Digitale Teilhabe ist für unterschiedliche Gruppen ein sehr wichtiges Thema – eine von ihnen sind Menschen mit Behinderungen. Zum ersten Mal hat sich nun das Behindertenpolitische Netzwerk in seiner Forum-Sitzung mit dem Thema Digitalisierung und den damit verbundenen Chancen und Barrieren für Menschen mit Behinderungen befasst. Die Nordstadtblogger thematisieren dies im vierten Teil der Serie „Digitale Teilhabe in Dortmund“.
Digitalisierung sorgt für Menschen mit Behinderung für Chancen und Herausforderungen
Impulsgeber für das Thema Digitalisierung beim Netzwerk war Denes Küçük aus der Stabsstelle Chief Information/Innovation der Stadt Dortmund. Er machte deutlich, dass Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft durch die Digitalisierung vor große Herausforderungen gestellt würden. Alle müssten aufpassen, nicht abgehängt zu werden.
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Der städtische Digitalstratege sieht Chancen für Menschen mit Behinderung, die sich durch die Digitalisierung ergeben, aber auch neue Herausforderungen. „Ich möchte ihre Perspektive kennenlernen“, verstand er seinen Besuch als Gesprächsangebot.
„Digitalisierung kann in ihrem Bereich sehr spannend sein und riesige Chancen bringen“, sagte Küçük mit Blick auf neue Techniken und Apps. Als Beispiel nannte er einen smarten Blindenstock, der mit dem Handy verbunden ist, eine Routenplanung via Google Maps ermöglicht und Infos auf dem Stock ausspielt, aber auch Warnungen durch Sensoren beinhaltet.
Der Begriff „Barrierearmut“ ist für das Behindertenpolitische Netzwerk ein Unwort
Zudem böten immer bessere Apps die Möglichkeit, in Gebärdensprache zu übersetzen, Live-Übersetzungen oder Live-Transkribierungen automatisiert zu erstellen. „Noch nicht so gut wie Profis, aber sie sind eine Hilfestellung“, glaubt Küçük. Zudem biete die Digitalisierung die Möglichkeit zur Vernetzung von Menschen mit gleichen Anliegen, um ihre Interessen zu wahren oder sich aufzulehnen.
Gleichzeitig könnte es auch Gefahren für die gleichberechtigte Teilhabe geben. Denn Technik kann neue Benachteiligungen durch digitale Barrieren schaffen. „Gesichtserkennung funktioniert bei schwarzer Hautfarbe schlechter als bei weißer Hautfarbe“, verweist Kücük auf die gemachten Erfahrungen. „Das muss mitgedacht werden – für verschiedene Ausgabegeräte. Die Seiten der öffentlichen Hand müssen mindestens barrierearm sein“, macht Küçük klar und trat damit in ein Fettnäpfchen.
„Den Begriff ,barrierearm’ mögen wir nicht und wird uns nicht über die Lippen kommen. Entweder ist eine Seite barrierefrei oder eben nicht. Wenn die Stadt beteiligt ist, dann muss die Seite auch barrierefrei sein“, sagte Richard Schmidt.
Gefahr: Technische Innovationen können vor allem Ältere überfordern
„Als blinder Nutzer kann ich von der Digitalisierung profitieren. Wir müssen aber aufpassen, dass wir das Analoge gleichberechtigt sehen“, warnte Schmidt.
Er begrüßte auch digitale Navigation: „Das ist wunderbar, aber wir brauchen weiterhin auch Rillen, Noppen und Klacker an Ampeln“, verwies er auf die baulichen Möglichkeiten, Blinden das Leben einfacher und sicherer zu machen.
Doch bei technischen Innovationen wie dem Blindenstock mit Technik ist er skeptisch: „Da warne ich sehr davor. Der größte Teil der Blind-Gehandicapten ist über 60. Auch wenn Sie technikaffig sind, mein Hirn ist es nicht mehr“, hielt Schmidt dem Digitalstrategen der Stadt vor.
Er machte deutlich, dass das Gehen mit einem Langstock eine hohe Konzentrationskraft erfordere. Ohne Rillen, Noppen und Klacker sei dies dreimal so schwer.
„Für 20- oder 30-Jährige ist ein Digitalstock vielleicht gut. Für mich als 70-Jähriger gibt es da zwischenzeitlich Grenzen. Das muss berücksichtigt werden, sonst macht Digitalisierung keinen Sinn“, so Schmidt.
Internet-Seiten der Tochterfirmen im „Konzern Stadt“ sind noch nicht barrierefrei
Doch bevor man solche Techniken diskutiere, müssten erst einmal die Internetseiten der Kommune und ihrer Stadttöchter barrierefrei werden. „Die Stadt ist grundsätzlich auf ihrer Homepage barrierefrei – zumindest für Blinde und Sehbehinderte. Bei den Töchtern wie dem Konzerthaus oder dem Theater sieht das anders aus“, kritisierte der Aktivist des Blinden- und Sehbehindertenvereins.
Seit Jahren bohre er dort nach, damit es die Programme wenigstens als PDF und einen brauchbaren Terminkalender gebe. „Da möchte ich hin, dass das normal wird“, verdeutlicht Richard Schmidt.
Auf ein anderes Problem bei den Kulturbetrieben wies Kai Gungl hin. Denn es gebe zwar prinzipiell eine kostenfreies Ticket für eine Begleitperson oder Assistenzkraft. Doch diese Tickets kann er nicht wie alle anderen Gäste online kaufen, sondern muss sich immer persönlich vor Ort legitimieren – mit einer beglaubigten (!) Kopie der entsprechenden Bescheinigung. Und die Kosten für die Beglaubigung seien mitunter höher als die des Tickets.
