SERIE (2) – Journalistische Verantwortung in der digitalen Gesellschaft: Medien als vierte Gewalt oder „Lügenpresse“?

„Lügenpresse“ - ein häufiger Vorwurf von Rechtspopulisten, Neonazis und Querdenkern. Archivbild: Alex Völkel
„Lügenpresse“ – ein häufiger Vorwurf von Rechtspopulisten, Neonazis und Querdenkern. Archivbild: Alex Völkel

Ein Gastbeitrag von Martina Plum

Wir können es kurz machen: Die Verantwortung der Journalisten, die sie für die Gesellschaft haben, ist sehr groß. Vielleicht wird sie sogar immer größer und wichtiger in einer Welt, in der es zunehmend schwierig wird, Geschehen einzuordnen. In einer Welt, in der zunehmend die Menschen nach Erklärungen suchen, die ihnen dabei helfen, die globalen und lokalen Ereignisse zu sortieren. 

Früher galten sie mal als vierte Gewalt, heute werden sie verschmäht und als Lügenpresse in die Ecke gestellt. In die gehören sie nicht hinein. Und dennoch ist es Fakt, dass heute immer weniger junge Menschen den früher so heiß begehrten Beruf des Journalisten ausüben wollen. Dabei ist es heute genauso wichtig wie früher, dass Journalisten ihr Handwerkszeug verstehen und damit Unerklärlichem, das zu Verschwörungen gedeiht, nachvollziehbare und nachprüfbare Fakten entgegensetzen – aber ohne als moralisierende Instanz aufzutreten.

Dabei müssen Journalisten sich selbst und ihren Beruf immer wieder auf den Prüfstand stellen.

So ist es unbedingt erforderlich, sich mit der eigenen Haltung auseinanderzusetzen. Auch Journalisten gehen oft nur den Geschichten nach, die in ihr Weltbild passen. Und als Journalistin muss ich meine eigene Überzeugung überprüfen, vor allem deswegen, weil sie falsch sein kann. Und dann muss ich bereit dazu sein, sie zu korrigieren. Der Zweifel gehört zum Job. Genauso wie zur Wissenschaft und zur Verschwörung. Mit einem Unterschied: Das Ergebnis ist in der Wissenschaft offen, es wird das wahr, was richtig, weil es belegbar ist. Bei der Verschwörung ist das anders: Das Ergebnis ist von vornherein klar, die Fakten werden angepasst, zurechtgebogen.  

Kritik am Journalismus wird lauter. So ist z. B. der vorbehaltlos positive Umgang vieler Journalisten in der Zeit um 2015, als sehr viele Menschen nach Deutschland flüchteten, negativ aufgestoßen. Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Journalisten einem Wunschbild aufgesessen sind. Sie haben oft das herbeigeschrieben oder gefilmt, was sie sich selbst wünschten. Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT, kritisierte die eigene Zunft: „Da fand das Vorurteil Bestätigung, dass wir mit der Macht, mit den Eliten, unter einer Decke steckten.“ 

Gerade in Zeiten, in denen die Lust am Diskurs fehlt, ist es Aufgabe der Journalisten, alles dafür zu tun, dass es wieder mehr möglich ist, miteinander zu sprechen. 

Die sogenannten „Mainstream-Medien“ werden Fake-News unterstellt. Foto: Auslandsgesellschaft
Die sogenannten „Mainstream-Medien“ werden Fake-News unterstellt. Foto: Auslandsgesellschaft

Die Welt ist nicht schwarz und weiß, sie ist nicht gut oder schlecht, sie ist wie sie ist. Und das gilt es zu beschreiben. Auch ein Bösewicht hat vielleicht seine guten Seiten. Ob ich es wahrhaben will oder nicht. Und es ist meine Aufgabe als Journalistin, die grauen – besser noch die bunten Töne für den Leser, die Zuschauerin oder die Hörenden herauszuarbeiten. Gerade in einer Zeit, in der scheinbar nur Klicks zählen, in der es nur noch laut zugeht, braucht es fundierten und handwerklich sauberen Journalismus mehr denn je. 

