Die Osterkirmes in der Nordstadt läuft seit Tagen auf Hochtouren. Eine Attraktion für Dortmund – seit mehr als 120 Jahren. Das belegt auch unsere Serie „Nordstadt-Geschichte(n)“. Heimatforscher Klaus Winter hat in seinem Archiv eine Scherzkarte mit Kirmes-Motiv und Zusatzstempel „Oster-Messe Dortmund“. Die Karte wurde am 13. April 1898 in Dortmund abgestempelt. Sie nahm er als Anlass, der österlichen Attraktion den nächsten Serienteil zu widmen.
Die Osterkirmes war ein wahrer Höhepunkt im städtischen Leben in Dortmund
Die letzten Vorbereitungen für das Oster-Ereignis 1898 gingen zügig vonstatten. Die SchaustellerInnen, Theaterbesitzer, KünstlerInnen und sonstigen Interessenten trafen sich am Mittwoch vor den Feiertagen gleich am Festplatz, nämlich dem städtischen Viehmarkt an der Steinstraße. Dort übernahm ein Polizeibeamter die Verteilung der Standplätze. Da die Nachfrage größer war als das Angebot, konnten nicht alle Interessenten berücksichtigt werden. Doch die Verteilung der Plätze zwischen Börsensaal und Nordbad war so vorgenommen worden, dass „alle Künstlerarten meistens mehrfach vertreten“ waren.
Die Osterkirmes war ein wahrer Höhepunkt im städtischen Leben. Die BesucherInnen kamen nicht allein aus der Nachbarschaft des Viehmarkts, sondern aus der ganzen Stadt und sogar von außerhalb. Selbst das Regenwetter zu Ostern 1898 hielt die Leute nicht davon ab, die Messe zu besuchen und auf dem Viehmarkt durch den Dreck zu stampfen, um die vielen Attraktionen zu bestaunen.
Der Trubel begann bereits auf der Münsterstraße und am Steinplatz und setzte sich auf der Steinstraße fort. Überall fand man Händler, die allerlei „Schätzchen“ für wenig Geld zum Kauf anboten. Auf dem Viehmarkt, der jetzt als Kirmesplatz diente, hatte man Lehren aus den Problemen des Vorjahres gezogen: Da war es ob des großen Andrangs beängstigend eng gewesen. Nun hatte man für mehr Raum gesorgt, so dass sich die Drängelei in Grenzen hielt.
Eine Leiter regelte den Zugang zum Original-Kölner Hänneschen-Theater
Eine ganze Reihe der „großen, besseren Schaubuden“ waren allerdings trotzdem zeitweise wegen Überfüllung geschlossen. So regelte das Kölner Hänneschen-Theater, „Deutschlands größtes Figuren- und Possen-Ensemble“, mittels einer quer vor den Eingang gehängten Leiter den Zugang zu seinen Vorstellungen.
Wenn ZuschauerInnen den Theaterbau verlassen hatten, wurde die Leiter hochgezogen, so dass die nachfolgenden bis zur Kasse vorstoßen konnten. Waren die Tickets für alle Plätze verkauft, wurde die Leiter wieder heruntergelassen.
Der „nobelste und vor jedem Unwetter geschützte Theaterbau“ war in diesem Jahr vor der Börse an der Steinstraße aufgebaut worden. Theaterdekorationen, Figuren und Kostüme waren sämtlich neu und prachtvoll. Gespielt wurden ebenfalls neue Theaterstücke, Operetten und Kölner Lokalwitze.
„Hadj Abdullah“ war die Schlussnummer im Theater Antonio Wallenda
Auch das Theater des Antonio Wallenda, Professor für Kynologie, zählte zu den besseren Sehenswürdigkeiten. Es konnte sich sogar erlauben, auf das übliche marktschreierische Werben um Besucher zu verzichten. Der für die Osterkirmes aufgebaute Theaterbau war „großartig eingerichtet und ausgestattet“ und besaß zahlreiche Notausgänge. „Nötigenfalls kann das Ganze schier unter Wasser gesetzt werden.“
Die Vorstellungen des Theaters wurden mit zwölf dressierten Doggen eröffnet, die sowohl gemeinsam als auch einzeln auftraten. Den „klugen Hunden“ folgten „die dummen Gänse“. Der Redakteur der Dortmunder Zeitung, der einer Vorstellung beiwohnte, schwärmte davon, wie die Gänse auf das Wort gehorchten.
„Auch haben diese Tiere einen ‚dummen August‘ unter sich, der jeden Befehl verkehrt ausführt, was natürlich das Publikum großartig erheitert.“ Ferner wurde eine Dressurübung mit 20 Kakadus gezeigt, und ein Schnellzeichner, der im Takte der Musik seine Kunst ausübte.
Im Theater Wallenda traten auch Menschen aus exotischen Ländern auf: Zwei Zulus als Luftgymnastiker und – als Schlussnummer – vierzehn Araber („Truppe Hadj Abdullah“), die vor allem mit ihren Kraftakten brillierten.
