Von Thomas Engel
Überraschung am ersten Prozesstag in dem Verfahren gegen den mutmaßlichen Brandstifter eines Mehrfamilienhauses im Herbst letzten Jahres in Dortmund-Huckarde. Das der Großen Strafkammer beim Landgericht vorliegende Gutachten kommt entgegen bisheriger Annahmen nicht zu dem Schluss, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt nur eingeschränkt schuldfähig gewesen sei. – Jetzt droht Sicherungsverwahrung.
Ursprungsthese des Gerichts: Der Angeklagte war zur Tatzeit nur vermindert schuldfähig
Anfang August letzten Jahres bricht im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses in Dortmund-Huckarde Feuer aus. Beim Öffnen ihrer Wohnungstür hatte die Mieterin den Brand bemerkt, alarmierte umgehend die Feuerwehr und warnte die benachbarten MieterInnen. Menschen kommen nicht zu Schaden, aber die Wohnung wird fast völlig zerstört. Die Polizei ermittelt, einige Tage später wird ein 43-jähriger Mann festgenommen.
Da Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des mutmaßlichen Täters Roberto W. zur Tatzeit bestehen, gibt das zuständige Gericht ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag. Beim Prozessauftakt vor der 36. Großen Strafkammer des Dortmunder Landgerichts am Freitag, den 2. Februar, ist der bestellte Sachverständige aber leider verhindert. Der Vorsitzende weist daher gleich zu Beginn darauf hin, dass man mit der Beweisaufnahme erst am zweiten Prozesstag beginnen wolle.
Dennoch kommt es zu einer kleinen Überraschung. Vorab stand nämlich im Raume, dass der mutmaßliche Brandstifter im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gehandelt haben könnte. Diese Vermutung hatte sich aus der dem Gericht teilweise bekannten psychiatrischen Anamnese ergeben. Sollte sich nun im Laufe des Prozesses herausstellen, dass die ursprüngliche Annahme nicht haltbar ist, hätte das nicht unerhebliche Konsequenzen für den Angeklagten.
Wer zur Tatzeit nicht oder nur teilweise schuldfähig ist, kommt nicht frei, sondern landet in der Psychiatrie
Der Normalfall bei einer Straftat ist: Der/die TäterIn ist schuldfähig, d.h. die betreffende Person kann für ihre Tat nach dem Strafgesetzbuch (StGB) zur Verantwortung gezogen und bestraft werden. Bei einer Verurteilung unterstellt das Gericht dabei, dass die angeklagte Person die Straftat mit Einsichts- und Steuerfähigkeit begangen hat. Was soviel bedeutet wie: sie war zum Tatzeitpunkt in der Lage, das Unrecht ihres Handelns zu erkennen und das Handeln entsprechend dieser Einsicht zu steuern.
Fehlt bei einem Menschen dagegen wegen einer psychischen oder Persönlichkeitsstörung zum Tatzeitpunkt entweder die Einsichts- oder Steuerfähigkeit, dann ist er schuldunfähig und kann für seine Tat nicht bestraft bzw. verurteilt werden, da er in seinem Handeln nicht frei war. – Verminderte Schuldfähigkeit bedeutet, dass der/die TäterIn nicht schuldfähig im vollen Sinne des Wortes ist. Hier kommt es darauf an, wie das Gericht den Intensitätsgrad der Störung, die der Tat zugrunde lag, und seine Auswirkungen auf die Handlungskompetenzen der Tatzeitperson, also der Person bei der Tatausführung beurteilt.
Wichtig für solche Beurteilungen sind psychiatrische Gutachten. Folgt das Gericht den Ergebnissen eines Gutachtens, in denen verminderte Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit wegen einer gravierenden psychischen oder Persönlichkeitsstörung festgestellt wird, kann die Straftat nicht mit einer Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt gewürdigt werden. Der/die TäterIn wird damit aber keinesfalls auf freien Fuß gesetzt.
