Über den europaweiten Rechtsruck und die Politik in Deutschland

SERIE (6) – 75 Jahre Auslandsgesellschaft Dortmund: 2024 ist das Jahr der Wahlen

Nachdem die Journalist:innen von Correctiv die Remigrationspläne der Rechten offenlegten, gingen in ganz Deutschland Tausende Menschen auf die Straßen. Auch in Dortmund setzten rund 30.000 Menschen ein Zeichen gegen Rechts.
Nachdem die Journalist:innen von Correctiv die Remigrationspläne der Rechten offenlegten, gingen in ganz Deutschland Tausende Menschen auf die Straßen. Auch in Dortmund setzten rund 30.000 Menschen ein Zeichen gegen Rechts. Foto: Chimène Goudjinou

Am 28. März 1949 fand im Hörsaal der Kinderklinik die Gründungsversammlung der „Gesellschaft der Freunde des Auslandsinstituts“ – der heutigen Auslandsgesellschaft.de statt. Dabei waren damals der Oberstudiendirektor, der Präsident der IHK, ein Vertreter des DGB sowie sechs weitere Mitglieder anwesend, die die Gesellschaft mit dem Ziel der Völkerverständigung gegründet haben. Das ist nun 75 Jahre her. Zu diesem Anlass erscheinen in einer Serie Gastbeiträge aus dem Jubiläumsmagazin der Auslandsgesellschaft.

Das Jubiläumsjahr der Auslandsgesellschaft wird zu einem ganz besonderen. In den Gazetten ist die Rede vom Schicksalsjahr. Es ist das Jahr der Wahlen: Europa im Juni, in drei ostdeutschen Ländern im September, und im November in den USA. ­Übrigens: auch in Russland wird gewählt. Nur da stand das Ergebnis bereits heute fest.

Ein Gastbeitrag von Martina Plum

Und überall geht das Gespenst des Rechtsrucks um. 2024 – das ist auch das Jahr der Hoffnungen. Als die Journalisten von Correctiv die Remigrationspläne der Rechten offenlegten, gingen in ganz Deutschland Tausende Menschen auf die Straßen. Sie zeigen, dass sie die Demokratie nicht durch Faschisten und Nazis zerstören lassen wollen, wie das ihre Großväter und Großmütter geschehen ließen.

Foto: Chimène Goudjinou

1949–2024: Seit 75 Jahren ist die Auslandsgesellschaft Teil gesellschaftlicher Geschichte. Sie ist Beobachter, Begleiter und Ort unseres gesellschaftlichen Austauschs. Das stellt Verbindungen und Kontinuitäten zwischen den Jahrzehnten her. Vor allem ist es unser kontinuierlicher Auftrag: die Völkerverständigung im Geiste von Humanität und Toleranz.

Was uns auch verbindet mit den Anfangsjahren, ist der Verlust des Vertrauens in die Institutionen. Damals war es der Blick auf die Trümmer, waren es die Erfahrungen von Willkür, Unrecht, Krieg und Verfolgung, die den Blick hoffnungsvoll nach vorne richten ließen. Hoffnung überwog die Angst vor der Zukunft.

Heute ist nach den Erfahrungen von Finanzkrise, Eurokrise, Pandemie, Erosion der Europäischen Werte und neuem Krieg auf unserem Kontinent Hoffnung und Zuversicht eine Mangelware. Das Vertrauen auf die Lösungskraft der Politik ist gering. Auch 1949 sollte eine neue rechte Partei verhindert werden. Heute erleben wir das Wiedererstehen rechter Kräfte, heute haben wir sie im Bundestag sitzen.

Auch wenn die Aufarbeitung der Nazi-Zeit lange mangelhaft war, hat die alte BRD die Angriffe von der rechten Seite erfolgreich abgewehrt. Die Bonner Republik hatte die Entstehung rechter Sammlungsbewegungen verhindert, sogar ein Parteiverbot erreicht. Im Jahr 2024 fragen wir uns, ob Berlin ebenso erfolgreich sein wird.

Das Volk hat im Januar 2024 engagiert in der gesamten Republik mit den Füßen abgestimmt. Jetzt endlich müssen Politikerinnen und Politiker ihre Arbeit machen, für die sie vom Souverän legitimiert wurden. Dabei diskutieren sie munter darüber, wer mit wem in welche Dreier- oder Viererbündnisse einsteigen kann, um die AfD in Ostdeutschland zu verhindern.

