Es ist eine dieser Geschichten, die man nicht schreiben will. Weil es genau das ist, was die Neonazis wollen. Dennis Giemsch von der Partei „Die Rechte“ und seine Kumpanen in den vier Bezirksvertretungen haben in den vergangenen Wochen – alleine oder gemeinsam mit der NPD – eine Flut von Anfragen gestellt. Es geht dabei in der Regel vor allem um Provokation.
Schriftliche Provokationen: Aids-Kranke, Flüchtlinge und Einbürgerungen als Thema
Allein in der letzten Sitzung des Dortmunder Rates gab es 25 solcher schriftlich einzureichenden Anfragen – sieben davon gemeinsam mit der NPD. Schließlich will man beweisen, dass man eine Gruppe ist – um mehr als 40.000 Euro pro Jahr aus der Stadtkasse abzugreifen.
Sie wollen wissen, wie viele Aids-Kranke es in Dortmund gibt, wieviel Geld für welche Projekte gegen Rechtsextremismus in der Westfalen-Metropole „verschwendet“ wurde (Inkl. der Aufstellung aller Gruppen und Projekte) , welche „unbekannten Asylheime“ es in Dortmund gibt, wie viele Kurden in Dortmund leben, wie viele kurdische Einrichtungen und Vereine der Stadtverwaltung bekannt sind (inkl. Lageplan ihrer Einrichtungen) und wie viele Menschen eingebürgert wurden.
Giemsch: „Für unsere Arbeit ist die Zahl der in Dortmund lebenden Menschen jüdischen Glaubens relevant“
Gestern stand dann auch als Tagesordnungspunkt 11.2.10 eine Anfrage von Giemsch auf der Tagesordnung, in der er wissen will, wieviele Juden in Dortmund leben – aufgeschlüsselt nach Ortsteilen.
Sie benötigten diese Infos, „um deren Bedeutung in unserer Stadt herauszufinden. Für unsere politische Arbeit ist daher die Zahl der in Dortmund lebenden Menschen jüdischen Glaubens relevant“.
Der Aufschrei der Demokraten und der Presse ist ihnen sicher. Es ruft aber auch den Staatsschutz auf den Plan. Der ermittelt nämlich bereits – nicht zuletzt wegen der Störung der Gedenkfeier für jüdische Opfer am Holocaust-Gedenktag in Dorstfeld. Die jüdische Kultusgemeinde Dortmund hat deshalb Anzeige erstattet.
Die Traditionslinie ist klar: Schließlich heißt der Dortmunder Neonazi-Devotionalien-Handel von Neonazi-Bezirksvertreter Michael Brück ja auch antisem.it-Versand.
Er hat quasi den Online-Handel vom Giemsch übernommen, seitdem dieser sich stärker auf seine Rolle als Student an der TU und Familienvater konzentriert.
Staatsschutz ermittelt unter anderem wegen der Störung der Gedenkfeier
Nun also die „Juden-Anfrage“. Sie wird – wie alle Anfragen der Neonazis – schriftlich beantwortet. Bei diesem Thema fühlte sich Oberbürgermeister Ullrich Sierau allerdings zu einer Reaktion per Presseerklärung genötigt:
„Jüdisches Leben bereichert seit Jahrhunderten in Deutschland und in Dortmund das gesellschaftliche Miteinander und hat vielfältige und nachhaltige Spuren hinterlassen. Das Nazi-Terrorregime hat die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in den 1930-er und 1940-er Jahren systematisch verfolgt, versklavt und umgebracht“, erinnert Sierau. 2078 Jüdinnen und Juden allein aus Dortmund fanden zwischen 1933 und 1945 den Tod.
Jüdische Gemeinde ist wichtiger Teil der Dortmunder Stadtgesellschaft
Trotz des Holocaust-Verbrechens hätten Menschen jüdischen Glaubens wieder Vertrauen gefasst in ein respektvolles, friedliches und von Toleranz getragenes Zusammenleben hier und anderswo in Deutschland.
