Von Angelika Steger
Wolkenverhangener Himmel, leichter Regen. Kein Wetter, bei dem man sich unbedingt nach draußen begibt, um ein Konzert zu besuchen. Konzert, mit vielen Leuten in der Coronakrise? Tatsächlich hat es das Theater Fletch Bizzel geschafft, „RuhrHOCHdeutsch“, das Comedy-Festival des Ruhrgebiets, nicht ausfallen zu lassen. Es findet in diesem Jahr allerdings nicht im Spiegelzelt am Rheinlanddamm statt, sondern im Schalthaus 101 auf Phoenix-West. Was Schirmherr Oberbürgermeister Ullrich Sierau zur Begrüßung sagte, sprach vielen Besucher*innen aus der Seele: endlich kann man sich während der Coronakrise wieder treffen, Musik hören, Spaß und gute Laune haben.
Schirmherr OB Ullrich Sierau begrüßte die Gäste und bedankte sich bei niederländischem Investor
„RuhrHOCHdeutsch“ sei Kultur, das beste Kulturfestival bundesweit. Sierau gibt zu, dass es derzeit das einzige ist. Möglich gemacht habe das die gute Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund und dem Besitzer des „Schalthauses“, dem Unternehmer Gerben van Straaten von World of Walas. Dieses Gebäude gehört zum ehemaligen Werksgelände Phoenix-West. ___STEADY_PAYWALL___
Laut Ullrich Sierau sei es ein Glücksfall, dass World of Walas das Quartier entwickeln und den alten Industrieanlagen neue Bedeutung geben wolle. „Dortmund hat schon immer gekämpft, mit dem Strukturwandel, im Fußball und es ist klar: wir werden siegen.“
Auf diese markigen Worte gab es viel Applaus. Ein Stück Sturheit, Stoisch-Sein und große Klappe, auch wenn man wenig hat oder gescheitert ist – diese sich selbst zugeschriebenen Eigenarten des Ruhrgebiets waren während des ganzen Abends zu spüren.
Endlich wieder Kleinkunst live! Liedermacher, Swingband und Kabarett machen Lust auf RuhrHOCHdeutsch
Den Künstler*innen ist die Freude, wieder auf der Bühne zu stehen, direkt anzumerken. Liedermacher Fred Ape machte den Anfang, sein letzter Auftritt sei am 11. März 2020 gewesen. Das ist nicht nur gefühlt lang her. Er habe nun viel Zeit zum Liederschreiben gehabt. die Coronakrise hat ihn sogar dazu inspiriert: er singt von Künstler*innen, die von der Bank einen Kredit brauchen, aber diesen nicht genehmigt bekommen, weil sie nicht ernst genommen werden.
Ein realistisches Szenario, von dem aktuell viele Kulturschaffende betroffen sind. Und da ist noch die „Risikogruppe“ die eine „riesige Truppe“ sei, zu der er auch selbst gehöre. Witzig und pointiert sind die Texte, nachdenklicher und ernster als sonst. Die Folgen von Covid-19 sind deutlich spürbar und werden noch länger spürbar sein – nicht nur körperlich. Nur einmal läuft Fred Ape Gefahr, die Liedermacher*innen öfter droht: in den Kitsch abzudriften. Doch auch das Lied an seine Frau nimmt das Dortmunder Publikum gerne entgegen, nie sind an diesem Abend Buhrufe zu hören.
Die Zucchini Sistaz, die Münsteraner Damenkapelle „von der grünen Seite des Lebens“, die auch eine Fränkin und eine Dortmunderin in ihren Reihen haben, sind für ihr Publikum immer wieder eine Freude. Ganz ohne Schlagzeug schaffen sie es, Rhythmus zu erzeugen, das Publikum zum Mitmachen zu bewegen. Auch eine Dortmunderin singt und spielt beim grünen Gemüse mit.
Immer ganz in Grün gekleidet und mit aufwendigen Frisuren (wie lange wohl da eine einzige dauert, bis sie fertig ist?), überzeugen sie gewöhnlich ihr Publikum mit musikalischen Einwürfen (verschiedene Instrumente im Einsatz) und lustigen Texten.
„Sie sind das Beste, was uns seit drei Monaten passiert ist.“ Großes Gelächter. Klar, es konnten keine Konzerte stattfinden. Allerdings, die Texte zünden an diesem Abend nicht so, wie man es von anderen Abenden kennt.
Die gesamte Benefizgala für den Verein Halte-Stelle e.V. wirkt eher wie ein Appetithappen für das Programm, das noch kommt. Ein schöner Abend, witzig und mit guter Musik, aber eben nur ein Appetithappen. Der Verein Halte-Stelle e.V. betreut dauerhaft psychisch-kranke Menschen und versucht, ihnen einen geregelten Alltag zu ermöglichen. Ihr Domizil hat die Halte-Stelle in der Nordstadt.
