Zum Abschluss der Serie „Journalistische Verantwortung in der digitalen Gesellschaft“ gibt es Fragen an die Autor*innen, die an der gleichnamigen Sonderausgabe der Auslandsgesellschaft.de. Biografisches zu Gesprächspartner*innen sowie die gesamte PDF des Heftes zum Download gibt es am Ende des Artikels.
Wie ändert sich der Journalismus in der digitalen Welt?
Christina Helberg: Die digitale Welt bietet dem Journalismus, wie allen anderen Lebensbereichen auch, vielfältige Chancen, aber sorgt auch für große Schwierigkeiten. Einerseits ermöglichen digitale Angebote einen direkteren Austausch mit Leser*innen und die Beteiligung in Bürgerrecherchen durch Online-Tools. Andererseits sind die Finanzierungsmodelle der Branche im Umbruch und es bleibt weiter schwer mit digitalen Journalismus-Angeboten Geld zu verdienen.
Thilo Komma-Pöllath: Die professionellen Kommunikatoren, also Journalisten und Verlage, verlieren an Relevanz, weil heute buchstäblich jeder über seine Sozialen Netzwerke publizieren kann. Das hat zur Folge, dass kompetent recherchierte Information eins zu eins neben persönlicher Meinung, Begründetes neben Beliebigem, Recherche neben Verschwörung, Wahrhaftigkeit neben Fake steht. Zu erkennen, was was ist und was die Quelle der Information ist, ist heute ungleich komplexer als noch vor zehn Jahren. Die Fähigkeit, den Ursprung einer Information zu erkennen ist dabei nicht mehr nur Aufgabe von Journalisten, sondern von jedem Einzelnen von uns. Umso erschreckender, dass nur so wenige diese Fähigkeit besitzen. Neben der Tatsache, dass es immer noch ein großes Qualitätsgefälle zwischen Print- und Onlinejournalismus gibt, kommt erschwerend hinzu, dass sich seriöser, rechercheintensiver Qualitätsjournalismus in der digitalen Welt kaum noch adäquat refinanzieren lässt. Die Konsequenz: Mit lautem Unsinn lassen sich Klicks und Anzeigen, also Reichweite und Geld generieren, mit Qualität nicht annähernd im gleichen Maße.
Daniel Laufer: Es gab mal eine Zeit, in der Medien darüber bestimmen konnten, wovon Menschen erfahren. Diese sogenannte Gatekeeper-Funktion gibt es heute nur noch in abgeschwächter Form: Geschieht etwas irgendwo in der Welt, bekommen Menschen davon bereits durch die sozialen Medien mit. Dadurch verändert sich auch die Rolle des Journalismus: Es geht nun weniger darum, abzuwägen, welche Dinge Menschen erfahren müssen, als zu entscheiden, wie viel sie über diese Dinge wissen müssen. Im Optimalfall verschiebt sich der Schwerpunkt weg von einer Art Chronist:innenpflicht und hin zu einer Berichterstattung, die vor allem Einordnung und Tiefe bietet.
Martina Plum: Alles wird immer schneller, vieles einfacher, aber auch unkontrollierter. Journalismus ist längst nicht mehr so exklusiv wie er mal war. Journalisten haben ihre Gatekeeper-Funktion verloren. Fällt in China der berühmte Sack Reis um, dann brauch ich als Journalistin nicht mehr gewichten, ob das für uns relevant ist, oder nicht. Diese Nachricht erreicht quasi in Echtzeit das andere Ende der Welt, egal, ob relevant oder nicht. Mittlerweile steht alles gleichgewichtig nebeneinander. Orientierung geht verloren.
