Von Klaus Winter
Der Ausdruck „bescheidene Anfänge“ kommt einem nicht in den Sinn, wenn man einen Blick auf die Steigerstraße im Sommer 1885 wirft, wo gerade eine Brauerei im industriellen Maßstab errichtet wurde. Ein mehrstöckiges Sudhaus beherrschte die Straßenfront des Betriebsgeländes.
Den Gästen schmeckte das neue Pils nicht nur bei der Eröffnungsfeier
Weitere Gebäude dienten dem Betrieb von Dampf- und Eismaschinen. Es gab ein Kesselhaus, eine Schwankhalle, oberirdische Bier- und Eiskeller und ein Gebäude für Flaschenbier, dazu einen großen Stall mit Wohnungen für die Burschen.
Die Tagespresse urteilte: „Die ganze Anlage macht einen recht stattlichen Eindruck, sie ist überaus praktisch und solide ausgeführt“ und gereichte dem Eigentümer, dem leitenden Baumeister und den Handwerkern und Lieferanten zur Ehre.
Die Bauarbeiten näherten sich dem Ende, als am 7. Juni des Jahres das erste Bier in der Brauerei ausgeschenkt wurde. Zu dem Ereignis fanden sich zahlreiche Gäste und Besucher ein, denen zu Ohren gekommen war, dass das Bier der neuen Brauerei, nach Pilsener Brauart hergestellt, vorzüglich sein sollte.
„Die erschienenen Gäste sprachen dem neuen Stoffe, seiner besonderen Güte halber, außerordentlich zu, so daß keiner derselben der erste sein wollte, das ihm zugewiesene Plätzchen zu verlassen.“ So zog sich die Veranstaltung bis weit in die Abendstunden hin.
Brauereibesitzer Eduard Habich war eine durchaus bekannte Persönlichkeit
Die Brauerei von der hier die Rede ist, führte den Namen Borussia-Brauerei, und ihr Eigentümer hieß Eduard Habich. Er war eine durchaus bekannte Persönlichkeit im Dortmund des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Sein Zeitgenosse Karl(chen) Richter, Chefredakteur des Generalanzeigers und ausgewiesener Kenner der Dortmunder Verhältnisse, überlieferte Habich in seinen Erinnerungen als redegewaltigen Stadtverordneten, der sich mit ganzer Kraft für seinen Stadtteil, dem nördlichen Dortmund einsetzte. Der berühmt gewordene Ausspruch „Im Norden geht die Sonne auf!“ soll von Habich stammen.
Eduard Habich ging mit der Zeit, zeigte sich Neuem gegenüber aufgeschlossen. Im Oktober 1886, ein Jahr nach der Eröffnung der Borussia-Brauerei, ließ er „zur Bequemlichkeit seiner Kunden“ eine Telefonleitung von seinem Wohnhaus Münsterstr. 24 zur Steigerstraße legen.
1890 wurde die Borussia-Brauerei in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Auswärtige Geldgeber investierten 700.000 Mark, Habich hielt Aktien im Wert von 500.000 Mark. Außer der Brauerei selber gingen drei an sie gebundene Lokale – die „Reichshallen“ am Westenhellweg, das „Tivoli“ und das „Restaurant Fas“, beide Münsterstraße – in das Eigentum der neuen Aktiengesellschaft über.
Borussia-Bier gewann 1893 die Gold-Medaille in London
Bei einer internationalen Ausstellung, die 1893 in London stattfand, zeichnete man das Borussia-Bier mit einer Goldmedaille aus. Offensichtlich schätzte man das Borussia-Bier hier mehr, als es der bereits genannte Chefredakteur des Generalanzeigers tat, der einmal festgestellt hatte, dass Habichs Mundwerk besser als sein Bier gewesen sein soll.
Ende 1893 wurde Eduard Habichs gleichnamiger Sohn als Prokurist der Brauerei in das Firmenregister des Amtsgerichts eingetragen. Vielleicht geschah dies vor dem Hintergrund eines absehbaren, unausweichlichen Wechsels in der Führung der Brauerei.
Denn wenige Monate später starb Eduard Habich sen. im Alter von 59 Jahren „nach langem, schweren Leiden“. Außer der von der Familie geschalteten Todesanzeige erschienen Nachrufe des Dortmunder Landwehrvereins und – in Gedichtform – die eines Fritz Pahmeyer, Brüsseler Straße, ein offensichtlich mit dem Verstorbenen befreundeter Geschäftspartner.
Der Junior des Firmengründers beging Selbstmord
Zum 1. Oktober 1897 wurde die unter der Firma Dortmunder Borussia-Brauerei Ed. Habich errichtete offene Handelsgesellschaft in das Firmenregister des Amtsgerichts Dortmund eingetragen. Gesellschafter waren Eduard Habich jun. und seine Mutter, Friederike Habich geb. Kannegiesser. Zur Vertretung der Firma war aber nur Eduard Habich befugt.
