Von Marcus Arndt
Am 14. Juni 2000, etwa kurz vor 10 Uhr, entdeckten der Polizeibeamte Thomas Goretzky (✝35) und seine Kollegin Nicole Hartmann (25) eine nicht angeschnallte Person in einem anthrazitfarbenen BMW. Was wie eine normale Verkehrskontrolle begann, endete in einem tödlichen Desaster.
Tödliche Polizeikontrollen – Neonazi feuerte ohne Vorwarnung auf die Polizisten
Als die Polizeibeamten dem Fahrer des BMW zu verstehen gaben anzuhalten, gab dieser Gas, um sich der Kontrolle zu entziehen. Nach einer kurzen Verfolgungsjagd kamen die Fahrzeuge in Dortmund-Brackel, im Unteren Graffweg zum Stehen.
Als der Polizeikommissar Thomas Goretzky ausstieg, eröffnete der Fahrer des BMW ohne jegliche Vorwarnung das Feuer auf den Beamten und traf ihn tödlich, seine Kollegin Polizeimeisterin Nicole Hartmann wurde in den Oberschenkel getroffen und überlebte schwer verletzt.
Der Fahrer des BMW floh daraufhin in Richtung Waltrop. Dort stieß er auf die 34-jährige Polizeibeamtin Yvonne Hachtkemper (✝) und ihren 35-jährigen Kollegen Matthias Larisch von Woitowitz (✝), die mit ihrem Streifenwagen am Randstreifen an einer Kreuzung parkten und den Verkehr kontrollierten.
Unvermittelt eröffnete der Fahrer des BMW das Feuer und schoss dreimal aus seinem Fahrzeug heraus auf die beiden Polizeibeamten. Beide wurden tödlich getroffen. Trotz grüner Ampel hielt der BMW-Fahrer extra an, um auf die Beamten zu feuern und die tödlichen Schüsse abzugeben.
Am späten Nachmittag wurde der Wagen an einer Landstraße im Münsterland aufgefunden. Der Fahrer hatte sich mit einem Kopfschuss selbst getötet. Es war der 32-jährige Dortmunder Rechtsradikale Michael Berger (✝).
DVU-Mitglied pflegte Kontakten zu anderen rechten Parteien
Berger hatte erst kurze Zeit zuvor seinen Führerschein entzogen bekommen – und vermutlich war das der Grund für die Tat. So sahen es später jedenfalls die Ermittlungsbehörden (mehr dazu am Ende des Beitrags).
Berger war Mitglied der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU) und hatte gute Verbindungen zu den Republikanern und der NPD.
Gezieltes Schießen lernte er bei der Bundeswehr. Nach seiner Entlassung jobbte Berger als Taxifahrer und Vertreter. Er geriet ständig mit dem Gesetz in Konflikt und wurde mehrfach verurteilt. Zuletzt wurde Berger wegen Fahrens ohne Führerschein zu drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Arbeitsrechts-Mandat brachte Nadja Lüders (SPD) in Schwierigkeiten
Wegen Depressionen wurde Berger psychiatrisch behandelt – darunter auch mehrere Tage stationär.
Sein damaliger Arbeitgeber kündigte ihm. Berger zog daher vor das Arbeitsgericht. Dort endete die Verhandlung mit einem Vergleich. Seine Arbeitsrechts-Anwältin damals: Nadja Lüders, die heutige SPD-Landtagsabgeordnete und Dortmunder SPD-Unterbezirksvorsitzende.
Auf einer Feierlichkeit seiner Anwältin tauchte der 1,90 Meter große Ex-Mandant Michael Berger auf. Nadja Lüders wusste damals noch nichts von seiner Gesinnung.
Dieses unpolitische Mandat und ein ziemlich ungeschicktes Informationsmanagement damit kostete Lüders erst kürzlich den Vorsitz im NSU-Untersuchungsausschuss: Dieser sollte auch mögliche Kontakte zwischen Berger und dem NSU-Trio untersuchen. Um Schaden vom Ausschuss abzuwenden – so war mit Befangenheitsvorwürfen zu rechnen – legte sie den Vorsitz nieder.
