Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau ist nicht unbedingt ein Freund der leisen Töne. Leidenschaftlich setzt er sich ein und schießt dabei – auch verbal – gerne mal über das Ziel hinaus. Dies war auch so, als er sich im Juni sehr emotional echauffierte, dass Bund und Land sich zu wenig um die Belange der Kommunen kümmerten. Sierau verband diese Kritik – wenig geschickt – mit einem Verweis auf die Ausschreitungen in Stuttgart, wo ein Mob von Jugendlichen randaliert hatte. Das hatte die AfD zum Anlass genommen, die Kommunalaufsicht einzuschalten, eine Ratssondersitzung zu beantragen und den Rücktritt des OB zu fordern. Jetzt liegt die Antwort der Bezirksregierung vor – und die sieht kein Fehlverhalten des Dortmunder OB.
AfD glaubt angebliche dienstrechtliche Verstöße des Dortmunder OB zu erkennen
Nach Ansicht der AfD hatte Sierau „Entscheidungsträgern in Bund und Land massiv gedroht und den angesprochenen Entscheidungsträgern Inkompetenz und Desinteresse gegenüber einer brisanten Lage einer Kommune vorgeworfen“, heißt es im Schreiben an die Kommunalaufsicht in Arnsberg. ___STEADY_PAYWALL___
„Die AfD-Fraktion im Dortmunder Stadtrat erachtet diese Äußerungen des Herrn Oberbürgermeisters für rechts- und verfassungswidrig sowie unvereinbar mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums, die auch auf kommunale Wahlbeamte Rechtsanwendung finden“, schreibt AfD-Fraktionschef Heiner Garbe.
Daher müsse die Kommunalaufsicht einschreiten, weil Sierau „durch sein Gebahren“ gefährde, „dass die Stadt Dortmund im Einklang mit den Gesetzen verwaltet wird“. Er sah Verstöße gegen die staatliche Neutralitätspflicht, die politische Treuepflicht und gegen das Mäßigungs- und Sachlichkeitsgebot. Daher hat die AfD auch eine Sondersitzung des Rates beantragt, der am 12. August zusammentreten soll.
Klare Absage: Bezirksregierung kann keinerlei Dienstverstöße erkennen
Diese Einschätzung teilt die Bezirksregierung als Kommunalaufsicht nicht. „Nach Prüfung gibt es keinerlei Grund für ein kommunalaufsichtliches Einschreiten. Pflichtverstöße des Oberbürgermeisters liegen aufgrund Ihrer Sachdarstellung nicht vor“, teilt Regierungspräsident (RP) Hans-Josef Vogel der AfD und allen anderen Fraktionen in Dortmund mit.
Kommunalen Wahlbeamten sei die Teilnahme am politischen Diskurs nicht verwehrt, da dies eine verfassungswidrige Einschränkung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung darstelle, heißt es in dem Antwortschreiben aus Arnsberg. „Zudem hat Herr Oberbürgermeister Sierau hier kommunale Belange vertreten und die rechtlichen Grenzen eingehalten, die sich aus seinem Amt ergeben“, heißt es weiter.
Ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot liege nicht vor. Auch die Verfassungstreue sei nicht verletzt. „Im Gegenteil: Die Äußerung des Oberbürgermeisters zeigt auf die Sicherung der grundgesetzlichen Garantie der Kommunalen Selbstverwaltung im Verfassungsstaat“, teilt der RP dem AfD-Fraktionschef mit.
Auch die Grenze beim Mäßigungsgebot habe dieser nicht überschritten. „Die allgemeine Kritik an staatlichen Entscheidungsträgern beinhaltet keine persönliche Ausgrenzung oder Diskreditierung von Vertreter*innen anderer Meinungen und beeinträchtigt folglich nicht die Verletzung der Grundrechte anderer“, heißt es dazu vom Regierungspräsidenten abschließend.
AfD-Vorstoß „handwerklich schlecht gemacht“ und „wenig intelligent“
„Der Regierungspräsident trifft den Nagel auf den Kopf. Man kann sich über das ärgern, was der OB gesagt hat und es auch nicht gut finden, aber das ist kein Amtsvergehen. Der AfD geht es um Wahlkampf, weniger um die Stadt und den OB“, kommentiert Lars Rettstadt (FDP/Bürgerliste).