70 Personen und 100 dressierte Tiere kamen in Wallendas Theater zum Einsatz. „Die höchsten Fürstlichkeiten haben das Theater besucht und ihre Anerkennung ausgesprochen.“ Ein Brillantring, den der König von Sachsen dem Theaterdirektor zum Geschenk vermacht hatte, wurde während der Osterkirmes in einem Schaufenster an der Brückstraße gezeigt.
Es gab täglich Vorstellungen um 4 Uhr nachmittags und 8 Uhr abends. Die Nachmittagsvorstellungen waren besonders für Kinder und Familien arrangiert. Die Eintrittspreise waren gestaffelt: 2 Mark musste man für den Logensitz bezahlen, 1,20 Mark für den Sperrsitz, 0,80 Mark für den Balkon und 0,40 Mark für die Galerie.
Spezialitäten-Theater Robert Melich lockte mit Sportvorführungen und Tänzen
Das Theater Melich war den KirmesbesucherInnen noch aus dem Vorjahr in Erinnerung und galt als recht beliebt. Es empfahl sich nun durch die Vorführungen zweier Reckturner, die an einem Doppel-Reck ihre „komischen Arbeiten“ vorführten sowie eines Kunstradfahrers „mit seinen großartigen Leistungen auf seinen acht verschiedenen Fahrrädern“.
Die neue Hauptattraktion war aber Miß La Roland, die „größte Sensation des Jahrhunderts“, mit ihrem Feuer- und Flammentanz, der jeden Abend die Zuschauer in Erstaunen versetzte. Bei Melich gab es täglich Vorstellungen um 16, 18 und 20 Uhr in einem „Riesen-Prachtbau“ neben dem Steigerturm auf dem Viehmarkt. Der nummerierte Sitz kostete 1,50 Mark, Sperrsitz 1,00 Mark, die Galerie 30 Pfennig.
Keine Kirmes ohne Tierschauen in der Nordstadt mit lebenden Tieren und Präparaten
Nahe der nördlichen Badeanstalt war die Hamburger zoologisch-naturwissenschaftliche Ausstellung zu bestaunen, eine reichhaltige Sammlung von lebenden „Naturseltenheiten“ wie zum Beispiel fliegenden Hunden, Haifische, Kugelpapageifische.
„Ganz besondere Aufmerksamkeit erregt die Dressur einer Angorakatze, welche mit Tauben zusammen in einem Käfig haust.“ Ferner lockten Sammlungen und Präparate in Spiritus das Publikum. Der niedrige Eintrittspreis sollte vor allem Eltern mit ihren Kindern zum Besuch der Ausstellung bewegen.
Eine Mischung aus Wundertieren und Missgeburten wurden dagegen in dem Zoologischen Kabinett von Büchler gezeigt. Ein Hahn mit vier Beinen, eine Ziege mit drei, ein Ochse mit sieben – alles lebende Tiere! Büchlers Schaubude war für jedermann leicht an den Bildern zu erkennen, auf denen die Tiere naturgetreu abgebildet waren.
Edisons Kinematograph
Die Osterkirmes war der Ort, an dem Dortmunder zum ersten Mal „bewegte Bilder“ betrachten konnten. Zwar wurden die kurzen Filmsequenzen nicht auf eine Leinwand projiziert, sondern man musste durch Gucklöcher in einen Apparat schauen. Dennoch handelte es sich bei den Vorführungen um einen Vorläufer der Kinos, die einige Jahre später dann auch in Dortmund eingerichtet wurden.
Auf dem Programm des Kinematographen standen der „Serpentinentanz der Miß Fuller“ sowie die beiden kleinen lustigen Szenen „bestrafte Neugier“ und „Heiteres aus dem Soldatenleben“. In der Werbung hieß es, dass der Besitzer des Kinematographen für seine Vorstellungen die „allerhöchste Anerkennung Ihrer Majestäten des Kaisers und der Kaiserin von Rußland und Ihrer kgl. Hoheiten Großherzog und Großherzogin von Hessen“ erhalten hatte.
Es fehlte auch nicht der Hinweis darauf, dass der Kinematograph nicht mit denen der Vorjahre verwechselt werden durfte: „Bei diesem entsteht kein Flimmern und Zittern“ mehr.
Zu großen Veranstaltungen wie der Osterkirmes fanden sich natürlich auch ungebetene Gäste ein. So verhaftete die Polizei am Donnerstag nach den Feiertagen auf dem Kirmesgelände vier junge Leute aus Essen, die zwar schon seit Monaten keiner geregelten Arbeit mehr nachgingen, aber dennoch fein gekleidet waren und Bargeld „in Menge“ mit sich führten. Vor dem Zugriff hatte die Polizei die Männer längere Zeit beobachtet, bis sie sicher war, dass diese dem gewerbsmäßigen Taschendiebstahl nachgingen. Es stellte sich nach der Verhaftung heraus, dass alle einschlägig vorbestraft waren.
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