Von Rainer Roeser
Holprig startet die AfD in den Wahlkampf. Die Partei, die wieder und wieder ein Ende der Ampel gefordert hatte, war, zumal in Nordrhein-Westfalen, tatsächlich organisatorisch nicht vorbereitet auf deren rasches Ende. Verschärfend kommt im einwohnerreichsten Bundesland hinzu, dass die parteiinternen Machtkämpfe immer noch nicht ausgestanden sind. Das liegt auch am Dortmunder AfD-Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich.
Helferich und Garbe kandidieren in Dortmund für den Bundestag
Anfang des Monats ließ er sich von seiner Parteibasis erneut als Direktkandidat aufstellen, im Wahlkreis 142, der den Ostteil der Stadt umfasst. Überraschen konnte das nicht. Seine Anhänger:innenschaft im Kreisverband ist stabil. Wie schon zuvor kandidiert AfD-Fraktionschef Heiner Garbe im Wahlkreis 141.
Auch auf den ersten Platz der Delegiertenliste für die Landeswahlversammlung wählten Helferich die Mitglieder, berichtete der 36-Jährige stolz. Und: „Auch die nachfolgenden Dortmunder Delegierten wollen wie ich eine AfD, die in Berlin gefürchtet wird. Eine AfD, die grundsätzlich ist. Linie hält.“
Dass ihm die AfD die Mitgliedsrechte entzogen hat, verhindert zwar, dass er für eine Funktion in der Partei kandidieren kann – es verhindert aber nicht seine Nominierung für ein öffentliches Wahlamt.
Helferich will sich wieder auf die Landesliste wählen lassen
Selbst wenn das Ergebnis der Dortmunder Wahlkreisversammlung so zu erwarten war, dürfte es AfD-Landeschef Martin Vincentz wie eine Provokation erschienen sein. Helferich wirkt auf Vincentz wie das rote Tuch auf den Stier – umgekehrt verhält es sich ganz ähnlich.
Seit Jahren arbeitet der Arzt aus Krefeld daran, seinen mittlerweile rund 8500 Mitglieder zählenden Landesverband als irgendwie „gemäßigt“ im Spektrum der Bundes-AfD darzustellen.
Aber permanent werden seine Anstrengungen konterkariert von einem, der sich einmal – ironisch will er es gemeint haben – als „das freundliche Gesicht des NS“ bezeichnete.
Wirklich verwundern würde es nun nicht, wenn Vincentz‘ Landesvorstand sich jener Bestimmungen im Bundeswahlgesetz bedienen würde, die unliebsame Kandidaturen verhindern, zumindest aber verzögern können.
„Zur großen Verwunderung der Parteiführung bin ich sehr beliebt in der Partei“
Wichtiger aber als solche Fingerhakeleien um die Kandidatur im Wahlkreis ist für Vincentz freilich der kommende Landesparteitag. Weil Helferich das Direktmandat in Dortmund absehbar nicht erringen wird, braucht er einen guten Platz auf der Landesliste, um in den Bundestag zurückkehren. „Auch, wenn Vincentz tobt: Natürlich werde ich wieder kandidieren“, sagt er und rechnet sich gute Chancen irgendwo zwischen Listenplatz 5 und 10 aus.
„Zur großen Verwunderung der Parteiführung bin ich sehr beliebt in der Partei“, meint er. In NRW würden immer mehr AfD-Mitglieder einen „Kickl-Kurs statt Meuthen-Epigonen“ wollen. Helferichs Rechnung ist einfach: Für den „Kickl-Kurs“, den rechtsradikalen Kurs, mit dem der FPÖ-Chef Herbert Kickl seine Partei zur stärksten in Österreich gemacht hat, steht er selbst.
