150 Teilnehmer:innen zogen durch Dortmund-Huckarde

Querdenken-Demonstration: Stadtbekannte Neonazis unter den „Spaziergänger:innen“

Der Spaziergang führte durch große Teile des Dortmunder Vororts.

Unter dem Motto „Gegen Angst und Panikmache – Leben muss bezahlbar sein“ wurde seit Wochen in Telegram-Chatgruppen zu einer Großdemonstration aufgerufen. Etwa 150 Menschen folgten am vergangenen Samstag (15. Oktober 2022) dem Aufruf – unter ihnen etwa 15 stadtbekannte Neonazis. Gemeinsam „spazierten“ sie in einem mehrstündigen Demonstrationszug vom Marktplatz aus durch die Straßen des Dortmunder Stadtteils Huckarde.

Ein Blumenstrauß an Themen: Corona-Politik immer noch im Fokus

Krieg, Preissteigerungen und die Corona-Politik der Bundesregierung waren am Samstag Thema. Redner:innen behaupteten, Putin würde zu Unrecht als Aggressor dargestellt – natürlich von der Presse, die „das größte Übel“ sei. Ein anderer Redner forderte, die „noch intakte Pipeline zu Russland, Nord Stream 2“, solle wieder freigegeben werden.

Ausstellung vermeintlicher Impf-Tote.

Insgesamt war der Grundtenor, die Sanktionen gegen Russland seien haltlos und die Bundesregierung agiere bewusst gegen das eigene Volk – immer wieder fiel die Unterstellung eines „Staatsstreichs“ der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die Dortmunder Polizei schätzt den Großteil der Versammlungsteilnehmenden als „Personen, die nicht dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen sind, aber auch nicht der bürgerlichen Mitte“ ein. Eine Radikalisierung sei aber nicht festzustellen.

Auch die Corona-Politik, das Virus selbst und die Impfung waren immer noch Thema – auf dem Huckarder Marktplatz war ein mobiles „Informationszentrum“ aufgebaut worden. Neben vermeintlichen Fällen von Impf-Toten fanden sich in der „Galerie der Fakten“ auch „Alternative Fakten“ zur Corona-Pandemie.

Faktencheck: Überholtes Zitat von Christian Drosten

Veraltetes Zitat mit unvollständiger Datenangabe.

Ins Auge fiel vor allem ein Zitat von Christian Drosten. Im Gespräch mit Jörg Thaddeusz sagte Drosten im RBB: „Damit (mit der Maske) hält man das (Virus) nicht auf. Wir können separat darüber reden, aber die technischen Daten dazu sind nicht gut, für das Aufhalten mit der Maske.“

Beim genaueren Betrachten fällt auf: Die letzte Ziffer der Jahreszahl fehlt unterhalb des Zitats – es kann also nicht in den zeitlichen Kontext der Pandemie eingeordnet werden: Ein einfacher Fehler oder gezieltes Verfälschen von Informationen?

Im Zuge der Recherche stellt sich heraus, das Zitat ist vom 30.01.2020 – da hatte das Corona-Virus erst seit zwei Tagen die deutsche Grenze überquert, der Wissensstand zu dem neuartigen Virus war äußerst begrenzt.

Die „Galerie der Fakten“.

Im zeitlichen Kontext ging es also darum, das Virus gänzlich aufzuhalten. Im Sachzusammenhang nannte Drosten, dass das Virus gefährlich sei, weil Infizierte die Erkrankung nicht bemerkten. Daher hielte man das Virus nicht mit einer Maske auf – zu Hause bleiben sei die Devise.

Heute weiß man, dass Masken – besonders FFP2-Masken – das Infektionsrisiko durch das zuverlässige Filtern von Aerosolen und Tröpfchen drastisch verringern. Laut einer BR-Recherche aus dem Juli diesen Jahres hielten FFP2-Masken im Test 99,9 Prozent der Tröpfchen zurück. Voraussetzung für den sicheren Schutz sei aber, dass die FFP2 Masken richtig getragen werden. Mund und Nase müssen komplett bedeckt sein und die Masken nach längerem Tragen gewechselt oder gereinigt werden.

Oft unterstellte gesundheitliche Schäden entstünden bei gesunden Menschen durch das Tragen von FFP2-Masken zudem nicht, heißt es weiter. Zwar sei der Widerstand beim Atmen durch das Tragen der Masken stärker und nach längerem Tragen eines Mund-Nase-Schutzes könne die Kohlendioxid-Konzentration im Blut tatsächlich leicht ansteigen, aber eine Studie mit Freiwilligen zeige auch bei kurzfristiger hoher Arbeitsbelastung keine gesundheitlich relevanten Veränderungen bei den Blutgaswerten.

„Warum die Pandemie nicht endet“ – Quelle: „Auf1“

Auch in Huckarde bezieht die Szene Informationen von „Auf 1“.

Das „alternative, unabhängige“ Medium „Auf 1“ ist einer der erfolgreichsten Kanäle für Querdenker:innen. Über 200.000 Abonent:innen folgen dem Telegram-Kanal des Mediums – die Tagesschau hingegen kommt in dem sozialen Netzwerk nur auf knapp 5.000. Auch in der „Galerie der Fakten“ in Huckarde fanden sich am Samstag Informationen, dessen Ursprung das umstrittene Medium war.

Antisemitische Verschwörungserzählungen und Zuspitzungen gehören zur Tagesordnung. Corona – eine Inszenierung oder „Bio-Waffe“ der „Globalisten wie Bill Gates oder George Soros“. Die Impfungen – Mittel zum Zweck, um eine geringere Weltbevölkerung und den „Great Reset“ herbeizuführen. Auf1 bietet einfache Antworten auf komplexe Themen.