Dr. Fabian Procharska: Ziemlich umfassend. Ich will drei Dinge herausgreifen. Zentral ist zunächst die ökonomische Krise des Journalismus. Die klassischen Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr, insbesondere Printmedien leiden unter Auflagenverlusten, die bislang meist noch nicht durch Umsätze im Digitalen wettgemacht werden können. Zweitens verändern sich Produktionsweisen und Inhalte des Journalismus: Es gibt neue Darstellungsformen, der Bereich Datenjournalismus ist sehr vielversprechend und die Algorithmisierung und Automatisierung der Redaktionen nimmt Fahrt auf. Hier liegen für die Zukunft viele Chancen: Der Journalismus kann Routineaufgaben automatisieren und sich stärker auf sein Kerngeschäft konzentrieren. Drittens ändert sich das Verhältnis zum Publikum: Leser*innen fordern mehr Transparenz und Dialog und Journalismus und Publikum stehen in sehr viel direkterem Austausch, etwa über Nutzerkommentare oder auch über Nutzungsmetriken, die in Echtzeit anzeigen, was das Publikum nutzt, verbreitet und kommentiert. All das verändert den Journalismus sehr grundlegend.
Olaf Sundermeyer: Informationen sind technisch einfacher zu handhaben, und können von jedermann über eigene Kanäle in den sozialen Medien verarbeitet werden, und das unkontrolliert, vor allem auch Töne, Bilder und Videos. Dem Journalismus kommt nicht mehr die exklusive Leistung zu, Informationen aufzubereiten und zu vermitteln.
Alex Völkel: Er wird immer schneller und kurzlebiger. Viele Medien opfern die Gründlichkeit auf dem Altar der Schnelligkeit. Allerdings bietet die digitale Welt auch spannende Möglichkeiten des multimedialen Erzählers und der schnellen Möglichkeit der Überprüfung von Berichten. Das ist positiv.
Verstärken Journalist*innen das Problem mit den FakeNews? Wirken sie als Katalysatoren?
Christina Helberg: Die allermeisten Journalist*innen und Redaktionen arbeiten gewissenhaft und tragen dazu bei Desinformation aufzudecken. Dazu gehört auch, dass in vielen Redaktionen in den vergangenen Jahren ein Lernprozess stattgefunden hat. Über Falschmeldungen wird differenzierter berichtet, weil man sich bewusst geworden ist, dass sie sonst im Zweifelsfall durch das Aufgreifen nur noch viraler werden. Aber natürlich gibt es einige Medien, die gezielt reißerische Meldungen oder sogar Falschmeldungen verbreiten und davon profitieren wollen.
Thilo Komma-Pöllath: Nein! Ohne Journalisten wäre das kommunikative Dilemma im Digitalen noch viel schlimmer. Aufgabe von Journalisten ist es, Orientierung im digitalen Newsdschungel zu bieten, sie sollten damit als Korrektiv gegen FakeNews wirken und sie tun es oft auch. Dass es im digitalen journalistischen Angebot auch solche Meinungsmacher gibt, die auf den FakeNews-Zug aufspringen, um ein lukratives Geschäftsmodell zu entwickeln, wird man kaum verhindern können. Hier gilt der Satz von den schwarzen Schafen, die es auch im Journalismus gibt.
Daniel Laufer: Mitunter verstärken sie diese Probleme, indem sie im Angesicht von Desinformation am sogenannten „bothsideism“ festhalten. Ein beliebtes Beispiel hierfür: Wenn die eine Seite behauptet, die Erde sei rund, und die andere, die Erde sei eine Scheibe, würden einige Medien schreiben, dass Uneinigkeit über den Zustand der Erde herrsche. Dieses falsche Verständnis von Objektivität hat jedoch katastrophale Auswirkungen, wenn eine der beiden Seiten haarsträubend lügt.
Martina Plum: Ich glaube, ihre Aufgabe wird immer schwieriger, aber auch immer wichtiger. Vor allem dann, wenn sie gut durchdacht herangehen und auch wirklich noch überprüfbar recherchieren. Es gibt einige Medien, die wegen der zu erwartenden Klickzahlen reißerisches widergeben, obwohl sie eigentlich wissen müssten, dass die Nachricht falsch ist. Guter Journalismus aber verstärkt nicht, sondern wirkt als Korrektiv.
