Von Klaus Winter
Der rasante Anstieg der Dortmunder Bevölkerung ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zog Probleme auf vielen Gebieten nach sich. Denen konnte sich auch die evangelische Kirche nicht entziehen, denn sie verfügte nicht über ausreichend große Kirchen, um allen Gläubigen bei Gottesdiensten einen Platz zu bieten. So entstanden in den 1890er Jahren gleich zwei neue Kirchen in dem Bereich Dortmunds, der am stärksten wuchs: der heutigen Nordstadt. Im März 1894 wurde an der Schützenstraße die Paulus-Kirche als Gründung der Petri-Nikolai-Gemeinde geweiht und bereits im Oktober 1895 an der Bornstraße die Johannes-Kirche als Filiale der Reinoldi-Gemeinde.
Der Altar für die Johanneskirche wurde anlässlich einer Goldenen Hochzeit gespendet
Bevor die Baumaßnahmen für die Johannes-Kirche begonnen werden konnte, musste ein geeignetes Grundstück gefunden werden. Die langwierige Suche begann 1888 und sollte sich über fast drei Jahre erstrecken. Erst Anfang 1891 wurde endlich ein Kaufvertrag unterschrieben. Den anschließend ausgeschriebenen Wettbewerb für den Kirchenbau konnte der Berliner Architekt Vollmer für sich entscheiden. Die feierliche Grundsteinlegung fand am 23. April 1893 statt.
Die Johannes-Kirche wurde im frühgotischen Stil aus hellem Sandstein errichtet und war für 1.100 Sitzplätze ausgelegt. In dieser Zahl waren die Plätze auf den schmalen Emporen an den Längsseiten des Kirchenschiffs sowie auf der größeren Empore über dem Haupteingang eingerechnet. Stolz stellte man fest, dass bei Gottesdiensten von jedem Platz aus die Sicht auf den Geistlichen möglich war.
Bei der Baumaßnahme musste man aus Kostengründen auf ein massives Deckengewölbe verzichten. Stattdessen wurde lediglich eine Holzdecke eingezogen, die farbig bemalt wurde. „Im Innern ist die Kirche recht schön und freundlich“, lautete dennoch ein bei der Kirchenweihe geäußertes Urteil.
Johannes-Kirche hatte den schönsten Kirchen-Vorplatz in der Stadt Dortmund
Die Johannes-Kirche konnte bei ihrer Weihe bereits einen „herrlichen Altar“ ihr Eigen nennen. Ein Ehepaar, das sich zur Reinoldi-Gemeinde zählte, hatte ihn aus Anlass seiner Goldenen Hochzeit der neuen Kirche geschenkt. Die betagten Eheleute konnten ihr Geschenk an Ort und Stelle jedoch nicht mehr gemeinsam bewundern, denn der Ehemann verstarb vor der Weihe der Kirche.
Je zwei Abendmahlskannen und Kelche waren ebenfalls schon vorhanden. Sie waren vom Architekten Vollmer „in Stil und Dekoration dem Baustil der Kirche“ entworfen und von der Repräsentantenversammlung der Reinoldi-Gemeinde, dem evangelischen Arbeiter-Verein und den Konfirmanden der Reinoldi-Gemeinde der Jahrgänge 1895 und 1896 gestiftet worden.
Der Kirchturm war nicht an zentraler Stelle, sondern an der Nordwest-Ecke der Kirche hochgezogen worden. Der Grund dafür bestand in der Lage der Kirche an der Einmündung der Jäger- in die Bornstraße. Diese Straßen waren damals deutlich enger als heute. Der Straßenwinkel konnte gärtnerisch gestaltet werden. So kam die Johannes-Kirche in den Ruf, den schönsten Vorplatz aller Dortmunder Kirchen zu besitzen.
Im Turm hingen die Glocken in einer nach allen Himmelsrichtungen offenen Glockenstube. Besondere Beachtung fand die Turmuhr mit ihren weithin sichtbaren Ziffern. Sie war ein Werk des Dortmunder Turmuhrmachers Wilhelm Orthmann. Es wurde der Wunsch ausgesprochen, dass auch die Turmuhr der Reinoldi-Kirche solche Zifferblätter erhalten solle!
Kirchweihe und Einführung des neuen Pfarrers wurden gemeinsam gefeiert
Die Kirchweihe fand am 17. Oktober 1895 statt. Die Festlichkeit nahm an der Reinoldi-Kirche ihren Anfang. Nach einer Andacht in dem altehrwürdigen Gotteshaus formierte sich ein großer Festzug mit Musikchor, Geistlichen, Presbytern, Ehrengästen und vielen anderen Teilnehmern. Die Straßen und die Nachbarschaft der neuen Kirche waren mit Flaggen reichlich geschmückt.