Neonazi-Szene feierte die Polizisten-Morde ihres Kamerads: „3:1 für Deutschland“
Erst nach der Kündigungsschutzklage machte Berger keinen Hehl mehr aus seiner nationalsozialistische Gesinnung.
Er trug sie sogar offen zur Schau, auf Frau Lüders´ Feierlichkeit soll er gut sichtbar eine Kette mit Hakenkreuz getragen haben, und er ließ sich die Zahl „88“ auf dem Hinterkopf einrasieren – ein Code der rechten Szene. Die „8“ steht für den achten Buchstaben im Alphabet – und „HH“ bedeutet „Heil Hitler“.
Auch Kontakte zu dem Dortmunder Neonazi Siegfried „SS Siggi“ Borchardt hatte Michael Berger – wie auch zu vielen anderen bekannten Größen der rechtsextremen Kreise in NRW.
Die Dortmunder Neonazi-Szene würdigte die feigen Polizisten-Morde von Michael Berger mit zynisch-menschenverachtenden Aufklebern, Flugblättern und Sprüchen: „Berger war ein Freund von uns“ und „3:1 für Deutschland“ war dort zu lesen.
Ermittlungsbehörden konnten keine politische Motivation der Taten erkennen
Die ermittelnden Behörden erklärten damals, dass Michael Berger ein depressiver Waffensammler war, der aus Angst wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und einer Bewährungsstrafe die drei Beamten erschossen habe. Eine politisch motivierte Tat wurde damals ausgeschlossen.
Dies macht eine Landtagsanfrage, die der Minister für Inneres und Kommunales NRW u.a. wie folgt beantwortete, deutlich:
Frage: Aus welchen Gründen genau wird die Erschießung der drei Polizeibeamten in Dortmund im Jahr 2000 durch den Neofaschisten/Rechtsextremisten Michael Berger nicht in den Statistiken über sogenannte „Politisch motivierte Kriminaltät“ geführt?
Antwort: (…) Nach dem Ergebnis der umfangreichen Ermittlungen war Motiv der Tat sehr wahrscheinlich Verdeckungsabsicht, da der Genannte – obwohl mehrfach einschlägig vorbestraft – den PKW ohne Fahrerlaubnis geführt hatte und sich außerdem in seinem Wagen und in seiner Wohnung mehrere Schusswaffen befanden, für deren Besitz er keine Erlaubnis hatte. Anhaltspunkte für eine politische Tatmotivation im Sinne der Definition „Politisch motivierte Kriminalität“ lagen nicht vor. Vermutungen in den Medien über einen Zusammenhang zwischen der Tat und Hinweisen auf Aktivitäten des Genannten in der „rechten Szene“ ließen sich nicht verifizieren. Das Verfahren wurde aufgrund des Todes des B. eingestellt. Hinweise auf eine Beteiligung Dritter an den Tötungsdelikten gab es nicht. (Quelle: Drucksache 15/1866)
Wirkliche Aufklärung gab es nicht, müsste es besser heißen. Niemand hatte damals Interesse daran, mögliche Verbindungen zu Neonazi-Netzwerken und weitere Hintergründe aufzuklären. Der Selbstmord sorgte für einen schnellen Schlussstrich.
Zwei Gedenkfeiern erinnern an die ermordeten Polizisten
Am vergangenen Sonntag gedachten Bürgerinnen und Bürger – unter anderem auf Einladung der Geschichtswerkstatt – am Gedenkstein in Brackel der jungen Polizeibeamten.
Am Montag fand dann ein Gedenken vor dem Polizeipräsidium statt. Polizeipräsident Gregor Lange lud die Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Dortmund zu einer Gedenkminute zu Ehren der getöteten Kollegen ein.
Lange erklärte, die Tat habe damals schmerzlich deutlich gemacht, welche Gefahren der Polizei-Beruf mit sich bringe und mahnte seine Einsatzkräfte zur Vorsicht und Eigensicherung.
Der Dreifachmord habe aber auch gezeigt, dass die Gefahren durch gewaltbereite Rechtsextremisten nicht verharmlost werden dürfen, betonte er. Viele der trauernden Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Dortmund waren vor 15 Jahren selbst aktiv im Dienst und Zeitzeugen dieser schrecklichen Tat.