Kooperationsvereinbarung nach dem Tod von Mouhamed Dramé

Die Polizei und die migrantische Zivilgesellschaft wollen vertraglich weiter Vertrauen aufbauen

Gruppenfoto von der Kooperationsvereinbarung
Gruppenfoto anlässlich der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung. Polizei Dortmund

Die Tötung des Suizid-gefährdeten 16-jährigen Flüchtlings Mouhamed Lamine Dramé durch Kugeln der Polizei stellte insbesondere für Teile der migrantischen Zivil- und Stadtgesellschaft eine Zäsur dar. Sie stellte einen der größten Vertrauensverluste der letzten Jahrzehnte in die Polizei da und bildete zugleich einen Wendepunkt für die polizeiliche Arbeit. Daraufhin wurde u.a. ein Kooperationsprojekt zwischen der Polizei und zivilgesellschaftlichen Akteuren gestartet, welches nun durch eine Kooperationsvereinbarung  verstetigt werden soll.

Gründung der AG Dialog bei der Dortmunder Polizei

Polizist:innen und Rettungskräfte wurden am 8. August 2022 zu einem Einsatz mit dem Stichwort „Suizid“ in einer Jugendhilfeeinrichtung in der Holsteiner Straße gerufen. Während des Einsatzes der Polizei wurde dann der geflüchtete Senegalese Mouhamed Lamine Dramé durch eine Maschinenpistole erschossen.

Polizeipräsident Gregor Lange bei der Unterzeichnung der Vereinbarung
Polizeipräsident Gregor Lange bei der Unterzeichnung der Vereinbarung Polizei Dortmund

Da es durch diesen Vorfall zu erhöhtem Misstrauen gegenüber der Polizei in den migrantischen Selbstorganisationen kam, versuchte Polizeipräsident Gregor Lange direkt mit ihnen in Kontakt zu treten. Knapp drei Wochen später wurde bereits eine Bürgersprechstunde „Talk with a Cop“ in der Nordstadt gestartet.

An 7. September 2022 richtete Polizeipräsident Gregor Lange auch die Arbeitsgemeinschaft „Dialog“ ein, die die bisherigen Gesprächsangebote analysieren und neue Möglichkeiten und Formate entwickeln sollte. Zudem gab es im Februar 2023 einen Workshop zwischen den verschiedenen Akteuren.

Zwölf Kooperationspartner unterzeichneten die Vereinbarung

In diesem Worldcafé wurden Racial Profiling und mögliche rechtsextreme Umtriebe innerhalb der Polizei, aber auch vertrauensbildende Maßnahmen und Fortbildungen thematisiert, ebenso wie die Einrichtung von Beschwerdestellen und bessere Sensibilisierung der Einsatzkräfte.

Teilnehmende Organisationen bei der Kooperationsvereinbarung
Teilnehmende Organisationen bei der Kooperationsvereinbarung Polizei Dortmund

Ebenfalls kam es zu Perspektivwechseln zwischen Polizei und den Stadtbewohner:innen. Bei diesen Veranstaltungen kam es zu Besuchen und Gegenbesuchen in der Wache Nord von Train of Hope e.V. und VKII Ruhrbezirk e.V..

Es wurden verschiedene Veranstaltungen und Fortbildungen intern und extern durchgeführt. Insgesamt sollte es zu einem Austausch und einem gemeinsamen öffentlichen Auftreten kommen.

Diese Zusammenarbeit soll nun durch eine Kooperationsvereinbarung verstetigt und institutionalisiert werden: Bei der Unterzeichnung waren alle beteiligten Vereine und die Polizei anwesend.

Neben der Polizei waren AFRIDO, Multikulturelles Forum e.V., der Rat der muslimischen Gemeinden in Dortmund, Train of Hope Dortmund e.V., VKII Ruhrbezirk, Planerladen, der Verbund sozial-kulturellen Migrantenvereine in Dortmund e.V., UBV, das Projekt Ankommen sowie das Keuning- Haus dabei.