Am Ziel angekommen fand zunächst eine Feier vor der Kirche statt, bei der Architekt Prof. Vollmer und Generalsuperintendent Rebe Ansprachen hielten. Pastor Fluhme, Assessor der Synode Dortmund, schloss darauf die Johannes-Kirche auf. „Die große Festversammlung zog nun ein in das prächtige, im Festschmucke erstrahlende Gotteshaus, während der Organist einen herrlichen Orgelvortrag spielte. Viele der Teilnehmer mußten wieder umkehren, da auch nicht ein bescheidenes Stehplätzchen mehr vorhanden war.“
Im Rahmen der Kirchweihe wurde auch der neue Pfarrer, Jucho, in sein Amt eingeführt. Diese doppelte Feierlichkeit war vom Presbyterium so gewünscht worden. „Wie müsse es die Seele des Geistlichen durchziehen, in so festlicher Versammlung eingeführt zu werden in das neue Amt.“ So hielt der Pfarrer Jucho, ein Dortmunder Junge, seine erste Predigt von der Kanzel der Johannes-Kirche. Vorher war er zweieinhalb Jahre lang als Hilfsprediger in Hombruch tätig gewesen. Am Nachmittag des Weihetages fand ein Festessen im Saalbau Fredenbaum und im Anschluss daran eine Gemeindeversammlung statt.
Erster Weltkrieg führte zu Veränderungen
Zur neuen Kirche wurden alle Mitglieder der Reinoldi-Gemeinde überwiesen, die nördlich der Eisenbahnlinie wohnten. Weitere Trennungen gab es nicht. Der Pastor an der Johannes-Kirche wurde Mitglied des Reinoldi-Presbyteriums und man richtete eine gemeinsame Vermögensverwaltung ein.
Für den weiteren Ausbau der kirchlichen Infrastruktur war dies kein Nachteil. An der Jägerstraße entstanden die Pfarrhäuser und das Haus des Küsters. Ferner wurde mit dem „Johanneum“ ein großes Gemeindehaus an der Kielstraße errichtet und ein Kindergarten mit Nähstube an der Heroldstraße.
Im Ersten Weltkrieg musste die Kirche ihre drei bronzenen Glocken abliefern. Sie wurden durch solche aus Stahl ersetzt. Der Krieg zog auch eine bauliche Veränderung an der Kirche nach sich. Die Johannes-Gemeinde hatte im Kriegsverlauf mehr als 900 ihrer Mitglieder an der Front verloren. Zu ihren Ehren wurde eine Gedächtnis-Kapelle an die Kirche angebaut.
Die Nordstadt-Sanierung veränderte auch das Umfeld der Johannes-Kirche
Der Zweite Weltkrieg hatte ungleich schwerere Folgen für die Kirche. Am 24. Mai 1943 brannte sie fast vollständig nieder. Lediglich die Außenmauern und der Turm überstanden das Inferno. Für die kleine Zahl der überlebenden Gemeindemitglieder vor Ort reichte eine bescheidene Notkapelle in der Ruine der Kirche aus. Später wurde die Notkapelle in das Johanneum verlegt, das den Krieg ebenfalls nicht unbeschadet überstanden hatte und erst wieder hergestellt werden musste.
In der frühen Nachkriegszeit – mehr als 50 Jahre nach der Kirchenweihe – entließ die Reinoldi-Gemeinde die Johannes-Gemeinde in die Selbständigkeit. Es sollte keine zehn Jahre dauern, bis sich von ihr die Lukas-Gemeinde abspaltete. Die praktische Folge dieser Maßnahme war, dass die Johannes-Gemeinde stark schrumpfte und deshalb keine große Kirche mehr benötigte. Die starke Verbreiterung von Born- und Jägerstraße im Rahmen der Nordstadt-Sanierung führte dazu, dass die Johannes-Kirche ihren schönen Vorplatz einbüßte; man kann ihn sich heute dort kaum noch vorstellen.
1971 schließlich wurde das neue Gemeindezentrum nahe des Standorts der alten Kirche fertiggestellt. Darin wurden fortan auch die Gottesdienste gefeiert.
Von der 1895 geweihten Kirche steht heute nur noch der Kirchturm ohne seinen einst hohen, spitzen Helm. Eine Tafel an seiner Westseite nennt die Namen der Spender, die sich 1998 bei der Aktion „Glocken für Johannes“ mit einem Betrag höher als 500 Mark beteiligt hatten. Ob sich vor 20 Jahren einer der Spender hat vorstellen können, dass die Glocken, für die er sein Geld gegeben hat, niemanden mehr zum Gottesdienst rufen würden?