Die jüdische Gemeinde Dortmund habe mit etwa 3.700 Mitgliedern inzwischen wieder eine Stärke erreicht, die in der Nähe derjenigen liege, die sie vor der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte hatte.
Mehr als 4000 Menschen jüdischen Glaubens lebten vor 1933 in Dortmund. Sie waren deutsche Staatsbürger und gesellschaftlich voll integriert – ein wichtiger Bestandteil der Stadtgesellschaft.
„Wir freuen uns über jedes Kind, jede Frau und jeden Mann jüdischen Glaubens, der hier in Dortmund mit uns zusammen leben will“, betont Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau.
Sierau kritisiert den „menschenverachtenden, antisemitischen und rassistischen Ungeist“
„Vor diesem Hintergrund ist die Anfrage der Nazis ein Vorgang, der von einem unerhörten menschenverachtenden, antisemitischen und rassistischen Ungeist zeugt. Der Vorgang zeigt uns, dass der Schoß noch immer fruchtbar ist und wir keine Sekunde in unserer Aufmerksamkeit nachlassen dürfen.“
In § 55 der Gemeindeordnung NRW wird jedem Ratsmitglied das Recht zugesprochen, Fragen an die Verwaltung zu stellen. Der Oberbürgermeister ist verpflichtet, sie zu beantworten.
Dies wird die Stadt auch in diesem Fall tun: „Wir werden in diesem Fall die gestellten Fragen im Rahmen des geltenden Rechts so zurückhaltend wie möglich beantworten. Die Stadt Dortmund wird die Anfrage im Übrigen auch dem Staatsschutz zur Verfügung stellen.“ Die formale Antwort auf die Anfrage wird dem Rat der Stadt voraussichtlich zu seiner nächsten Sitzung am 11. Dezember 2014 vorgelegt werden.
Übrigens: „Bereits 1935 wurde zur Durchführung der Nürnberger Gesetze eine solche zentrale ‘Judenkartei’ angelegt”, erinnert die Leiterin der Dortmunder Beratungsstelle BackUp, Katharina Kostusiak. „Wozu dies geführt hat, können wir in den Geschichtsbüchern nachlesen.”
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Reader Comments
Willi Hoffmeister
Die ganze menschenverachtende, rassistische Denkart der Nazi-Parteien „Die Rechte“ und „NPD“ wurde mit diesen „Anfragen“ wieder einmal deutlich. Wer auch immer mit ihrer/seiner Stimme den ewig gestrigen zu Mandaten in Stadtrat und Bezirksvertretungen verholfen hat, wird sich fragen müssen ob sie oder er das so gewollt hat. Und jedes Gericht, dass diesem braunen Mob wiederholt die Straße frei gegeben hat, wird sich wohl in Zukunft bei derlei Tun den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen müssen. Herr Kanitz, CDU MdB, der jetzt plötzlich über ein Verbot der Rechten erfreulicherweise nachdenkt, sei nur mitgeteilt, dass hunderte Dortmunderinnen in wenigen Stunden einen Aufruf des „Bündnis Dortmund gegen Rechts“ für ein Verbot der rechten Partei per Unterschrift unterstützt haben. Diese brauchen nicht erst nachzudenken sondern wissen längst, dass Faschismus keine Meinung sondern ein Verbrechen ist.
Willi Hoffmeister, Dortmund
Grüne Dortmund
GRÜNE fordern: Anfrage der Rechten nicht beantworten
Die Anfrage der RECHTEN zur Anzahl von jüdischen Bürger*innen sorgt zu Recht für Empörung und Entsetzen in der gesamten Stadt und weit darüber hinaus. Überraschend ist die Anfrage allerdings nicht. Rassistische und antisemitische Politiker – nein, nennen wir sie nicht Politiker, nennen wir sie Agitatoren oder Hetzer – wie Dennis Giemsch und seine Kameraden stellen mehr oder weniger rassistische und antisemitische Fragen, die sich unter dem Deckmantel demokratischer Anfragen verstecken.