Die Vereinbarung bildet einen roten Faden für den Dialogprozess

„Als es [das Kooperationsprojekt] entstanden ist, haben die gesellschaftlichen Akteure einen Brief mit Forderungen verfasst“, erinnerte Moderatorin Deniz Greschner an den Beginn der Prozesses. In diesem Brief forderten die Initiativen unter anderem Qualifizierungen und mehr Fortbildungen zum Thema Rassismuskritik bei den Polizeibeamt:innen.

Aus diesen Forderungen entwickelten dann die Kooperationspartner:innen Ziele, um einen roten Faden für den Dialogprozess zu diesen Zielen zu kreieren. „Dabei gab es am Anfang unterschiedliche Erwartungen“, so die Moderatorin. Auf der einen Seite gab es die Erwartung, dass es sofort eine unabhängige Beschwerdestelle und eine unabhängige Ermittlungsstelle eingerichtet werden. Auf der anderen Seite musste die Polizei darauf verweisen, dass diese Forderung nicht ihrem Ermessen läge.

Moderatorin und Dozentin Deniz Greschner
Moderatorin und Dozentin Deniz Greschner Erik Latos | Nordstadtblogger

„Es sind zwei verschiedene Systeme. Die Polizei arbeitet und denkt ganz anders als die Zivilgesellschaft. Die Zivilgesellschaft ist es gewohnt Aktivismus zu betreiben – also zu benennen wo die Probleme sind – und so erwartet sie schnell Antworten und Konsequenzen.“, differenzierte Greschner.

Die Polizei habe vergleichsweise schnell auf die Forderungen reagiert, trotz ihrer hierarchischer Organisation und Struktur. Die Polizei hat dann auch im weiteren Verlauf auch Fortbildungen zum Thema Diskriminierung und Rassismuskritik und Begegnungsprojekte etabliert. Das habe das Vertrauen gestärkt, erläuterte Deniz Greschner.

Aber die Zeit werde zeigen, wie sich das ganze Projekt weiterentwickeln wird. Es soll sich nicht nur auf den tragischen Fall von 2022 konzentriert werden, sondern auch darauf wie die gute Polizeiarbeit in einer offenen, postmigrantischen, vielfältigen aber auch von Problemen geprägten Gesellschaft aussehen kann. „Zu viele Menschen schauen unsicher auf die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft und das kann einfach nicht sein. Aber da kann auch gute Polizeiarbeit viel dazu beitragen, dass es nicht mehr so ist. Und daran arbeiten die Partner:innen“, schloss die Moderatorin ab. Sie gucke in Zukunft nur noch freundschaftlich auf den Prozess.

Migrantische Menschen sollen sich auch an die Polizei wenden können

Für die muslimische Gemeinde bedeutet die Vereinbarung eine Öffnung und ein Zusammenrücken der Kooperationspartner. Es gelte den polizeilichen und den muslimischen Kontext als ein Miteinander und Füreinander zu verstehen und durch den Einfluss des jeweils Anderen profitieren und gemeinsam für eine bessere Gesellschaft beitragen zu können.

Fatma Karacakurtoglu vom „Train of Hope e.V.“ arbeitet seit Jahren mit Geflüchteten.

Für Train of Hope e.V. unterzeichnete Fatma Karacakurtoglu die Vereinbarung: „Dieser Vertrag ist von besonderer Bedeutung, da er die offene Kommunikation mit der Polizei zeigt und die Bemühungen von beiden Seiten darstellt sich in einer Gesellschaft wiederzufinden, in der alle für einander da sein können und alle für diese Sicherheit daran arbeiten“, so die Vereinsvorsitzende.