Dr. Fabian Procharska: Ja und nein. Einerseits ist die Auseinandersetzung mit Fake News in den Medien wichtig, denn Falschmeldungen sollten nicht unwidersprochen in der Welt sein. Gerade Menschen mit hohem Nachrichteninteresse recherchieren oft selbst zu (vermeintlichen) Falschnachrichten, daher braucht es auch seriöse Angebote, die sie einordnen. Dafür sind journalistische Medien ideal geeignet, weil Recherche und Überprüfung ihr Kerngeschäft sind und sie in der Mehrheit der Bevölkerung noch immer hohes Vertrauen genießen. Andererseits bieten Journalist*innen auch häufig Personen eine Bühne, die immer wieder Fehlinformationen verbreiten. Jüngst hat der Hessische Rundfunk etwa Sucharit Bhakdi interviewt, der mehrfach durch wissenschaftlich nicht haltbare Aussagen zur Corona-Pandemie aufgefallen ist. Ebenso werden die Thesen von Leugnern des Klimawandels immer noch zu oft als gleichwertige Thesen wiedergegeben, obwohl der wissenschaftliche Konsens zu dieser Frage überwältigend ist.
Olaf Sundermeyer: Nein, das Gegenteil ist der Fall. In einer Zeit, in der die Öffentlichkeit mit Informationen, FakeNews, Staatspropaganda und PR gleichermaßen und ohne klare Zuordnung überhäuft wird, sehen sich Journalisten verstärkt damit konfrontiert, FakeNews aufzuklären, die bereits in der Welt sind.
Alex Völkel: Das kann passieren – vor allem wenn sie die Quellen der Berichte nicht überprüfen und so Halbwahrheiten, Gerüchte und angebliche Nachrichten verstärken.
Wie kann ich in der digitalen Welt als verantwortlicher Journalist unterwegs sein?
Christina Helberg: Verantwortungsbewusster Journalismus konzentriert sich auf Fakten und einen ethischen Umgang mit Protagonist*innen. In der digitalen Welt bedeutet das zum Beispiel, sich in den Minuten und Stunden nach Anschlägen und Attentaten nicht an Spekulationen zu beteiligen und mögliche Falschmeldungen zu verbreiten, sondern Fakten abzuwarten. Außerdem ist Quellenschutz und der verantwortungsbewusste Umgang mit Informationen von Protagonist*innen heute wichtiger denn je. Denn was einmal im Internet ist, bleibt dort.
Thilo Komma-Pöllath: Die gute, intensive, auf den Grund gehende Recherche, vor allem die Quellenrecherche, war noch nie so wichtig und so wertvoll wie heute. Wer vor zehn Jahren einen vermeintlichen Fakt aus einer gedruckten Quelle ungeprüft übernommen hatte, der konnte mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Information stimmte. Wer heute eine Information aus dem Internet ungeprüft übernimmt, muss davon ausgehen, dass sie so in Teilen oder ganz unrichtig ist. Das erfordert für einen verantwortlichen Journalisten zwangsläufig eine andere Recherchequalität.
Daniel Laufer: Genauso, wie man auch in einer vermeintlich „analogen“ Welt als verantwortlicher Journalist unterwegs sein kann. Wer heute noch immer versucht, das Digitale vom Analogen zu trennen, begeht einen großen Fehler, denn in der Gesellschaft ist beides längst miteinander verschmolzen.
Martina Plum: Da hat sich nicht viel geändert. Vor allem bei den Journalisten, die ihren beruf geklernt haben. Für die ihr Beruf ein Handwerk ist, dass man oder auch frau erlernen kann. Ich glaube, wir Journalisten – sollten stolz sein auf unseren Beruf. Wir haben so viele Möglichkeiten ihn auszuüben. Wir sollten uns allerdings bewusst sein, dass er eine Dienstleistung ist. Gerade bei so vielen selbsternannten Schreiben und Machern ist verantwortlicher konstruktiver Journalismus wichtiger denn je.
