Von Klaus Winter
Zur katholischen Geschichte der Nordstadt gehört ein Zentrum an der Westerbleichstraße, das leicht übersehen werden kann. Sein Mittelpunkt ist zwar die Michaelskirche. Die wurde aber rund 20 Meter von der Baufluchtlinie zurückversetzt erbaut und ist außerdem durch eine Torbogenreihe von der Straße getrennt. Der Kern dieser Anlage ist tatsächlich aber nicht die etwas versteckt stehende Kirche, sondern das St. Leohaus, das sich westlich neben der Kirche befindet.
Dechant Heinrich Laumeyer schuf die Grundlage
Die Geschichte des Leohauses begann 1898. In dem Jahr ergriff Heinrich Laumeyer, damals Dechant der St. Josefs-Gemeinde, die Initiative, die zu einer neuen Wohlfahrtseinrichtung im nördlichen Stadtbezirk unter katholischer Regie führte.
Dechant Laumeyer kaufte zwei Häuser mit ihren dahinter liegenden Gärten und ließ auf den Gartengrundstücken einen Neubau errichten. Dieser wurde mit den beiden bestehenden Häusern zu einem zusammenhängenden Komplex verbunden. Darin war auch eine kleine Kapelle eingerichtet.
Leohaus diente von Anfang an mehreren Zwecken
Die Kombination aus den beiden alten Häusern und dem Neubau wurde für verschiedene karitative Zwecke genutzt: als Koch- und Nähschule, als Kleinkinderbewahranstalt, für ambulante Krankenpflege.
Die Geschäftsführung lag von Beginn an bei Professor Dünnebacke. Die Arbeit im Haus übernahmen die Barmherzigen Schwestern des hl. Vincenz von Paul. Der Orden setzte zunächst sieben Schwestern ein, Mitte der 1920er Jahre waren es achtzehn.
Mit dem Tode des Dechanten Laumeyer 1903 fiel das Leohaus testamentarisch an die Josefs-Gemeinde. Die Gemeinde setzte ein Kuratorium ein, das sich um die Führung des Hauses kümmern sollte. Es bestand aus dem Gemeindepfarrer und Mitgliedern des Kirchenvorstands.
Zu Beginn des Jahres 1903 wurde im Leohaus eine Speiseanstalt des Dortmunder Wohltätigkeitsvereins eingerichtet. Bedürftige ortsansässige Personen erhielten hier gegen geringes Entgelt eine warme Mahlzeit. Insgesamt gab es in der Stadt fünf solcher „Volksküchen“.
Altersheim und Waisenhaus lagen unter einem Dach
Seit 1905 und dann für viele Jahrzehnte wurde das Leohaus auch als Altersheim genutzt. Weil der Bedarf an Plätzen für alte Mitbürger rasch stark zunahm, musste das Raumangebot erweitert werden.
Deshalb wurde der 1898 errichtete Hausteil bereits 1909 um anderthalb Stockwerke aufgestockt. So konnten auch die Kleinkinderbewahranstalt und die Volksküche im Haus bestehen bleiben.
1910 wurden vorschulpflichtige Waisenkinder aufgenommen, da das katholische Waisenhaus an der Vaerststraße keine Kapazitäten mehr frei hatte. Im April 1913 zogen die Kinder dann vom Leohaus in ein neuerbautes Heim in Körne um.
Ab 1913 wurde die Michaelskirche gebaut
1906 hatte das Leohaus das östlich benachbarte Grundstück gekauft und nutzte es für eigene Zwecke. Weil die Josefs-Gemeinde durch den ständigen Anstieg der Zahl der Gemeindemitglieder zu groß wurde, beschloss die Kirchengemeinde, zu ihrer Entlastung neben dem Leohaus eine neue Kirche zu bauen.
Die Michaelskirche, die in der Planungsphase auch Leohauskirche genannt wurde, entstand in den Jahren 1913 bis 1914. Architekt war Josef Franke aus Gelsenkirchen. Der Kostenaufwand wurde mit 90.000 Mark veranschlagt. Zum Kirchbauprojekt gehörte die Einrichtung einer Pfarrer-Wohnung im Leohaus.
Die Grundsteinlegung für die Michaelskirche wurde im Oktober 1913 gefeiert. Im November 1914 weihte Bischof Karl Josef aus Paderborn die Kirche, die ab 1921 Zentrum einer neuen Gemeinde sein sollte.
Kriegsküche bestand über das Kriegsende hinaus
Während des Ersten Weltkrieges befand sich im Leohaus eine städtische Speiseanstalt. Der vaterländische Frauenverein der Stadt nutzte das Leohaus zeitweise als Sammelstelle für eingekochtes Obst und Fruchtsäfte für die Truppen im Felde und die Kriegswohlfahrtspflege.
Die Kriegsküche im Leohaus blieb über das Ende des Ersten Weltkrieges hinaus bestehen. Mütter und Kleinkinder wurden hier um 1920 von der US-amerikanischen Kinderspeisung versorgt, später von der Kinderspeisung des Schwedischen Roten Kreuzes.