Eduard Habich jun. verlobte sich im Januar 1900 mit Elisabeth Wiechers, Tochter des Gutsbesitzers und Bergwerks-Fuhrunternehmers Franz Wiechers aus Brünninghausen. Die Hochzeit fand im August des Jahres statt. Die Ehe fand nach dreizehn Monaten ein tragisches Ende.
Am 10. September 1901 erfuhr der Zeitungsleser, dass der Brauereibesitzer Habich „heute morgen Hand an sich gelegt und sein Leben durch einen Revolverschuß geendet“ hatte. Man spekulierte, dass der Grund für die Tat „in durch Geschäftssorgen hervorgerufenen Trübsinn“ gelegen hatte.
Dabei soll mehr Vermögen vorhanden gewesen sein als Verpflichtungen. Auch war man der Ansicht, dass der „flottgehenden“ Brauerei hätte geholfen werden können, „wenn nicht die Verzweiflung ihrem unglücklichen Besitzer die Waffe in die Hand gedrückt hätte.“
Das Konkursverfahren ließ nicht lange auf sich warten
Eduard Habich jun. hinterließ seine junge Frau und eine Tochter im Baby-Alter. Die Beamten der Brauerei betrauerten in einem Nachruf einen wohlwollenden, unermüdlich tätigen Vorgesetzten mit lauterem Charakter und liebenswürdigem Wesen.
Und die Arbeiter erinnerten sich an die „persönliche, liebenswürdige Eigenschaft des Verstorbenen und das warme, große Interesse, welches er stets für das Wohlergehen seiner Untergebenen gezeigt hat.“
Der Artillerie-Verein, dem Habich angehört hatte, forderte seine Mitglieder wie üblich bei Todesfällen in seinen Reihen auf, an der Beisetzung teilzunehmen.
Das Konkursverfahren ließ nicht lange auf sich warten. Die erste Gläubigerversammlung fand am 12. Oktober im Amtsgericht statt. Dabei wurde bekannt, dass Eduard Habich in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen hatte, um die Brauerei zu vergrößern und den Bierabsatz zu steigern. Dafür hatte er sich aber stark verschulden müssen.
450.000 Mark Darlehen für die Schuldentilgung der Borussia-Brauerei
Das ging so weit, dass er ein Darlehen in Höhe von 450.00 Mark, welches er von der Braubank erhalten hatte, allein zur Rückzahlung von Schulden und Hypotheken verwenden musste.
Alle Immobilien waren mit Hypotheken belastet, das Haus an der Burgholzstraße und die Wirtschaft Reichshallen am Westenhellweg sogar jeweils mit 100 Prozent. So türmten sich die Probleme. Am Tage, als ihm ein Kredit in Höhe von 20.000 Mark gekündigt wurde, fasste er den Entschluss, sich zu erschießen.
Die Gläubiger waren natürlich interessiert zu erfahren, mit welchen Anteilen aus der Konkursmasse sie rechnen konnten. Aber die Versammlung beschäftigte sich auch mit der Frage, ob der Brauereibetrieb fortgesetzt werden sollte. Das wurde einstimmig bejaht.
Allerdings hatte man bereits festgestellt, dass es schwer sein würde, die Kundschaft der Brauerei zu halten, weil andere Brauereien sich bereits sehr bemühten, die Wirte der Borussia-Brauerei an sich zu ziehen.
Hansa-Brauerei wurde der Nachfolger der Borussia-Brauerei
Tatsächlich übernahm ein Gläubiger-Konsortium den Betrieb und rief die Hansa-Brauerei ins Leben, an die sich zweifellos noch viele Dortmunder erinnern werden.
Die zur Habichschen Konkursmasse gehörenden große Wirtschaft „Reichshallen“, Westenhellweg 123, wurde seitens der Konkursverwaltung im Dezember 1902 an den Reitbahnbesitzer Franz Wiechers, Schwiegervater des Eduard Habich, verkauft. Die Übergabe der Immobilie erfolgt zum 1. April 1903.
Überbleibsel der Borussia-Brauerei – Reklameschilder, Bierkrüge, Geschäftspapier u. a. – sind heute besonders gesuchte Sammlerobjekte. Das liegt nicht allein daran, weil es sich um Erinnerungsstücke an eine Brauerei handelt, die vor rund 115 Jahren ihren Betrieb eingestellt hat.
Borussia-Brauerei bleibt als Namenspatronin für den BVB unsterblich
Der besondere Reiz an diesen Objekten besteht vielmehr in einer Verbindung der Brauerei zu dem bekanntesten Dortmunder Fußballverein. Der soll bei seiner Namenswahl durch ein Werbeschild der Borussia-Brauerei inspiriert worden sein, das acht Jahre nach dem Konkurs der Brauerei immer noch im Vereinsgründungslokal, dem Wildschütz nahe dem Borsigplatz an der Wand hing.
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Dr. Heinrich Tappe, Brauerei-Museum
Ein sehr schöner, fundierter Beitrag über die Borussia-Brauerei, mit einer Reihe von bisher unbekannten Details.