Dr. Fabian Procharska: Letztlich genauso wie in der analogen Welt. Spezifisch für das Digitale würde ich ergänzen: Online-Diskurse in Nutzerkommentaren oder gerade auch auf Twitter nicht als Bevölkerungsmeinung fehlinterpretieren, sondern auf die ganze Bevölkerung blicken. Aktuelle Studien zeigen, dass gerade jüngere Journalist*innen Twitter stark in die Entscheidung einbeziehen, was für sie relevante Nachrichten sind. Das kann problematisch sein, weil Twitter nur einen winzigen Teil der Bevölkerung abbildet. Außerdem sollte sich der Journalismus im Digitalen nicht ausschließlich dem Aktualitätsdruck unterordnen und journalistischen Erfolg nicht nur an quantitativen Metriken messen.
Olaf Sundermeyer: So, wie Journalisten immer unterwegs waren: nach journalistischen Regeln und der daraus resultierenden Verantwortung. Vor allem nicht als Getriebener der sozialen Medien, die dazu verleiten, Informationen und Meinungen schnell und ohne zu hinterfragen weiter zu verbreiten.
Alex Völkel: Ich muss die Quellen hinterfragen, mehr Quellen nutzen, nicht übereilt agieren und mir immer die Frage stellen: „Wem nutzt das?“ Das lässt bestimmte exklusive Hinweise, Leaks oder Gesprächsangebote in einem anderen Licht erscheinen.
Muss Journalismus heute überhaupt noch gelernt werden oder reicht es einfach loszulegen?
Christina Helberg: Grundlagen des Journalismus kann sich heute über Online-Angebote jede*r selbst beibringen. Wer investigativ recherchieren möchte oder anspruchsvolle Reportagen filmen will, profitiert aber natürlich, wenn er von Profis lernen kann. Das ist auch wichtig, weil mancher Journalismus mit Selfie-Videos von Influencer*innen verwechselt. Zum Journalismus gehören aber zum Beispiel auch ethische Fragen und Wissen zum Presserecht, die in der Ausbildung vermittelt werden. Zum Glück setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die Journalist*innenausbildung auch heute noch viel zu elitär geprägt ist, und dass sich das dringend ändern muss. Denn natürlich ist der Grundsatz, dass jede*r Journalist*in werden kann, für viele Menschen eine Utopie. Weil Redaktionen ein Abitur oder Studium voraussetzen oder man sich unbezahlte Praktika leisten können muss.
Thilo Komma-Pöllath: Der Wirkmechanismus von Journalismus muss unbedingt erlernt werden! Eine in sich intakte freiheitliche und rechtstaatliche Gesellschaft muss sich auf einen Informationskanon einigen können. Vereinfacht gesagt: Was ist eher richtig, was eher falsch. Die wahrhaftige Information ist in einer Demokratie ein Wert an sich, der Orientierung, Verbindlichkeit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die staatlichen Institutionen vermittelt. Wenn jeder das Seine behaupten und als unumstößliche Wahrheit verkaufen kann, ohne dass man sich noch auf diesen Informationskanon verständigen kann, dann fällt eine Gesellschaft auseinander. Diese disruptiven Fliehkräfte sind schon heute deutlich erkennbar.
Daniel Laufer: Man muss diesen Beruf nicht studiert haben, um darin gut zu sein. Aber Journalismus bringt eine große Verantwortung mit sich. Es kommt darauf an, dass man sein Handwerk beherrscht, auch wenn die Rahmenbedingungen und Werkzeuge sich verändert haben. Und lernen muss man dieses Handwerk dann doch.
Martina Plum: Eben nicht. Man kann nicht einfach so loslegen. Eine fundierte – auch wissenschaftliche und betriebliche Ausbildung ist nach wie vor sehr wichtig und notwendig. Gerade weil guter Journalismus wichtig ist für eine gute funktionierende Demokratie, ist es auch wichtig und unerlässlich, dass Journalismus vor dem loslegen erst einmal fundiert erlernt wird.
