Raik Helm studiert an der Ruhr-Universität Bochum auf Lehramt. Dabei ist er das Social-Media-Gesicht der Dortmunder Neonazi-Szene und betreibt einen YouTube-Kanal voller Hetze. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Frage, ob und wie radikale Ideologien unbemerkt ins Bildungswesen gelangen können.
Neonazis im Netzwerk: Die Dortmunder Szene auf der Straße
14. Dezember 2024, 15.40 Uhr: Am Nordausgang des Dortmunder Hauptbahnhofs formiert sich ein rechtsextremer Aufzug. Organisiert wird die Demonstration von Kaderfiguren der rechten Szene in Dortmund Dorstfeld.
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Immer mehr Neonazis kommen dazu, sie fallen sich in die Arme, lachen, klopfen einander auf den Rücken. Angereist sind Rechtsextremist:innen aus ganz Deutschland und aus der Schweiz.
Es finden sich Aktivisten der gewaltbereiten Elblandrevolte, der Freien Sachsen, des internationalen „Blood&Honour“-Netzwerks und des europaweit größten rechtsextremen Kampfsport-Events „Kampf der Nibelungen“ (KDN). ___STEADY_PAYWALL___
Schwarze Regenjacken, Schlauchschals und White-Power-Handzeichen bestimmen die Szenerie. Am silbergrauen Bulli der Neonazis, der die Demonstration mit einem Lautsprecher begleitet, steht Raik Helm. Der junge Mann mit schwarzer Winterjacke, weinrotem Pullover und beiger Hose hält Rücksprache mit den Organisatoren der Demo.
Die neuen Werkzeuge der Rechten: Online-Propaganda
Helm ist Teil der „Dortmunder Heimatjugend“ (HJ), sie ist die lokale Parteijugend der rechtsextremen Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD), auch bekannt als „Junge Nationalisten“ (JN).
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Der junge Neonazi hilft bei Demonstrationen und Kundgebungen und betreibt seit Kurzem gemeinsam mit einem Kampfsportler des KDN einen You-Tube-Kanal mit dem Namen „NKiezTV“ – eine Hommage an den selbst ernannten „Nazi-Kiez“ in Dortmund Dorstfeld.
Dort laden sein „Kamerad“ Niklas Busch und er „reaction“-Videos hoch, also Videos, in denen sie sich bereits veröffentlichte Videos anderer „creator“ anschauen und diese kommentieren. Das erste Video dieser Art wurde laut Angaben Helms und Buschs wegen Verstößen gegen die Richtlinien der Plattform von „YouTube“ selbst entfernt.
Busch hatte sich wohl etwas zu euphorisch zu dem verstorbenen Neonazi Siegfried Borchardt – bundesweit bekannt als „SS-Siggi“ – und seinen Werten bekannt. Und auch in einem aktuellen Video können sie ihr völkisch nationalistisches Weltbild nicht in Gänze verstecken.
Sie verhöhnen Menschen, die nicht gut Deutsch sprechen und wollen die Verwahrlosung der Gesellschaft durch Zuwanderung aufzeigen.
Vom „Nazi-Kiez“ an die Universität – Rechte als Kommiliton:innen
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Am 9. Januar tauchen dann plötzlich Plakate an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) auf. Sie zeigen ein Foto Helms, versehen mit dem Schriftzug „Achtung Neonazi an der RUB“. Daneben ein QR-Code, der auf das „Infoportal Antifaschistischer Gruppen aus Bochum“ führt. Der Vorwurf dort: Helm studiere seit 2021 Germanistik und Geschichte auf Lehramt.
Die Plakate und der Artikel zu Helm werden in den Sozialen-Netzwerken und in Whats-App-Gruppen der Studierenden geteilt. Die Empörung und die Angst vor dem Neonazi am Campus scheinen groß. Denn obwohl Raik Helm in szenetypischer Kleidung der Marke des „KDN“ in die Uni gekommen sein soll, hat lange Zeit niemand bemerkt, dass er organisierter Rechtsextremist ist.
„Zu wissen, dass sich ein Neonazi seit Jahren in demselben Gebäude zum Studieren aufhält wie ich – das ist einfach ein gruseliger Gedanke“, sagt eine Studentin, die lieber anonym bleiben möchte. Sie findet: „Die Uni sollte ein geschützter Raum sein.“ Eben dieses Sicherheitsgefühl, das sie bislang hatte, sei nun weg, sagt sie.
„Recht auf Bildung“ – auch für Rechtsextreme?
Auf Anfrage erklärt die Ruhr-Universität-Bochum, sie könne aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskunft darüber geben, ob Raik Helm dort studiert. Sie teilt aber mit, dass den Zugang zur Hochschule das Hochschulgesetz (HG) NRW regelt. Darin gebe es aber kein Gesetz zum Umgang mit extremen politischen Gesinnungen, so die Uni.
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„Auch für diese Personen gilt das freie Recht auf Bildung, und die Universität kann Studierende nicht wegen ihrer Ideologie vom Studium ausschließen, auch wenn sie aus politischen Gründen auf dem Campus unerwünscht sind“, erklärt die Universität.
