Von Nadine Albach
Schiffe, Container, Kräne – sie prägen das Gesicht des Dortmunder Hafens. Das Herz des Logistikstandorts sind aber die Menschen: Ihre Arbeit ist der Pulsschlag des Hafens, sie prägen den Takt des Alltags. Einer von ihnen ist der Hafenhandwerker Daniel Küsters.
Aaaahuuu! Das Schiff klingt wie ein heulender Wal. Sanft wiegt es an seinem Ankerplatz auf und ab, festgetaut an einem Holzpfahl, das Licht tanzt auf dem Wasser und die Reibung von Schiff und Steg führt zu diesem eigenartig schönen Singsang. Daniel Küsters nimmt das Lied kaum noch wahr – schließlich ist es „sein“ Arbeitsboot, das hier singt und in der Werkstatt an der Drehbrückenstraße darauf wartet, wieder auszufahren.
Das rot-weiß lackierte Boot heißt „So fast as Duörpm II“ – plattdeutsch für „So fest wie Dortmund“ und eine Reminiszenz an den Stadtwall. Es macht seinem Namen alle Ehre, als der gelbe Dieselmotor anspringt und ein tiefes, bassiges Knattern zu hören ist. Daniel Küsters löst das Seil, sein Kollege Jörg Pohl sitzt am Steuerrad – und raus geht es aus der Wellblechhütte, hinaus in das Hafenbecken.
Gartenstühle, Fahrräder und Autos auf dem Grund
Für die beiden gehört diese Ausfahrt zu ihrem Alltag: „Wir sind für die Sauberkeit des Hafenbeckens zuständig“, erklärt Daniel Küsters pragmatisch.
Dabei wundert er sich manchmal selbst, was sie bei ihren Fahrten alles entdecken. Besonders dann, wenn die beiden zwei Mal im Jahr die Hafensohle – also den Grund – abziehen, wird es abenteuerlich.
„Handtaschen, Tresore, Motorräder, Gartenstühle, Fahrräder, auch mal ein Auto, tote Tiere…“ zählt Daniel Küsters die Fundstücke auf und schüttelt leicht den Kopf während er auf die glatte Wasseroberfläche schaut. „Das ist manchmal nicht schön.“
Der Stapel Tagebücher letztens gehörte da noch zu den netteren Entdeckungen: Küsters muss schmunzeln, als er erzählt, wie er darin blätterte, um herauszufinden, wer der Eigentümer sein könnte – und so einen kurzen Eindruck von den Liebesnöten eines Teenagers bekam. Doch es gibt auch schreckliche Entdeckungen, wie jenen Ertrunkenen, den sein Kollege Jörg Pohl bergen musste. „Da war ich Gott sei Dank noch nicht hier“, sagt Daniel Küsters und schüttelt sich leicht. Ein paar Enten fliegen hoch. Das Boot gleitet vorbei an dem Anlieger der Santa Monika und der Bar „Hafenglück“.
Mit etwas Glück ein Arbeitsplatz zum Altwerden
Mit Glück hat es auch zu tun, dass Daniel Küsters seit drei Jahren für die Dortmunder Hafen AG arbeitet. „Das kam aus der Not heraus.“ Er bewarb sich aus der Arbeitslosigkeit – und war als gelernter Betonbauer und Mechatroniker genau der richtige Mann.
Denn für Hafenhandwerker gibt es keine spezielle Ausbildung: Die handwerkliche Basis muss da sein, der Bootsführerschein wird nachgeholt – und „der Rest ist learning by doing“, erklärt Küsters, dessen tiefblaue Arbeitskleidung aussieht, als wäre sie für ihn gemacht worden.
Vorbei geht es an Lagerhallen und Kränen, die große Steine verladen. Das alte Hafenamt hebt sich majestätisch von der Industriekulisse ab. Daniel Küsters kommt aus Dortmund-Mengede. Er kennt den Hafen seit seiner Kindheit, bei Sonnenschein gingen er und seine Freunde im Kanal schwimmen. „Wenn alles gut geht, ist das ein Arbeitsplatz zum Altwerden.“
Spuren an der Spundwand
Daniel Küsters schaut auf die Spundwand. Auch die müssen die Hafenhandwerker kontrollieren und im Zweifelsfall reparieren. „Letztes Jahr ist ein Schiff dagegen gefahren. Das hinterlässt Spuren!“
Kleinere Schäden können Küsters und seine Kollegen selbst beheben – bei größeren wird die Wasserpolizei benachrichtigt und Experten übernehmen die Reparatur. „Achtung!“, ruft plötzlich Jörg Pohl aus dem Fahrerhäuschen und zeigt auf das Wasser.
Eine Plastiktüte treibt dahin; Daniel Küsters greift schnell zu einem Haken. Denn was so harmlos aussieht, ist im Schiffverkehr höchst gefährlich: „So eine Tüte ist mit das Schlimmste, was es gibt. Wenn die in die Schiffsschraube kommt, ist die Fahrt erst einmal vorbei“, erklärt Pohl, der schon seit über 22 Jahren im Hafen arbeitet.