Seit der Kommunalwahl im Mai ist dies regelmäßig in den Sitzungen des Rates und den Bezirksvertretungen zu beobachten. In der Ratssitzung am vergangenen Donnerstag wurde dabei nicht nur nach jüdischen Mitbürger*innen, sondern auch nach der Zahl aidskranker Menschen in Dortmund sowie nach Adressen von Ratsmitgliedern gefragt.
Es geht den Nazis um Minderheiten, alternative Lebensentwürfe, schlicht um alles, was nicht ins rechtsextreme Weltbild passt. Im Kern geht es ihnen um die Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats. Mit diesen Anfragen geht es ihnen konkret darum, ein Klima der Angst, der Einschüchterung und der Bedrohung zu schaffen. Genau das aber dürfen wir nicht zulassen.
Es ist gut, dass der Rat klare Spielregeln für den parlamentarischen Umgang mit den RECHTEN aufgestellt hat und sich auf diese Situation vorbereitet hat. Diskussionen mit den Faschisten von NPD und RECHTEN finden nicht statt. Mündliche Anträge (schriftliche dürfen sie nicht stellen) werden ohne Diskussion abgelehnt. Rassistische, antisemitische oder diskriminierende Äußerungen werden vom Oberbürgermeister stellvertretend für den gesamten Rat zurückgewiesen oder mit Möglichkeiten der Geschäftsordnung beantwortet.
Und doch ist die Anfrage zur Anzahl von jüdischen Bürger*innen in Dortmund ein weiterer Tabubruch, der vor dem Hintergrund unserer Geschichte seinen besonderen Stellenwert hat. Unsere Solidarität gehört den Menschen jüdischen Glaubens, sie sich durch diese Anfrage an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte erinnert fühlen müssen.
Wir fordern, dass der Oberbürgermeister die Anfrage vor dem Hintergrund des offensichtlichen antisemitischen Hintergrundes nicht beantwortet.
In der Begründung der Rechten, diese Angaben für politisches Handeln zu benötigen, wird von den Rechten die Begründung für die Nichtbeantwortung der Fragen mitgeliefert: Wie derartiges politisches Handeln aussehen könnte, haben die Rechten nur zu deutlich in der Vergangenheit unter Beweis gestellt. Davor müssen wir die Betroffenen, aber auch uns alle als Zivilgesellschaft schützen.
Wir erwarten, dass die städtischen Gelder gegen Rechtsextremismus im Rahmen der Haushaltsberatungen nicht gekürzt werden.
Wir erwarten, dass umgehend ein Verbotsverfahren gegen die Partei DIE RECHTE als Nachfolgeorganisation des verbotenen Nationalen Widerstands Dortmund geprüft wird.
Und wird sind der Auffassung, dass die gesamte Stadtgesellschaft ein klares und eindeutiges Signal der Solidarität mit der jüdischen Kultusgemeinde geben muss. Und dieses Signal heißt: Jeder auch nur versuchte Angriff auf die jüdische Gemeinde und ihre Mitglieder ist ein Angriff auf das gesamte demokratische Dortmund. Das ist die richtige Antwort auf die Provokation der Nazis.
Markus Kurth MdB
Daniela Schneckenburger MdL
Mario Krüger MdL
Hilke Schwingeler, Sprecherin des Kreisverbands Dortmund
Remo Licandro Sprecher des Kreisverbands Dortmund
Ingrid Reuter, Fraktionssprecherin im Rat der Stadt Dortmund
Ulrich Langhorst, Fraktionssprecher im Rat der Stadt Dortmund
Bündnis gegen Rechts
Den Wölfen den Schafspelz abziehen!
„Es sind Wölfe im Schafspelz, die nun im Schutz des Parteienprivilegs ihr übles Treiben fortsetzen!“, so das Bündnis Dortmund gegen Rechts, das sofort nach der Zulassung der „Partei Die Rechte“ forderte, ihr den Parteistatus abzuerkennen.