„Meuthen-Epigonen“: Das sind Vincentz und dessen Anhänger. Hoffnung macht Helferich sein Ergebnis beim Nominierungsparteitag vor der Bundestagswahl 2021: „Beim letzten Mal habe ich mit 300 zu 66 Stimmen gegen einen Meuthen-Mann gewonnen. Es braucht auch im nächsten Bundestag einen Dortmunder Abgeordneten auf Kickl-Kurs!“
Die Partei muss unter Zeitdruck Kandidat:innen aufstellen
Eigentlich war der Nominierungsparteitag erst für März 2025 geplant. Doch nun muss er vorgezogen werden. Mitte bis Ende Dezember soll er stattfinden. Wahrscheinlich ist dabei eher ein späterer Termin in diesem Zeitrahmen: Die Parteifunktionär:innen haben derzeit alle Hände voll zu tun, und zu viel ist noch unklar.
In vielen Kreisverbänden sind noch gar keine Direktkandidat:innen bestimmt. In einigen Kreisen müssen sogar erst noch Delegierte für den Parteitag gewählt werden. Fristen, Satzungen und Bundeswahlgesetz müssen bedacht werden. Veranstaltungsorte müssen gefunden werden, was für die AfD zuweilen nicht ganz einfach ist.
Das Problem Esser: Aufgehübschter Lebenslauf und manipulierte Mitgliederaufnahme?
Und dann wird zu allem Überfluss in der AfD auch noch die Vermutung gestreut, dass die Ergebnisse des Parteitags juristisch angreifbar wären. An dieser Stelle kommt Klaus Esser ins Spiel. Esser war ein mächtiger Mann in der NRW-AfD. Einst fungierte er als ihr Landesgeschäftsführer. Dann stieg er zum Vize im Landesverband und der Landtagsfraktion auf. Vor allem aber war er die wohl verlässlichste Stütze für Partei- und Fraktionschef Vincentz.
Ausgerechnet er soll, glaubt man Medienberichten, Dreck am Stecken haben. Berichte über seine Versuche, die eigene Biographie mit erfundenen Studienabschlüssen aufzuhübschen, und über Manipulationen bei der Aufnahme neuer Mitglieder in seinem Dürener Kreisverband machten die Runde. Nach einigem Zaudern und Zögern stimmte sogar der AfD-Landesvorstand für ein Parteiausschlussverfahren.
Bis es so weit war, entstand freilich eher der Eindruck, als wolle die Riege um Vincentz das Problem Esser lieber aussitzen. Helferich hingegen hatte Essers Pein noch vergrößert: Nach eigenen Angaben erstattete er bei der Staatsanwaltschaft Aachen Strafanzeige gegen Esser wegen des Verdachts der Urkundenfälschung und des Anstellungsbetrugs.
Der größte Landesverband sorgt sich um die Rechtmäßigkeit der eigenen Liste
Die Esser unterstellten Manipulationen bei der Mitgliederaufnahme sind es, die den Parteitag in Gefahr bringen könnten. Die Zahl der Delegierten eines Kreisverbands richtet sich nach dessen Mitgliederzahl. Werden unberechtigt in größerer Zahl Mitglieder aufgenommen, wächst das Delegiertenkontingent des betreffenden Kreisverbands.
„Falsche“ Delegierten könnten also eine Kandidat:innenliste wählen. Der Landesvorstand sagt, dass alle Probleme gelöst seien. Die taz zitierte einen Sprecher von Vincentz mit der Aussage, Behauptungen, die Listenaufstellung sei in Gefahr, seien „bösartige Falschmeldungen“.
Mitglieder, die um ihre Aufstellung fürchteten, hätten die Vorwürfe lanciert und würden nun mit Dreck werfen. Konkret genannt wurde Helferich. Der Landesvorstand jedenfalls sei sicher, so der Vincentz-Sprecher, dass er eine rechtssichere Liste aufstellen werde.
Doch Restzweifel bleiben. Die Landeswahlleiterin hat die Merkwürdigkeiten rund um die NRW-AfD in den Blick genommen, und auch AfD-Bundessprecherin Alice Weidel intervenierte. Sie hat auch allen Grund: Würde die Partei bei der Bundestagswahl ohne Liste in NRW antreten müssen, gingen ihr beim deutschlandweiten Ergebnis rund vier Prozent verloren. „Frau Weidel nimmt das Thema sehr ernst und hat sich in regelmäßigen Abständen im Bundesvorstand und aus dem Landesvorstand berichten lassen“, zitierte Zeit online einen Sprecher der AfD-Chefin.