Das Altersheim benötigte mehr Platz
Noch im Verlauf des Ersten Weltkriegs waren Pläne entwickelt worden, die 1898 von Dechant Laumeyer gekauften beiden Häuser durch einen Neubau zu ersetzen. Man wollte so nochmals mehr Raum für das Altersheim gewinnen.
Aber der Neubau konnte in den Kriegszeiten und den unruhigen ersten Nachkriegsjahren nicht in Angriff genommen werden. So begann die Baumaßnahme erst im Mai 1925. Die Pläne hatte wieder der Architekt Franke ausgearbeitet.
Die Ausführung wurde der Bauunternehmung H. Feldhoff übertragen, deren Sitz sich an der Westerbleichstraße befand. Als bestimmendes Baumaterial kam niederrheinischer Klinker zum Einsatz. Ein Jahr nach Baubeginn waren die Arbeiten abgeschlossen, und der Neubau konnte in Benutzung genommen werden.
Weitere Baumaßnahmen wurden 1926 und 1927 vollendet
Im November 1926 war auch das Pfarrhaus der Michaelsgemeinde fertig gestellt. Es wurde mit dem vergrößerten Leohaus durch sechs Torbögen verbunden, die gleichzeitig den Kirchenvorplatz von der Straße trennten.
Im Jahre 1927 wurde an der Südseite des Leohauses eine Veranda angebaut. Dadurch sollte den Altenheimbewohnern Gelegenheit gegeben werden, an der frischen Luft zu sitzen.
Leohaus und Michaelskirche wurden kriegszerstört
Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wurde das Leohaus ebenso wie die Michaelskirche stark zerstört. Beim Wiederaufbau wurde an der Südseite eine Erweiterung vorgenommen.
In den 1980er Jahren ergänzte man einen Sanitärtrakt. Später wurde eine Nasszelle für jedes Zimmer vorgeschrieben. Die Umsetzung dieser Forderung hätte die Zahl der Zimmer von 100 auf 75 bis 80 reduziert und Kosten in Höhe von 12 Millionen DM verursacht.
Da dafür keine Fördermittel zu erlangen waren, nahm die katholische Kirche Dortmund ein Angebot der Caritas-Altenhilfe GmbH an und brachte die Senior:innen des Leohauses im Mai 1990 in verschiedenen Häusern unter, wobei alle Mitarbeiter:innen von der Caritas übernommen werden sollten.
Trauriger Zustand: Das Leohaus ist amtlich versiegelt
Aktuell steht das Haus leer. Die Eingangstür ist seit Juli 2021 durch das städtische Stadtplanungs- und Ordnungsamt amtlich versiegelt. Im Bereich des Erdgeschosses ist die straßenseitige Fassade verschmiert, und am aus metallenen Buchstaben zusammengesetzten Schriftzug „St. Leohaus“ fehlen mehrere Stücke.
Nimmt man das Gründungsjahr 1898 als Bezugspunkt, dann könnte man 2023 auf die 125. Wiederkehr der Eröffnung des Leohauses zurückblicken. Bezieht man sich auf das Umbaujahr 1925/26 wäre ein 100jähriges Jubiläum in Sichtweite. Aber auf eine Jubiläumsfeier deutet nichts hin, die Zeiger stehen auf Abbruch.
Reader Comments
Hans-Georg Schwinn
Super Artikel. Vielen Dank.
B. Benkert
Vielen Dank für den tollen Bericht, hat einiges an Erinnerungen geweckt.
Wolfgang Lachermund
Wieder einmal ein hochinformativer Artikel über eine Institution der Nordstadt, meiner alten Heimat .- Vielen Dank dafür
Max Borchardt
Vielen Dank für den Bericht! Ist bekannt, ob es Initiativen gibt, die das Gebäude bspw. kulturell nutzen wollen? Falls ja/nein, wer ist Ansprechpartner für eine Nutzung?
Andrea kendl
schade das so welche gebäude immer öfter verfallen.es gibt so viele sachen die fehlen.ob betten für wohnungslose,kindertagesstätten,kinderheime,essensräume oder oder oder…ich hätte intresse an dem haus..ich würde andern helfen..
mh
Das Ensemble an der Westerbleichstraße aus vormaligen Pfarrhaus, Kirche und Altenheim ist mit seiner prominenten Lage eigentlich prädestiniert für eine zentrale öffentliche, soziale oder kulturelle Einrichtung. Vielleicht betreutes Wohnen- idealerweise kombiniert mit kulturellen Aktivitäten im Kirchraum?
Warum nicht in so einer Immobilie „housing first“ mit kleinen, einfachen Apartments umsetzen? Plus Sozialarbeit vor Ort. Hier wäre für neuen Wohnraum doch zumindest schon mal die äußere Hülle vorhanden? Es wäre ein weiteres Armutszeugnis für die Stadtplanung- so meine Meinung, wenn hier die Abrissbagger anrollen. Warum schafft man es in anderen Städten mit historischem Gebäudebestand scheinbar so viel besser, diesen instand zu halten und für das Stadtbild zu erhalten?