„Was macht es für einen Sinn, eine Abwahl zu fordern, wenn er sowieso aufhört.“ Doch auch handwerkliche Kritik hat Rettstadt am Vorgehen der AfD: „Sie kann den Antrag auf eine Abwahl auch nicht stellen. Sie braucht 50 Prozent der Ratmitglieder, um das auf die Tagesordnung zu bekommen und dann eine Zwei-Drittel-Mehrheit zur Abwahl. Schon die 50 Prozent sehe ich nicht.“
Es sei lediglich viel Lärm um nichts – „billige Polemik und vor allem Wahlkampf für das Publikum der AfD. Und dass das dann noch 35.000 Euro kostet, für etwas, was völliger Quatsch ist und nicht verhältnismäßig, zeigt doch, dass die AfD nicht von Intelligenz gesegnet ist“, echauffiert sich der FDP-Frontmann. „Selbst wenn Sierau noch drei oder fünf Jahre im Amt wäre, hätte das Zeit bis zur nächsten Ratssitzung.“
CDU kritisiert die Instrumentalisierung von Rechten aufgrund durchsichtiger Beweggründe
„Nach der Gemeindeordnung ist der Oberbürgermeister zur unverzüglichen Einberufung des Rates gezwungen, wenn eine Fraktion dies verlangt. Insoweit ist das Vorgehen der AfD hinzunehmen. Völlig unakzeptabel ist es jedoch, für ein Schauspiel, das zu nichts führen wird, Steuergelder zu verschwenden“, kommentiert Ulrich Monegel, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Dortmund, das Ansinnen der AfD.
„35.000 Euro werden sinnlos zum Fenster hinausgeworfen, wie die Stellungnahme des Regierungspräsidenten zu den von der AfD angegriffenen Äußerungen des Oberbürgermeisters zeigt: Der Regierungspräsident sieht keinerlei Grund für ein kommunalaufsichtliches Einschreiten. Pflichtverstöße lägen nicht vor“, so Monegel.
Es sei wichtig und notwendig, dass der Oberbürgermeister sich zu seinen Äußerungen im Rahmen der Pressekonferenz am 23. Juni erklärt. Dazu bedürfe es aber keiner Sondersitzung des Rates. „Die von der AfD beantragte Sondersitzung ist der letzte Beleg dafür, wie an sich bedeutende Rechte von Fraktionen, Minderheiten und einzelnen Ratsmitgliedern aus durchsichtigen Beweggründen instrumentalisiert werden“, so der CDU-Fraktionschef,
Utz Kowalewski kommentiert: „Das ist mal wieder eine Nullnummer der AfD“
Auch andere Fraktionen sehen die beantragte Sondersitzung des Rates in der Sommerpause als Wahlkampfmanöver zu Lasten des Steuerzahlers.
Das betonen Linke und Piraten in einer Stellungnahme: „Das ist mal wieder eine Nullnummer der AfD, wie auch die Ratssondersitzung aus dem gleichen Grund“, kommentiert deren Fraktionschef Utz Kowalewski. Sieraus Aussagen seien einfach nur freie Meinungsäußerung gewesen.
„Dass es die AfD damit nicht hat und sie andere gerne beschneiden möchte, ist dort Standard und Programm. Das kann ich alles nicht mehr wirklich ernst nehmen. Ich hoffe, dass die AfD bei der Wahl zurecht gestutzt wird. Sie verunglimpfen nur, sonst kommt nichts“, so Kowalewski.
Grüne: AfD wieder nicht auf der Höhe der Zeit – OB ist bald eh nicht mehr im Amt
„Mit dem Antrag auf eine Sondersitzung des Rates und der Abwahl des Oberbürgermeisters ist die AfD mal wieder nicht auf der Höhe der Zeit“, kommentieren die Grünen den Vorgang. Denn am 13. September würde eh neu gewählt, Sierau tritt nicht wieder an.