Das bedeutet für Karacakurtoglu, dass auch Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund wie auch andere Bürger:innen (wieder) Vertrauen in die Polizei bekämen. „Auch sie sind Bürger:innen und Teil dieser Gesellschaft. Und deshalb ist es wichtig, dass auch sie ihre Anliegen in die Polizei hineintragen können ohne Angst davor zu haben, dass die Polizei sie dann anders angehen“, so die Vorsitzende von Train of Hope e.V.

Es sei eben wichtig, in Dialog zu gehen und Berührungspunkte zu schaffen, in der Polizei und migrantische Gemeinschaft anstelle aus der reinen Problemperspektive auch andere Erfahrung schaffen können, damit auch ein Blick entstehe, dass die migrantische Gemeinschaft keine homogene Gruppe sei. Auch soltlen die kritischen Punkte, wie Racial-Profiling und Beschwerdemanagement, angesprochen werden können. An allen Punkten werde auch noch in Zukunft daran gearbeitet – mit konstruktiver Kritik von Train of Hope e.V..

„Es ist wichtig bei der Ausbildung und der Fortbildung der Polizist:innen anzusetzen“

Levent Arslan, Leiter des Keuning-Hauses, erinnert an die Startschwierigkeiten: „Am Anfang hat man sich nicht getraut, die Konfliktpunkte anzusprechen. Der Prozess hat aber mit der Zeit Fahrt aufgenommen – sonst wären wir ja nicht hier bei der Kooperationsvereinbarung.“ Dies stelle kein Ende des Prozesses dar, sondern einen Meilenstein auf dem Weg zu mehr Vertrauen auf beiden Seiten.

Levent Arslan ist Leiter des DKH Dortmund. Leopold Achilles | Nordstadtblogger

„Wir sind hier im Keuning-Haus geübt darin, positive Streitkultur zu leben und auf dieser Basis haben wir zusammengearbeitet“, so Arslan. Nächstes Ziel sei es, bei den jungen Beamt:innen anzusetzen.

Das bedeute den Prozess zu verstetigen und dafür zu sorgen, dass die Polizei-Anwärter:innen frühzeitig in Kontakt mit Institutionen und den zugewanderten Menschen kämen:  „Es ist wichtig bei der Ausbildung und der Fortbildung der Polizist:innen anzusetzen“, so der Leiter des DKH.

„Wir wünschen uns, dass das Vertrauensverhältnis sich wieder normalisiert“

Auch Anne Schlösser, die Geschäftsführerin des Planerladens, lobte die Kooperation: „ Es ist gut, dass die Polizei in den Dialog gegangen ist, weil nur durch Dialog sich Dinge in richtige Richtung lenken lassen. Für mich ist der Erfolg, dass wir mit der Polizei im Dialog bleiben, damit solche Geschehnisse sich nicht wiederholen und sich die Polizei der Kritik stellt, die ihr entgegen gebracht wird.“

Heute erinnert eine Gedenktafel am Zaun der Jugendwohngruppe an Mouhamed Lamine Dramé. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

„Hier in der Nordstadt ist das Vertrauen gegenüber der Polizei eher nicht gegeben. Wir haben durch den Dialogprozess Ansätze gesehen, die wir gut finden. Aber wir erhoffen uns durch die Kooperationsvereinbarung, dass es noch tiefer geht und nachhaltigere Ergebnisse erzielt. Damit die Menschen auch die Erfolge in den nächsten Jahre sehen, damit das Vertrauen durch die Änderung aufgebaut werden kann“, so Schlösser.

Sarra Lejmi, die Vorsitzende des Forum Jugend e.V., betonte die Augenhöhe bei der Zusammenarbeit mit der Polizei: „Der Tag an dem Mouhamed Dramé gestorben ist, war für uns alle ein Schock, denn wir arbeiten mit Jugendlichen zusammen. Es hätte also einer von unseren Jugendlichen sein können. Wir wünschen uns, dass das Vertrauensverhältnis sich wieder normalisiert. Wir wollen alle in einem friedlichen Dortmund zusammenleben.“


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