Rechtsextreme Aktivitäten zeige sie im Falle einer Strafbarkeit selbst an oder melde sie umgehend dem polizeilichen Staatsschutz, um Ermittlungen zu unterstützen. Die Universität schlussfolgert: „Juristisch gibt es also keine Möglichkeit, gegen rechtsextreme Personen vorzugehen, solange sie sich auf dem Campus nichts zuschulden kommen lassen.“
Rechte Gegenreaktionen: Hetze gegen Hochschulmitarbeitende
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Prof. Stefan Huster hat den Lehrstuhl für öffentliches Recht an der RUB inne. 2023 postete er bei X (ehemals Twitter) in Bezug auf eine Landratswahl in Thüringen, bei der die AfD gewann: „Was kann man tun, damit diese ideolog. verführten, vertrottelten Vollpfosten wieder in Spur kommen?“
Die Reaktion: Unbekannte sperren sein Büro in einem Gebäude der RUB mit rotem Flatterband ab, versehen mit dem Hinweis „Bereich gesperrt wegen Untauglichkeit“. Prof. Huster diffamiere Andersdenkende, universitäre Räume müssten geschützt werden vor „blinder Ideologie und politischem Fanatismus“, heißt es auf einem Flyer, der zusätzlich mit einem Screenshot des Tweets versehen ist.
Die Universität erklärt, der Vorfall habe sich abends gegen 19 Uhr ereignet. „Bürotüren und Flure wurden mit Klebebändern und Aushängen verunstaltet. Wir haben Anzeige erstattet wegen Hausfriedensbruchs“, heißt es weiter. Erkenntnisse zu Tatverdächtigen lägen nicht vor, so die Uni.
„Ruhrgebiet Aktiv“ und die Dortmunder Szene
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Auf die „Aktion“ aufmerksam macht die Gruppe „Ruhrgebiet Aktiv“ auf ihrem eigenen Instagram-Account. Es ist ihr erster Beitrag in dem Sozialen Netzwerk. Dort heißt es „Zusendung aus Bochum“ und „Von sowas kommt sowas“.
Die Gruppierung „Ruhrgebiet Aktiv“ ist mittlerweile kaum mehr existent. Sie diente dazu, rechtsextreme Aktivitäten in Form von martialischen Videos in die sozialen Netzwerke zu bringen.
Immer wieder gibt es klare Bezüge zur Dortmunder Neonazi-Szene, wie das Werben für den Stammtisch der „Heimat Jugend Dortmund“ (HJ), das Anbringen eines Transparents am Revierpark Wischlingen mit der Aufschrift „Schwimmt nach Hause!“ oder das Posieren auf dem Wilhelmplatz mit Szenefiguren wie dem gewaltbereiten, untergetauchten Neonazi Steven Feldmann.
Das aktuellste Video von „Ruhrgebiet aktiv“ auf Instagram zeigt zwei junge Männer, die miteinander kämpfen. Einer der Kampfsportler: Niklas Busch, Raik Helms YouTube-Partner.
Die Ideologie blieb im Hörsaal unentdeckt
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Die Frage, wieso Raik Helms Gesinnung – vor allem im Kontext des Fachs Geschichte und trotz szenetypischer Kleidung – nie aufgefallen ist, kann oder will die Hochschule nicht beantworten. Sie erklärt stattdessen, weltoffen, international und divers zu sein.
Außerdem würden strukturelle Maßnahmen diskutiert, um Lehrende und Studierende im Umgang mit rechtsextremen, verfassungsfeindlichen Äußerungen noch besser zu unterstützen, so die Uni.
Helm kann also – solange er am Campus keine Straftaten begeht – auf Lehramt studieren. Aber wird er auch als pädagogische Fachkraft in einer Schule arbeiten können? Die Bezirksregierung Arnsberg erklärt, eine kontinuierliche, dienstlich kontrollierte Überwachung von Lehrkräften finde nicht statt, auf entsprechende Hinweise reagiere sie aber schnell.
Neonazis im Klassenzimmer?
Um den Beamtenstatus zu erlangen, müssen sich Lehrende zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen. „Wenn valide Erkenntnisse dafür vorliegen, dass dies nicht der Fall ist, werden wir die betreffende Person nicht verbeamten“, so die Bezirksregierung. Dazu gehöre auch die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Organisationen.
Die Bezirksregierung ergänzt, sollte ein:r bekannte:r Extremist:in sich um die Einstellung als Lehramtsanwärter:in bewerben, „würden wir alle dienst- bzw. arbeitsrechtlichen Möglichkeiten nutzen, um eine solche Einstellung zu verhindern“. Sollten entsprechende Erkenntnisse erst nach einer Einstellung bekannt werden, käme eine Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst in Betracht, so die Bezirksregierung.
Die Tatsache, dass Raik Helm als Teil eines europaweiten rechtsextremen Netzwerks ungehindert auf Lehramt studiert, zeigt: Die Gefahr sitzt längst in den Hörsälen. Die Frage drängt: Wie viele Helms gibt es noch?
Weitere Informationen:
- Raik Helm hat bis zum Redaktionsschluss die Möglichkeit der Stellungnahme nicht wahrgenommen.
- Die Recherche der „Antifa Bochum“: www.antifabochum.noblogs.org
- Informationen zu „Blood&Honour“: www.bpb.de
- Die Reaktion der Universität: www.news.rub.de
- Der YouTube-Account „NKiezTV“: www.youtube.com/@nkieztv
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
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