„Das zeigt, dass der Antrag der AfD ein reines Wahlkampf-Manöver der plumpesten Art ist. Statt für eine Sondersitzung des Rates die halbe Verwaltung zu bemühen, die Ratsmitglieder zusammen zu trommeln und damit für die entsprechenden Kosten zu sorgen, sollte sich die AfD lieber mit ihrem eigenen rechtspopulistischen bis rechtsextremen Laden beschäftigen. Da gibt es ja gerade hinsichtlich von Beschimpfungen und Kraftausdrücken durch AfD-Mandatsträger*innen genug zu tun“, kommentieren die Fraktionssprecher*innen der Grünen, Ulrich Langhorst und Ingrid Reuter.
Allein im Landtag hat die AfD in dieser Wahlperiode deshalb 39 Ordnungsrufe und Rügen erhalten. Unabhängig davon sehen die Grünen den Oberbürgermeister in der Verpflichtung, sich zu seinen Äußerungen zu erklären. „Wir waren darüber irritiert und halten sie für erklärungsbedürftig. Aber wie wir den OB kennen, wird er das auch noch tun. Dafür hätten wir aber keine Sondersitzung des Rates benötigt “, so Langhorst und Reuter abschließend.
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Stellungnahme der AfD: Ratssondersitzung ist eine „politische Ersatzvornahme“ für die schweigenden Altparteien und „demokratiehygienisch“ unabdingbar
Stellungnahme der AfD: Ratssondersitzung ist eine „politische Ersatzvornahme“ für die schweigenden Altparteien und „demokratiehygienisch“ unabdingbar
Zunächst muss ich deutlich feststellen, dass OB Sierau allein und ausschließlich die Verantwortung für die Ratssondersitzung mit ihren möglichen finanziellen und weiteren Folgen zu übernehmen hat. Wenn ein Oberbürgermeister höhergestellte Entscheidungsträger in Land und Bund derart öffentlich und in der Diktion krimineller Clanmitglieder bedroht, so ist das ein ungeheuerlicher Vorgang. Es ist eine historische Fehlleistung eines hochgestellten Wahlbeamten, die uns von keinem anderen Wahlbeamten in anderen Kommunen bisher bekannt geworden ist. Sie ist jedoch nur eine Fehlleistung in einer Kette von weiteren Verfehlungen. Erinnert sei an dieser Stelle an ein Interview des Oberbürgermeisters zum Thema „Nordstadt“ in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“. Dort soll er laut der Zeitung, angesprochen auf die Problemlagen in dem Dortmunder Viertel, regelrecht ausgerastet sein. Der SPD-Politiker soll die Bundesregierung in dem Gespräch angegriffen haben. Diese hätte Beschlüsse gefasst und „einen Scheiß darauf gegeben, ob das funktioniert oder nicht“. Seine Stadt sei durch die EU-Osterweiterung zum „Opfer einer völlig verfehlten Eingliederungspolitik“ gemacht worden, zitiert die „DIE ZEIT“ Sierau.
Vor diesem Hintergrund verhalten wir uns hier als einzige Fraktion im Rat der Stadt demokratiehygienisch nur konsequent, wenn wir umfassende Aufklärung durch den OB und natürlich Konsequenzen für ihn fordern. Die von interessierter Seite ins Spiel gebrachten 35.000 € für eine Ratssondersitzung halte ich übrigens für eine politische Zahl in der politischen Auseinandersetzung. Die Kostenhöhe einer solchen Sondersitzung dürfte bei weitem nicht an eine achtstündige Ratssitzung heranreichen. Im Übrigen könnte Herr Sierau selbst – ohne Anstrengung – 35.000 € allein aus seinen schönen Nebeneinnahmen finanzieren. Letztlich würde ich das auch von ihm erwarten. Immerhin waren seine Drohungen in der besagten städtischen Pressekonferenz sicherlich als gezielte Regelverletzung geplant. Dafür vor allem sollte er sich nunmehr entschuldigen und die 35.000 € tatsächlich auch privat berappen. Somit müssten dann keine öffentlichen Gelder in Anspruch genommen werden. Er selbst hat offenbar zum Ende des Wahlkampfs diese persönliche Abschieds-Inszenierung gewählt – warum auch immer. Dafür möge er jetzt auch den vorab geschilderten Preis bezahlen. Wenn hier also jemand ein so ernstes Thema wie den Umgang mit der Corona-Pandemie persönlich und politisch instrumentalisiert hat, ist das der Oberbürgermeister. Die AfD-Fraktion im Rat als auch der Kreisverband haben so etwas nicht nötig und würden das niemals tun.