Dr. Fabian Procharska: Es ist sogar noch wichtiger, dass Journalismus professionell gelernt wird! Gerade unter digitalen Bedingungen und wegen antidemokratischer Gruppierungen braucht es eine gesellschaftliche Instanz, die unabhängig und wahrheitsgemäß informiert und Missstände ohne Partikularinteressen öffentlich macht. Eine solide journalistische Ausbildung ist die beste Chance dafür, dass der Journalismus das schafft und sich auf die Bedingungen der digitalen Öffentlichkeit einstellen kann.
Olaf Sundermeyer: Gerade weil das technische Handling von Informationen niedrigschwellig ist, sollte der Anspruch am Journalismus hoch sein. Dafür ist eine fundierte Ausbildung in der Redaktion wesentlich.
Alex Völkel: Gutes Handwerkszeug ist heute mehr denn je wichtig – und auch eine ständige Fort- und Weiterbildung – inhaltlich wie im Umgang mit dem multimedialen Handwerkszeug.
Warum sind Ihrer Meinung nach FakeNews so erfolgreich?
Christina Helberg: Bei meiner Arbeit kann ich täglich beobachten wie Desinformation gezielt Ängste von Menschen anspricht. Die falschen Behauptungen sind dabei in der Regel emotional und reißerisch, das spricht viele an. Besonders erfolgreiche Narrative von Desinformation in Deutschland sind zum Beispiel „Deutschland wird ein islamischer Staat“ und „Migration verdrängt deutsche Traditionen“
Thilo Komma-Pöllath: Einfache Antworten auf schwierige Fragen waren schon immer populär, auch lange vor Erfindung des Internets. Mit dem Internet und der leichten Zugänglichkeit an eine Fülle nicht verarbeitbarer, nicht verstehbarer, teils widersprechender Information wird die Welt gefühlt zu einem immer noch komplizierteren Ort. Jeder Mensch aber will dieses Erkenntnisparadoxon hinter sich lassen, jeder Mensch will die Welt verstehen können, und nicht wenige lassen sich von den Apologeten der vermeintlich einfachen Wahrheiten kurzerhand hinters Licht führen, weil es bequemer scheint. Dabei wissen wir heute: Einfache Wahrheiten sind in der Regel eine Lüge, also Fake.
Daniel Laufer: Wenn es in ihr Weltbild passt, sind viele Menschen bereit, den größten Unsinn zu glauben. Das Gefühl, das ihnen dieser Glaube verschafft, verdrängt ein Interesse an Fakten. Wer Desinformation streut, macht sich genau diese menschliche Schwäche zunutze. Das sieht man gerade deutlich in Form von Verschwörungsmythen, die sich während der Pandemie verbreiten, indem sie gezielt Ängste adressieren.
Martina Plum: Weil sie sich schnell, oft in Echtzeit zu einem Ereignis, ungebremst und häufig unwidersprochen und unkontrolliert verbreiten. Diese Bedingungen haben erst die sozialen Medien geschaffen. Und weil die Nutzer auf FakeNews stehen. Das ist aber nichts Neues. Sensationen haben schon immer die seriösen Nachrichten um Längen geschlagen.
Dr. Fabian Procharska: Wie erfolgreich Fake News genau sind, ist eine empirische Frage, über die wir noch gar nicht so viel wissen. Vermutlich gibt es deutlich weniger Fake News, als der öffentliche Diskurs nahelegt – vor allem in Deutschland. Die Forschung zeigt aber, dass zur Verbreitung von Des- und Misinformation erstens psychologische Mechanismen beitragen: Falschmeldungen sind häufig reißerischer, konflikthaltiger und spannender, weil sie sich nicht an die oft profane Realität halten müssen. Darüber hinaus sprechen sie oft sehr dezidiert bestimmte Voreinstellungen der Nutzer*innen an, was ausgewogene journalistische Berichterstattung seltener tut. Gerade wenn das der Fall ist, prüfen Nutzer*innen die Inhalte oft nicht kritisch, sondern klicken einfach schnell auf den „Teilen“-Button. Damit sind wir beim zweiten Punkt, der die Verbreitung fördert: Die Charakteristika von Social-Media-Plattformen. Sie machen den schnellen Like und das schnelle Teilen möglichst einfach, um die Nutzer*innen zu stärkerem Engagement zu bringen. Wenn dann in den Newsfeeds der Nutzer*innen Empfehlungen ihrer Freunde auftauchen, haben solche Nachrichten häufig auch einen Glaubwürdigkeitsvorsprung.
