Nicht nur die allgemeine Kriminalitätsentwicklung, auch die politisch motivierten Straftaten sind ebenfalls weiter rückläufig und für Dortmunder Verhältnisse auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Die größte Gefahr sieht die Polizeiführung im Rechtsextremismus. Bedrohungen durch Linksextremismus sowie „auslandsbezogene Straftaten“ (dazu zählt auch islamistischer Extremismus) spielen nur eine untergeordnete Rolle und fallen im Vergleich zu Gefahren durch den Rechtsextremismus kaum ins Gewicht.
Zahlreiche Dortmunder Neonazi-Funktionäre sind angeklagt oder in Haft
Polizeipräsident Gregor Lange und Staatsschutzchef Karsten Plenker stellten die Zahlen für das vergangene Jahr vor und ordneten die aktuelle Bedrohungslage ein. Vor allem aber stellten sie die abermals gesunkenen Zahlen als einen Erfolg durch den über mehrere Jahre anhaltenden Strafverfolgungsdruck und ein entsprechendes Präsenzkonzept durch die Sonderkommission (SoKo) Rechts vor. ___STEADY_PAYWALL___
Durch eine gemeinsame Kraftanstrengung mit der Staatsanwaltschaft aber auch anderen Akteuren wie der Stadt sei es gelungen, zahlreiche Strafverfahren anzustoßen, die mittlerweile in viele Verurteilungen bis hin zu Haftstrafen für führende Akteure der Neonazi-Szene gemündet sind.
Erst vor wenigen Tagen (4. Juni) ist der Bundesvorsitzende der vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremistischen Partei „Die Rechte“ mit Sitz in Dortmund, Sascha Krolzig, vom Landgericht in einem Berufungsverfahren zu einer Haftstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden (Nordstadtblogger berichtete).
Krolzig steht damit in einer Reihe mit weiteren Funktionsträgern und Mitgliedern der Partei wie beispielsweise die Brüder Christoph und Matthias Drewer, die jüngst ebenfalls eine Haft antreten mussten. Zahlreiche weitere Protagonisten der Dortmunder Neonazi-Szene wie Steven F. oder Robin Z. sind ebenfalls bereits inhaftiert oder warten auf ihren Haftantritt. Darüber hinaus werden in nächster Zeit noch einige laufende Strafverfahren zum Abschluss kommen.
Rechtsextremistische Straftaten sind in den vergangenen fünf Jahren um 57 Prozent gesunken
Seit dem Jahr 2015 gibt es beim Staatsschutz Dortmund dauerhaft die „SoKo Rechts“, um einen permanent hohen Ermittlungs- und Strafverfolgungsdruck auf eine etablierte, aggressive und gewaltbereite Neonazi-Szene auszuüben. Seit vier Jahren steht Karsten Plenker dem Staatsschutz vor, der seine Mitarbeiter*innen-Zahl seitdem deutlich ausweiten konnte – und mit ihr die Einsatz- und Kontrollmöglichkeiten.
In Dortmund ist die Gesamtzahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten im vergangenen Jahr abermals deutlich gesunken – und zwar von 253 (2018) auf 189 (2019). Das entspricht einem Rückgang um 64 Taten oder 25,3 Prozent. Vergleicht man die vergangenen fünf Jahre, fällt das Minus sogar noch deutlicher aus: 189 Fälle in 2019 im Vergleich zu 441 in 2015 stellen einen Rückgang von 57,1 Prozent, also um mehr als die Hälfte, dar.
Bei den für die Sicherheit der Menschen besonders relevanten rechtsextremistischen Gewaltdelikten sieht die Entwicklung noch besser aus: Die Zahl sank von 31 Taten (2018) auf 10 Taten (2019) und damit um 21 Fälle oder 67,7 Prozent. 80 Prozent Rückgang sind es sogar im Fünf-Jahres-Vergleich seit 2015 (50 Taten). Dieser Trend liegt deutlich über dem Landestrend und steht im Gegensatz zu den deutlich steigenden Zahlen auf Bundesebene. Ein Minus steht in Dortmund auch bei den antisemitischen Straftaten, die von 34 auf 14 zurückgingen.
