Von Alexander Völkel
Es gibt rechtsextreme Medien – auch in Dortmund. Online war das „Dortmund-Echo“ über Jahre das Internet-Zentralorgan der Neonazis. Doch auch gedruckt gab und gibt es Angebote – darunter die „N.S. heute“ oder das rechtsextreme Jugendmagazin „HJ – heute jung“, wo schon im Titel klar wird, welch „Geistes Kind“ die Publikationen sind. Doch viel perfider ist es, wenn soziale Netzwerke und klassische Medien für Empörungskampagnen durch die extreme Rechte instrumentalisiert werden. Ein Parade-Beispiel ist die Debatte um „Oma ist ’ne alte Umweltsau“: Ein Kinderlied, das den Generationenkonflikt satirisch aufs Korn nehmen wollte, treibt Menschen auf die Straße und den WDR in eine Krise. Angezettelt wurde dieser „Shitstorm“ durch Neonazis.
Künstlicher Medienskandal: WDR-Intendant tappt in rechte Trollfalle
Die „Umweltsau“-Debatte hatte ihren Ursprung fast unbeachtet im Radio. In der Sendung „Satire Deluxe“, die am 9. November 2019 auf WDR5 ausgestrahlt wurde, war eine Neutextung des Kinderlieds „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ zu hören. Sie stand im Kontext satirischer Aspekte zu Greta Thunberg beim Klimagipfel. Gesungen wurde der Text vom WDR-Kinderchor, der in Dortmund zu Hause ist. Kurz nach Weihnachten veröffentlichte der WDR das Lied quasi ein Lückenfüller bei Facebook.
Die oft wenig sozialen Netzwerke liefen heiß, negative Kommentare schossen gegen den WDR. Es fehle an Respekt gegenüber Älteren, Kinder würden instrumentalisiert. Angefacht wurde die Kritik von rechten, nicht immer sofort erkennbaren Troll-Accounts, Medien sprangen auf den Empörungszug. Den Neonazis war ein Coup gelungen, es wurde eine Demo gegen den WDR angezettelt. In der ersten Reihe: Dortmunder Neonazis.
Problematisch war dabei die Rolle der WDR-Führung: Statt sich vor die eigenen Leute zu stellen und offensiv die Rolle von Satire zu thematisieren, entschuldigt sich Intendant Tom Buhrow und ließ das Video vom Netz nehmen. In einem offen Brief schossen 40 WDR-Journalist*innen am 6. Januar 2020 zurück: „Ein Medienmanager, dessen Umgang mit moderner, rechter Propaganda von so viel Naivität und Ungeschicktheit zeugt und nicht in der Lage ist, sich in einfachsten Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit vor seine Mitarbeiter*innen zu stellen, gefährdet eben diese Freiheiten. Er sollte die Konsequenzen ziehen“, hieß es.
Eine widerliche und zugleich schlagzeilenträchtige Parole: „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“
Dies ist das wohl prominenteste Beispiel aus Dortmund, wie Rechtsextreme und Rechtspopulisten mediale Diskurse verändern bzw. vereinnahmen. Daher müssen Lesende sensibilisiert werden. Auch Medienschaffende sind in der Pflicht, Themen zu hinterfragen und nicht über jedes Stöckchen zu springen. Ein Beispiel ist das bundesweite Echo auf eine kleine Demo im Dortmunder Westen.
„Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!“, diese Sprechchöre – begleitet von Bengalo-Fackeln bei einer Demo durch Dorstfeld und Marten gegen angebliche Polizeiwillkür im September 2018 – brachten Dortmund bundesweit, teils international in die Schlagzeilen. Doch was war wirklich schlagzeilenträchtig, was (leider) Normalität bei Neonazi-Demos?
Bengalos, Pyrotechnik, Böller – am Straßenrand bzw. auf Hausdächern – sind nichts Neues bei Demos in Dortmund. Sie sorgen für spektakuläre Bilder. Daher setzen Neonazis sie gezielt ein – an ausgewählten Orten und Szenerien, um für Begeisterung in eigenen Reihen und medial verwertbare Bilder zu sorgen.
Sicher: die Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ ist verwerflich – neu war sie nicht, sondern mehrfach bundesweit zu hören. Beim sog. „Tag der deutschen Zukunft“ 2017 – quasi vor der Haustür des BVG in Karlsruhe – sorgte das aber nicht für ein solches Medienecho.
Damals waren die Dortmunder Neonazis ebenfalls beteiligt, sogar an der Organisation. Ein juristisches Nachspiel gab es offenbar nicht. Wenigstens taucht die widerliche Parole jetzt im Auflagenbescheid der Polizei auf, sodass sie künftig nicht mehr skandiert werden darf. Mittlerweile stehen viele andere Geschmacklosigkeiten und Verrohungen mit Verbalangriffen und Verhöhnungen von Opfern von NS-Gewalt, politisch Andersdenkender oder der Polizei auf der „Sperrliste“.