Diese Wege und Kosten würden sich die Menschen mit Mobilitätseinschränkung gerne sparen. „Wenn im Zuge der Digitalisierung diese Wege für Menschen mit Behinderung eingespart werden, dann wäre ein sehr großer Schritt zur Inklusion gemacht“, so Gungl. Hier wäre ein gebündelter Service wünschenswert, dass die Betroffenen nicht bei jeder Stelle erneut den bürokratischen Wahnsinn mitmachen müssten.
Digitale Exklusion als Problem – Digitalisierung soll mehr Kapazitäten für Beratung schaffen
Martina Siehoff trieb vor allem das von Nordstadtblogger auf die Agenda gebrachte Thema der Digitalen Teilhabe bzw. digitalen Exklusion um: „Wie gehen sie damit um? Es können ja auch nicht alle Schulen Angebote für diese Menschen machen“, fragte sie Kücük mit Blick auf die von TU-Sozialforscher Dr. Bastian Pelka aufgeworfenen Zahlen, dass bis zu jede/r sechste DortmunderIn digital abseits stehend sei.
„Digitale Exklusion ist ein sehr spannendes Thema. Es gibt sicher Menschen, die das Internet nicht nutzen und exkludiert sind“, bestätigte Kücük. „Aber wir werden alle Angebote auch analog anbieten. Aber ich glaube auch, dass die Gruppe kleiner wird. Bei der jüngeren Gruppe haben wir eine Durchsetzung von über 90 Prozent täglicher Nutzung.“
Er machte deutlich, dass das neue Bürgerserviceportal als Dreh- und Angelpunkt für alle städtischen Dienstleistungen fungieren solle – „möglichst gut verständlich und einfach strukturiert, mit Hilfestellungen und Erklärungen. Die Menschen sollen Infos und Dienstleistungen abrufen können, ohne hier stundenlang anstehen zu müssen“, skizzierte der Digitalstratege seine Vision.
Versprechen des Digitalstrategen: die analogen Angebote bleiben erhalten
„Ich bin zu 99,9 Prozent sicher, dass es keinen Service geben wird, der nur online erreichbar sein wird. Das wird es nicht geben, so sind wir nicht aufgestellt. Daran hat niemand Interesse“, versprach er dem Behindertenpolitischen Netzwerk. „Wir wollen, dass durch Digitalisierung mehr Zeit für individuelle Beratung bleibt. Wir wollen nicht aufs analoge verzichten und als Stadt ansprechbar sein und deutlich besseren Service anbieten. Analog wird immer gleichberechtigt sein.“
Er kündigte an, dass auch Menschen mit Behinderungen in den sogenannten Fokus-Gruppen sein werden, die das neue Stadtportal auf Herz und Nieren testen und bewerten sollen. „Wir wollen ein gutes Portal machen – und dafür brauchen wir sie. Denn die Webseite wird auch von Leuten gemacht, die ihre Erfahrungen nicht haben“, so Küçük. „Daher ist es auch gut, dass sie den Leuten Druck machen, dass sie die Informationen so bereitstellen, wie Sie sie brauchen. Nur so können wir besser werden.“
Skeptisch bewertete die städtische Behindertenbeauftragte Christiane Vollmer die Tests mit Ehrenamtlichen als Ausgangspunkt. „Lassen sie uns das Know-how einkaufen, es gibt Experten. Lassen sie uns nur die letzten Tester sein, damit die Seiten umfassend barrierefrei werden. Sonst gibt es eine Überforderung für die Ehrenamtlichen“, so Vollmer.
Stabsstelle fungiert künftig als Ansprechpartner bei Beschwerden und Anregungen
Diese wollen sich auch weiterhin in die Masterplan-Prozesse der Stadt einbringen, damit die Sichtweise des Behindertenpolitischen Netzwerks Gehör findet. „Bei den bisherigen Masterplänen war es viel Arbeit, bis wir da reinkamen und berücksichtigt wurden“, erinnerte Friedrich-Wilhelm Herkelmann, Vorsitzender des Netzwerks. So haben sie beispielsweise bei den Masterplänen Tourismus, Sport und Mobilität mitgewirkt.
„Wir wollen uns einbringen, aber sind dann auch nachtragend und auf die Zukunft hinweisend, so dass unsere Belange berücksichtigt werden“, gab er Küçük mit auf den Weg. Denn die gemeinsame Sitzung war erst der erste Schritt mit der Befassung der Digitalisierung durch das Behindertenpolitische Netzwerk. In einer weiteren Sitzung soll auch mit Sozialforscher Dr. Bastian Pelka das Thema der digitalen Exklusion eine Facette sein. Pelka werde das Gremium zukünftig begleiten, kündigte Vollmer an.
Ein konkretes Ergebnis der Sitzung gab es schon jetzt: Denes Kücük bot an, als Ansprechpartner für Anregungen, Hinweise und Beschwerden des Netzwerks zu dienen – in Sachen Digitalisierung bei der Stadt und seinen Töchtern. Dies goutierte Richard Schmidt mit einem erleichterten Seufzen: „Ich bin müde, mich da immer zu streiten, wo sie doch gesetzlich dazu verpflichtet sind. Eine Adresse für Anregungen und Hinweise wäre ein guter Schritt.“