Umdenken bei Polizei und Staatsanwaltschaft: Personen- statt deliktbezogene Strafverfolgung
Ein wichtiger Baustein der erfolgreichen Arbeit ist die Abkehr von einer delikt- zu einer personenbezogenen Strafverfolgung bei Polizei und Staatsanwaltschaft. Damit werden auch alle nicht augenscheinlich politisch motivierten Straftaten bei den Verfahren mit herangezogen und in den Anklagen gebündelt, was eine deutlich höhere Wirkung bei der Strafverfolgung entfaltet.
Diesen Ansatz verfolgen die Ermittlungsbehörden auch in anderen Feldern – beispielsweise bei der Verfolgung von Delikten in der Nordstadt bzw. beim Drogenhandel oder der sogenannten Clankriminalität. Auch hier führt die Bündelung der Verfahren und der Anklagen zu deutlich höheren Strafen bis hin zu Freiheitsstrafen.
„Akribische Ermittlungen mit klarer Schwerpunktsetzung und Ausdauer, eine qualitätsorientierte Beweis- und Spurensicherung sowie ein hartnäckiges und direktionsübergreifendes Vorgehen zahlen sich am Ende aus. Es ist uns gelungen, die Dortmunder Neonazi-Szene aus der Anonymität zu holen und sie kleinteilig bei Regelübertretungen und Straftaten zu stellen“, betont ein sichtlich zufriedener Chef des Dortmunder Staatsschutzes, Karsten Plenker.
Mischszenen als Gefahr: Neonazis versuchen über Corona-Kritik anschlussfähig zu werden
Wie NRW-Innenminister Herbert Reul warnt die Dortmunder Polizei allerdings eindringlich vor ansteigenden bundes- und landesweiten Gefahren, die in einer Entgrenzung zwischen rechtsextremistischen Szenen und der Mitte der Gesellschaft liegen. Sehr deutlich warnt der aktuelle Verfassungsschutzbericht vor Mischszenen (Rechtsextremisten, Hooligans, Rocker, Bürger aus der gesellschaftlichen Mitte), die sich in einigen Städten zu Bürgerwehren zusammengeschlossen haben.
„Neonazis und Rechtsextremisten versuchen mit Stimmungsmache zu aktuellen politischen Herausforderungen wie dem Flüchtlingsthema oder der ‚Corona-Krise‘ das gesellschaftliche Klima zu vergiften, um anschlussfähig zu werden für die Mitte“, erneuerte Gregor Lange seine Warnung.
Die Dortmunder Bevölkerung habe das Entstehen entsprechender Mischszenen aus bürgerlichen Kreisen, Hooligans, Neonazis und Verschwörungstheoretikern allerdings bisher nicht zugelassen. So habe die rechtsextreme Szene als isolierte Minderheit in Dortmund in den letzten Jahren keinerlei Chance auf Anschlussfähigkeit.
„Wie groß die Gefahren durch Stimmungsmache und die Verbreitung von Verschwörungstheorien über Social Media und das Internet sind, wissen wir nicht erst seit den furchtbaren antisemitischen und rassistischen Anschlägen in Halle und Hanau. Wir sind gewarnt. Deshalb sind Wachsamkeit und Entschlossenheit weiter das oberste Gebot“, so Lange.
Deutliche Mobilisierungsschwäche der Dortmunder Neonazis erkennbar
Auch als Versammlungsbehörde schöpfen wir aktiv unsere rechtsstaatlichen Mittel aus, um die demokratisch gesinnte Bevölkerung vor rechtsextremistischen Gefahren, Volksverhetzungen, antisemitischen und rassistischen Parolen oder Übergriffen zu schützen. Dabei scheuen wir auch keine gerichtlichen Auseinandersetzungen. Wir sehen jetzt, dass unser langer Atem und unsere Null-Toleranz-Strategie Früchte tragen.“
So sei die Dortmunder Szene zwar von der Zahl der Köpfe her unverändert. Doch ihr Mobilisierungspotenzial sei deutlich zurückgegangen. So habe es im vergangenen Jahr nur eine Demonstration mit mehr als 100 Teilnehmenden gegeben. Und selbst das nach monatelanger bundesweiter und teils internationaler Mobilisierung zum Abschluss des Europawahlkampfes. Dennoch kamen nur 184 Teilnehmende – abermals weniger als die ohnehin schon zurückhaltende Anmeldung mit 300 Teilnehmenden durch die Partei „Die Rechte“.