Die Behandlung des Droh-Auftritts des Oberbürgermeisters gehört natürlich in den Stadtrat. Es ist eine schlimme Sache, dass offenbar der Vorgang weder CDU, SPD, die Grünen oder die Linke noch die FPD interessiert. Da ist sie eben wieder sichtbar, die politische Phalanx der gleichgerichteten Altparteien, die selbst solch krasse demokratiefeindliche Vorgänge inzwischen für den eigenen Machterhalt totzuschweigen bereit ist.
Also muss die AfD als einzige konsequente Oppositionskraft für unsere Bürger einmal mehr – quasi im Wege der „politischen Ersatzvornahme“ – tätig werden und zwangsläufig eine Sondersitzung des Rates durchsetzen. Wegen der Bedeutung des Vorgangs spielt es letztlich keine Rolle, wie weit die Amtszeit von Herrn Sierau noch reichen mag. Wir hätten auch 2014 bei gleicher Faktenlage eine Ratssondersitzung mit Abwahl des OB beantragt. Den Inhalt des Regierungspräsidenten-Schreibens hatten wir im Übrigen so erwartet, auch wenn es uns schockiert hat, dass die von OB Sierau abgesonderten Drohungen aus Sicht des RP „völlig in Ordnung“ sind. Allein die Tatsache, dass die OB-Drohungen vom Regierungspräsidenten völlig ohne Einschränkungen durchgewunken werden, zeigt einmal mehr, wie weit es selbst in einer Landesbehörde schon gekommen ist.
Um eine Sondersitzung des Rates mit einer möglichen Abwahl des OB überhaupt durchsetzen zu können, bedarf es aus rechtlichen bzw. verfahrensrechtlichen Gründen letztlich einer Ratssitzung mit allen Ratsvertretern. Für eine andere Variante gibt es nach unserer Auffassung keine rechtliche Grundlage, da im Übrigen „keine epidemische Lage von landesweiter Tragweite“ mehr besteht, was die Stadtverwaltung konzidiert. Die Rechtsmaterie hier weiter auszuführen, führt zu weit. Nach Auffassung des Rechtsamts gibt es hinsichtlich einer Sollstärkenvereinbarung (Ratssitzung mit verminderter Teilnehmerzahl) überhaupt keine gesetzlichen und rechtlichen Vorschriften. Es handelt es sich hier lediglich um eine interfraktionelle Abstimmung bzw. Vereinbarung, die Rechte einzelner Stadträte beschränkt. Die Entscheidung über die Verfahrensweise ist damit ausschließlich den Fraktionen im Einzelnen vorbehalten. Die AfD-Fraktion befürchtet, dass der etwaige Abwahlantrag, der gem. § 66 Abs. 1 Nr. 1 GO NRW von mindestens der Hälfte der gesetzlichen Ratsmitglieder getragen werden muss, in seiner Zulässigkeit gefährdet wird, da das „Sollstärken-Prinzip“ die Zahl der anwesenden Ratsvertreter bereits auf die Hälfte der gesetzlich vorgeschriebenen Anzahl begrenzt. Darüber hinaus sehen wir eine extreme Verfälschung des Prinzips der Spiegelbildlichkeit, wenn einzelne Ratsmitglieder oder Angehörige der Ratsgruppe NPD/Die Rechte in voller Stärke teilnehmen können und uns als kleiner Fraktion in ihrem Stimmgewicht dadurch gleichstehen.
Mit besten Grüßen
Heiner Garbe
Vorsitzender der AfD-Fraktion im Rat der Stadt Dortmund