Olaf Sundermeyer: Weil sie sich schnell, oft in Echtzeit zu einem Ereignis, ungebremst und häufig unwidersprochen und unkontrolliert verbreiten. Diese Bedingungen haben erst die sozialen Medien geschaffen.
Alex Völkel: Es sind mitunter die spannenderen Themen, reißerischer formuliert und die phantasievollere Geschichte. Außerdem – das ist das eigentliche Problem – befeuern die (a)sozialen Netzwerke mit ihren Algorithmen die skurrilen und klickträchtigen Fake-Beiträge und bestrafen den seriösen (weil langweiligeren) Journalismus.
Was können Journalisten gegen FakeNews unternehmen?
Christina Helberg: Journalist*innen müssen sich bewusst machen, wie Desinformation funktioniert und das in ihrer Berichterstattung berücksichtigen. Eine Falschmeldung aufzugreifen, kann sie noch viraler machen. Deshalb sollte es in Redaktionen feste Kriterien geben, wann und wie über Desinformation berichtet wird. Zum Beispiel wenn die Meldung ohnehin bereits weit verbreitet wurde oder sie gezielt Minderheiten diffamiert. Besonders wichtig ist aber, dass der Journalismus hinter die einzelnen Falschmeldungen schaut. Welche Narrative stecken dahinter? Welche Netzwerke verbreiten Desinformation und wie finanzieren sie sich? Dazu gibt es zum Glück schon viele gute Recherchen von Kolleg*innen.
Thilo Komma Pöllath: Sich einzig der Wahrhaftigkeit zu verpflichten! Dafür braucht es ein gewisses Ethos und den Mut, unangenehme Wahrheiten begründet und notfalls gegen jeglichen Shitsturm anzusprechen und den Job auch dann nicht aufzugeben, wenn er kaum noch den eigenen Lebensunterhalt sichert. Journalist zu sein ist schon deshalb einer der schönsten Berufe der Welt, weil es kaum eine andere Arbeit gibt, die einem eine größere Sinnhaftigkeit vermitteln kann. Sinnhaftigkeit geht nur zusammen mit Wahrhaftigkeit. Niemand fühlt sich gut dabei, wenn er lügt oder trickst oder FakeNews verbreitet.
Daniel Laufer: Fake News“ ist ein Begriff von Leuten wie Donald Trump, mit dem diese kritische Medienberichterstattung diskreditieren. Allein dass wir ihn dennoch nutzen, zeigt, wie fortgeschritten dieses Problem ist. Folglich sollten Journalist:innen zunächst einmal hiermit aufhören. Bei „Fake News“ handelt es sich um Desinformation. Wer Lügen aufgreift, muss sie auch als solche benennen.
Martina Plum: Gut fundierte, ausreichend recherchierte konstruktive Arbeit hinlegen.
Dr. Fabian Procharzka: Falschmeldungen aufgreifen, recherchieren und die wahren Sachverhalte deutlich und transparent darstellen. Als sinnvoll hat sich dabei gezeigt, die Falschmeldung nicht öfter als nötig zu wiederholen und die Richtigstellung in den Mittelpunkt zu rücken. Die sollte außerdem eine Erklärung und Begründung enthalten. Dinge nur als „falsch“ zu deklarieren, reicht nicht aus. Der beste „Schutz“ gegen Fake News ist aber sicher, unabhängigen, vielfältigen und vertrauenswürden Journalismus zu machen.
Olaf Sundermeyer: Journalismus.
Alex Völkel: Unaufgeregt weiterarbeiten und nicht auf jeden Zug aufspringen.