Es gibt ein paar eklatante Beispiele, die den Rahmen des sauberen journalistischen Handwerks sprengen: So schreiben und sprechen zum Beispiel Tagesspiegel, Tagesschau und Spiegel vom „Sturm auf den Reichstag“, ohne dass die Formulierung in Anführungszeichen gesetzt wird. Damit übernehmen sie das Framing der Rechten. Schon Wochen zuvor war in den verschwörungsideologischen Seiten immer wieder die Rede vom „Sturm auf Berlin“. Davon träumten sie. Doch geschafft haben sie es nicht. Jetzt aber haben sie die Bilder geschaffen, die um die ganze Welt gingen. 

Wie sehr kompetenter Journalismus gebraucht wird, zeigt auch das Beispiel des Newsrooms der Parteien. Friedrich Merz hatte angedeutet, dass man seine Inhalte demnächst selbst produzieren und dann ganz auf Journalisten verzichten könne.
Das Beste ist, offensiv und selbstbewusst darauf zu reagieren und zwar genau dort, wo die Musik des Newsrooms spielt: im Netz, im Ausbau der digitalen Präsenz.

Aber: es braucht viel mehr Einordnung, Erklärung als früher. Die Parteien sind im Umbruch und die alten Wahrheiten sind nicht mehr die heutigen/neuen. Und das alles auch immer schneller werdend. Um sich gegen Unsicherheiten zu wappnen, hilft es, sich zu informieren. Und dabei sind unabhängige, seriöse Quellen bei der Suche nach der Wahrheit von sehr großem Wert. 

Was kann Journalismus tun, um verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen?“

Es gibt immer wieder pauschale Manipulationsvorwürfe, die den Kern des Misstrauens in die Medien ausmachen. Eine Möglichkeit, Vertrauen (zurück) zu gewinnen, ist z.B., die eigene Arbeit besser zu erklären, das heißt Transparenz bei den Mechanismen der Nachrichtenproduktion zu zeigen. 

„Wir müssen jetzt beweisen, warum Journalismus für das breite Publikum, die Gesellschaft und die Demokratie unverzichtbar ist. Beim konstruktiven Journalismus geht es um gründlichen, kritischen, ausgewogenen Journalismus“, betont David Schraven von Correctiv. Seine drei Säulen des konstruktiven Journalismus: 

  1. Blick auf die Lösungen: Du enthüllst nicht nur die Probleme, sondern suchst auch nach Lösungen. 
  2. Offen für Nuancen: Du strebst nach der besten Version der Wirklichkeit, die verfügbar ist. Du siehst die Welt mit beiden Augen. 
  3. Für eine Debattenkultur: Du ermöglichst eine offen demokratische Debatte, die Menschen zusammenführt und nicht spaltet. 

„Konstruktiver Journalismus ergänzt Meldungen und investigative Recherchen. Es geht schlicht darum, sich auf den Zweck des Journalismus zurückzubesinnen. Wir wollen durch kritische und konstruktive Beiträge zur Entwicklung der Gesellschaft beitragen“, so Schraven. 

Journalismus ist Service am Menschen. Es geht um nicht weniger als die Haltung jedes einzelnen, wenn er oder sie seinen oder ihren Beruf ausübt. Stephan Weichert und Leif Kramp haben dazu eine Studie erarbeitet. Das Wichtigste gleich vorweg: Weder journalistische Recherche noch Darstellungsformen müssen sich großartig verändern. Wandeln muss sich nur der Blickwinkel. Nicht allein das Sensationelle, der Skandal stehe im Mittelpunkt. Konstruktiver Journalismus gibt den Lösungen einen breiten Raum. 


Der Serienteil ist ein Gastbeitrag aus dem Sondermagazin „Journalistische Verantwortung in der digitalen Gesellschaft“ der Auslandsgesellschaft.de. Er wurde ermöglicht durch eine Förderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.

 

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