Vielmehr kommt es in beiden Fällen (§§ 20, 21 StGB) zu einer Unterbringung in ein geschlossenes psychiatrisch-forensisches Krankenhaus (auch Maßregelvollzug genannt), wenn die Ursachen, die zu der Tat geführt haben, fortbestehen und daher von der betreffenden Person weitere erheblich rechtswidrige Taten erwartet werden können (§ 63). Die Unterbringung endet erst dann, wenn die eine Tat verursachende psychische Störung nicht mehr vorliegt. Ist dem nicht so, bleibt die Person untergebracht, ggf. lebenslang.
Ergebnis des psychiatrischen Gutachtens bei Roberto W.: Tat wegen schwerer Betäubungsmittelabhängigkeit
Zwar war der Gutachter an diesem ersten Prozesstag nicht anwesend, sein Gutachten aber am Morgen per Mail beim Gericht eingegangen. Es habe ein überraschendes Ergebnis gegeben, verkündet der Vorsitzende. Das Gutachten schlösse nämlich eine paranoide Schizophrenie, also eine Art von Psychose, die eine verminderte Schuldfähigkeit bedingen könnte, aus. Stattdessen sei der Gutachter zu dem Ergebnis gekommen, die Tat des Angeklagten müsse auf dessen schwere Betäubungsmittelabhängigkeit zurückgeführt werden.
Die Oberstaatsanwältin erhebt allerdings die Vorwürfe gegenüber Roberto W. in der vorbereiteten Fassung der Anklage: Dieser solle am 8. August letzten Jahres in Dortmund im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) eine schwere Brandstiftung (§ 306a) begangen haben. Dabei habe er in der mit seiner damaligen Frau gemeinsam bewohnten Wohnung das Bett im Schlafzimmer in Brand gesetzt und einen Sachschaden von ca. 50.000 Euro verursacht.
Die verminderte Schuldfähigkeit rühre aus einer zur Tatzeit beim Angeklagten vorhandenen Psychose aus dem schizophrenen Formkreis. – Trifft diese (zum Gutachterergebnis alternative) Einschätzung zu, liegt nahe, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Brandstiftung vermindert schuldfähig gewesen ist und § 63 StGB mit Unterbringung in den Maßregelvollzug zur Anwendung kommt: Roberto W. müsste bis zur Behebung seiner psychischen Probleme seine Zeit in einer Klinik für forensische Psychiatrie verbringen – beispielsweise in der Wilfried-Rasch-Klinik in Dortmund-Aplerbeck.
Wenn das Gericht nach dem Ergebnis des Gutachtens urteilt, droht dem Angeklagten Sicherungsverwahrung
Folgt das Gericht aber im weiteren Verlauf des Prozesses dem Ergebnis des Gutachtens, das der Sachverständige noch zu erläutern haben wird, ändern sich die Rahmenbedingungen für den Prozessausgang grundlegend. Dann nämlich, erklärt der vorsitzende Richter, schwebt das Verfahren zwischen einer zeitlich begrenzten Unterbringung in eine sog. Entziehungsanstalt (§§ 64, 67d StGB) und einer solchen, die nach § 66 StGB mit einer Sicherungsverwahrung abgesichert ist.
Letzteres ist vor allem deshalb ein nicht auszuschließender Ausgang des Verfahrens, weil der 43-jährige ein bereits nicht unerhebliches Vorstrafenregister vorzuweisen hat. Entscheidend sei, ob das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass eine Therapie in der Entziehungsanstalt erfolgreich verlaufen kann oder nicht, so der Vorsitzende. Die Frage, ob er denn dazu bereit sei, bejaht der 43-Jährige.
In diesem Zusammenhang wird während des Prozesses freilich auch die Frage zu klären sein, ob „die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.“ (§ 66 Abs. 1 Satz 4)
Damit wäre nämlich die entscheidende Voraussetzung für eine Sicherungsverwahrung erfüllt. Denn für JuristInnen ist ein „Hang“ etwas Gewohnheitsmäßiges, das eine Person nicht einfach abstellen kann und daher als Gefährdung Dritter besonderer Aufmerksamkeit bedarf.
Weitere Informationen:
- Nächster Prozesstermin anberaumt für: 19. Februar, 12.30 Uhr, Landgericht Dortmund.