„Einmal habe ich erlebt, dass sich ein Teppich bei einem Schiff verfangen hatte. Da ging gar nix mehr.“ Daniel Küsters hat die Tüte inzwischen herausgefischt und in einen Mülleimer geworfen. Vieles kann er mit der Hand aus dem Wasser holen – für besonders schwere Gegenstände aber hat die „So fast as Duörpm II“ auch einen Kran mit einem Schleppanker. „Da hinten wird Schrott verladen“, sagt der 37-Jährige und zeigt auf große Greifarme, die gerade lange Stahlträger von einem Platz zum anderen werfen. „Da kann schon mal etwas daneben gehen.“
Weiter geht die Fahrt, vorbei an großen Schildern, die Richtung Stadthafen, Südhafen und Schmiedinghafen zeigen. Wie lange Küsters und Pohl schippern, ist von Tag zu Tag unterschiedlich – abhängig vom Müll und natürlich von ihren anderen Aufgaben. Schließlich müssen sie in ihrer Werkstatt auch immer wieder Reparaturen durchführen: Neben dem Arbeitsboot will auch das Aufsichtsboot in Schuss gehalten werden.
Mit ihm können die Hafenmitarbeiter Echolot-Messungen durchführen und sicherstellen, dass die Becken die garantierte Mindesttiefe von 3,50 Meter bieten. „Die Schiffe haben eine Abladetiefe von 2,80 Meter“, erklärt Küsters, „Da muss noch Platz sein.“ Wenn der fehlt, markieren sie die niedrige Stelle und veranlassen, dass sie ausgebaggert wird.
Fliegende Container und riesige Petro-Tanks im Hafen
Ein lautes Piepen ertönt. Ein Kran fährt vor, packt zu und lässt einen Container scheinbar schwerelos durch die Luft gleiten. Das Arbeitsboot ist am Container-Terminal angekommen. „So einen Container mal auf seiner großen Fahrt verfolgen – das stelle ich mir interessant vor“, sagt Daniel Küsters, als er das Spektakel beobachtet.
Sein Kollege Pohl nimmt Kurs auf den Petroleumhafen. Vor den riesigen Petro-Tanks liegt die „Nicky“, ein großes, schwarz-blaues Schiff von der Reederei Jaegers, und löscht ihre Ladung. 1690 Tonnen kann sie fassen. Die knallorangefarben angezogenen Arbeiter winken Daniel Küsters zu.
Würde es hier zu einem Ölunfall kommen, wäre das „richtig Stress“ für die Hafenhandwerker: Mit einer Ölsperre müssten sie verhindern, dass die Flüssigkeit sich verbreitet – „aber das habe ich glücklicherweise noch nicht erlebt“, freut sich Küsters.
Freie Pfade
Der Himmel leuchtet strahlend blau, als es zur Werkstatt zurückgeht. Möglich, dass Daniel Küsters heute noch den Rasenmäher anwirft. Denn auch die Pflege des Leinpfads, der neben der Spundwand entlangführt, gehört zu den Aufgaben der Hafenhandwerker: Früher diente er den Schiffern als sicherer Grund beim Treideln – also dem Ziehen der Schiffe mit dem Seil per Hand oder Pferd. „Das wird heute nicht mehr gemacht. Aber wenn die Schiffer anlegen, muss der Pfad trotzdem in Ordnung sein“, erklärt der Dortmunder.
Schifffahrtsromantik in der Nordstadt
Am meisten Spaß macht Daniel Küsters aber die tägliche Bootsfahrt. „Da habe ich noch lange nicht die Nase voll von. Ich würde selbst in meiner Freizeit noch eine Flusskreuzfahrt machen.“ Solch ein herrliches Wetter wie heute ist allerdings auch für die Hafenhandwerker ein Glücksfall– und keinesfalls Alltag.
2013 gab es sogar eine Eissperre. „Wenn der Kanal zugeeist ist, können wir nicht mehr fahren. Bei zwei Zentimetern kommen wir noch durch, ansonsten muss ein Eisbrecher her.“ In solchen Situationen setzt Daniel Küsters die legendäre blaue Strickmütze auf, die jeder sofort mit einem Hafenarbeiter assoziiert – und greift zur Schüppe.
Denn auch die Wege frei von Schnee zu räumen, gehört zu seinen Aufgaben. Ein bisschen sind er und seine Kollegen im Hafen eben die Männer für alle Fälle. „Mein Schwiegervater beneidet mich. Aber wenn es regnet oder eiskalt ist, ist die Schifffahrtsromantik schnell verflogen“, sagt Daniel Küsters. Und trotzdem ist ihm bewusst, dass sein Arbeitsplatz alles andere als normal ist. „Das ist irgendwo schon etwas Besonderes“, sagt er zurückhaltend und doch mit ein wenig Stolz in der Stimme.
Sein Kollege fährt passgenau zurück in die Werkstatt, Daniel Küsters legt die Leine an – und die „So fast as Duörpm II“ nimmt ihren Gesang wieder auf.
Hafenbuch ist im Handel erhältlich
Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Der Dortmunder Hafen: Geschichte – Gegenwart – Zukunft“ . Das Buch ist im Aschendorff Verlag unter der ISBN-Nr. 978-3-402-13064-3 erschienen und für 24,80 Euro im Buchhandel erhältlich.
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Reader Comments
Andreas Cierpiol
Sehr schöner Artikel!