Thema von Kabarettist Frank Goosen: die 1980er Jahre in Bochum mit Arbeit und Leben
Allerdings, warum der Ruhrpott-Dichter Frank Goosen, der das Leben der 1980er Jahre in Bochum schon im Film „Radio Heimat“ mit genauem Blick und Witz beschrieben hat, auch wenn das Leben nicht nur angenehm gewesen war, am Ende seinen Auftritt hatte, bleibt unverständlich. Nach Musik vom Liedermacher Fred Ape wäre Text ohne Musik genau richtig gewesen, um danach mit den Zucchini Sistaz schwungvoll mit Swing den Abend ausklingen zu lassen.
Schalke- und Bayern-Bashing gehört immer dazu (Warum seid Ihr denn stolz auf Eure Berge? Habt Ihr die gemacht? Ich sage Euch, worauf Ihr stolz sein müsst… auf….) Nach der Pause: „auf die Lärmschutzwand an der Autobahn. Da muss man dann im Vorbeifahren das Elend von Gelsenkirchen nicht sehen.“ Die meisten Witze zünden. Vielleicht wird Goosens Traum noch mal wahr: dass sein Verein, der VfL Bochum gegen den BVB in der selben Liga spielt.
Ob Lüdenscheid aber mit zwei blau-weißen Vereinen als „Feinde“ zurecht kommen würde? Fußball, das ist neben seiner Familie Goosens Lieblingsthema. Das Stadion, der Ort, an dem es auch mal rauh, dreckig und laut zugeht. Nur wenn Frauen dabei sind, dann wird’s ruhiger, da wird sich mehr benommen („weißt du, woran ich merke, dass ich nur gelb gepinkelt heute beim Stadionbesuch? Die Frau von meinem Kumpel war mit dabei“). Platt sind seine Witze deshalb nicht, man muss schon öfter mitdenken.
Manchmal sind die Texte grenzwertig, wenn er davon spricht, an einen Ort nicht zu fahren, außer er würde „die Alte“ nehmen wollen. Im Gesamten sind Frank Goosens Erzählungen aber ein stimmiges Bild vom Ruhrgebiet. Immer große Klappe haben – auch wenn man eigentlich nichts hat. Ein stoisches Weitermachen, auch wenn der Wohlstand, den es mit der Industrialisierung und Bergbau auch gegeben hat, nicht mehr ist. Das Ruhrgebiet eben. Oft rauh, aber grundsätzlich Fremden gegenüber nicht unfreundlich. Kabarettist Frank Goosen und die Zucchini Sistaz werden jeweils einen eigenen Abend im Rahmen des Comedy-Festivals RuhrHOCHdeutsch haben.
Viel Aufwand, damit das Comedy-Festival RuhrHOCHdeutsch stattfinden kann
Laut Horst Hanke-Lindemann vom Theater Fletch Bizzel, das RuhrHOCHdeutsch veranstaltet, gab es „hochintensive Wochen der Planung“, um einen Corona-gerechten Veranstaltungsort zu finden. Die Stadt Dortmund habe mit einem „beispiellosen Kraftakt“ das Fletch Bizzel unterstützt. Tatsächlich wirkt nicht nur der Ort, eine stillgelegte Industriehalle, ungewöhnlich:
Zwischen den Stuhlreihen ist mindestens eine Stuhlbreite Platz. Zwei Stühle stehen nebeneinander, dazu je ein schwarzer quadratischer kleiner IKEA-Tisch, der nummeriert mit Tisch- und Platznummer ist. Allerdings laufen die Nummern vertikal, nicht wie man es im Theater Dortmund gewohnt ist, horizontal, wie man Zahlen lesen würde. Das führt gern mal zu Verwirrung und man findet sich in einer Sackgasse wieder, die in einer Stuhlreihe oder an einem Stahlträger endet.
Die Toilettenkabinen sind zahlreicher als beim JuicyBeats oder ähnlichen Festivals, jede hat ihr eigenes kleines Waschbecken. Schöne Kirmestoiletten. Helle Lichterketten über den Köpfen und unter dem Dach erinnern an ein Zirkuszelt. An einer Wand sind Container aufgebaut, als Schallschutz. Dennoch, ganz verschwunden ist der Schall nicht, so dass man die Texte der Band „Zucchini Sistaz“ nicht wirklich verstanden hat, den Liedermacher Frank Ape schon.
Das Publikum und die Künstler*innen auf der Bühne sitzen in einer Art Wintergarten ohne Dach. Bewußt wurden Fensteröffnungen offen gelassen, um den während der Coronakrise empfohlenen Durchzug zu erzeugen, damit mögliche Aerosole hinaus gelangen. Nachteil: man sollte sich als Besucher* in immer eine leichte Jacke mitnehmen, weil es im Schalthaus schnell kühl wird.
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