Haben Journalist*innen Vertrauen verspielt? Wenn ja, wie können sie es zurückgewinnen?
Christina Helberg: Der Journalismus hat lange gebraucht das neue Selbstverständnis von Leser*innen in seinen Formaten umzusetzen. Für mich ist es zum Beispiel selbstverständlich in meinen Texten alle Originalquellen zu verlinken. Viele große Medienhäuser machen das aber weiterhin nicht. Dabei haben Leser*innen heute das Bedürfnis selbst Fakten zu überprüfen und zum Beispiel die Polizeimeldung zu einem Bericht selbst nachzulesen. Als Journalist*innen sollten wir unsere Recherchen deshalb so transparent wie möglich machen.
Thilo Komma-Pöllath: Der Qualitätsjournalismus, der sich kaum noch refinanzieren kann, erlebt eine Strukturkrise. Jeder, der schon eine Krise durchlitten hat, kennt das: Die Selbstzweifel wachsen, der Mut schwindet. Ein Journalismus, der das Vertrauen seiner Leser und seines Publikums zurückgewinnen und behalten will, muss einerseits mutig und progressiv sein im Führen gesellschaftlich notwendiger Diskurse und andererseits antizyklisch denken: In Zeiten sinkender Auflagen und Werbeumsätze noch mehr in Recherche und Qualität investieren und nicht weniger wie vielerorts in den Verlagen zu beobachten ist. Wenn man selbst das eigene Produkt qualitativ beschädigt, darf man sich nicht wundern, wenn der Leser das nicht mehr quotiert und das Abonnement abbestellt.
Daniel Laufer: Julian Reichelt.
Martina Plum: Nein, sie haben kein Vertrauen verspielt. Nur weil das immer wieder die gleichen behaupten. Sie sind und bleiben wichtig für die Demokratie. Ich glaube für Menschen, die nachdenken können, ist das Vertrauen in guten Journalismus, der nicht einfach nur den Klicks hinterher rennt,sogar noch gestiegen. Gerade in Zeiten der Krise, wie wir sie momentan erleben, zeigt sich, wie wichtig guter Journalismus ist.
Dr. Fabian Procharska: In den letzten Jahren beobachten wir eine Polarisierung des Vertrauens in den Journalismus. Er hat in eher konservativen, politisch rechts orientieren Kreisen Vertrauen verloren, bei der eher progressiven, weltoffenen Mehrheit der Bevölkerung aber sogar an Vertrauen gewonnen. Ein Großteil der Bevölkerung unterstützt und schätzt den Journalismus und verteidigt ihn auch gegen pauschale Angriffe à la „Lügenpresse“, ohne ihm jedoch unkritisch gegenüber zu stehen. Gesellschaftlich ist auch genau das erforderlich: Wertschätzung und Unterstützung für guten Journalismus, ohne ihm dabei blind zu vertrauen. Denn natürlich macht der Journalismus auch viele Fehler und leidet unter systemischen Problemen, mit denen er Vertrauen verspielt. Das reicht von offensichtlichen Skandalen wie die gefälschten Reportagen von Claas Relotius über das Verhalten diverser Boulevardmedien nach der Tragödie in Solingen bis hin zur mangelnden Trennung von Nachricht.
Olaf Sundermeyer: Das ist lediglich eine Behauptung, die von Interessengruppen gezielt verbreitet wird, die in einer demokratischen Kontrolle durch freie Medien eine Gefahr sehen. Tatsächlich ist das Vertrauen im Journalismus zuletzt noch gestiegen. Fakt ist aber auch, dass journalistische Arbeit im digitalen Zeitalter von außen besser überprüft werden kann, und deshalb Nachlässigkeiten, Fehler oder bewusste Täuschungen sehr viel wahrscheinlicher auffallen als früher. Insofern sollten die neuen Kontrollmöglichkeiten der Mediennutzer für Journalisten Ansporn sein, noch sorgfältiger zu arbeiten.