Aus dem Johanneum in der Kielstraße wurde schon vor 40 Jahren die Dortmunder Zentralmoschee
Das vormalige evangelische Gemeindehaus Johanneum dient heute als Gotteshaus, denn in ihm ist seit vielen Jahren eine Moschee beheimatet. Sie war die erste offiziell von der Türkei anerkannte Moschee in Deutschland und ist heute die Dortmunder Zentralmoschee.
Der Verein Türkischer Arbeitnehmer in Dortmund und Umgebung e.V. wurde 1966 gegründet und hat seit 1973 seine Gebetsstätte in der Nordstadt. Sie war die erste Moschee auf deutschem Boden, in die die Türkei einen islamischen Theologen entsandt hat. Die oberste Religionsbehörde schickte Ismail Zengin im November 1976 als Vorbeter in die Kielstraße.
Diesem Stellenwert trägt die muslimische Gebetsstätte in der Kielstraße mittlerweile auch optisch Rechnung. Die neue Innengestaltung wurde 2014 abgeschlossen. Anschließend wurde das ehemalige Gemeindehaus auch äußerlich umgestaltet. Es sollte mehr wie eine Moschee wirken. Obwohl räumlich sehr groß, platzt die Moschee mitunter aus allen Nähten. Vor allem am Feiertagen drängen sich hier mehr als tausend Menschen.
Reaktionen
Linke
Herzlichen Dank für diesen sehr interessanten Arttikel. Ich wurde in der Johannesgemeinde getauft und 1967 von Pastor Multhaupt konfirmiert . Meine Schwester wurde in der neuen Kirche 1974 getraut. In den alten Trümmern der Kirche habe ich gespielt. Obwohl ich nun in Bochum wohne, ist die Born- und Gronaustrasse immer noch meine Heimat, der ich gerne ab und an einen Besuch abstatte.
Michael Wüsthoff
Hallo! In Ihrem Text steht:“Die Johannes-Kirche wurde im frühgotischen Stil aus hellem Sandstein errichtet“. Das kann nicht sein, da die Frühgotik im Mittelalter entstand und auch im Mittelalter von der Hochgotik abgelöst wurde. Die korrekte Bezeichnung für diesen im 19. Jahrhundert typischen historischtischen Baustil nennen wir Neugotik/Neogotik, dabei wurden oft die diversen Ausrichtungen der einzelnen mittelalterlichen Gotikstile verwendet.
De weiteren lese ich: „1971 schließlich wurde das neue Gemeindezentrum nahe des Standorts der alten Kirche fertiggestellt. Darin wurden fortan auch die Gottesdienste gefeiert.“
Ist hier der Neubau neben der Kirche gemeint? Aus folgender Quelle geht hervor, dass der Neubau vor 1965 entstanden sein muss, da die Betonglasfenster im Jahre 1965 entstanden.
http://www.glasmalerei-ev.net/pages/b7746/b7746.shtml
Dazu rege ich an, mal zu recherchieren, wer der Künstler dieser Fenster sind, da die Gestalter der Website noch keinen Künstler ermitteln konnten.
In dieser Website der Forschungsstelle Glasmalerei wird auch von der „ehemalige“ Johanneskirche gesprochen. Ist diese Kirche denn entwidmet worden? Schließlich ist sie ja noch im gottesdienstlichen Gebrauch einer freikirchlichen Gemeinde.
Und noch eine Frage: Sind die Glocken inzwischen – wie es bei vielen entwidmeten Kirchen der Fall ist – inzwischen entfernt worden oder hängen sie noch in ihrem weniger als 25 Jährigen Alter funktionsfähig im Glockenstuhl?
Michael Wüsthoff
Klaus Winter
Der Begriff Neogotik ist mir allerdings geläufiger als Frühgotik. Wenn ich trotzdem damals Frühgotik geschrieben habe, dann habe ich ihn wohl aus der Berichterstattung über den Kirchbau bzw. die Kirchweihe übernommen. Mir lagen bei der Abfassung dieses Artikels diverse Artikel aus den 1890er Jahren vor.
Mit dem Gemeindezentrum ist der „Neubau“ neben der Kirche gemeint. Die Festschrift „25 Jahre Gemeindezentrum Johannes“ datiert vom 2. Mai 1996. Zurückgerechnet kommt man auf das Jahr 1971.
Über die aktuelle Situation der Glocken ist mir nichts bekannt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas über die Abnahme der Glocken aus dem Turm gehört oder gelesen zu haben. – Da wäre ich für einen Hinweis dankbar!