Ein Gastbeitrag von Olaf Sundermeyer
Nach Beginn des Lockdowns zog der Pestdoktor einen Bollerwagen durch die Stadt, darauf ein kleiner weißer Kindersarg. Für ein Internetvideo hatte sich ein Aktivist der neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ in das schwarze Kostüm der historischen Figur gekleidet. Dazu trug er einen Zylinder auf dem Kopf, einen Krähenschnabel aus Pappmaché im Gesicht, und lief zu diesem Untertitel durch Dortmund: „Glaubt man den Verlautbarungen der Herrschenden, müsste es vor Corona-Toten eigentlich nur so wimmeln.“
Er zieht den Sarg vorbei an der Corona-Diagnostik einer Klinik, an einem Bestattungshaus, bis in die Vorhalle der Reinoldi-Kirche. Danach setzt der „Pestdoktor“ zu einer Erklärung an: „Wir waren jetzt den ganzen Tag unterwegs und haben nach Corona-Toten gesucht“, sagt er, und dass man „nirgendwo einen gefunden“ habe. Am Ende steht seine Botschaft, die von der Rechten über die sozialen Medien verbreitet wird: „Es gibt einfach keine Corona-Toten!
Seit dem Frühjahr hatte die rechtsextreme Szene aus Dortmund die Pandemie auf ihren Kanälen zur Lüge erklärt. Auf dieser Grundlage waren ihre Aktivisten von Beginn an bei lokalen Anti-Corona-Protesten dabei und verteilten dort gebundene Ausgaben des Grundgesetzes.
Nach der Inszenierung und Verbreitung der angeblichen Corona-Lüge leiteten sie daraus die Umkehrung ab, dass die Bundesregierung das Land in eine Diktatur gewandelt habe. Während sie, die Rechtsextremisten, für Demokratie und Grundrechte einträten.
Auf ähnliche Weise erfolgte die Umkehrung inzwischen bei den professionellen Anti-Corona-Protesten des „Querdenken“-Netzwerkes, das sich im „Widerstandsrecht“ sieht. Dessen Einladung nach Dortmund folgten im August annähernd 3000 Menschen.
Dabei warfen einzelne Kundgebungsredner der Bundesregierung vor, die Bevölkerung über das Ausmaß der Pandemie anzulügen. Die Pandemie würde es in dieser Form gar nicht geben.
Bei dieser Gelegenheit luden die Querdenker den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einer Großdemonstration drei Wochen später nach Berlin ein, sowie den US-Präsidenten. Galt Donald Trump unter den Corona-Leugnern inzwischen als möglicher Befreier von der Corona-Diktatur.
Auch Aktivisten der „Rechten“ aus Dortmund folgten der Einladung nach Berlin, und versammelten sich ab dem Nachmittag vor dem Reichstagsgebäude. Gleichzeitig kursierte in einigen Telegram-Gruppen der „Querdenker“ die Behauptung, dass bereits amerikanische und russische Soldaten in der Hauptstadt seien.
In der aufgeheizten Atmosphäre rief eine Kundgebungsrednerin schließlich von einer Bühne vor den Stufen zum Reichstagsgebäude: „Wir schreiben hier heute Weltgeschichte“, und sie behauptete, die Polizei sei bereits übergelaufen, Trump in der Stadt.
„Wir haben gewonnen“, brüllte sie über Lautsprecher, nun werde man da hinaufgehen und sich „unser Haus“ zurückholen. Ein Mob von hunderten Rechtsextremisten folgte ihrem Aufruf, aus dem die bildstarke Inszenierung des Sturms auf den Reichstag wurde.
Der Serienteil ist ein Gastbeitrag aus dem Sondermagazin „Journalistische Verantwortung in der digitalen Gesellschaft“ der Auslandsgesellschaft.de. Er wurde ermöglicht durch eine Förderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.
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SERIE (7) – Journalistische Verantwortung in der digitalen Gesellschaft: Medienkompetenz an Schulen
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Ich sehe was, was du nicht siehst! VHS-Workshop zu Fake News und Desinformationskampagnen (PM)
Ich sehe was, was du nicht siehst! VHS-Workshop zu Fake News und Desinformationskampagnen
Desinformationskampagnen und Fake News: Mit Blick auf die kommende Bundestagswahl bietet die VHS Dortmund gemeinsam mit der Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie der Stadt Dortmund am Donnerstag, 9. September, 16 bis 19.30 Uhr einen Workshop an. Ausgesuchte Expert*innen für diese Themen sind mit dabei und stellen konkrete Handlungsstrategien zum Umgang mit diesen Phänomenen vor. Neben Alexander Sängerlaub, dem Co-Autor der Studie „Quelle: Internet?“, werden Christina Helberg und Stephan Mündges Fragen beantworten und mittels multimedialer Workshops Lösungen entwickeln.
Verschwörungsmythen und Falschmeldungen verbreiten sich über das Internet und Messengerdienste wie Telegram millionenfach. Während der Corona-Pandemie erreicht Desinformation besonders viele Menschen. Mit Blick auf die Bundestagswahl ist eine Zunahme solcher Meldungen mehr als wahrscheinlich. Die Auseinandersetzung mit Falschmeldungen ist komplex und erfordert neben Zivilcourage insbesondere Handlungssicherheit und Medienkompetenz.
In der Veranstaltung haben Teilnehmende die Möglichkeit, die eigene Medienkompetenz auf den Prüfstand zu stellen und weiter auszubauen. Dabei nähern sie sich folgenden Fragen: Wie identifiziert man Desinformationskampagnen? Wie und wo kann ich schnell herausfinden, ob es sich um Falschmeldungen handelt? Wie teile ich mein Wissen mit anderen und wie verhalte ich mich online und offline, wenn mir Verschwörungserzählungen und Fake News begegnen?
Neben einem fachlichen Input von Alexander wird es zwischen 17 und 18.30 Uhr drei Workshops zu verschiedenen thematischen Schwerpunkten geben. Die Zuordnung zu den Workshops erfolgt am Veranstaltungstag. Ein eigener Laptop wäre vorteilhaft, ist aber nicht zwingend erforderlich.
Die Teilnahme ist kostenlos. Anmeldung erforderlich unter http://www.vhs.dortmund.de (Veranstaltungsnummer 212-51107).