Die Parteineugründung durch den berüchtigten Neonazi und vorbestraften Holocaustleugner Christian Worch, in engstem Kontakt mit der Dortmunder Kameradschaftsszene, war zu offensichtlich die Antwort auf das Verbot des „Nationalen Widerstand Dortmund“ und zweier weiterer Kameradschaften. Mit diesem „Freundschaftsdienst“ feierten die kriminellen Hauptakteure der verbotenen Organisationen als Spitzenfunktionäre der sogenannten „Partei“ ihre Auferstehung.
▪ Mit dem Überfall auf die Wahlparty im Rathaus,
▪ mit ihrer Beteiligung an der Zusammenrottung von Neofaschisten mit Hooligans (HoGeSa) im Oktober dieses Jahres in Köln, bei der es zu widerlicher fremdenfeindlicher Hetze und schweren Ausschreitungen kam,
▪ mit ihrer dreisten antisemitischen Pöbelei bei Gedenkveranstaltungen wie jetzt am 9. November in Dorstfeld
bleiben sie dem „Programm“ des verbotenen „Nationalen Widerstand Dortmund“ treu, dessen Logo sie nach wie vor in der Öffentlichkeit zur Schau tragen.
Ihrem Terror auf der Straße stehen ihre Provokationen in Bezirks- und Stadtparlamenten in nichts nach: Ihre Flut von Anfragen ist von Rassismus, Antisemitismus und Menschenverachtung geprägt. Die Anfrage nach den zurzeit in Dortmund lebenden Juden ist in ihrer Perfidie nicht zu übertreffen. Neben Empörung und Zorn wird sie aber auch den Widerstand aller Dortmunder Demokrat/innen weiter stärken.
Das Bündnis Dortmund gegen Rechts wiederholt seine Forderung nach dem Verbot dieser so genannten „Partei“. Bei verschiedenen Anlässen, z.B. beim Friedensfestival des DGB, hat das Bündnis in kurzer Zeit über 1000 Unterschriften unter diese Forderung gesammelt.
Das Parteiverbot ist nicht Alles. Aber es wäre ein wirksamer Schlag gegen die Dortmunder Nazibande, wenn sie das Parlament nicht mehr als Tribüne für ihre antidemokratische Propaganda missbrauchen können. Der Verlust dieses Teils ihrer „Öffentlichkeitsarbeit“, verbunden mit verstärktem Widerstand aus Zivilgesellschaft, Politik und Medien kann und muss das Treiben der Faschisten einengen und ihm schließlich einen Riegel vorschieben.
Wir bitten den Rat der Stadt: Ergreifen Sie eine politische Initiative, das juristische Verbot der „Partei Die Rechte“ herbeizuführen!
Propst Andreas Coersmeier
Empörung über Ratsanfrage: Brief an Oberbürgermeister und Jüdische Kultusgemeinde
Mit großer Empörung reagierte die katholische Kirche in Dortmund auf die jüngste Provokation der Partei „Die Rechte“ im Dortmunder Rat. Die Frage nach der Zahl der in Dortmund lebenden Juden stehe in der „Kontinuität der menschenverachtenden Geschichte dieser ,Partei‘“, heißt es in einem Brief, den Propst Andreas Coersmeier heute an Oberbürgermeister Ullrich Sierau schrieb. Er bittet darin den Oberbürgermeister, diese Frage so knapp und so ungenau, wie rechtlich möglich, zu behandeln. Wenn überhaupt Zahlen erwähnt werden müssten, könnten jüdische und christliche Gläubige gemeinsam genannt werden.
In einem Brief an die Jüdische Kultusgemeinde in Dortmund erklärte Propst Coersmeier die Solidarität der Katholischen Stadtkirche mit den Menschen jüdischen Glaubens in Dortmund. Im Einsatz gegen menschenverachtenden Rassismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus fühle sich die katholische Kirche mit der jüdischen Gemeinde sowie mit allen demokratischen Kräften in Dortmund verbunden.