Alex Völkel: Die Frage ist mir zu pauschal. Es gibt nicht den Journalisten oder die Medien. Es gab genügend Medien, die auch vorher schon unglaubwürdig waren. Die seriösen müssen weiter ihren Stiefel machen und (noch) transparenter werden.
BIOGRAPHIEN:
Cristina Helberg arbeitet als freie Journalistin, Faktencheckerin und Trainerin für Recherche und Verifikation. Ihre Rechercheschwerpunkte sind Desinformation im Netz, Machtmissbrauch und gesellschaftliche Ungleichheit. Als Trainerin und Speakerin gibt sie ihr Wissen zu Desinformation, Recherche und Verifikation von Online-Inhalten weiter. 2018 wurde sie vom Medium Magazin als Top 30 bis 30-Journalistin ausgezeichnet.
Thilo Komma-Pöllath, geboren 1971, ist freier Journalist, Blogger und Buchautor (»Die Akte Hoeneß«); er betreibt in München ein Redaktions- büro und schreibt u.a. für »Süddeutsche Zeitung Magazin«, »FAZ am Sonntag« und das Medienma- gazin »journalist«. Im März 2021 erscheint sein neues Buch „Die notwendige Revolution“, für das er sich intensiv mit der Debattenkultur und Daten- souveränität im digitalen Zeitalter beschäftigt hat. Seine thematischen Schwerpunkte sind Kultur, Medien, Gesellschaft. Für seine Arbeit wurde Komma- Pöllath für den Deutschen Reporterpreis nominiert.
Daniel Laufer ist Redakteur bei netzpolitik.org in Berlin. Er hat irgendwann mal in Freiburg beim Re- gionalfernsehen volontiert, später war er fünf Jahre lang Redakteur beim Jugendportal fudder.de und der Badischen Zeitung. Zuletzt hat er für öffentlich- rechtliche Politmagazine über die Aktivitäten von Rechtsextremist:innen im Netz berichtet. Wegen seiner Recherchen hat ihn das Medium Magazin 2019 zu einem der „Top 30 bis 30“ im Journalismus gekürt.
Martina Plum
Diplom-Journalistin, Mediatorin (MM) Business Coach (DBVC)
Hat lange als Freiberuflerin gearbeitet, bevor sie seit 1999 in der Auslandsgesellschaft verantwort- lich ist für den Bereich Kommunikation, Projekte und Veranstaltungen.
Dr. Fabian Prochazka ist Postdoktorand am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Hohenheim. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit Vertrauen in journalistische Medien unter Online-Bedingungen. Er forscht zum digitalen Strukturwandel von Medien und Öffentlichkeit und seinen Auswirkungen auf die Meinungsbildung der Bürger und das Verhältnis von Journalismus und Publikum.
Olaf Sundermeyer (*1973) ist in Dortmund aufgewachsen und hat hier Journalistik studiert. Nach einem Redaktionsvolontariat bei der Hessisch/Niedersächsischen-Allgemeinen arbeitete er u. a. in Frankfurt (Oder) und Warschau als Reporter und freier Korrespondent, bevor er als ARD-Investigativjournalist zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) nach Berlin kam. Seine Arbeitsschwerpunkte sind politischer Extremismus und Organisierte Kriminalität.
Alexander Völkel ist Journalist, Fotograf und Politologe (M.A.). Er lebt und arbeitet in Dortmund. Er ist Gründer und ehrenamtlicher Redaktionsleiter von nordstadtblogger.de. Zu seinen beruflichen Schwerpunkten gehören die Themen Rechtsextremismus, Zuwanderung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sowie die soziale Frage. Über die heimische Neonazi- Szene berichtet er seit 15 Jahren – auch unabhängig von Großdemonstrationen und Jahrestagen.
Der Serienteil ist ein Gastbeitrag aus dem Sondermagazin „Journalistische Verantwortung in der digitalen Gesellschaft“ der Auslandsgesellschaft.de. Er wurde ermöglicht durch eine Förderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.
Hier gibt es das gesamte Heft als PDF zum Download: Journalisitische Verantwortung in der dígitalen Gesellschaft_web
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