Reißerische Reichweitenbeiträge in überregionalen Medien als erwartbare Reaktionen
Nicht nur die Stadtgesellschaft in Dortmund nervt es gewaltig, dass Neonazis es immer wieder schaffen, für bundesweite oder sogar internationale Schlagzeilen zu sorgen. Nicht wenige Journalist*innen durchschauen die Strategie nicht, es ist ihnen egal oder sie sind nur auf Schlagzeilen und Klicks aus. Der Mechanismus ist immer derselbe: Geplante Provokationen sorgen für erwartbare mediale Reaktionen. „SS-Siggi“ als Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl schaffte es gar bis in die New York Times.
Anderes wurde bundesweit thematisiert: Das 25-Punkte-Programm (Anleihe bei der NSDAP), der „Stadtschutz Dortmund“ als Reaktion auf die groteske „Scharia-Polizei“ in Wuppertal, die in mehreren Bundesländern eingesetzten Wahlplakate mit dem juristisch nicht zu beanstandenden Spruch „Wir hängen nicht nur Plakate“, der zu erwartende Aufschrei bei zahlreichen Ratsanfragen zu Juden, Aidskranken und Minderheiten, die Kirchturmbesetzung oder die bekannte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck als Spitzenkandidatin für die Europawahl. Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen.
Die Splitterpartei, die bei der Kommunalwahl am 13. September gerade 2369 Stimmen (1,12 Prozent) bei der Ratswahl erreichte, kann regelmäßig bundesweit in verschiedenen Medien auf „dicke Hose“ machen. Die optischen und verbalen Provokationen sind geplant, Demos von den Führungskadern choreografiert. So der Pyrotechnikeinsatz bei der „Antisemit“-Aktion: Die medialen Reaktionen waren „so gut“, dass sie auf ihre Demo am Folgetag verzichteten. Mehr Öffentlichkeit ging nicht.
„Dortmund Echo“ ist Geschichte – Neonazis machen in den sozialen Netzwerken weiter
Ihre Medien-Strategie haben sie übrigens in den Jahren geändert. Der Nazi-Blog „DortmundEcho“ wurde kürzlich am seinem 8. Jahrestag eingestellt. Das hat verschiedene Gründe. „Wie kein zweites Medium deutschlandweit, berichtete das DortmundEcho aus rechter Sicht über lokale Nachrichten, Ereignisse und gab insbesondere auch den Aktivitäten der Partei DIE RECHTE Öffentlichkeit, die in anderen Medien nahezu gänzlich verschwiegen wurden“, heißt es auf der Seite.
Allerdings hatte der Blog über Jahre kein Impressum – auch wenn es offensichtlich war, konnte man die Macher juristisch nicht haftbar machen. Erst in jüngster Zeit – nach Löschung alter Artikel – wurde die Seite „legalisiert“ und als offizieller Kanal der Partei genutzt. Damit ist seit dem 14. September Schluss: „Traditionelle Blogs, das sogenannte ,Internet 1.0’, wurden durch soziale Medien ersetzt, deren Reichweiten um ein vielfaches höher lagen und letztendlich sogar noch einfacher zu betreuen waren“, ziehen sie ein ernüchtertes Fazit.
Dabei waren die Neonazis anfangs selbst die großen Profiteure von asozialen Netzwerken. Sie erreichten vor allem via Facebook ein großes Publikum – bis ihre Präsenz im Jahr 2016 endgültig von der Plattform nach Nutzer*innen-Beschwerden gelöscht wurde. Mehr als 12.000 Nutzer*innen folgten der Partei „Die Rechte“ in Dortmund. Zum Vergleich: Die meisten demokratischen Dortmunder Parteien hatten fast nur dreistellige Followerzahlen. Und selbst die AfD-Fraktion kam damals auf 1475 Fans.
Auch ohne FB geht es für die Rechte online weiter: Denn der Trend zu Netzwerken wie Instagram, Whatsapp oder Telegram schafft hohe Verbreitungsmöglichkeiten. Aber die Zugriffe auf externe Links sind vergleichsweise gering, oft werden nur noch Bilder und Überschriften konsumiert – „das ist keine erfreuliche Entwicklung, aber eine Realität, der sich gestellt werden muss“, schreiben die Neonazis. „In den letzten zwei Jahren stagnierten die Besucherzahlen und das DortmundEcho wurde eher zum Nachschlagwerk für Linke, Journalisten und Behörden, als zu einem tagesaktuellen Medium, das in angemessener Form abgerufen wird.“
Der Serienteil ist ein Gastbeitrag aus dem Sondermagazin „Journalistische Verantwortung in der digitalen Gesellschaft“ der Auslandsgesellschaft.de. Er wurde ermöglicht durch eine Förderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.
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