Von alter Stärke ist man weit entfernt – Aufmärsche mit 1.000 und mehr Neonazis liegen schon Jahre zurück. Und die Hälfte der im vergangenen Jahr angemeldeten 18 Demonstrationen wurde abgesagt. „Mangels Masse“, glaubt Staatsschutzchef Plenker. Ein Großteil der Kundgebungen und Mahnwachen habe nur eine einstellige Teilnehmerzahl gehabt.
Nicht kommentieren will die Polizeiführung die online erklärte Auflösung der Neonazi-Gruppierung „Aktionsgruppe Dortmund-West“. Die Dortmunder Polizei bewertet diese Auflösungserklärung vorerst nicht, sondern wird im Austausch mit dem Verfassungsschutz die weitere Entwicklung sehr genau beobachten.
Die Polizeispitze vermag auch in gerichtlichen Schlappen Positives zu erkennen
Auch gerichtlich erlittene Schlappen der Polizei – das Verwaltungsgericht hatte im Eilverfahren die geplante Videobeobachtung in der Emscher- und Tusneldastraße in Dorstfeld gestoppt – möchte Polizeipräsident Gregor Lange nicht als Rückschlag betrachten: „Wenn das Verwaltungsgericht sagt, dass die Straftaten so zurückgegangen sind, dass wir deshalb die Videobeobachtung nicht machen können, nehme ich das erst Mals als Lob. Aber sie sind nur deshalb nicht zahlreicher, weil wir dort präsent sind“, kommentierte Lange auf Nachfrage.
Die geplante Videobeobachtung hatte schon im Vorfeld die Frage aufgeworfen, ob die Rechtsgrundlage reicht und ob dieses Mittel verhältnismäßig ist. „Wir haben den Kontrolldruck mit viel Personal erhöht – und mussten erhöhen, auch gemeinsam mit der Stadt“, so der Polizeipräsident.
„Silvester 2015 hat die Welt über Köln gesprochen, aber wir haben über die rechte Szene in Dorstfeld geredet, weil Beamte in Streifenwagen angegriffen worden sind.“ Rechtsextremisten hätten den Nazi-Kiez propagiert und eine national-befreite Zone in Dorstfeld. Es gab mehrfach Übergriffe auf Journalisten und andere, aber auch Drohungen oberhalb der Strafbarkeit sowie Sachbeschädigungsdelikte.
„Es ist eine Frage der Bewertung, ob dass ein Kriminalitätsschwerpunkt ist. Die Behörde stelle sich der Diskussion: „Würden wir nicht der Meinung sein, dass wir eine gute Argumentation haben, würden wir das nicht tun. Es wird ja noch ein Hauptsacheverfahren geben“, sagte Lange mit Blick auf die noch ausstehende juristische Überprüfung.
„Wir werden sehen, wie sich die Straftaten weiter entwickeln. Es seien gar nicht viele Straftaten nötig, um ein Vermeidungsverhalten zu erzeugen, dass sich große Teile der Bevölkerung entscheiden, da nicht mehr herzugehen. „Das Gericht hat ja gesagt, dass wir zu Recht einen Angstraum bekämpfen und Verfassungsfeinden auf die Füße treten – es ist nur eine Frage des Instruments.“
Einsatz gegen Rassismus in den eigenen Reihen geht bei der Polizei weiter
Ebenfalls im Blick hat die Dortmunder Polizei die Reichsbürger-Szene. Überall da, wo sich ein Anfangsverdacht gezeigt habe – auch über die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes oder der Kommunen – habe man reagiert und intensive Überprüfungen vorgenommen. „In allen Fällen, wo wir sattelfeste Erkenntnisse hatten, haben wir ihnen die Waffenerlaubnis entzogen. Wir haben die Reichsbürgerszene, sofern bekannt, entwaffnet“, betonte Lange, ohne aktuelle Zahlen zu nennen. Denn auch dort gebe es eine gefährliche Mischung aus Hardcore-Rechtsetxremisten, Verfassungsfeinden und Verschwörungstheoretikern.