Der Chefredakteur des Mediums, Stefan Magnet, ist laut dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) Führungskader der österreichischen Neonazi-Jugendorganisation „Bund freier Jugend“ gewesen. Heute betreibt Magnet Medienberichten zufolge eine rechte Werbeagentur.

Gäste in den Videobeiträgen sind bekannte Personen aus dem Querdenken und rechtsextremen Milieu. Ken Jebsen, dessen Medium „KenFM“ mittlerweile von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg gesperrt wurde oder dem bisherigen TV-Chef des rechtsextremen „Compact“-Magazins Martin Müller-Mertens, der im August zum „Deutschland-Korrespondenten“ von „Auf1“ ernannt wurde, bietet das österreichische Medium regelmäßig eine Bühne.

Verbindungen zu Rechtsextremisten – „freundschaftliches Verhältnis“ mit Neonazi Robin S.

Jens L. am Samstag in Huckarde.

Bereits im Januar hatten Nordstadtblogger und WDR die Verbindung des Anmelders der in Huckarde stattfindenden Corona-Proteste, Jens L., zu dem bekannten Rechtsextremisten Robin S. publik gemacht. Die Polizei Dortmund bestätigte die Verbindung zu aktiven Rechtsextremisten öffentlich – L. selbst gehöre aber nicht der organisierten rechtsextremen Szene an.

Der Castrop-Rauxeler Neonazi S. sei in die Organisation der Corona-Proteste in Huckarde fest eingebunden gewesen und habe ein „freundschaftliches Verhältnis“ mit Jens L. gepflegt, äußert Lokalreporter Karsten Wickern, der die Proteste von Anfang an regelmäßig begleitet.

Robin S. habe Kontakte ins militante Neonazimilieu und sei unter anderem Sprecher der seit 2018 verbotenen rechtsterroristischen Gruppe „Combat 18“ („Kampfgruppe Adolf Hilter“) gewesen. Seit der Veröffentlichung habe Robin S. den Protesten in Huckarde nicht mehr beigewohnt, so Wickern.

Die Polizei Dortmund erklärte nun auf Anfrage der Redaktion: „Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum duldet er (Jens L.) als Versammlungsteilnehmende, ist und war aber nie Teil der organisierten rechten Szene. Offenbar ist er eher ein Opportunist, der sich durch die Teilnahme dieser Personen an seinen Versammlungen Aufmerksamkeit und höhere Teilnehmendenzahlen verspricht.“

Zaghafte Abgrenzug von „jeglichem Extremismus“ – Neonazis nahmen ungestört teil

In den Reihen der Spaziergänger: bekannte Dorstfelder Neonazis.

Auch am vergangenen Samstag trat Jens L. als Anmelder und Redner auf – trotz anfänglicher Distanzierung von „jeglichem Extremismus“ waren etwa zehn Prozent der insgesamt 150 Teilnehmer:innen der rechten Szene zuzuordnen.

Die Polizei zählte sieben Mitglieder der rechtsextremen Szene, hinzu kämen einige wenige Teilnehmende, die mit diesen Personen in Kontakt stünden.

Führende Personen des Dorstfelder Neonazi-Kaders, wie der Veranstalter des rechtsextremen Kampfsportevents „Kampf der Niebelungen“ Alexander Deptolla, der mehrfach Verurteilte Hammer Rechtsxtremist Matthias D. und ehemalige Bundesparteivorsitzende der Splitterpartei „Die Rechte“, Sascha Krolzig, liefen ungehindert inmitten des Demonstrationszug mit.

„Grundsätzlich ist zu sagen, dass Rechtsextremisten bereits zu Beginn der Pandemie und der damit einhergehenden Proteste der Impfgegner versucht haben diese Versammlungen zu unterwandern und für ihre Zwecke auszunutzen, um so Anschluss an die Gesellschaft zu finden“, erklärte die Polizei.

In Bezug auf das Aufkommen neuer Protestaktionen und Versammlungen gehe sie davon aus, dass ähnliche Unterwanderungsversuche von Rechts unternommen würden. Daher warne die Dortmunder Polizei erneut vor diesen Versuchen und appelliere an alle friedlichen Versammlungsteilnehmer:innen die nicht zuzulassen.

Störungen von Pressearbeit: Pöbeleien, Anfeindungen und Einschüchterungsversuche

Matthias D. bedrängte einen bekannten Dortmunder Blogger im Rahmen der Anfangskundgebung.

Im Rahmen der Demonstration kam es vermehrt zu Störungen der freien Pressearbeit – sowohl von Personen aus dem rechtsextremen Milieu, als auch von den teilnehmenden „Querdenker:innen“.

So flüsterte Neonazi Matthias D. einem Journalisten am Rande der Anfangskundgebung obszöne Sexfantasien ins Ohr und näherte sich ihm immer wieder an – auch innerhalb der intimen Distanzzone.

Auch am Rande der Zwischenkundgebung versuchte D. zudem, eine anwesende Journalistin einzuschüchtern. Währenddessen tat ein Redner seinen Unmut über die mediale Berichterstattung kund – sie würden von der Presse grundlos als Reichsbürger:innen und Rechtsextremist:innen diffarmiert.

Die Dortmunder Polizei bewertet die Einschüchterungsversuche der Rechten als altbekanntes Muster. Die Behinderung der Pressearbeit sei nur möglich, „weil Verantwortliche wie auch Teilnehmende dieser Versammlung dieses Verhalten tolerieren, statt sich klar zu distanzieren, fühlen sich Rechtsextremisten hier bestärkt“.

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