Von Klaus Winter
Im 19. Jahrhundert entwickelte Dortmund sich zu einer Industriestadt. Der Wandel wirkte sich auf nahezu alle Bereiche des städtischen Lebens aus. Aber nicht alle Entwicklungen waren gewünscht. Zu denen, auf die man gerne verzichtet hätte, gehörte die starke Zunahme der Prostitution in der Stadt.
Das Treiben der Zuhälter war gemeingefährlich
Um 1890 wohnten die Prostituierten über das ganze Stadtgebiet verstreut. Sowohl in den Häusern, in denen sie lebten, als auch auf der Straße gaben sie den Nachbarn und Mitbürgern regelmäßig Grund zu Beschwerden und Klagen.
Frauen und Mädchen wurden auf der Straße belästigt. Das Treiben der Zuhälter wurde in der Tagespresse als „gemeingefährlich“ beschrieben.
Die Dortmunder Polizei ging gegen Vermieter vor
Die Polizei schaute nicht weg, sondern schritt energisch ein. Sie brachte sogar Hausbesitzer zur Anzeige, die Wohnungen an „leichtfertige Personen“ vermieteten.
Aber weil die Prostituierten auf dem ganzen Stadtgebiet verteilt ihrem Gewerbe nachgingen, musste die Polizei eine große Zahl von Häusern und Wohnungen überwachen. Mit dieser Aufgabe war sie jedoch überfordert.
Eine Lösung für diese unbefriedigende Situation fand man 1897. Die Idee bestand darin, die Stätten der Unzucht an einem Ort zu konzentrieren. Dazu bot sich die Marschallstraße ganz in der Nähe des Bahnhofs an.
Marschallstraße stand in einem schlechten Ruf
Der Ruf der Marschallstraße war zu der Zeit schon schlecht. So hatte der „Deutsche Frauenverein zur Hebung der Sittlichkeit“ 1894 geäußert, dass die ordentlichen Leute, die an der Straße Häuser besäßen, wegen der herrschenden unmoralischen Zustände nur zu bedauern seien.
Jahre zuvor hatten hier einige Prostituierte Häuser erworben, um der ständigen Gefahr, obdachlos zu werden, zu entgehen. Nach einem städtischen Verwaltungsbericht war es ein Zufall, dass sie ausgerechnet Häuser an der Marschallstraße kauften.
Um 1900 wohnten mehr als 100 Prostituierte in der Marschallstraße
Ab 1897 ging die Polizei dazu über, die Prostituierten in die Marschallstraße zu drängen. Wie sie das anstellte, ist nicht bekannt. Aber die Maßnahme war erfolgreich.
Um 1900 wohnten über hundert Prostituierte in der Marschallstraße mit Arbeiterfamilien als Nachbarn. Nach Ansicht „anständiger“ Mitbürger waren letztere mit ihren Kindern dem Laster, sittlicher Entartung und völliger Entchristlichung ausgesetzt.
Die Konzentration der Bordellbetriebe zeigte Erfolge
Aber Polizei und Gesundheitsbehörden sahen die Vorteile der Konzentration der Prostitution an einem Ort: Die problematische Klientel konnte nun ständig unter Kontrolle gehalten werden, ohne dass große Kapazitäten gebunden wurden.
Die frei gewordenen Polizeikräfte konnten jetzt zur Bekämpfung der heimlichen Prostitution eingesetzt werden. Geschlechtskrankheiten wurden schneller erkannt, weil die Gesundheitsbehörden effektiver arbeiten konnten.
Weil bekannt war, wo die Prostituierten zu finden waren, blieben fortan die anständigen Frauen auf den Straßen unbehelligt. Auch konnte das Zuhälter-Unwesen eingedämmt werden.
Bordelle wurden in die Mozartstraße verlegt
Bald setzte sich aber die Einsicht durch, dass die Marschallstraße als Bordellmeile nicht die beste Wahl war. Kritisiert wurde vor allem die Nähe zum Stadtzentrum, zum Bahnhof und auch zu den umliegenden Schulen.
Deshalb verfiel man auf den Plan, die Bordelle zu verlegen und zwar in die Mozartstraße. Die Umsiedlung erfolgte zum 1. April 1902. Die Meinung der Betroffenen zu dieser Maßnahme ist anscheinend nicht überliefert.
Die Kundschaft kam in Droschken vorgefahren
Sechs „luxuriös eingerichtete“ Häuser standen den Prostituierten in der Mozartstraße zur Verfügung. Die Kundschaft kam in Droschken und ebenso wurden ganze Wagenladungen von Alkohol hierhin gebracht.
Die Schilderungen über die Situation der neuen Bordelle führten zu einer Untersuchung der Angelegenheit durch die Regierungsbehörde in Arnsberg. Tatsächlich konnte die illustre Darstellung der Verhältnisse in der Mozartstraße in den meisten Fällen widerlegt werden.
Neuer Straßenname sollte Vergangenheit abschütteln
In der Marschallstraße hoffte man nach dem Umzug der Bordelle jedoch auf eine Besserung der Verhältnisse. Quasi um die Vergangenheit abzuschütteln, sollte die Straße umbenannt werden.
Der Antrag auf die Straßenumbennung an den Magistrat datiert vom 20. April 1902. Er verlief erfolgreich: Einen Monat später genehmigte der Magistrat den Änderungsantrag. Seit dem 13. Juni 1902 trägt die ehemalige Marschallstraße ihren heutigen Namen: Linienstraße.
Heimliche Prostitution in der Linienstraße wurde geduldet
Die Verlagerung des Bordellbetriebs an die Mozartstraße war nicht kritiklos vor sich gegangen. Nahe der Schützenstraße, der „Promenade zum Fredenbaum“, befanden sich das städtische Armenhaus, das Obdachlosenasyl und auch Schulen.
Andererseits gab es auch nach der Umsiedlungsaktion noch „heimliche Prostitution“ an der vormaligen Marschallstraße, die im Laufe der Jahre sogar zunahm. Diese Entwicklung wurde von den städtischen Behörden stillschweigend geduldet.
Linienstraße wurde 1914 offiziell Bordellstraße
Der Bordellbetrieb an der Mozartstraße bestand zwölf Jahre, dann wurde er an der Linienstraße ganz offiziell neu aufgenommen. Die gegen diese Entwicklung gerichteten Proteste verpufften wirkungslos.
Die Linienstraße als Bordellstraße gibt es heute noch und sie erfüllt nach wie vor den ihr 1914 zugewiesenen Dienst.
Reader Comments
Bebbi
Gibt es eine Erklärung, warum die Straße den Namen Linienstraße bekam?
Klaus Winter
Ich konnte leider nicht finden, wie man damals auf den Namen „Linienstraße“ gekommen ist.
Norbert
In Wolters, Reinhard 1998: Die Dortmunder Straßenamen und ihre Bedeutung heißt es, die Straße heißt seit 1903 sei und wird abgeleitet von Linie = Strich , da dort Der Strich sei, was nicht überzeugt m. E.
Michael Wüsthoff
Auf der Linienstraße geht man auf den Strich. Welch Ironie! 😉