Nach den Vorkommnissen in den USA wird das Thema Rassismus in der Polizei auch in Deutschland (erneut) diskutiert. Immer wieder gibt es beispielsweise Vorwürfe wegen angeblichen „Racial Profilings“, also dass Personen nur wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe ins Visier der Polizei gerieten. Diese Kritik gibt es auch immer wieder mal in Dortmund.
„Ich habe volles Verständnis dafür, dass man das auch hier wieder öffentlich diskutiert. Aber es gibt fundamentale Unterschiede zu den USA“, beteuert Lange. Die Ausbildung in Deutschland sei viel fundierter und länger. Außerdem gebe es ständige Fortbildungen und Trainings. „Die Frage der Prävention stellt sich in großen Einheiten immer. Wir haben eine eigene Projektgruppe, um die interkulturelle Kompetenz zu stärken. Seit 2014 arbeiten wir über Prävention daran, rassistische Weltbilder zu vermeiden, die im Berufsalltag entstehen könnten“, so Lange.
Einen Reichsbürger-Fall bei der Dortmunder Polizei hatte die Behörde vor einigen Jahren selbst öffentlich gemacht. Rechtsextreme Gesinnung dulde man nicht. In zwei Fällen habe man daher durchgegriffen: „Es ist ausgeschlossen, dass wir solche Menschen in unseren Reihen dulden, die verfassungsfeindliche oder rassistische Weltbilder haben. Die haben bei der Polizei nichts zu suchen, das sind wir der überwiegenden Mehrheit unserer Beamtinnen und Beamten schuldig, dass diese nicht unseren guten Ruf beschädigen“, betont der Dortmunder Polizeipräsident energisch.
Bei Linksextremismus und auslandsbezogenen Straftaten gibt es deutliche Rückgänge
Abschließend wirft der Polizeipräsident auch einen Blick auf die Gesamtheit der politisch motivierten Straftaten – und kann eine durchweg positive Entwicklung feststellen. „Ein Rückgang der politisch motivierten Kriminalität gesamt um rund ein Viertel – und damit auch hier ein weitaus stärkerer positiver Trend als im gesamten Land: Das ist ein starkes Zeichen für unsere Stadt“, so Gregor Lange. Um 25,6 Prozent sanken die Gesamtzahlen von 379 in 2018 auf 282 in 2019.
Dominierend sind sowohl unter den Gesamtzahlen als auch unter den rechtsextremistischen Taten die Verstöße gegen §§ 86 und 86a StGB (Verbreitung von Propagandamitteln und das Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen): 160 und damit 43,3 Prozent aller Delikte waren es 2019 gesamt (2018: 128), 123 davon rechtsmotiviert (2018:109). Weitere Schwerpunkte unter den Gesamtzahlen: Sachbeschädigungen (2019: 32, 2018: 35), Beleidigungen (2019: 26, 2018: 49) und Volksverhetzungen (2019: 22, 2018: 47).
„Spitzenreiter“ unter den linksmotivierten Taten waren mit 18 (2018: 6) die Sachbeschädigungen. Ein Grund für den Rückgang der Taten insgesamt aus dem linken Bereich ist die Mobilisierungsschwäche der Neonazis. Da es kaum noch große Aufmärsche gibt, fallen auch die Attacken dagegen quasi weg. – Das schlägt sich massiv in der Statistik nieder.
Auch hier sind in Dortmund deutliche Rückgänge zu verzeichnen: 43 linksextremistisch motivierte Straftaten stehen für 2019 in der Statistik – und damit 15,7 Prozent weniger als im Vorjahr (51). Bei den Gewalttaten waren es 11 statt 17 Taten – minus 35,3 Prozent. 83,7 Prozent Rückgang sind es bei den auslandsbezogenen Straftaten (2019: 7, 2018: 43 – davon Gewalttaten 2019: 1, 2018: 16), 100 Prozent bei den religiös motivierten (von 2 in 2018 auf 0 in 2019).
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