. Eine Turnhalle im Dachgeschoss musste sich allerdings noch bewähren: Linoleum, Korkunterlagen und Bimsbeton sollten den Schall dämpfen; auch hatte man es zu vermeiden versucht, direkt unter der Turnhalle Klassenräume anzulegen.
Bei Planung und Bau der Schule war auf die Beachtung der Hygiene größten Wert gelegt worden. Die beheizbaren Aborte auf jeder Etage lagen an offenen Hallen, alle Wascheinrichtungen verfügten über kaltes und warmes Wasser. Auf den Fluren befanden sich Trink-Springbrunnen genau wie auf dem Schulhof. Die Brunnen waren so gebaut, dass die Übertragung von Krankheiten aufgrund einer Berührung mit dem Mund ausgeschlossen war. Im Kellergeschoss der Schule befand sich sogar eine Brausebadanlage.
Der durchgehende Linoleum-Fußboden und das zweisitzige Sitzbank-System in den Klassenräumen erleichterte die Reinigung des Gebäudes. Fußabstreichroste, Kokosmatten, Türleibungen aus glasierten Fliesen, Abwurfschächte für den Kehricht in allen Geschossen hatten an der Reinlichkeit ihren Anteil.
Hygienemaßnahmen begünstigten Diebstähle
Aus Gründen der Hygiene befanden sich auch die Garderoben nicht in den Klassenräumen, sondern auf den Fluren. Hier zeigte sich aber leider schon bald das Problem, dass Bekleidungsgegenstände durch Diebstahl verschwanden. Die „Dortmunder Zeitung“ empörte sich, dass „Eltern eine derartige häßliche Handlungsweise bei ihren Kindern dulden können, um diese dann noch am Sonntag mit den gestohlenen Gegenständen“ herauszuputzen. Um die Diebstähle für die Zukunft abzustellen, wurde eine Aufsicht oder die Anbringung von Drahtgittern gefordert.
Reader Comments
Reinhard Behler
Ich war von 1960 bis 1963 im östlichen Teil der Schule unter dem Namen katholische Josef-Görres-Schule.
Dieter Grützner
Hallo, wie hieß die Schule während der NS-Zeit?
Mein Vater hat sie bis 1941 besucht.