„Wir müssen nicht mehr nur Angst um unsere Demokratie haben, sie ist längst in Gefahr“

Was für ein Armutszeugnis. Diese Rechnungen wirken verzweifelt und beweisen, dass viele den Ernst der Lage noch nicht kapiert haben. Währenddessen wendet sich das Volk von der Politik immer mehr ab und wählt die etablierten Parteien mit der Wahl der AfD ab. Statt laut über ein Verbot der AfD nachzudenken, sollten sich die Politiker den Fragen stellen, die den Menschen unter den Nägeln brennen.

Sie müssen sich den Fragen und den Rechten stellen und letztere vor allem bloßstellen. Wie wäre es damit, sie öffentlich (auch im Fernsehen für alle sicht- und hörbar) zu entlarven? Ein Verbot würde sie zu Märtyrern machen. Es würde ihnen nur noch mehr Stimmen bescheren. Warum sind sie so stark, je lauter sie bekämpft werden?

Weil niemand sich die Mühe macht, die AfD-Wähler zu verstehen, ihnen zuzuhören. Was treibt die Menschen um? Welche Sorgen brennen ihnen unter den Nägeln? Stattdessen verdammt man sie. Und so treibt man sie nur noch mehr in die Arme der AfD. Wir müssen nicht mehr nur Angst um unsere Demokratie haben, sie ist längst in Gefahr.

Foto: Thomas Pflaum | AGON | VISUM

Etablierte Parteien regieren zu lange über die Köpfe der Menschen hinweg. Stattdessen wird abgehoben debattiert zur Identitätspolitik, systematisch die Migrationspolitik ausgeblendet, die Arbeiterschaft ist nicht mehr präsent; die Bürger fühlen sich schon lange nicht mehr von ihren Volksvertretern vertreten. Politik muss sich erklären, sie selbst muss endlich verstehen, dass sie gewählt nicht erwählt wurde.

Wenn die Koalition ständig streitet über Themen, die sie kurz vorher beschlossen hat, ist dies für niemanden nachvollziehbar. Politik muss kommunizieren mit den Bürgern. Denn, wie kann es sein, dass auf der einen Seite davon die Rede ist, dass die Bundeswehr einsatzbereit werden muss, um notfalls dieses Land und seine Menschen zu verteidigen.

Dann aber sich die Regierung weiter an Begriffen abarbeitet. Es kann nicht sein, dass die Zeitenwende proklamiert wird und zwei Jahre später steht die Bundeswehr immer noch wie eine Gurkentruppe da. Einsatzbereit ist sie noch lange nicht. Noch nicht einmal auf dem Weg dahin. Politik muss verlässlich werden. Wer das, was er ankündigt auch durchführt, auf den ist Verlass.

Wer Elektroautos forcieren will, der kann nicht danach die Förderung streichen. Politik muss Ergebnisse präsentieren: Ständig nur zu reden, aber nichts zu tun, funktioniert nicht. Das beste Beispiel dafür ist die Migrationspolitik. Politik muss die Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen. Wem man erklärt, wozu der Klimaschutz ausgebaut werden muss, der hat die Möglichkeit, dies zu verstehen.

Die Ansprüche für eine Neubelebung der Demokratie richten sich aber nicht nur an die Politik. Sie ist vor allem auch eine Anforderung an alle Bürger. Was sich in den überzeugenden Willensbekundungen auf den Demonstrationen gezeigt hat, die Demokratie zu schützen und die Freiheit zu bewahren, muss durch aktives Mitwirken dauerhaft ein neues Fundament für die Demokratie schaffen.

Deshalb heißt der Appell auch: Stärkt die demokratischen Parteien, demokratische Organisationen und Institutionen. Wer wirkungsvolle Volksvertreter will, muss sich einmischen, mitwirken und konkurrieren.


Der Serienteil ist ein Gastbeitrag aus dem Jubiläumsmagazin „75 Jahre Auslandsgesellschaft“ der Auslandsgesellschaft.de. In diesem Magazin hat die Auslandsgesellschaft 75 Jahre in die Dekaden aufgeteilt, dann das allgemeine Geschehen, der Stadt Dortmund und das, was in der Auslandsgesellschaft passiert ist, dargestellt.


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