Bundesweite Meldestelle verzeichnet Zunahme von 144 Prozent

Serie „Ein Jahr nach dem 7. Oktober“: Malika Mansouri über antimuslimischen Rassismus

Die Botschaft war klar - der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus muss weitergehen. Foto: Leopold Achilles
Die Fallzahlen antimuslimischer Vorfälle steigen Jahr stark an. Foto: Leopold Achilles

Seit dem vergangenen Jahr steigen die Zahlen antimuslimischer Vorfälle drastisch. Malika Mansouri ist Antidiskriminierungsberaterin mit dem Schwerpunkt des antimuslimischen Rassismus‘ und Sprecherin des Kompetenzverbundes Antimuslimischer Rassismus NRW. Im Interview erklärt sie, wie die aktuelle Stimmungslage bei in Deutschland lebenden Muslim:innen seit dem 7. Oktober 2023 ist und was es braucht, um Betroffene zu schützen.

Frau Mansouri, was ist antimuslimischer Rassismus?

Antimuslimischer Rassismus ist eine Form des Rassismus gegenüber Menschen sowie Gruppen und Einrichtungen aufgrund ihrer tatsächlichen oder angenommenen muslimischen Identität. Antimuslimischer Rassismus funktioniert also unabhängig von der tatsächlichen religiösen Zugehörigkeit.

Diese Form von Rassismus durchzieht alle gesellschaftlichen Ebenen – strukturell, institutionell und individuell – und äußert sich in physischen und verbalen Angriffen sowie strukturellen Benachteiligungen.

Wie ist die derzeitige Gefühlslage bei in Deutschland lebenden Muslim:innen? 

Viele Betroffene berichten, dass sie sich in Deutschland noch nie so unsicher gefühlt haben wie jetzt. Muslimische Menschen erleben sich zunehmend als Zielscheibe für Anfeindungen und Diskriminierung. Die Gefühlslage ist von tiefer Unsicherheit und Entfremdung geprägt, kaum eine Beratung, in der nicht überzunehmende Zukunfts- sowie Existenzängste gesprochen wird.

Neben der ständigen Angst vor physischen Angriffen kommt eine enorme psychische Belastung hinzu, die durch die ständige Abwertung und Ausgrenzung ausgelöst wird. Viele Betroffene haben Angst um ihre Zukunft und die ihrer Familien in Deutschland. Fragen, ob sie langfristig in diesem Land sicher leben können, wohlwissend das sie keine andere Heimat haben. Diese Ängste haben die Lebensqualität und das Sicherheitsgefühl in den letzten Monaten massiv beeinträchtigt.

Verzeichnen Sie als Beratungsstelle seit dem 7. Oktober 2023 einen Anstieg antimuslimischer Vorfälle in NRW? 

Es gab einen signifikanten Anstieg antimuslimischer Vorfälle. Die bundesweite Meldestelle CLAIM verzeichnete 2023 einen Anstieg von rund 114 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, mit durchschnittlich mehr als fünf antimuslimischen Vorfällen pro Tag.

Noteingang bei Rassismus - mittlerweile gibt es drei Hilfsangebote. Foto: Alex Völkel
Noteingang bei Rassismus – mittlerweile gibt es verschiedene Hilfsangebote. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Auch die Beratungsstellen im Netzwerk ada.nrw berichten von einem sprunghaften Anstieg der Beratungsfälle zu antimuslimischem Rassismus, insbesondere im öffentlichen Raum: Fast jeder zweite Beratungsfall aus 2023 betraf antimuslimischem Rassismus.

Es ist bekannt, dass die Dunkelziffer erheblich ist, da viele Vorfälle nicht gemeldet werden. Wir können davon ausgehen, dass die Zahlen 2024 noch deutlich höher ausfallen werden.

Wo ereignen sich die Vorfälle und wer sind die Täter:innen?

Die Vorfälle ereignen sich hauptsächlich im öffentlichen Raum, in Schulen und bei Behörden. Insbesondere muslimische Frauen berichten, dass sie in der Öffentlichkeit beschimpft, angespuckt und sogar angegriffen werden.

Die Täter:innen sind nicht nur Einzelpersonen, die sich durch gesellschaftliche Diskurse und politische Ereignisse ermutigt fühlen, ihre rassistischen Haltungen offen auszuleben, sondern häufig auch Mitarbeiter:innen von Behörden und Lehrer:innen, deren diskriminierendes Verhalten tief in institutionellen Strukturen verankert ist und durch mangelnde Sensibilisierung und fehlende Konsequenzen weiter begünstigt wird.

Stehen die Vorfälle in Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt?

Es dürfte kein Zufall sein, dass die Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023 stark angestiegen sind. Muslimische Menschen werden zunehmend kriminalisiert und pauschal für den Nahostkonflikt verantwortlich gemacht. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass die fehlende Beachtung der vielen muslimischen Opfern zur weiteren Normalisierung der Dehumanisierung muslimischen Lebens in Deutschland beiträgt.

Wie können sich Betroffene vor antimuslimischem Rassismus schützen?

Kollektiver Beistand ist für Betroffene wichtig, sagt Malika Mansouri. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Die eigentliche Frage sollte lauten: Wie können wir Betroffene besser schützen? Dringend notwendig sind verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen. In NRW fehlt nach wie vor ein Landesantidiskriminierungsgesetz, das einen wirksamen Schutz in öffentlichen Institutionen wie Schulen bieten könnte.

Für Betroffene gibt es nur wenige Möglichkeiten, sich effektiv zu wehren. Es ist entscheidend, dass sie sich gut vernetzen und Unterstützung bei spezialisierten Beratungsstellen suchen, um Rassismus nicht allein bewältigen zu müssen. Nur durch kollektiven Beistand und rechtlichen Schutz können wir Betroffene nachhaltig unterstützen.

Hat sich Ihre Arbeit seit dem 7. Oktober verändert?

Seit dem 7. Oktober haben sich sowohl die Anzahl als auch die Schwere der Beratungsanfragen dramatisch erhöht. Besonders alarmierend ist der zunehmend gewalttätige Charakter vieler Vorfälle. Diskriminierungen im Bildungsbereich und im öffentlichen Raum nehmen stark zu.

Der Bedarf an Antidiskriminierungsberatung ist enorm gestiegen, und viele Beraterinnen sind am Limit. Ohne verstärkte Schutzmaßnahmen und den Ausbau der Beratungsangebote wird es schwierig, den Betroffenen weiterhin professionelle Unterstützung zu bieten.

Ich habe den Eindruck, die Fronten verhärten sich immer weiter. Was bedeutet das für unser Zusammenleben?

Der gesellschaftliche Diskurs fördert zunehmend einen Nährboden für Übergriffe auf Muslimische Menschen und Einrichtungen. Viele Betroffene ziehen sich spürbar aus dem öffentlichen Leben zurück. Ein starker Diskriminierungsschutz ist dringend erforderlich, um das Zusammenleben zu verbessern. Ebenso ist mehr zivilgesellschaftliche Verantwortung gefragt: Viele Betroffene sind enttäuscht darüber, dass zwar Massen gegen rechts auf die Straße gegangen sind, dies jedoch oft nur symbolischen Charakter hatte und keine nachhaltigen Veränderungen folgten.

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