Der Intrigantenstadl AfD-NRW bleibt geöffnet
Enormer Zeitdruck und der Fall Esser sind nicht die einzigen Probleme, die den größten Landesverband der AfD momentan plagen. Vincentz‘ Bemühen, die NRW-AfD politisch „stubenrein“ erscheinen zu lassen, traf nicht nur Helferich, sondern auch andere Akteure, die sich im ohnehin nach rechts verschobenen AfD-Spektrum ganz weit rechtsaußen bewegten. Sonderlich erfolgreich ist er damit bislang nicht. Den ehemaligen Helferich-Mitarbeiter Nils Hartwig etwa will er vor die Tür setzen. Doch der ließ sich kürzlich erneut zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der „Jungen Alternative“ wählen.
Ausschließen lassen will die Vincentz-Riege auch die Spitze des AfD-Kreisverbands in Siegen-Wittgenstein, bislang eine feste Bastion der Rechtsaußen im Lande. Doch in erster Instanz scheiterte der Versuch vor dem Landesschiedsgericht. Gelänge er vor dem Bundesschiedsgericht im zweiten Anlauf doch noch, wäre zugleich der Chef des AfD-Bezirksverbands Arnsberg, Christian Zaum, aus dem Weg geräumt – auch er ein Vincentz-Gegner und Helferich-Freund. Der AfD-Bezirksverband Arnsberg sei „das Thüringen von NRW“, hatte Zaums Verband einmal provokativ wissen lassen.
Helferichs Kandidatur, Vincentz‘ Säuberungsversuche, Ausschlussverfahren, ein juristisch womöglich heikler Parteitag, (Noch-)Abgeordnete, die mit Zähnen und Klauen eine neuerliche Nominierung anstreben u.v.m: Der Intrigantenstadl AfD-NRW bleibt geöffnet.
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Rechtsstaat und Menschenwürde schützen: RAV fordert Stärkung des Bundesverfassungsgerichts und Verbot der AfD (PM)
Angesichts der vorzeitig endenden Legislaturperiode fordert der Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV) die dringende Umsetzung der geplanten Gesetzesvorhaben zur Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts sowie einen Antrag an das Bundesverfassungsgericht für ein Verbot der AfD.
Der Grund für die Dringlichkeit ist, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 16. Dezember 2024 die Vertrauensfrage stellen und damit den Weg zu Neuwahlen Ende Februar 2025 freimachen will. Bis dahin findet im Bundestag nur noch eine Sitzungswoche statt, in der ausschließlich Vorhaben beschlossen werden sollen, die keinen Aufschub dulden. Dabei sind nach Überzeugung des RAV zwei Themen besonders wichtig, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde und Grundrechte zu erhalten: das Gesetz zur Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts sowie ein Antrag an das Bundesverfassungsgericht für ein Verbot der AfD.
„Die wichtigsten Normen aus dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz müssen jetzt ins Grundgesetz aufgenommen werden, damit nicht eines Tages Rechtsextremist*innen das Bundesverfassungsgericht nach ihren Vorstellungen umbauen können“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Peer Stolle aus dem RAV-Vorstand.
Um die Menschenwürde aller tatsächlich zu schützen, müssen extrem Rechte davon abgehalten werden, Grundrechte und demokratische Institutionen abschaffen zu können. „Damit sie nicht mehr unter dem Deckmantel einer demokratisch gewählten Partei ihre menschenfeindliche und antidemokratische Agenda vorantreiben können, braucht es eine Mehrheit für den bereits in den Bundestag eingebrachten fraktionsübergreifenden Antrag, gegen die AfD ein Parteiverbotsverfahren einzuleiten“, so Stolle weiter.
„Die AfD hat in allen Parlamenten, in denen sie vertreten ist, deutlich gemacht, dass ihre Politik nicht mit der Menschenwürde aller Menschen vereinbar ist. Sie greift grundlegende demokratische und rechtsstaatliche Werte an.“